Kapitel 6 - Oh, Scheiße...
„Aaaaaaargghhhhh!"
Bahe schrie vor Schmerzen und schlug verzweifelt mit seinem Dolch um sich. Seine Arme und Beine brannten unter den immer wieder kehrenden Attacken der Monster, während er um sich schlug und trat und dabei noch versuchte wichtige Stellen seines Körpers zu schützen. Zwischen den Attacken sah er beständig negative Werte über seinen Verletzungen aufleuchten. Mit jedem Biss der Monster verlor er -3 HP und Bahe wusste auch ohne auf seine Gesundheitsanzeige zu schauen, dass er nicht mehr lange durchhalten würde.
Das Fauchen der Kreaturen verschwamm mit seinen Schmerzensschreien und mit einer letzten Mobilisierung seiner Kraftreserven rappelte er sich auf, sprang über zwei Wildwurzelkaninchen hinweg und rannte so schnell er konnte Richtung Norden. Der Horror, lebendig gefressen zu werden, verlieh ihm ungeahnte Kräfte als er durch das hohe Gras voran preschte und auf den nahen Waldrand zu lief.
Die beiden anderen Spieler, schauten Bahe einen Augenblick lang hinterher, wie er von einigen der Wildwurzelkaninchen verfolgt wurde und schüttelten entgeistert die Köpfe.
„Was für ein Looser!"
„So ein Noob..."[1]
Damit war für sie die Angelegenheit erledigt und sie widmeten ihre volle Aufmerksamkeit wieder dem Gemetzel der Level 0 Monster.
Zehn Minuten später hockte Bahe auf einem Baum und wagte es nicht sein Versteck zu verlassen. Wie ein Wahnsinniger war er vor den Monstern geflohen, hatte aber zu seiner Bestürzung feststellen müssen, dass sie ihn verfolgten. Hinzu kam noch, dass die Viecher schneller als er waren und ihn in regelmäßigen Abständen einholten, egal wie viele Haken er schlug.
Mit dem Dolch hatte er zwischenzeitlich einzelne Kreaturen abgewehrt, während er nach einem sicheren Versteck Ausschau gehalten hatte. Letzten Endes hatte er diesen leicht zu erklimmenden Baum gefunden und sich in ausreichender Höhe vor den Monstern in Sicherheit gebracht.
Anfangs hatten die Wesen noch böse gefaucht und versucht den Stamm empor zu springen. Nur mit der Zeit legte sich langsam das aggressive Verhalten der Kreaturen und vor zwei Minuten waren sie endlich weiter gezogen.
Bahe wartete noch weitere zehn Minuten und lauschte angestrengt in den Wald hinein, ehe er sich vorsichtig daran machte den Baum hinunter zu klettern. Jede Bewegung schmerzte seinen geschundenen Körper und ließ ihn umso vorsichtiger agieren. Durch den Adrenalinschub auf seiner Flucht, hatte er die Schmerzen größtenteils ausblenden können. Inzwischen musste Bahe jedoch die Zähne zusammen beißen und er fragte sich, wie zum Henker er es trotz seiner Verletzungen geschafft hatte, diesen Baum zu erklimmen.
Die Attacken der Wildwurzelkaninchen waren nicht ohne Folgen geblieben. Insgesamt war seine Gesundheit mit 53 auf knapp über die Hälfte gesunken und seine Bewegungsgeschwindigkeit war durch ein verletzungsbedingtes Hinken noch weiter reduziert worden.
Zu allem Überfluss regenerierten sich seine HP nur unglaublich langsam. In den ganzen zwanzig Minuten, die er auf den Baum verbracht hatte, stieg seine Gesundheit lediglich um einen Punkt.
Unten angekommen, besah er sich seine Wunden das erste Mal etwas genauer. Seine Arme und Beine waren übersät von Kratzern und Bissen, die höllisch brannten. An manchen Stellen, glaubte Bahe doch tatsächlich fehlendes Fleisch auszumachen und wandte schnell seinen Blick ab. Je länger er darüber nachdachte, desto mulmiger wurde ihm. Dann gab es noch die Fetzen seiner Kleidung, die lose an ihm herab hingen und vor Blut trieften. Allein der Gedanke damit nach Waldenstadt zurückkehren zu müssen... Er konnte nur hoffen, dass ihn niemand bemerkte.
Bahe wollte lieber nicht den gleichen Weg zurück nehmen, den er gekommen war und entschied sich, ein kurzes Stück weiter Richtung Norden zu gehen, ehe er sich östlich wenden würde, um später in einem großen Bogen zurück nach Waldenstadt zu laufen. Vor ihm wurde das Dickicht aber zunehmend dichter und Bahe hatte in seinem geschundenen Zustand arge Mühe, sich hindurch zu kämpfen.
Ein unheimliches Rascheln in seinem Rücken ließ ihn vor Schreck herum fahren, während er sich nervös ein paar Schritte rückwärts durch die Büsche drängte. Zu seiner Erleichterung fand er jedoch kein Monster vor. Beruhigt wandte er sich wieder um und machte einen Schritt nach vorne, als er plötzlich ins Leere trat und hektisch um sich griff. Die dünnen Zweige zerbrachen jedoch unter seiner Last und mit einem Schreckensschrei stürzte er in die Tiefe.
Dünne Zweige und Blätterwerk begrenzten seine Sicht bis er sich unverhofft, drei oder vier Meter über einem kleinen See wiederfand. Schnell die Arme und Beine anlegend, platschte er im nächsten Augenblick ins Wasser.
Wenig später kroch er prustend und mit schmerzverzehrtem Gesicht an den Rand des Sees. Das Wasser war in seine Wunden eingedrungen und abgesehen von der Reizung, die das Seewasser mit sich brachte, hatte es auch die erste Schorfbildung wieder aufgeweicht. Mürrisch ließ er sich am Rand des Sees nieder und betrachtete erstaunt seine Umgebung.
Vor ihm eröffnete sich regelrecht ein kleines Paradies, dessen Mittelpunkt der See darstellte. Auf der gegenüber liegenden Seite befand sich ein kleiner Wasserfall, der über eine natürliche Treppe aus Felsen prasselte. Vereinzelte Sonnenstrahlen schienen durch das dichte Blätterdach der Bäume und ein Lichtstrahl brach sich im Sprühnebel des Wasserfalls. Ein kleiner Regenbogen war die Folge, der sich knapp über den See erstreckte.
An anderer Stelle plantschten ein paar Enten im Wasser und zwanzig Meter zu seiner Rechten, dort wo ein kleiner Bach dem See entsprang, erhaschte Bahe noch einen kurzen Blick auf ein Reh, ehe es im angrenzenden Wald verschwand. Mit den blühenden Blumen am Seeufer entstand so eine wundervolle, friedliche Atmosphäre, die Bahe mit großen Augen in sich aufnahm.
Bahe machte beinahe Luftsprünge vor Freude über den unerwarteten Glücksfall! Seine physische Konstitution hatte sich verbessert! Und scheinbar hatte der Prozess positive Auswirkungen auf seine Muskelkraft und seine Gesundheit! Mit einem schnellen Blick in sein Charakterprofil, stellte er zufrieden fest, dass sich sein Angriff damit sogar bereits auf 2 erhöht hatte.
Die übrigen Funktionen des Sees waren für ihn nicht weiter von Bedeutung. Er hatte leider noch keine Fläschchen, in denen er etwas Wasser hätte abfüllen können. Ein Mittel gegen eine geistige Beeinflussung zu besitzen konnte irgendwann bestimmt nützlich werden.
Bahe war froh, dass er so früh im Spiel auf den See gestoßen war. Denn die Wirkungen des Sees waren im Grunde ein zweischneidiges Schwert. Hatte man mit seinem Charakter schon einen Beruf gewählt und dessen Fähigkeiten ausgebildet, konnte die Wirkung des Sees verheerend sein. Wirklich nutzen, konnten ihn im Grunde nur Spielanfänger oder vielleicht hochrangige Spieler mit besonderen Artefakten.
Kaum hatte die erste Begeisterung nachgelassen, öffnete sich das nächste Fenster.
„Nein", Bahe brauchte gar nicht darüber nachzudenken. Sämtliche Punkte, egal in welchem Bereich seiner Statistiken, stellten so früh im Spiel einen Schatz dar, den er nicht bereit war aufzugeben.
Bahe schloss das Benachrichtigungsfenster und begann sich in Ruhe das Blut vom Körper zu waschen. Er legte die Fetzen seiner Oberbekleidung ab und schwamm ein paar Meter in den See hinaus, so dass er gerade noch stehen konnte. Danach begann er vorsichtig seine Haut zu schrubben und entfernte nach und nach sämtlichen Schmutz und angetrocknetes Blut von seinem Körper.
Es dauerte nicht lange und er war gerade dabei wieder ans Ufer zurück zu schwimmen, als ihm ein Funkeln auf dem Grund des Sees ins Auge fiel. Er tauchte kurz unter und erkannte, dass er sich tatsächlich nicht geirrt hatte. Mitten im See war eindeutig ein metallisches Schimmern zu erkennen! Aufregung packte ihn, denn ein solches Schimmern konnte nur eins bedeuten: Ein Schatz war hier tief unten am Grund des Sees verborgen!
Wieder auftauchend atmete er tief ein und wollte sich gerade dazu aufmachen mitten auf den See hinaus zu schwimmen, als er einen merkwürdigen Schatten auf der Seeoberfläche wahrnahm. Sein Blick folgte dem Schatten und was er sah, ließ ihm das Blut in den Adern gefrieren.
„Oh, Scheiße..."
[1] Noob --> oder die rückwärts geschriebene synonyme Variante Boon - wird je nach Kontext mehr oder weniger abwertend im Sinne von „blutiger Anfänger mit absolut keiner Ahnung" gebraucht. In wird dem Adressaten damit oftmals die Kenntnis grundlegender Spielregeln oder die Befähigung zum hilfreichen Mitspielen abgesprochen.
In anfängerfreundlichen Umgebungen wird der Terminus Noob in der Regel zugunsten des neutraleren Newbie vermieden.
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