Kapitel 64 - Renn, Zahnstocher! Renn! - Teil 6
Eilig rannte er weiter, doch es brachte nichts.
Mittlerweile irrte er nur noch wahllos durch die Gänge.
„Wo sind denn alle?", sprach er mit sich selbst. Die Festung war zwar groß, aber er hätte doch längst mal jemanden begegnen müssen...
Kaum war der Gedanke gekommen, vernahm er plötzlich hastige Schritte, die schnell auf ihn zu kamen.
Vorsichtig spähte er um die nächste Ecke, entdeckte jedoch nichts.
„Diese verdammten Mauern...", murmelte Bahe genervt von der Tatsache, dass er durch den Widerhall den Ursprung der Geräusche nicht richtig zuordnen konnte.
Wütend schlug er den freien Pfad ein. Doch kaum hatte er einen Schritt gemacht, ließ ihn Kreischen hinter sich abrupt herum fahren. Er schaffte es nicht mal mehr, einen Blick hinter sich zu werfen, da er sofort von den Füßen gerissen wurde.
Benommen fand er sich schließlich auf dem Boden liegend wieder.
Mit der Ursache des Aufpralls auf ihm. Er sah zunächst nicht allzu viel. Stattdessen erstickte er fast in etwas Weichem, dass sein Gesicht unter sich begrub.
Panisch versuchte er sich durch den Druck seiner Hände von der Last zu befreien, nur um unmittelbar darauf eine rabiate Schlagabfolge gegen seinen Kopf und seine Hände einstecken zu müssen.
Gefolgt von einem spitzen Aufschrei: „Perversling!"
„Was zum...!", gab er entrüstet von sich und stieß die Last seitlich von sich, während er sich in die andere Richtung rollte. Anschließend kam er sofort wieder auf die Beine und musterte sein Gegenüber.
War das nicht die belämmerte Spielerin, die ihn draußen vor dem Tor noch mit so saurer Miene angestarrt hatte?!
Die Spielerin war hochrot angelaufen und hielt beide Arme vor ihrer Brust verschränkt, während sie mit einer Mischung aus Scham und Wut hinüber schaute. Ihr Bogen, war vergessen und baumelte nur noch gerade eben an zwei ihrer Finger.
„Ah...", so langsam konnte Bahe sich einen Reim darauf machen und versuchte sich an das Gefühl warmer Weichheit in seinen Händen zu erinnern.
Das seine Hände dabei halbrund geformt waren und ein leichtes Greifen simulierten, schien jedoch nicht gerade zur Aufhellung ihrer Züge beizutragen.
„Bastard!", spie die Spielerin ihm entgegen, während sich ihr Blick verfinsterte.
„He...", konnte sich Bahe ein Grinsen nicht verkneifen und zuckte mit den Schultern. Wer ist denn hier in wen gerannt? Selbst schuld...
Das schien das Fass zum Überlaufen zu bringen, doch Bahe bemerkte seinen Fehler zu spät. Wutentbrannt trat die Spielerin mit aller Wucht gegen seinen Bogen und schleuderte ihn so mehrere Schritte zurück, mitten in die Wegkreuzung.
„Hey!", rief Bahe aufgebracht, wurde aber nur noch mit einem gehässigen Lächeln bedacht.
Dann rannte die Spielerin in die entgegengesetzte Richtung zur Kreuzung davon.
Na ja... es war ja nicht so, dass er ihren Wutanfall nicht verstehen konnte. Aber er war doch auch nur ein Kerl, wie sollte man sonst reagieren, wenn man vollkommen unvorbereitet zwei himmlische Schätze in den Händen hielt...
Außerdem war...
Ein leises Fauchen ließ seine einschlägigen Gedanken verstummen und seine Konzentration in die Höhe fahren. Schnell machte er ein paar Sätze auf seinen Bogen zu. Er griff bereits danach, als ein offenes Maul unmittelbar vor ihm auftauchte. Reflexartig riss er die Hand zurück und stolperte ein paar Schritte zur Seite.
Keine Sekunde zu früh, wie sich heraus stellte. Das Maul schloss sich mit einem hörbaren Schnappen und gab den Blick auf ein Wildwurzelkaninchen preis, welches Bahe angriffslustig anstarrte.
„Nur ein Wildwurzelkaninchen...", seufzte er erleichtert und holte schnell das einfache Messer aus seinem Speichergegenstand, welches er sonst immer zum Häuten und Jagen von Wildwurzelkaninchen benutzt hatte.
Ein paar Hiebe da, ein paar Ausweichschritte dort und schon war das Wildwurzelkaninchen erlegt und Bahe griff sich erleichtert seinen Bogen. Glücklicherweise schien er noch vollkommen intakt zu sein. Fehlte noch, dass unmittelbar nach Erhalt sein Artefakt bereits in die Brüche ging.
Die Spielerin schien aber wirklich von der ängstlichen Sorte zu sein. War sie wirklich vor einem einzigen Wildwurzelkaninchen davon gerannt?
Kopfschüttelnd lächelte Bahe über die Panik der Spielerin.
Da ertönte plötzlich lautstarkes Kreischen von einer Horde von Wesen, die Bahe verdächtig bekannt vorkamen. Er hatte gerade das Wildwurzelkaninchen aufheben und als Beute einstecken wollen, als er ein zweites Mal vor Schreck herumfuhr und auf einmal große Augen bekam!
Vor ihm strömte eine ganze Horde von Wildwurzelkaninchen um die Ecke des Ganges!
Doch damit nicht genug, sahen die Kreaturen auch noch ihren toten Kameraden zu Bahes Füßen und legten wie wild geworden noch einmal an Tempo zu.
„Oh, Scheiße!", fluchte Bahe, während er sofort die Beine in die Hand nahm. Eins von den Viechern, war ja noch leicht zu erlegen, aber eine wildgewordene Horde?
„Fuck it! Nicht mit mir!", sprach er lauthals mit sich selbst. Allein beim Gedanken an sein Anfangserlebnis in Raoie mit den Kreaturen, lief es ihm immer noch eiskalt über den Rücken.
„Wenn ich diese Spielerin finde!", schrie er seine Wut hinaus. „Sie hat absichtlich nichts von den Viechern erzählt!"
Kaiwen kam gerade noch rechtzeitig an der Kriegsfestung an, um den letzten Teil von Anaels Unterhaltung mit den Ausbildern mitzubekommen.
Sie sah wie Anael zum Wartebereich ging und schließlich das zweite Tutorial startete.
„Jackpot!", grinste sie und begab sich eilig auf einen der Türme, die die Festung von außen umgaben.
Anschließend lief sie über die Hängebrücken, die in regelmäßigen Abständen über der Festung gespannt worden waren und suchte nach einer guten Position, um Anael in den Blick zu nehmen.
Einige der Schaulustigen, waren bereits vor ihr oben angekommen und belegten schon ein paar der besten Plätze.
Ihre Idee war nahezu perfekt aufgegangen.
Natürlich waren nicht mehr alle Spieler mit dabei. Aber ein Großteil hatte sogar die kurze Wartezeit zum Start der neuen Tutorial-Runde auf sich genommen, um diesem verrückten Spieler Anael zuzusehen.
Als das Tutorial dann startete, passierte zunächst nichts. Man sah nur, wie Anael orientierungslos durch die Gänge des Labyrinths lief.
Aber dann kam der Moment, in dem er von der Spielerin überrumpellt wurde!
„Oh...!", rief eine Schaulustige aus und lief rot an.
Eine andere Zuschauerin lächelte ebenfalls verlegen: „Na ja... eigentlich kann er ja nichts dafür, der Arme..."
„Oh ja, der Arme!", lamentierte einer der Zuschauer betont ironisch und tat so, als ob er ebenfalls seine Hände voll hatte.
„Ich bin schon irgendwie neidisch...", meinte ein Anderer.
Abgesehen von den wenigen Kommentaren, hallte schallendes Gelächter über den Festungskomplex hinweg.
Herrlich! Jubelte Kaiwen innerlich, als sie die Reaktionen der Zuschauer in sich aufnahm.
Was folgte waren der Wutanfall der beschämten Spielerin, mit dem Wegtreten des Bogens und Anaels Kampf mit dem Wildwurzelkaninchen.
Ersteres wurde mit einem zweiten Lachanfall der Allgemeinheit beantwortet und letzteres sorgte für begeisterte Pfiffe und lautes Jubelgeschrei.
Währenddessen grinste Kaiwen nur in sich selbst hinein und bemühte sich darum, dass ihr kein Detail entging.
Dann kam die Horde um die Ecke und ein geschocktes Raunen lief durch die Menge auf den Hängebrücken. Was folgte, war eine wilde Hetzjagd, bei der man Anael in großen Sätzen davon sprinten sah. Und es war einfach urkomisch anzusehen.
In regelmäßigen Abständen verfluchte er lauthals die Spielerin, die ihm all das eingebrockt hatte und sorgte, zusammen mit seinen Luftsprüngen die er vollführen musste, um den Kreaturen in letzter Sekunde auszuweichen, für einen Lachanfall der Menge, nach dem Nächsten.
Und so kam es, dass man zum ersten Mal in der noch jungen Geschichte von Raoie einen Spieler im zweiten Tutorial sah, der sich fluchend und hüpfend durch die Kampffestung bewegte und dabei an die hundert Zuschauer bestens unterhielt.
Doch die beste Szene von allen, war der Moment, als einer der Ausbilder vor Kaiwens Augen schallend zu lachen begann.
„Bwuahaha! Renn, Zahnstocher! Renn! Bwahahaha!", rief er lauthals aus, während er vor Lachen kniend auf den Boden der Hängebrücke einschlug und sich die Tränen aus den Augenwinkeln wischte.
„Halt die Schnauze, Tarat!", rief der Spieler wutentbrannt hinauf und verlor dadurch kurz seine Konzentration, was dafür sorgte, dass mehrere Wildwurzelkaninchen ihm ihre Krallen spüren ließen!
„Autsch! Fuck! Scheiße!", fluchte er in schneller Abfolge bei jedem der Treffer und machte einen Sprung nach dem nächsten, um schnell wieder Abstand zwischen sich und die Meute zu bringen.
„Wahahaha! Zahnstocher, mach nur weiter so!", hallte die schallende Lache vom Ausbilder Tarat über die Festung, der inzwischen auf dem Rücken lag und sich im wahrsten Sinne des Wortes vor Lachen kugelte.
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