Kapitel 32 - Der Fund
Bahe fasste das Seil fest, falls der junge Baum, der als Verankerung diente, nachgeben sollte und wartete.
Ace beeilte sich zusehends, sorgte aber gleichzeitig dafür, möglichst wenige Geräusche zu erzeugen. Zumindest diesmal schien sich Bahe auf ihn verlassen zu können.
Die Sekunden vergingen quälend langsam, während Ace sich Stück für Stück herab ließ und schließlich langsam in den See glitt.
Bahe beobachtete wie Ace leise zur Mitte des Sees schwamm und dann abtauchte. Nur mit Mühe konnte er den Blick abwenden und nach der Wächterkreatur Ausschau halten. Sie hatten Glück, bisher war nichts zu entdecken.
Nach einem langen Augenblick vernahm er wieder ein leises Plätschern, als Ace so lautlos wie möglich nach Luft rang.
Scheinbar äußerst mühsam, brachte er ein paar Schwimmzüge mit nur einem Arm hinter sich, während er im Anderen eine Kiste gefasst hielt.
Bahe hielt währenddessen die Umgebung im Auge. Er glaubte gerade einen dunklen Schatten im Dickicht des umliegenden Waldes ausgemacht zu haben, als Ace im Wasser plötzlich zum Stillstand kam.
Angespannt sah Bahe nach unten.
Ace hingegen blickte nach oben und seine angespannte Miene wandelte sich mit einem Mal zu einem schadenfrohen Grinsen.
Er änderte seine Schwimmrichtung und hielt nun auf das Ufer zu, unweit der Stelle, an der sich Bahe damals seine Wunden ausgewaschen hatte.
Bahe musste derweil schmunzeln. Während ihrer Reise durch den Wald hatte er lange überlegt, ob Ace wirklich der geeignete Kandidat war, sich aber letzten Endes für ihn entschieden. Es lag dabei keineswegs an seinem Können, vielmehr fand er Ace vorhersehbar, was wiederum bei der gemeinsamen Bergung eines Schatzes mit einem Fremden sehr von Vorteil war.
Er war sich sicher gewesen, dass der Kerl am Ende versuchen würde abzuhauen. Nicht das er mit dieser Wächterkreatur eine Chance hätte davon zu laufen, ganz zu schweigen davon, dass er auf die Schnelle wohl kaum aus dem Wald finden würde. Bahe kam nicht umhin zuzugeben, dass er damals mehr Glück als Verstand gehabt hatte. Die Chancen standen auch schlecht, dass Ace es bis zur Drachenschlucht schaffen könnte.
Trotzdem barg seine Aktion ein gewisses Risiko für Bahe. Die Wächterkreatur hatte Ace bereits entdeckt. Sein Tod war vermutlich nur eine Frage der Zeit. Das Problem lag aber in der Tatsache, wie weit der Spielanfänger kam. Bahe musste ihn schließlich im Auge behalten können und er selbst konnte sich auch nicht zu schnell vorwärts bewegen, ehe er irgendwelche Monster aufschreckte.
Letztlich holte Bahe das Seil ein, band es los und brachte sich in eine passende Position, um jeder Zeit los stürmen zu können.
Ace erreichte unterdessen das Seeufer und blickte noch ein letztes Mal hämisch zu ihm nach oben, ehe er zwischen den Bäumen verschwand. Natürlich hatte Ace es ihm nicht abgekauft, dass dort unten eine Wächterkreatur hauste.
Ein Grinsen stahl sich auf Bahes Gesicht, als er einen Moment später das Krachen des Unterholzes vernahm. Der Wächter hatte die Fährte von Ace bereits aufgenommen.
Es dauerte nicht lang, da erklangen auch schon die ersten Schreie, gefolgt vom Brüllen der Kreatur.
„Anael!", hallte ein letzter Schrei hasserfüllt durch den Wald. Dann wurde es still.
Bahe verlor nicht die Geduld und wartete. Ein paar Augenblicke später ertönte ein eigenartiges Kratzen und Knacken im Wald und bestätigte Bahe in seiner Vorsicht.
Die Wächterkreatur kam langsamen Schritts zwischen den Bäumen hervor und hatte ein Bein von Ace' leblosen Körper im Maul, während sie den Rest des Körpers, halb am Boden baumelnd, neben sich her zog.
Bahe musste schlucken, er war einer Leiche noch nie so nah gewesen. Es mutete seltsam beklemmend an, den Körper einer gerade noch lebenden Person so verunstaltet zu sehen. Der Kopf von Ace hing nur noch an ein paar Sehnensträngen, während auch je ein Bein und ein Arm in unmöglichen Winkeln vom Körper zeigten.
Tief durchatmend zwang Bahe sich auf das Wichtigste zu konzentrieren. Er entdeckte die Kiste, die Ace vom Seegrund geborgen hatte jedoch nicht. Wahrscheinlich lag sie irgendwo zwischen den Bäumen nicht weit vom See entfernt.
Es ertönte ein lautes Knacken und Bahe sträubten sich die Haare, als er erkannte, dass die Wächterkreatur damit begonnen hatte auf einem der Beine von Ace herum zu kauen.
Angewidert löste sich Bahe von dem Anblick und kroch unter den Büschen von den Felswänden weg. Nach ein paar Metern wandte er sich nach rechts, in die Richtung, in die Ace noch vor ein paar Minuten geflohen war.
Bahe brauchte eine Weile, bis er endlich eine Stelle fand, an der er mit dem Seil hinab klettern konnte, ohne direkt von allen Wesen der Umgebung entdeckt zu werden. Er brachte es schnell an und ließ sich hinab.
Ihm pochte das Blut in den Adern, während er sich krampfhaft bemühte keinen Ton von sich zu geben. Unten angekommen hockte er sich schnell zwischen zwei Büsche und lauschte in seine Umgebung hinein.
Bis auf gelegentliche Knack- und Schmatzgeräusche die gedämpft vom Katharsee herüber hallten sowie Vogelgezwitscher, war es absolut still.
Leise schlich Bahe zwischen die Bäume des Waldes und suchte nach dem Ort an dem Ace hasserfüllt sein Leben verloren hatte.
Die Suche dauerte viel zu lang und Bahe wollte gerade schon umkehren, als er endlich umgeknickte Zweige, abgebrochene Äste und aufgewühltes Erdreich entdeckte. Blitzschnell huschte er voran und fand eine alte und immer noch feuchte Holzkiste unter zwei Ästen eingeklemmt.
Vorsichtig und leise hob er einen der Äste an. Bei jedem Rascheln der Blätter verkrampfte sich Bahe unwillkürlich, bis er es nach ein paar nervenzehrenden Augenblicken endlich geschafft hatte und die Kiste mit einem Ruck hervorziehen konnte.
Ein Lächeln stahl sich auf sein Gesicht. Er hatte keinerlei Gewissensbisse, dass Ace so früh an seinem ersten Spieltag gestorben war. Er hatte ihn gewarnt. Gut, möglicherweise hatte er ihn bewusst dazu verleitet diese Situation auszunutzen, indem er ihm erst ganz am Ende von der Wächterkreatur erzählte und das auf eine Weise, die stark an eine Notlüge erinnerte... Aber letzten Endes war er selbst schuld gewesen. Außerdem hatte er immerhin eine dauerhafte Erhöhung seiner Attribute erhalten. Bahe konnte auf diese Weise seine restlichen Kupfermünzen behalten und den Schatz ohne jegliche Aufteilung bergen. Für ihn hätte es im Grunde nicht besser laufen können.
Eifrig spürte Bahe nach seinem Speichergegenstand, hielt dann jedoch geschockt inne. Er konnte die Kiste nicht einfach in seinen Speichergegenstand packen! Er durfte den Speichergegenstand die nächsten zwei Wochen ja gar nicht benutzten!
Verdammt! Ihm war in seinen Planungen ein Fehler unterlaufen!
Jetzt musste er diese blöde Kiste bis nach Waldenstadt mit sich schleppen!
Innerlich aufstöhnend machte sich Bahe, ohne noch eine Sekunde zu verschwenden, auf zum Seil an der nahegelegenen Felswand.
Dort angekommen überlegte er hastig, wie er die Kiste überhaupt nach oben bekommen sollte, wenn er beide Hände zum Klettern brauchte. Letzten Endes wickelte er das Ende des Seils ein paar Mal von verschiedenen Seiten um die Kiste, verknotete das Seil abschließend und sprang mit einem Satz an das Seil über der Kiste, die inzwischen einen Meter über dem Boden baumelte. Mit großem Kraftaufwand schaffte er es schließlich, sich über der Kiste in eine passende Position zu bringen und sich nach und nach an der Felswand nach oben zu arbeiten.
Oben angekommen versteckte er sich zuerst in den Büschen und lauschte in seine Umgebung. Es war nichts zu hören.
Eilig griff er nach dem Seil und zog die Kiste vorsichtig Stück für Stück nach oben. Mehrmals musste er aufpassen, dass die Kiste nicht zu sehr in eine Drehung geriet oder an der Felswand entlang schrappte.
Nach zwei weiteren, nervenaufreibenden Minuten, hielt er die Kiste endlich oben in den Händen. So schnell er konnte löste er das Seil und machte sich auf den Rückweg aus dem gefährlichen Wald zu Waldenstadt.
Erneut schlich Bahe zwischen den Bäumen umher und machte große Umwege, um den gefährlicheren Kreaturen nicht zu nahe zu kommen. Sein Glück blieb ihm treu und keine der Monstrositäten wurde auf ihn aufmerksam.
Nach knappen zwei Stunden öffnete sich plötzlich ein Benachrichtigungsfenster und verkündete, dass er soeben die sichere Zone von Waldenstadt erreicht hatte. Vollkommen geschafft ließ er sich wenig später auf die Wiese einer größeren Lichtung fallen und sank lächelnd ins Gras.
Nachdem die Anspannung von ihm abgefallen war, blickte er sich gut um und entschied sich die Kiste schon an Ort und Stelle zu öffnen.
Aufrecht hingesetzt, betrachtete er die Holzkiste von allen Seiten. Theoretisch konnte man wohl einen Deckel aufklappen, allerdings war dieser durch ein Schloss gesichert, zudem er natürlich keinen Schlüssel hatte.
Dann stellte sich auch noch die Frage, ob die Kiste vielleicht einen magischen Schutz hatte...
„Überprüfen!", gab Bahe den Befehl.
Nichts passierte.
Was zugegebener Maßen irgendwie logisch war, schalt sich Bahe selbst über seine eigene Dummheit. Schließlich war die Holzkiste kein lebendes Wesen...
„Identifizieren!", versuchte Bahe es diesmal mit dem richtigen Befehl.
Diesmal öffnete sich ein Fenster:
Immerhin wusste er jetzt, dass die Kiste nicht verflucht war oder irgendetwas anderes in der Art... Andererseits wäre es in einem See mit reinigender Wirkung auch unwahrscheinlich gewesen.
Bahe schüttelte sich selbst belächelnd den Kopf und überlegte fieberhaft, wie er das Schloss aufkriegen könnte.
Meistens gab es in dieser Art von Spielen immer eine Fähigkeit die gerade für das Schlösserknacken bestimmt war. Üblicherweise besaß die Berufsklasse der Diebe diese Fähigkeit. Bahe wollte aber nur ungern noch einem weiteren Spieler auf seine Beute aufmerksam machen...
Eins war klar, für die Zukunft musste er sich über das Knacken von Schlössern informieren. Vielleicht konnte er die Fähigkeit ja auch im Spiel erlernen, wenn er sich lange genug mit Drähten und Dietrichen versuchte.
Es änderte aber alles nichts an seinem aktuellen Problem. Wobei...
Das Holz war angegriffen! Natürlich! Er dachte die ganze Zeit viel zu kompliziert. Der einfachste Schritt wäre einfach das Holz zu zertreten oder mit einem Stein zu zerschmettern. So morsch und bröselig das Holz wirkte, würde es nicht allzu viel Belastung standhalten können.
Bahe legte die Kiste seitlich auf den Boden und trat mehrmals mit zunehmendem Krafteinsatz auf das Holz ein.
Anfangs tat sich noch nichts, aber beim letzten Tritt merkte er, dass eine Ecke anfing in sich zusammen zu fallen. Prompt wiederholte er seine Aktion und tatsächlich, das alte Holz schien nachzugeben.
Was folgte war ein regelrechter Sturm an Tritten, bis die Holzkiste unter der stumpfen Gewalteinwirkung endgültig auseinander brach.
Hastig ging Bahe in die Knie, um sich den Inhalt anzusehen, als ihn eine unerwartete Stimme vor Schreck in die Luft springen ließ: „Was hast du denn gefunden?"
Mit pochendem Herzen drehte sich Bahe um und entdeckte seine beiden Elementare, die kaum einen Meter weit hinter ihm standen.
„Wo kommt ihr denn so plötzlich her?", fragte er verblüfft.
„Was soll heißen plötzlich?", warf Limona die Frage bissig zurück. „Du hast uns schließlich am anderen Ende der Stadt zurück gelassen! Weißt du wie lange es gedauert hat dich hier draußen zu finden?!"
„...", Bahe war im ersten Moment sprachlos. „Und wieso seid ihr nicht einfach mit in die Stadt gekommen?"
„Nichts und niemand wird uns jemals in so eine unnatürliche Menschenstadt bekommen!"
Diese Elementare... Aber wenigstens wusste er jetzt, dass sie nicht einfach irgendwo in der Stadt auftauchen würden. Er wollte sich gar nicht erst ausmalen, wohin das führen könnte.
„Was... hast du... denn gefunden?", meldete sich Brocken neugierig zu Wort.
„Das weiß ich ja selbst noch nicht", seufzte Bahe resigniert und hockte sich wieder hin, um die Kiste endlich zu durchsuchen.
Er traute seinen Augen kaum! In einem kleinen Lederbeutel fand er zwei Silbermünzen! Zum derzeitigen Spielfortschritt, war das ein kleines Vermögen! Die Tutorial-Quest, in der er zwei Wochen überleben sollte, ohne auf seinen Speichergegenstand zurückzugreifen war damit ohne Probleme abzuleisten.
Außerdem gab es noch einen zweiten kleinen Lederbeutel, den er mit nervösen Fingern öffnete. Zum Vorschein kam eine sehr zart erscheinende Juwelenkette.
„Identifizieren!", rief Bahe sofort.
Nur ein Schmuckstück? Pah!
Bahe konnte sein Glück kaum fassen. Das Artefakt war zum momentanen Zeitpunkt mit einer Goldmünze natürlich ein Vermögen wert. Dieser Betrag war aber nichts im Vergleich zu dem Effekt sich weiterzuentwickeln. Es war unglaublich selten auf einen Gegenstand zu stoßen, der nicht bei seinen Startattributen verbleiben würde. In Bahes Augen machte es auch nichts, dass das Schmuckstück vorerst noch keine Verbesserungen seiner Attribute bewirkte. Das Potenzial des Artefakts war dazu viel zu gewaltig.
Er fragte sich ob der Name, Juwel des dritten Auges, vielleicht schon auf die späteren Fähigkeiten hindeutete...
Bevor er einen weiteren Gedanken fassen konnte, vernahm er Brockens Stimme: „Interessant."
„Du wirst vom Glück scheinbar verfolgt", mischte sich auch Limona ein und rümpfte die Nase.
Nun, diesmal konnte er ihr nicht widersprechen, dachte Bahe grinsend.
Der restliche Inhalt der Holzkiste bestand aus alten Tonscherben, die von ihrer Oberfläche her so abgegriffen waren, dass ihre kostbaren Verzierungen von früher nur noch grob zu erahnen waren. Es gab scheinbar nichts mehr von Wert. Aber Bahe entschied sich die Scherben vorsichtshalber mitzunehmen. Wer weiß, vielleicht waren sie ja doch noch irgendetwas wert? Insgesamt war Bahe mehr als zufrieden.
Es war an der Zeit, dass er zu seinem Trainingsplatz zurückkehrte und das Bogenschießen übte. Bevor er aufbrach, wandte er sich diesmal aber an seine Elementare. Er konnte nicht ewig auf die beiden Geschöpfe sauer sein, ganz zu schweigen davon, dass sie so niemals brauchbare Kampfgefährten werden würden.
„Ich muss für zwei bis drei weitere Stunden in die Stadt, um mein Training zu absolvieren. Wie wäre es, wenn ich euch hier später abhole?"
„Wie kommst du darauf, dass wir auf dich warten werden?", fragte Limona schnippisch.
Nicht, dass er eine solche Reaktion nicht bereits erwartet hätte, dachte Bahe und verdrehte innerlich die Augen, sagte aber geduldig: „Ich würde mich freuen, wenn ihr das tun würdet. Ihr könnt solange natürlich hin, wo immer ihr wollt. Könnt ihr mir den Gefallen tun?"
„Ist... ok", raunte Brocken.
„Was?! Wieso musst du immer sofort zustimmen, Brocken?!", regte Limona sich auf und fuhr dann fort: „Na gut, wir werden warten. Aber dafür musst du uns später auch rumführen, es ist furchtbar an dich gebunden zu sein und sich nicht allzu sehr von dir entfernen zu können! Hast du verstanden?"
„Selbstverständlich mache ich das. Sagt mir später einfach, wo ihr hin wollt", willigte Bahe sofort ein.
So so... Ihr könnt euch also nicht allzu weit entfernen? Allmählich entlockte er seinen Elementaren mehr Informationen. Scheinbar brauchte er schlicht weg Geduld, um mit ihnen klar zu kommen.
Bahe verabschiedete sich noch schnell von seinen Elementaren, was Brocken mit einem Brummen hinnahm, während Limona ihn nur wieder belehrte, er solle ja nicht zu lange brauchen.
Anschließend lief er im Laufschritt zur Stadt zurück und steuerte den Übungsplatz zum Bogenschießen an. Es war Trainingszeit und dann wartete da noch das vierte Tutorial, dass er bisher übersprungen hatte.
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