Esmeralda
Zitternd drehte ich mich um und schaute in das wütende Gesicht von Esmeralda. Ihre Augenbrauen waren zusammengezogen, ihr Atem ging schnaufend und ihr Körper schien vor Wut zu beben.
„Ich versuche das Buch zu retten", flüsterte ich kaum hörbar. Zumindest für Menschen wäre kaum hörbar. Esmeralda hatte es offensichtlich gehört, denn ihre Schultern senkten sich leicht und ihre Atmung normalisierte sich.
Offensichtlich war das nichts schlechtes.
„Zeig mir, was du getan hast" forderte sie schroff.
Immer noch zitternd öffnete ich das Buch und zeigte ihr die druchnässten Seiten.
„Zewa und Plastiktüten. Hmm. Keine schlechte Idee", murmelte sie vor sich hin.
„Und was hattest als nächstes vor?" Wirbelnd drehte sie sich zu mir um. Durch den Schwung ihrer Flügel verlor ich fast das Gleichgewicht und konnte mich nur mit Mühe auf den Beinen halten.
„I...ich wo..wollte" stotterte ich.
„Du wolltest?" Fragend zog sie eine Augenbraue nach oben.
Ich räusperte mich.
„Ich wollte das Buch zwischen die anderen Bücher quetschen damit, ähm..." So nervös war ich vermutlich noch nie und einen kompletten zusammenhängenden Satz in ihrer Gegenwart zu sprechen fiel mir offensichtlich extrem schwer.
„Ähm, damit die Seiten möglichst ihre ursprüngliche Form wieder annehmen", beendete ich erleichtert den Satz.
„Dafür haben wir eine Buchpresse. Folge mir!", antwortete sie und verließ den Gang. Die Geschwindigkeit, mit der sie von Gang zu Gang huschte war erschreckend und als sie endlich stehen blieb, war ich völlig außer Atem, als wäre ich gerade einen Marathon gerannt.
„Keine Ausdauer, was?", kurz glaubte ich, ein Grinsen über ihr Gesicht zucken zu sehen und blinzelte kurz. Aber vermutlich wollte sie mich Menschen auch nur demütigen wie alle anderen.
Sie zeigte auf das Gerät direkt vor ihrer Nase.
„Hier hinein kommt das Buch und dann dreht man die Hebel so lange, bis ausreichend Druck aufgebaut ist, dass die Seiten wieder gerade werden. Bei der Menge an Feuchtigkeit..." Bei dem Wort Feuchtigkeit rümpfte sie die Nase. Vermutlich dachte sie gerade daran, dass diese Feuchtigkeit die Spucke des Alphas war.
„Bei dieser Menge Feuchtigkeit muss das Buch dort 3 Tage eingeklemmt sein. Danach kann man das Zewa und die Plastiktüten entfernen. Das Buch müsste dann wie neu aussehen."
Faszinierend beobachtete ich, wie sie parallel zu ihrer Erklärung das Buch einspannte und fest presste.
„ELEA. ELEA!!! Wo bist du?"
Laute Stimmen hallten durch die Gänge.
„Mein Lehrer sucht mich. Unsere Stunde ist offensichtlich um. Vielen Dank." Mit diesen Worten verabschiedete ich mich und hoffte, dass sie mir mein spontanes Weglaufen nicht übel nahm.
Ich war froh endlich aus dieser Anspannung entlassen zu werden und freute mich sehr auf zu Hause, wo ich die Sorgen des heutigen Tages hinter mir lassen konnte.
Als ich nach draußen kam, musste ich erst einmal gegen die Sonne blinzeln, die mir in die Augen stach, bevor ich erkennen konnte, warum auf dem Platz vor der Bibliothek so ein Aufruhr war.
Offensichtlich war Alrik ziemlich weit geflogen und in dem Springbrunnen vor der Bibliothek gelandet, der jetzt ziemlich ramponiert aussah.
Also eigentlich, sahen beide ramponiert aus. Der Springbrunnen und Alrik. Dadurch, dass er noch nicht seine vollen Werwolfskräfte besaß, konnte er nicht so schnell heilen oder Schäden weg stecken. Durch seine Gene vermutlich immer noch doppelt so schnell wie ich, aber ein Springbrunnen ist nun mal auch kein leichter Gegner.
Der Anblick war eigentlich zum Lachen. Bestimmt fünf Werwölfe versuchten verzweifelt die Goldfische einzufangen, die durch ein Loch in der Seite des Springbrunnens entkommen waren. Aber ein Blick genügte um zu bemerken, dass die Werwölfe keine Chance hatten. Die Fische waren mit einem großen Schwung Wasser heraus gespült worden und in wenigen Sekunden würden sie im Fluss landen. Freiheit.
Ich gönnte es ihnen.
Alrik saß am Rand. Er hatte ein blaues Auge und eine tiefe Schnittwunde am rechten Oberschenkel. Den Kopf hatte er eingezogen, was ich ihm nicht verübeln konnte, schließlich stand sein Vater über ihn gebeugt und schrie ihn an. Ich konnte nicht alles verstehen, aber offensichtlich war er nicht erfreut darüber, dass sein Sohn es geschafft hatte sich die Harpyie der lokalen Bibliothek zum Feind zu machen.
Ich nutzte die Ablenkung und verdrückte mich, der Schultag war nach dem Ausflug eh zu Ende.
Zuhause angekommen stellte ich mich als erstes unter eine heiße Dusche und merkte förmlich, wie die Anspannung von mir abfiel. Das hätte alles so schief gehen können. Wenn die Esmeralda mich die Situation nicht hätte erklären lassen, oder wenn sie gar nicht erst gekommen wäre und ich Alrik und seinen Kumpanen ausgeliefert gewesen wäre.
Ich konnte verstehen, warum sie nicht die Führungen der Schulklassen übernahm. Kinder und Esmeraldas Liebe zu Büchern. Sie saß vermutlich jede Führung irgendwo oben in einer Ecke und beobachtete alles mit Argusaugen während sie krampfhaft versuchte nicht in die Luft zu gehen und allen den Kopf abzureißen.
Am Abend kamen meine Eltern nach Hause. Sie waren völlig erschöpft und dankbar, dass ich Ihnen eine Suppe gekocht hatte. Es war sogar noch etwas Brot übrig. Ein Arbeitstag meiner Eltern dauerte oft 12-14 Stunden und da es körperlich sehr anstrengende Arbeiten waren, konnte man ihre Erschöpfung nur erahnen. Für Menschen war diese Stundenzahl, bei einer 6-Tage-Woche, normal, da sie sonst kaum über die Runden kommen würden.
Oft, wie auch heute, aß ich nur sehr wenig und behauptete satt zu sein, damit meine Eltern genug bekamen um Kraft für den nächsten Tag zu haben.
Während des Essens erzählte ich meinen Eltern von dem Schulausflug und als ich endete, schlug meine Mama die Hände vor dem Mund und fing an zu schluchzen.
„Schatz, es hätte heue so viel schief gehen können. Du musst besser aufpassen! Wenn der Alpha nicht auf seinen Sohn, sondern auf dich sauer gewesen wäre, oder Esmeralda dich gar nicht hätte zu Wort kommen lassen, würden wir dich verlieren. Bitte versprich mir, dass du vorsichtiger bist."
Als wenn ich das nicht wüsste. Mir war klar, wie knapp der heutige Tag für mich verlaufen war und plante nicht, dies zu wiederholen. Mein Herz würde eine solche Aufregung auf Dauer gar nicht verkraften.
Daher fiel mir die Antwort leicht: „Natürlich Mama. Ich bin immer vorsichtig. Heute hatte ich einfach Pech. Nächstes Mal bin ich aufmerksamer."
Der nächste Tag verlief ruhig. Alrik warf mir zwar ein oder zwei böse Blicke zu, aber offensichtlich hatte er einen solchen Anpfiff von seinem Vater bekommen, dass auch er sich erst einmal zurück hielt. Auch wenn es ‚nur' wegen eines Menschen war.
Als ich an diesem Abend nach Hause kam, waren meine Eltern schon zu Hause. Freitags war ihr freier Tag und sie erledigten an diesem Tag den Haushalt, den Einkauf und wir verbrachten jeden Freitagnachmittag zusammen, spielten Spiele, gingen spazieren oder erzählten uns einfach witzige Dinge, die in unserem Leben passierten. Das waren nicht viele, aber diese feierten wir.
Aber an diesem Tag war es anders. Als ich nach Hause kam hörte ich meine Eltern im Wohnzimmer sprechen. Meine Mutter weinte offensichtlich, auch wenn ich nicht hören konnte, um was es ging. Als ich die Tür öffnete bestätigte sich meine Vermutung. Meine Mutter war tränenüberströmt und mein Vater hatte seinen Mund zu einer schmalen Linie gepresst. Ein Zeichen, dass er sehr unter Druck stand.
Fragend schaute ich sie an.
Meine Mutter erblickte mich und brach erneut laut in Tränen aus.
Ich wusste nicht, was passiert war, aber es musste furchtbar sein.
Mein Vater schaute mich nicht an, als er mir einen Brief in die Hand drückte. Ich konnte den Schmerz in seinen Augen sehen.
Der Brief war an mich adressiert und noch geschlossen.
Als Absender stand...
Ich lies den Brief fallen.
Der Absender war Esmeralda.
Ich wusste warum meine Mutter weinte, wenn die Harpyie es auf mich abgesehen hatte, war ich so gut wie tot.
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