Gargoyles
Harpyien waren nicht zu unterschätzen. Esmeralda war gut drei Köpfe größer als ich und hatte eine ledrige Haut, die an ihrem Rücken in zwei riesige, ledrige Flügel übergingen. An den Händen und Füßen hatte sie Klauen, wie die eines Adlers, nur größer, und schärfer, und todbringender...
Und eine Harpyie war stark. Angeblich schmiss sie Personen, die sich nicht an ihre Regeln hielten, hochkannt aus ihrer Bibliothek und mit schmeißen meine ich tatsächlich werfen. In hohem Bogen. Ich hatte es zwar noch nie persönlich gesehen, aber die Erzählungen und Gerüchte hielten sich standhaft. Daher war ich mir sicher: Diese Harpyie werde ich nicht verärgern.
Ich war die Erste aus unserer Klasse, die sich an dem kalten Morgen vor der Bibliothek einfand. Mein Atem hinterließ leichte Dunstschwaden in der Luft und ich zitterte unter meiner dünnen Jacke. Eine bessere konnten wir uns leider nicht leisten.
Vorsichtig ging ich die Stufen zur Bibliothek hoch und bestaunte das riesige Gebäude. Wie ein Schloss – kam mir als Gedanke.
Die Bibliothek auf unserem Gelände war eine der Größten weltweit, ihre dicken Mauern erhoben sich pompös vor meinen Augen und selbst das Eingangstor (eine Tür konnte man es nicht nennen, dafür war es viel zu groß) war mindestens doppelt so hoch wie ich. An den Seiten des Tores stand jeweils ein ausgewachsener Gargoyle.
Gargoyles sind seltsame Wesen. Sie fühlen sich am Wohlsten bei großen Gebäuden aus Stein. Sie selbst sahen ebenfalls aus, als wären sie aus Stein gemeißelt. Keine Bewegung, keine Zuckung des Augenlids, keine Atembewegungen.
Hätten wir in der Schule nicht gelernt, dass die Bibliothek von Gargoyles bewacht wird, hätte ich gesagt, dass es Steinstatuen sind.
Ich näherte mich der Tür, als sich plötzlich der Gargoyle links von mir bewegte und sich mir zuwandte. Es war eine Frau. Etwa anderthalb mal größer als ich.
Sie trug ein beigefarbenes Kleid, dass in der Mitte von einem braunen Gürtel zusammengehalten wurde. Es war sehr wenig Stoff und zeigte sehr viel Haut. Gargoyles mochten keine Kleidung und verdeckten daher nur das Nötigste in der Öffentlichkeit.
Der Gargoyle links war ein Mann und trug so etwas wie einen Lendenschurz. Dadurch kamen die Muskeln an seinem Oberkörper noch mehr zum Vorschein.
Beide waren unfassbar muskelbepackt. Ich meine, so ein Sixpack hatte nicht einmal der stärkste Werwolf.
Meine Gedanken wurden unterbrochen von der Gargoyle-Frau, die mich anschnauzte: „Verschwinde Mensch, du hast hier nichts zu suchen."
Perplex schaute ich sie an. Wir hatten doch die Führung jetzt und warum sollte ich nicht in die Bibliothek dürfen?
Ich wollte gerade zu einer Rückfrage ansetzen, da knurrte sie mich in aggressivem Ton an:
„Hast du mich nicht verstanden? Du sollst verschwinden. Das hier ist eine ehrenvolle Bibliothek, die wir nicht mit so etwas wie dir verschmutzen wollen." Und bei diesen Worten spuckte sie mir verächtlich vor die Füße.
Da kam mein Klassenlehrer und zwei weitere Schüler von hinten auf mich zu und er sprach mich an: „Elea, schön, dass du schon da bist. Wir warten noch auf die anderen und dann gehen wir gemeinsam in die Bibliothek."
Die Gargoyles beachtete er überhaupt nicht. Meine Lehrer behandelten mich alle fair. Obwohl ich ein Mensch war. Dafür war ich ihnen sehr dankbar, ansonsten wäre meine Schulzeit ein viel größerer Albtraum geworden, als sie nicht eh schon war.
Wütend starrte mich die Gargoyle-Frau an und ich war mir sicher, dass ich einen neuen Feind hatte, bevor ich die Bibliothek überhaupt betreten hatte.
Ihr Begleiter hatte sich die gesamte Zeit über nicht bewegt und ich zweifelte immer noch daran, ob er nicht doch nur eine Statue war. Im Klassenverband betraten wir dann die Bibliothek und als die Tür hinter mir zufiel, war ich erleichtert, dass mein Kopf noch an seinem Platz war.
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