Die Bibliothek
Dann erst realisierte ich, wo ich war. In der Bibliothek. Ich hatte es wirklich geschafft und war in der Bibliothek. Mit offenem Mund drehte ich mich um mich selbst und war begeistert von der schieren Menge an Büchern. Tief atmete ich ein und der Geruch, der alten Büchern entsteigt, benebelte meine Sinne.
Vor uns an der Rezeption stand ein Mann. Vom Aussehen würde ich auf Werwolf tippen. Er begrüßte unseren Lehrer und wies darauf hin, dass er die Führung übernehmen würde.
Mein Lehrer atmete erleichtert aus. Offensichtlich hatte auch er Respekt vor Esmeralda und war froh, dass sie nicht anwesend war.
Wir folgten dem Mann und er begann eine Information nach der anderen auszuspucken. Wie am Fließband. Wie alt die Bibliothek war, wie viele Bücher sie hatten und Mitarbeiter, und und und...
Ich hörte gar nicht richtig hin. Immer wieder schaute ich in die Reihen und las Buchrücken. Es waren überall verwinkelte Gänge und in jedem Gang war ein anderes Themengebiet. Offensichtlich befanden wir uns gerade bei Werwolfkrankheiten und deren Heilmethoden. Ein für mich eher uninteressantes Thema.
Aber ich hätte jedes Buch gelesen, dass man mir in die Hand gedrückt hätte.
Nach einer halben Stunde teilte uns der Führer mit, dass wir uns nun frei in der Bibliothek bewegen dürften um ein bisschen in den Büchern zu schmökern. Aber er wies uns noch einmal ausdrücklich darauf hin, dass wir respektvoll mit den Büchern umzugehen hätten.
Unser Lehrer rief uns noch zu, dass wir uns in einer Stunde am Ausgang treffen würden, da war ich schon in den Gängen abgetaucht. Ich hatte eine Stunde Zeit und so viele Bücher, dass ich gar nicht wusste, wo ich anfangen sollte.
Ich rannte von einem Abteil ins nächste und mein Herz schlug immer schneller. Als ich schwer atmend zum Stehen kam war ich in der Abteilung der Menschen. Eine sehr kleine Abteilung. Sie enthielt nur zwei Regale gefüllt mit Büchern. Das war immer noch mehr, als ich meinem ganzen Leben besessen hatte, aber im Vergleich mit der Bibliothek, war es ein Staubkorn.
Wahllos griff ich ins Regal und zog ein Buch heraus. Darauf zu sehen war ein kleiner Junge auf einer Kugel und ein paar Sterne.
Der Titel lautete: Der kleine Prinz.
Neben mir standen ein paar Sessel und ich setzte mich darauf und begann zu lesen.
Es war ein kleines Buch und teilweise sehr verwirrend. Aber dem Hauptgedanken konnte ich folgen und die Aussage des Buches blieb in meinem Gedächtnis.
‚Man sieht nur mit dem Herzen gut. Das Wesentliche ist für die Augen unsichtbar'.
Plötzlich spürte ich einen Windzug und ehe ich mich versah wurde mir das Buch aus der Hand gerissen.
Erschrocken schaute ich mich um und erblickte Alrik, der mich verächtlich ansah und das Buch in der Hand hin und her schaukelte.
„Na, was haben wir denn hier? Der kleine Prinz? Wärst wohl gerne eine Prinzessin, oder?", er lachte und alle um ihn herum lachten ebenfalls. Er war mit seinem Anhängsel (so nannte ich seine Freunde, die immer bei ihm waren, inlusive Serafine und deren Freundinnen) von hinten angeschlichen und machte sich jetzt offen über mich lustig. Er schaute von dem Buch zu mir, dann spuckte er auf das Buch und warf es mir an den Kopf.
Durch die Wucht sah ich kurz verschwommen, sodass ich mir nicht sicher war, ob das, was ich vor mir sah, wirklich Realität war, aber plötzlich war da nur noch schwarz.
Die Mädchen kreischten und selbst von Alrik kamen Schreckenstöne, die ich so noch nie vernommen hatte.
Meine Sicht wurde klarer und mit Erschrecken stellte ich fest, dass vor mir die Harpyie stand und sie war wütend.
Nicht auf mich. Noch nicht, aber unseren zukünftigen Alpha hielt sie an der Gurgel gepackt und ihre Klauen schnitten sich millimeterweise in seinen Hals, sodass schon das Blut zu sehen war.
„KEINER. BESCHMUTZT. MEINE. BÜCHER!" schrie sie an, jedes einzelne Wort betonend und bevor jemand Alrik zu Hilfe eilen konnte schwang sie sich in die Luft, den Griff fest um Alriks Hals.
Wir waren nicht weit vom Eingang entfernt und konnten daher alle schnell dorthin gelangen, auch wenn alle anderen vor mir ankamen. Die Harpyie war an der Eingangstür gelandet und hatte diese aufgestossen.
„Ich will dich hier nie wieder sehen" schrie sie Alrik an und warf ihn tatsächlich in hohem Bogen aus der Bibliothek. Verzweifelt versuchte er sich irgendwo fest zu krallen, aber er hatte keine Chance.
Man sah wie er flog und dann hörte man, wie draußen etwas zu Bruch ging und lautes Geschrei. Alle um mich herum rannten aus der Bibliothek. Ich blieb stehen. Er würde mich hierfür verantwortlich machen. Zu ihm gehen wäre Selbstmord.
Also konnte ich mich genauso gut erst um das Buch kümmern. Mich störte es, dass es irgendwo beschmutzt auf dem Boden lag.
An der Rezeption versuchte ich den Werwolf zu finden, aber offensichtlich war er hinter seinem zukünftigen Alpha hergerannt und hatte alles stehen und liegen lassen. Ich seufzte und griff nach einer Packung Zewa und einer Plastiktüte und machte mich auf die Suche nach der richtigen Abteilung. Schnell fand ich diese und bückte mich nach den, bei dem Kampf heruntergefallen, Büchern und sortierte diese zurück in die Regal. Dann widmete ich mich dem kleinen Prinz.
Dort wo Alriks Spucke war, war das Buch schon leicht gewellt. Entschlossen riss ich etwas Zewa ab und begann das Buch zu trocknen. Anschließend legte ich Folie von der Plastiktüte zwischen die betroffenen Seiten, damit diese nicht zusammen kleben. Zum Schluss suchte ich mir eine Stelle, in die ich mit viel Druck das Buch pressen wollte, da so die Seiten die Chance hatten wieder gerade zu werden.
Schnell war eine solche Stelle gefunden und als ich gerade ansetzte das Buch dort hinein zu schieben hörte ich hinter mir eine Stimme, die mir das Blut in den Adern gefrieren ließ.
„Was glaubst du, was du da machst?"
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