Kapitel 61 - Falsches Spiel - Teil 2
Hier saß er nun, nahezu kampfunfähig und ritt auf die gefährlichsten Gegner seiner noch so jungen Spielerzeit zu, während bei jedem Satz des Reittiers ein stechender Schmerz durch sein Bein und die geprellten Rippen fuhr.
Stoßatmend ergab er sich seinem Schicksal und konzentrierte sich auf das Geschehen vor ihm. Deraka war noch immer mit den beiden Schildschwerkämpfern beschäftigt, dich sich auf geschickte Art und Weise der mächtigen Axt des Berserkers erwehrten.
Mal sprangen sie außer Reichweite, dann wieder parierten sie so elegant, dass es schon nahezu einfach wirkte, wie eine einstudierte Choreografie.
Bahe und seine Begleiter bemerkte zunächst keiner von den Dreien, sie waren viel zu sehr in ihrem Kampf vertieft. So schafften es Bahes Elementare mitsamt Balu und Bahe einen Großteil der Strecke zu den Artefakten ungesehen zurück zu legen, obwohl sie sich auf vollkommen offener Wiesenfläche befanden.
Stattdessen war ein anderes Problem aufgetaucht. Die wenigen Bergbären, die den Kampf mit der Spinne auf ihrem Rücken überlebt hatten, kletterten soeben von der Kreatur und nahmen sowohl Bahe als auch die drei Kämpfenden ins Visier. Auf dem Boden angekommen, begaben sie sich auf alle Viere und stürmten auf ihre jeweiligen Ziele zu.
Doch damit nicht genug, auch der Blutdurst der Stachelschwanzwildschweine schien noch nicht gestillt worden zu sein. Die Kreaturen ließen die, inzwischen zu einem ekligen Brei verarbeiteten, Leichen der Wolfsunionsmitglieder zurück und preschten als Horde Balu hinterher. Bahe kam nicht umhin zuzugeben, dass sein genialer Plan von vorhin, sich nun gegen in wandte. Die Monster hatten ihn zweifellos erkannt und es nun auf ihn abgesehen.
Zu Bahes großer Erleichterung waren die anderen drei Spieler aber immer noch mit ihrem Kampf beschäftigt, auch wenn er gerade eben beobachtet hatte wie der Berserker einem der Schildschwertkämpfer stark zugesetzt und seinen Schild zerschmettert hatte.
„Passt auf die Bergbären auf!", bat Bahe, der in diesem Moment entschieden hatte, alles auf eine Karte zu setzen.
„Keine Angst, wir schaffen das!", antwortete Brocken.
„Genau, die erwachsenen Bergbären sind noch zu weit weg", schloss sich auch Limona an und wandte sich an ihr Reittier: „Balu, lauf schneller!"
Die nächsten paar Sekunden kamen Bahe unendlich lange vor und die letzten Meter schienen immer länger.
Aus den Augenwinkeln sah er wie Deraka gerade einen der Schildschwertkämpfer niederstreckte und seine Axt im nächsten Moment bereits dem letzten Gegner entgegen flog.
Währenddessen war sein Blick jedoch unentwegt auf die wenigen, noch verbleibenden Artefakte direkt vor ihm gerichtet. Er sah noch ein ungewöhnlich dunkles Schwert am Boden liegen sowie einen schwer wirkenden Schild, einen langen Stab und einiges an Geld, dem Funkeln nach zu urteilen.
Der Stab, wahrscheinlich eine Hiebwaffe, interessierte ihn kaum, genauso wenig der Schild. Es war definitiv das Schwert, auf das er es abgesehen hatte.
Nach einigen qualvollen Sekunden erreichten Bahe und seine Begleiter endlich die Artefakte und Limona machte sich bereit nach dem Schild zu greifen.
„Das Schwert zuerst!", rief Bahe hektisch und konnte zu seiner Zufriedenheit feststellen, wie Limona sich um entschied und zunächst den Griff des Schwertes erfasste.
Bahe nahm das ihm gereichte Schwert so schnell er konnte an und packte es ohne zu zögern, mitsamt seinem Stirnartefakt in seinen Speichergegenstand.
Von vorne kamen die erwachsenen Bergbären immer näher und von hinten die Stachelschwanzwildschweinhorde, sein Tod war höchstwahrscheinlich, aber so würde er wenigstens nicht seine wichtigen Ausrüstungsgegenstände verlieren.
Doch wie so oft kam es anders als er dachte. Limona griff gerade nach dem Schild, als der Leichnam des zweiten Schildschwertkämpfers vor ihrer Hand auf die Artefakte fiel.
Erschrocken richtete sie sich auf und brachte Balu dazu einen Satz zurück zu machen. Keine Sekunde später fuhr auch schon die Axt des Berserkers an der Stelle nieder, an der Balu zuvor noch gestanden hatte.
Schweißperlen bildeten sich auf Bahes Stirn, als er begriff wie knapp es gewesen war. Deraka hingegen grinste boshaft, was in Anbetracht seines blutverschmierten Äußeren nur noch gruseliger wirkte.
Bahe schaute sich noch ein letztes Mal um. Es gab keine Fluchtmöglichkeit mehr. Zu seiner linken die Bergbären, die jeden Moment über sie herfallen konnten, zu seiner rechten die Horde der Stachelschwanzwildschweine und vor ihm ein Gegner, der zum jetzigen Zeitpunkt unbesiegbar für ihn war. Sicher, er konnte Balu umdrehen lassen, aber er erinnerte sich noch daran, wie das Bergbärenjunge nach wenigen hundert Metern auch ohne ihn aus der Puste gewesen war. Sie würden nicht weit kommen.
Dann hallte plötzlich ein unheilvolles Kreischen von den Hängen des Lungagebirges herab, dessen Echo bedrohlich über die Wiese schallte.
Sowohl die Bergbären als auch die Stachelschwanzwildschweine stoppten nahezu augenblicklich in ihren Bewegungen und duckten sich ängstlich gen Boden. Unsicher machten sie ein paar Schritte hin und her, ehe sie mit einem Mal umdrehten und panisch das Weite suchten.
Brocken und Limona konnten Balu nur mit Mühe dazu bewegen sich nicht den restlichen Kreaturen anzuschließen, während Bahe derweil sein Bestes gab, nicht herunter zu fallen.
Deraka hingegen trat nur ein paar Schritte zurück und sammelte schnell die letzten Artefakte ein.
Balu war gerade wieder unter Kontrolle, als ein tiefes Grollen von den Ausläufern des Lungagebirges ertönte und das dumpfe Krachen schwerer Schritte zu vernehmen war, die aus großer Entfernung schnell näher kamen.
„Scheinbar haben wir etwas noch viel gefährlicheres als diese Spinnenkreatur aufgeschreckt", meinte Deraka plötzlich an Bahe gewandt und fuhr fort: „Du bist kein gewöhnlicher Level 0 Spieler, was?"
Bahe kniff die Augen zusammen und überlegte, worauf der Berserker hinaus wollte.
„Machst du dir grad wirklich Gedanken darüber, ob ich dich umbringen werde?", lachte dieser über Bahes Reaktion und schüttelte nur den Kopf. „Wenn ich das wirklich wollte, würdest du schon längst aus deinem Dimensional Leap-System steigen."
„Was willst du dann? Das Schwert?", fragte Bahe, dem klar war, dass er hier keinem gewöhnlichen Widersacher gegenüber stand.
„Pah! Das Ding?", meinte er abfällig und zog die Augenbrauen hoch. „Beleidige mich nicht!"
„Du hast es schon identifiziert?", fragte Bahe.
„Sicher", sagte Deraka nonchalant und breitete die Hände aus. „Im Rang Gewöhnlich hat es wohl so ziemlich die besten Stats die du finden kannst, aber letztlich ist es noch nicht mal ein Bronzeartefakt."
Mit einem Augenzwinkern erklärte er: „Du darfst es behalten. Sieh es als kleine Belohnung dafür, dass du es als Level 0 Spieler geschafft hast, bis jetzt am Leben zu bleiben."
„Bis jetzt?"
„Hehe", gab Deraka belustigt von sich. „Du hast es sofort verstanden, was? Du bist schon ein merkwürdiger Kerl... Du bist noch Level 0, vollbringst aber das Unmögliche. Du bändigst einen Bergbären, zugegebener Maßen ein Jungtier, aber immer noch mehrere Level höher als du selbst, durchschaust sofort die Wolfsunionsmitglieder, was eine Seltenheit unter unerfahrenen Spielern ist und versuchst sogar die gesamte Gruppe gegeneinander auszuspielen, um dir einen Vorteil zu verschaffen!"
Lachend brach Deraka ab und legte anschließend den Kopf schief, als er Bahe aufmerksam musterte.
„Tja... leider hat es nicht geklappt", meinte Bahe nur und brachte Deraka damit erneut zum Lachen.
„Ich... ich musste mich so zusammenreißen, als du es bei mir versucht hast!", brachte er schließlich hervor und schüttelte grinsend den Kopf.
„Was nun?", fragte Bahe ungeduldig, der unter dem näher kommenden, dumpfen Getrampel im Gebirge zunehmend nervös wurde.
„Ach, jetzt hab dich doch nicht so", meinte Deraka. „Lass mir meinen Spaß."
Genervt verzog Bahe das Gesicht, was den Berserker jedoch nur erneut zum Lachen brachte.
„Da du nicht so redselig bist, was ich dir so nebenbei bemerkt nicht verübeln kann, sollten wir uns wohl von einander verabschieden", sagte Deraka schließlich und trat ein paar Schritte zurück.
Bahe bemerkte, wie sein Gegenüber einen hellblauen Kristall aus dem Nichts beschwor. Wahrscheinlich hatte er diesen aus seinem Speichergegenstand genommen. Es selbst zu tun war eine Sache, es bei einem anderen Spieler zu sehen, verlieh der ganzen Aktion jedoch irgendetwas Mystisches. Zumal sich Bahe nicht wirklich sicher war, welches Kleidungstück oder Ausrüstungsgegenstand Derakas Speichergegenstand war.
„Das ist...?"
„Oh, das hier ist ein Teleportationskristall", meinte Deraka leichtfertig und brachte den Kristall plötzlich zum Erleuchten. Der Kristall pulsierte ein, zwei Mal in seinem hellblauen Licht, ehe er zerbarst und Deraka komplett in eben dieses hellblaue, pulsierende Licht hüllte.
Bahe bekam große Augen, als er verstand, was Deraka bezweckte und verfolgte wie gebannt, wie zum ersten Mal jemand vor ihm einen so unglaublich teuren Zauber benutzte. Selbst die ein oder anderen Gildenanführer überlegten es sich zweimal, ob sie einen Teleportationskristall nutzten. Zurzeit kosteten die Dinger noch ein unfassbares Vermögen von zwanzig Goldmünzen pro Stück!
Während Bahe von dem einmaligen Anblick gefesselt war, holte Deraka noch etwas anderes aus seinem Speichergegenstand hervor. Es wirkte wie eine ledrige Haut mit irgendwelchen Schriftzeichen darauf.
„Bevor ich es vergesse...", begann der Berserker, während sein Körper allmählich begann sich im Licht aufzulösen. „Du hast dich sicher gefragt, wie die Gildenmitglieder der Wolfsunion so zielsicher durch die Level 20 und Level 30 Jagdgebiete navigieren konnten, oder?"
Deraka wartete kurz, um die Spannung in die Höhe zu treiben und brachte dann lachend hervor: „Nun... dies hier ist die magische Karte, die Lef bei seinem Tode verloren hat..."
Bahe zuckte augenblicklich zusammen, als er sich der Auswirkungen bewusst wurde, wenn Deraka mitsamt der Karte verschwand!
„Los! Wir müssen sofort zu ihm!", rief er panisch, wobei Limona Balu bereits antrieb.
„Ich bin wahrlich gespannt, ob du es ein weiteres Mal schaffst am Leben zu bleiben!", lachte Deraka noch immer, als sich sein Körper letztlich vollends im Licht auflöste.
„Bis zum nächsten Mal... Anael... Lerua...", hallte es noch, dann war er mitsamt des Lichts verschwunden.
Balu landete kaum eine Sekunde später an der Stelle, an der Deraka gerade eben noch gestanden hatte. Doch es war zu spät.
„Fuck!", fluchte Bahe lautstark. Wie sollte er bloß von hier verschwinden?!
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