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Mavie - Die Alpha-Wölfin


Doch es stellte sich heraus, dass das mit dem Rennen schwieriger werden sollte, als sie gedacht hatten. Am nächsten Morgen wachte Mavie von einem Gespräch auf. Sie hatte sich in einer Grube niedergelegt - die Zwerge neben ihr schnarchten und Luan, der Wache halten hätte sollen, schlummerte ebenfalls tief und fest.

Hinter dem Gebüsch direkt neben ihnen waren leise Stimmen zu hören.

Sie spitzte ihre Ohren und drehte sich möglichst geräuschlos zur Seite.

"Nimm dir 120 Mann mit und reite bis ganz nach Norden. Besetzt jeden Fleck im Wald. Mindestens alle zehn Meter muss eine Wache stationiert sein. Das ist die königliche Order."

"Welche Kohorte soll ich mitnehmen, Hauptmann?"

"Kohorte 320. Gegen Mittag müssen alle Mann auf Position sein. Kein Fleck im Wald darf unbesetzt bleiben. Jeden Menschen, den ihr außerhalb des Waldrandes erwischt, nehmt fest. Egal ob Mann, Kind oder Frau. Bringt ihn so schnell wie möglich mit der gesamten Kohorte in die Stadt. Wir haben Befehl, jeden unverzüglich zur Befragung zum Schloss zu bringen, der sich weiter als zehn Meilen von den Dörfern entfernt. Verstanden?"

"Verstanden, Hauptmann. Wissen wir, wen genau wir suchen?"

"Ich habe keinerlei Wissen darüber, worum es bei dieser Sache geht. Auch den anderen Häuptlingen wurde es nicht mitgeteilt. Wir wissen nur, dass es eine Sache von zunehmender Dringlichkeit ist. Der Gesuchte soll vor zwei Tagen aus einem der Dörfer geflohen sein. Er ist dort aufgetaucht, nachdem die Dörfer niedergebrannt wurden. Scheinbar hat er sich zuvor tatsächlich im Wald aufgehalten. Die Bewohner haben nicht gelogen. Nachdem er aufgetaucht war, entbrannte dort ein Streit und er wurde vertrieben. Aber einige schienen sich ihm angeschlossen zu haben. Mit ihnen zusammen ist er wieder im Wald untergetaucht. Es wird vermutet, dass er den Waldrand verlassen hat, um tiefer drinnen zu verschwinden. Niemand weiß, wo er hin ist. So wurde es uns berichtet. Deshalb muss der ganze Wald besetzt werden, bis man ihn gefunden hat."

"Warum erreicht uns diese Nachricht erst jetzt? Wenn die Vögel das beobachtet haben, warum haben wir das nicht schon vor zwei Tagen gewusst? Dann wäre die Suche einfacher!"

"Ich weiß es nicht, Emiliut. Ich finde diese Sache nicht weniger mysteriös als du. Aber Order sind Order und Befehl ist Befehl. Ich glaube..." - hier senkte er seine Stimme - "wir wissen nicht einmal annähernd, womit wir es hier zu tun haben."

Einen Moment lang herrschte Stille. Als würden beide lauschen, ob sich jemand in der Nähe befand.

"Ich frage mich nur - wenn selbst die Vögel diesen Jungen nicht finden konnten, wie sollen wir ihn dann hier finden?"

"Vielleicht erwischen wir zumindest seine Anhänger. An deiner Stelle würde ich jedenfalls gut aufpassen und meine Augen weit offen lassen. Selbst nachts. Sorg dafür, dass in deinem Trupp niemand schläft und niemand ruht, bis diese Sache vorbei ist. Und nun zieh los. Wir haben nur noch bis Mittag."

Ohne einen Abschiedsgruß löste sich das Gespräch in Hufgeklapper und Rüstungsgeschepper auf.

Mavies Herz klopfte lauthals mit. Leise stand sie auf. Wir haben nur noch bis mittag. Nur noch bis mittag, um so weit weg von hier zu kommen wie möglich.

"Wir sollten uns nah am Waldrand halten", stellte Luan fest. "Wenn sie vermuten, dass wir tiefer in den Wald hineingeflohen sind, dann müssen wir das Gegenteil tun. Hier werden sie nicht so viele Wachen aufstellen. Und mit viel Glück werden sie uns für Dorfbewohner halten."

„Mit sehr viel Glück", murmelte Mavie. Man musste schon sehr viel Fantasie haben, um zwei Zwerge mit Zipfelmützen für ganz normale Holzfäller zu halten. Oder einen Jungen mit so verfilzten Haaren wie Luan zu übersehen. Selbst auf den allerersten Blick... Wie sollten sie es jemals aus dem Wald schaffen, wenn überall Reiter waren?

"Das ist ein kluger Plan, mein Junge!", meinte Bart. „Lasst uns loslaufen, solange unsere Beine noch tragen!"

Seine Beine sicherlich nicht besonders lange... Mavie war sich immer noch nicht ganz sicher, wer von ihnen beiden verrückter war: Bart – oder sie. Wahrscheinlich ich, dachte sie, während sie neben Luan vorausrannte. Da soll ich das Land retten und stecke in einem Wald fest, der bald voller Reiter ist. Zusammen mit drei alten Männern, bei den einen der Kopf so langsam wie bei dem anderen die Füße.

Viel zu schnell stand die Sonne hoch über ihren Köpfen. Überall aus dem Wald drang Hufklapper zu ihnen hinüber. Solange sie sich am Waldrand halten konnten, stießen sie tatsächlich selten auf Reiter.

Aber bald standen sie vor der Entscheidung, den Waldrand Richtung Nordosten zu verlassen, oder einen deutlich längeren Weg zu nehmen. Sie entschieden sich für die kürzere, gefährlichere Route. Niemand von ihnen wollte noch länger im Wald bleiben, als nötig...

Dann wurde aus ihrem Rennen ein Schleichen von Gebüsch zu Gebüsch. Die Reiter hatten ihre Befehle tatsächlich in die Tat umgesetzt: Wo immer das Terrain es zuließ, stand alle zehn Astlängen einer von ihnen bereit und sah sich wachsam nach allen Seiten um.

Doch die fünf hatten einen entscheidenden Vorteil: Sie kannten den Wald viel besser als die Männer der Königin. Sie wussten, wie man sich versteckte. Wie man ungesehen – und ungehört – zwischen den Zweigen hindurch schlich. Trotzdem schlichen sie über den Boden wie auf glühenden Kohlen. Ihr Blick glitt ständig hin und her zwischen Boden und Reitern. Es gab nirgendwo einen Ort, wo sie in Ruhe Rast halten hätten können. Überall glitzerten die Rüstungen zwischen den kahlen Ästen. Wenn es wenigstens regnen würde, dachte Mavie. Wenn sie die Reiter nur irgendwie in Aufruhr versetzen könnten...

Da erinnerte sie sich auf einmal an Unz' Idee, die er vor vielen Tagen einmal im Wald mit ihr besprochen hatte. Was, wenn wir die Reiter in den Wald locken würden? Jeder weiß, dass sie Angst vor ihm haben. Wir könnten uns in den Bäumen verstecken und unheimliche Geräusche machen und sie so in Angst versetzen, dass sie nie wieder zurückkommen!

Vielleicht war das wirklich keine schlechte Idee. Gestern hatte es schließlich auch ganz gut funktioniert...

Statt so leise und unauffällig wie möglich zu sein, machten sie also mit Absicht unheimliche Geräusche oder raschelten im Gebüsch, um die Wachen abzulenken. Meist blieb einer von ihnen zurück und schuhuute oder grunzte auf die schaurigste Art, während die Anderen an den Reitern vorbeischlichen. Und dann schuhuuten und grunzten sie, bis er wieder zu ihnen gestoßen war. Weil Luan dabei den meisten Spaß hatte - und großes Talent darin zeigte, übernahm er diese Aufgabe überdurchschnittlich oft. Manchmal lenkte er auch die Pferde der Reiter ab, indem er auf den Baum kletterte, an deren Stamm sie festgebunden waren, und sie von oben herab unruhig machte. Und während die Reiter sich nach ihren Pferden umsahen, tappte der Rest von ihnen hinter seiner Rüstung vorbei.

Doch Luan hatte seine Lektion gelernt: Er unternahm keine Versuche mehr, sie loszubinden. Er hielt sich auch nirgends zu lange auf oder benahm sich leichtsinnig. Zu Mavies großer Erleichterung.

Sie kamen nur langsam voran, aber mehr als einmal hatten sie großes Glück. Ja, es schien sogar ein wenig mehr als Glück zu sein: Wo immer sie hingingen, schienen die Schatten sich zu verdunkeln um sie herum. Oder wilde Tiere sprangen aus dem Nichts heraus auf die Reiter zu, sodass sie gerade noch unentdeckt davonkamen.

"Es ist, als wär der Wald selbst auf unserer Seite", wisperte Luan.

Zuerst hielt Mavie das für einen irrsinnigen Gedanken.

Aber immer mehr konnte auch sie sich des Eindrucks nicht erwehren, dass der Wald für sie zu kämpfen schien. Wenn sie sich irgendwo versteckten, wurde das Dickicht dichter, wenn sie rannten, schienen die Dornen zur Seite zu weichen und hinter ihnen schlossen sie sich wieder. Dunkle Wolken schoben sich mit ungewöhnlicher Geschwindigkeit über den Himmel. Die Reiter dagegen verfingen sich in ihnen oder wurden von der Sonne geblendet. Selbst Bart's regelmäßiges Husten wurde von Flughörnchen übertönt, die genau im selben Moment knackerten. Mavie entwickelte immer mehr eine Sympathie für diese Tiere, während sie zusah, wie sie den Reitern ihr Proviant, ihre Messer und sogar ihre Helme klauten.

Die fünf Wanderer dagegen ließen sie aus irgendeinem Grund in Ruhe.

Es war, als wären sie unsichtbar.

So waren sie den ganzen Tag lang unterwegs.

Mavie war das Nomadenleben inzwischen so sehr gewohnt, dass es ihr kaum noch auffiel. Sie war gewohnt an schmerzende Rippen am Morgen und knorrige Kissen aus Wurzeln am Abend. Sie war gewohnt daran, nach dem Aufstehen ihre Beutel zu schnüren. Daran, sich frierend unter ihrem Mantel zusammenzurollen. An die schleichende Kälte, die mit jeder Nacht zunahm. Hin und wieder fielen nun sogar graue Schneeflocken zwischen den kahlen Ästen hindurch bis auf den Boden. Ganz oben mussten die dürren Kronen schon fast völlig weiß sein.

Mavie war auch gewohnt daran, ständig vor irgendeiner Gefahr wegzurennen und sich stundenlang gebückt im Gebüsch zu verstecken. (Inzwischen schlug ihr Herz kaum noch lauter dabei.) Sie war gewohnt an den ewig gleichen Rhythmus ihrer leisen Schritte, Luans Atem neben ihr, das Gestreite der Zwerge - die sich auch flüsternd noch gut zanken konnten - und die Dunkelheit des Waldes.

Die Hoffnung, je wieder in einer Hütte zu leben, hatte sie längst aufgegeben.

Aber diesmal hatte sie sich selbst für das Leben in der Wildnis entschieden. Nicht, dass ihr viel anderes übrig geblieben wäre. Dennoch: Sie hatte sich selbst dafür entschieden, diese Reise zu machen. Sie war sich nur noch nicht sicher, wie sie diese Entscheidung bis in die letzten Konsequenzen durchziehen sollte.

Doch Mavie konnte diese Gedanken kaum je einmal zu ende denken. Geschweige denn eine Antwort finden. Es waren zu viele Reiter um sie herum, als dass sie wirklich über irgendetwas nachdenken hätte können. Ständig mussten sie aufmerksam sein und auf ihre Schritte achten. Im Moment zählte nur die Flucht aus dem Wald.

Auch an Bart gewöhnte Mavie sich langsam. Noch war er zwar ein großes Rätsel für sie, dass sie erst lösen können würde, wenn sie die Gefahr hinter sich gebracht hatten. Aber sie gewöhnte sich mehr und mehr an das Geräusch, wenn sein Krückstock über den Boden tappte.

"Kommt erstaunlich schnell voran für sein Alter, oder?", murmelte Luan. Mavie nickte.

"Man könnte meinen, er hat seine Krücke nur zur Tarnung mitgenommen. Oder sie ist seine Geheimwaffe. So alt, dass man seine Knochen knirschen hört, und trotzdem fit wie eine Felsenaxt..."

"Kannst du wirklich seine Knochen knirschen hören?"

"Du etwa nicht?"

Mavie schüttelte den Kopf. Aber sie war sich sicher, dass sie von jetzt an immer Knochen knirschen hören würde, wenn sie Bart sah...

Sie alle waren fast ein wenig überrascht, als sie merkten, dass es bereits Abend wurde. Sie hatten nicht damit gerechnet, dass sie es so einfach und ohne größere Probleme durch den Tag schaffen würden. Ohne ein einziges Mal aufgehalten zu werden.

Doch die Dunkelheit brach nun über sie herein, ohne dass man auch nur einen Zipfel ihrer Kleidung zwischen den Ästen entdeckt hätte.

Gegen Abend wurden die Reiter sichtbar nervöser. Alle zwei Sekunden drehte einer von ihnen den Kopf, was jedes Mal ein lautes Knirschen erzeugte, wenn sich ihr Helm an der Rüstung rieb.

Sie waren an nichts von all dem hier gewöhnt.

Sie kannten weiche Betten und sichere Lager mit vielen Fellen. In der Nacht im Wald zu stehen, war ihnen mehr als unbehaglich. Und besonders bequem konnte es auch nicht sein. Ihre Angst lag in der Luft wie schwerer Nebel, fast greifbar. Und der Wald schien sie in sich aufzusaugen, bis sie fast von der Rinde der Bäume tropfte.

Die Reisenden hatten fast ein wenig Mitleid mit ihnen. Sie hörten auf, Geräusche zu machen, und schlichen nur noch leise von Baum zu Baum. Der Wald war nachts von selbst schon unheimlich genug...

"Diese Rüstung muss eisig kalt sein", wisperte Luan. Und Mavie war sich nicht sicher, ob es Absicht war, dass seine Stimme exakt so klang wie der Winterwind zwischen den Zweigen. Sie fand es auch ohne Rüstung schon kalt genug.

Zum ersten Mal begann sie, sich zu fragen, was die Reiter selbst eigentlich von ihrer Aufgabe hielten. Sie spähte zwischen den Zweigen hindurch. Ihre Rüstungen schimmerten silbrig im Vollmondlicht. Wer waren die Menschen in all dem Metall? Und was dachten sie von der Königin? Waren sie zufrieden mit ihrem Leben? Oder wälzten sie vielleicht denselben Groll in ihrem Herzen, den alle in Endiar in sich trugen? Zu ängstlich, ihn auszusprechen?

Aber das Mitgefühl nahm bei ihnen allen wieder ab, als sie überlegten, wie sie einen Platz zum Schlafen finden konnten. Wo sollten sie hier ein Lager aufschlagen, wenn überall ihre Feinde herumstanden?

Mavie warf Bart einen besorgten Blick zu. . Hoffentlich würde er so eine Nacht draußen im Wald gut überstehen...

"Dort in dem Gebüsch vielleicht?", schlug Trix leise vor. Man sah ihm an, dass er selbst nicht allzu begeistert von diesem Vorschlag war. Aber weil sie seit einer Stunde schon suchten und niemand von ihnen etwas Besseres entdeckt hatte, krochen sie unter die stacheligen Zweige. Zum Glück war genug Platz zwischen Boden und Zweigen übrig, um bequem liegen zu können.

"Wir müssen unbedingt aufstehen, bevor es hell wird!", flüsterte Twix. "Sonst sehen sie uns hier sicher!"
"Ich bin nicht mal sicher, wo welche stehen!", flüsterte Twix. "Könnt ihr sie hier irgendwo sehen?"

Mavie und Luan schüttelten den Kopf.

"Wenn es so weiter geht, brauchen wir Tage, bis wir im Wiesenland ankommen!" Mavie stöhnte. "Ich halt das keinen Tag mehr aus!"

"Wir werden es schon irgendwie schaffen, mein Kind." Bart hatte die meiste Mühe, leise unter die Zweige zu kriechen. Er versuchte immer noch, sich weiter nach hinten zu schieben, damit seine alten Lederstiefel nicht unter dem Gebüsch hervorragten. "Diese Nacht wird kalt. Wir sollten uns eng zusammenlegen."

Krächz machte es sich in einem der Rucksäcke bequem. Das war seine neuste Angewohnheit geworden. Mavie konnte in der Dämmerung seinen Umriss nur erahnen. Aber sie sah, wie sich seine Brust leicht auf und ab bewegte. Bis zum Kopf versank er im Beutel und kuschelte sich an ein zweites Hemd von Twix. Seine gelben Augen blitzten zufrieden in ihre Richtung.

Es dauerte eine Weile, bis sie es schafften, die Felle und Mäntel über ihren Körpern auszubreiten, ohne zu viele Geräusche zu machen. Oder an den Dornen hängen zu bleiben. Mavie wurde sofort ein wenig wärmer. Aber ihr Gefühl sagte ihr, dass sie in dieser Nacht nicht viel Schlaf bekommen würde, hier zwischen all den Reitern.

Twix hatte recht: Wenn sie nicht aufwachten, bevor es hell wurde, waren sie geliefert.

Tatsächlich bekam Mavie in dieser Nacht überhaupt keinen Schlaf. Unter den Zweigen war es unmöglich, sich umzudrehen. Luan und Twix lagen viel zu nah neben ihr. Und auch Bart und Trix hätte sie berühren können, ohne den Arm weit ausstrecken zu müssen. Es fühlte sich befremdlich an, so eng neben Fremden zu liegen.

Der Mond über ihr schien viel zu hell ohne die Blätter, die sein grelles Starren hätten abwenden können. Der Gedanke an die Reiter um sie herum machte Mavie unruhig. Hoffentlich war Trix Schnarchen nicht zu auffällig. Hoffentlich hörten sie nicht, wie Bart im Schlaf hustete...

Wo waren sie? Warum hatten sie noch nichts bemerkt? Was, wenn sie gerade Verstärkung holten?

Mavies Gedanken wanderten hin und her zwischen diesen Fragen - und Windenbach. Sie wünschte, sie könnte nur für ein paar Stunden ihren Verstand abschalten. Es gab so viel aufzuarbeiten in ihrem Kopf. Aber sie wollte sich all dem nicht stellen. Noch nicht. Wenn sie es jemals bis in die Wiesen schafften, konnte sie vielleicht darüber nachdenken. Doch jetzt war sie noch nicht bereit dafür...

Mitten in der Nacht, hellwach auf dem Boden liegend, waren die Gedanken allerdings nicht so leicht zu verdrängen. Immer wieder und wieder kreisten sie um die Szene auf dem Hügel. Sie hatte eine Entscheidung getroffen, die sie nie wieder rückgängig machen konnte. Ihre Familie für immer zurückgelassen. Was würde aus ihnen werden? Was würden die Dörfler tun, nachdem ihre Häuser niedergebrannt waren? Es war ihnen nichts geblieben von ihrem Leben. Bis auf ihre Äxte. Würden die Windenbacher gemeinsam das Dorf wieder aufbauen? Etwas Anderes würde ihnen wohl nicht übrig bleiben. Wo sollten sie sonst hin?

Was, wenn die Reiter nicht zuließen, dass sie ihr Dorf wieder aufbauten

Sie werden es durchstehen, sagte sie sich. Wenn ihre Familie mit irgendetwas Erfahrung hatte, dann mit dem Wiederaufbauen.

Der große Bauer dagegen... Mavie konnte verstehen, dass er wütend gewesen war. Niemals würde er seinen geliebten Bauernhof neu bauen können. Das steinerne Haus hatte dort schon lange vor seiner Zeit gestanden. Keiner im Dorf hatte so viel verloren wie er.

Was würde dann aus Unz werden, jetzt, wo sein Vater nicht mehr reich war?

Es gab ihr einen leichten Stich, an ihn zu denken. Luan und er hätten sich wirklich gut verstanden. Er hätte seine helle Freude daran gehabt, zu sehen, wie sie seine Idee mit den unheimlichen Geräuschen umgesetzt hatten...

Wieso war er nicht mitgekommen? Wie oft hatte er darüber geredet, dass sie gegen die Reiter kämpfen mussten? Und jetzt, als er die Gelegenheit gehabt hätte - er hatte ihr nicht einmal ins Gesicht gesehen.

Es fühlte sich an, als hätte er sie verraten. Noch schlimmer, als Arx. Arx war eben Arx. Er war schon immer Arx gewesen und würde wohl auch immer Arx sein. Das war nur halb so wild. Mavie hätte auch gar nicht gewollt, dass ihre Geschwister mit ihr mitkamen und sich zu Feinden der Königin machten. Um keinen Preis. Sie mussten sich um einander und um ihr eigenes Leben kümmern.

Aber Unz war bester Freund gewesen. All die Jahre über. Bilder tauchten in ihrem Kopf auf. Wie sie im Wald gespielt hatten mit Laris zusammen. Wie sie die Armbrust gefunden hatten. Sie fühlte sich ein wenig schuldig, dass sie sie einfach mitgenommen hatte. Wie sie Unz' Vater geärgert hatten. Die Kröten im Hühnerstall des großen Bauern, nachdem er Maidl beleidigt hatte.

Und dann, aus der tiefsten Tiefe ihres Unterbewusstseins, tauchte ein Bild auf, dass sie besonders weit verdrängt hatte:

Sie war ein kleines Kind gewesen. Das Verschwinden ihrer Eltern war damals erst ein Jahr her. Aber sie und ihre Brüder hatten langsam wieder begonnen, zu leben.

Alle im Dorf hatten ihre Familie gemieden damals, nach dem, was passiert war. Und sie, als siebenjähriges Mädchen, hatte sich einfach nicht erklären können, weshalb. Ihre Freundinnen, mit denen sie vorher jahrelang am Fluss gespielt hatte, wollten auf einmal nichts mehr mit ihr zu tun haben. Als sei sie irgendwie gebranntmarkt durch das, was ihr passiert war. Vielleicht waren sie einfach überfordert gewesen. Vielleicht glaubten sie irgendwelchen Geschichten, den man sich im Dorf über ihre Familie erzählte.

Mavie hatte sich schrecklich einsam gefühlt. Als sei sie völlig alleine auf der Welt. Ihre Brüder waren selbst noch zu mitgenommen, um für sie da zu sein. Ganz allein musste sie essen kochen und sich um den kleinen Kenja kümmern. Und wenn sie damit fertig war, konnte sie nur alleine in der Hütte sitzen, weil niemand mit ihr spielen wollte. Sie hatte immer wieder versucht, bei den anderen Kindern mitzumachen. Aber diese hatten sich weggedreht. Manchmal waren sie sogar vor ihr weggerannt. Deshalb hatte sie ihnen irgendwann nur noch aus der Ferne zugesehen.

Bis eines Tages Unz auf sie zugekommen war. Das Spielen hatte ihn irgendwann gelangweilt Darum hatte er sich nach etwas Interessantem umgesehen. Und dabei hatte er Mavie entdeckt. Er war schon damals ein ziemlich wilder Junge gewesen. Und die meisten Kinder hatten Angst vor ihm, denn er sah auch sehr wild aus. Und wer keine Angst vor ihm hatte, hatte Angst vor seinem Vater. Mavie hatte die Augen aufgerissen und überlegt, sich hinter einem Baum zu verstecken. Aber Unz war stehen geblieben, hatte sie angelächelt, und gefragt, ob sie mit ihm in den Wald gehen wollte.

"Warum in den Wald?", hatte Mavie misstrauisch gefragt. Bestimmt wollte er ihr irgendeinen Streich spielen. Und am Ende bekam sie riesigen Ärger...

"Ich will Jenuos finden!"

Natürlich kannte Mavie die Geschichte von Jenuos, dem Verlorenen. Maidl hatte sie am Abend zuvor am Feuer erzählt. Ihr Herz begann, ein wenig höher zu schlagen. Sie hatte schon immer nach Jenuos suchen wollen...

"Warum fragst du mich, ob ich mitkomme?", fragte Mavie, immer noch misstrauisch.

"Die Anderen sind alle zu feige." Unz verdrehte die Augen. "Komm schon, komm mit! Vielleicht bekommen wir dann sogar das Gold!" (Der König in der Legende hatte viel Gold demjenigen versprochen, der den Jenuos finden würde.)

Und dann tat er das Letzte, was Mavie erwartet hatte: Er streckte einfach die Hand aus. Mavie legte ihre zögernd hinein.

In diesem Moment hatte es sich angefühlt, als sei Unz der Ritter in goldener Rüstung, der zu ihrer Rettung eilte. Zusammen rannten sie in den Wald hinein. Mavie hatte gehofft, dass er das breite Strahlen in ihrem Gesicht im Schatten nicht sehen konnte. Denn sie wusste, sie hatte einen Freund gefunden.

Und deshalb schmerzte der Verrat von Unz doppelt so sehr wie jeder andere. Als wäre der Ritter in goldener Rüstung, dem sie vertraut hatte, nun mit seinem Schwert auf sie losgegangen.

Dabei wusste sie, dass Unz eigentlich nichts dafür konnte. Am Ende war er ja nur ein Junge. Kein mutiger Krieger.

Luan ist auch nur ein Junge, sagte eine leise Stimme in ihr. Und er ist trotzdem mitgekommen.

Wie ähnlich die Beiden sich auch waren, sie waren eben doch nicht derselbe Mensch. Und Luan konnte Unz nicht einfach ersetzen.

Durch Unz war sie im Dorf auf einmal nicht mehr die Ausgegrenzte gewesen. Sondern die Wilde. Die Rebellin, die man respektierte. Niemand wagte es mehr, sich über sie lustig zu machen, solange er dabei war. Ihm war es egal gewesen, was sie von ihr dachten.

Sie hatten nie gegenseitig ihre Gedanken erraten, so wie es bei ihr und Luan manchmal war. Aber wenn sie ihre Gedanken ausgesprochen hatten, auf irgendwelchen Ästen am Waldrand, waren es oft dieselben gewesen. Sie fanden dieselben Spiele aufregend und redeten über dieselben Themen. Ohne Unz wäre auch Laris nicht ihr Freund geworden.

Ohne Unz wären die Jahre nach dem Verschwinden ihrer Eltern unerträglich gewesen. Das würde sie ihm nie vergessen.

Doch im Moment konnte sie ihm auch nicht vergessen, wie er sie im Regen stehen gelassen hatte.

"Das gehört der Vergangenheit an", hörte sie eine leise, tröstliche Stimme in ihrem Inneren sagen. "Denk nicht länger darüber nach."

Und auf einmal fiel es ihr ein Stück leichter, die Gedanken beiseite zu schieben.

Die Vergangenheit war vergangen. Sie würde nicht mehr zu ihr zurückkehren. Nie wieder.

Wenn sie nur schon in den Wiesen wären! Wie sie wohl aussahen? Mavie konnte sich einfach keine Gegend vorstellen, wo es keinen Wald gab...

Weiter und weiter schweiften ihre Gedanken in die Ferne. Bis sie schließlich doch in den Schlaf sank.

Es wird wohl niemanden überraschen, wenn ich nun behaupte, dass Mavie am nächsten Morgen sehr, sehr müde war. Sie konnte kaum die Augen offen halten. Luan weckte sie, indem er leicht an ihrer Schulter rüttelte. "Mavie! Wach auf!", flüsterte er aufgeregt. "Was ist?", flüsterte sie, im Halbschlaf. "Hier sind überhaupt keine Wachen! Nirgendwo!" Stöhnend schloss sie ihre Augen wieder. "Warum weckst du mich dann?" "Komm! Wir müssen weiter!" Luan rüttelte noch einmal an ihrer Schulter. Und mit viel Mühe brachte sie sich dazu, unter dem Gebüsch hervorzukriechen. "Warum sind hier keine Reiter?", murmelte sie müde. Wie konnte es so schwierig sein, einfach nur gerade zu stehen?

Die Zwerge und Luan tauschten ratlose Blicke. Offensichtlich hatten sie genau darüber geredet, bevor Mavie wach geworden war. Auf einmal war ein Rascheln zu hören. Mavie fuhr herum. Aber es war nur Bart, der durch das Gebüsch gehumpelt kam. Was machte er ganz alleine im Wald?

"Hier in der Nähe sind zwei Dörfer", stellte er fest. "Drintan und Hollentau. Meine gute, alte Heimat. Wir sind weiter an den Rand geraten, als wir es vorhatten."

"Scheinbar stellen sie hier tatsächlich weniger Wachen auf! Sie denken wirklich, dass wir in den Wald gerannt sind!" Luan grinste triumphierend.

"Hast du irgendwo Menschen gesehen?", fragte Mavie.

"Du meinst, Dörfler?" Bart schüttelte seinen graubedeckten Kopf. Sein Blick traf sich mit ihrem. Und sie wusste, dass sie einen Moment lang dasselbe dachten.

„Wir müssen uns beeilen, wieder auf Kurs zu kommen!", stellte Trix fest. „Und daran festhalten! Das sollte nicht noch einmal passieren..."

Aber an diesem Tag kamen sie noch viel langsamer voran, denn der Wald war hier dichter und die Reiter wachsamer. Sie mussten sich nah an ihnen vorbeischleichen. Es war schwierig, keine verräterischen Geräusche zu machen. Besonders für Mavie, der es immer schwerer fiel, wach zu bleiben.

Manchmal mussten sie fast eine halbe Stunde warten, bis ein Reiter sich etwas zu trinken holte oder in eine andere Richtung drehte. Mavie wünschte sich nichts sehnlicher, als endlich hier rauszukommen. Wenn es nur irgendeinen schnelleren Weg gäbe! Warum musste ausgerechnet sie die Nachtigall sein? Warum musste immer sie so ein schwieriges Leben haben?

Und obwohl sie wusste, dass es dumm war, kickte sie wütend einen Stein zur Seite.

Was sich als großer Fehler erwies.

Spätestens in dem Moment, als ein metallenes Klirren zu hören war.

Mit einem schicksalhaften Knirschen drehte der Helm sich in ihre Richtung. Sie erstarrten. Sahen sich langsam an. Und blickten direkt in zwei dunkle Augen, überschattet von einem silbernen Visir.

Dann geschahen mehrere Dinge im selben Moment.

„Zieh deine Kapuze über, Mavie! Lass sie nicht vom Gesicht rutschen! Um keinen Preis, hast du verstanden? Schnell!", flüsterte Bart.

"Sie sind hier! Hier sind sie!", brüllte der Reiter. Überall im Wald war auf einmal Knirschen und Poltern zu hören. Aus allen Seiten strömten Männer in Rüstung auf sie zu. Für einen Moment wussten die Fünf nicht, in welche Richtung sie rennen sollten. Wie festgefroren standen sie da.

"Nach oben!", rief Luan und begann zu klettern. Die Zwerge dagegen stürmten blindlings nach links und rechts, wo silberne versuchten, sie am Arm zu packen. Mavie schaffte es gerade noch, sich ihre Kapuze tief ins Gesicht zu ziehen. Sie stand völlig still. Bart, der mit seinem Humpelbein sowieso nicht besonders weit gekommen wäre, blieb neben ihr stehen. Und Krächz hockte auf ihrer Schulter. Ein deutlicheres Zeichen hätte es für die Männer nicht geben können.

Reiter umzingelten sie. Kamen immer weiter auf sie zu. Langsam, als wüssten sie nicht, was sie erwarten sollten. Immer näher und näher kamen sie. Mavie stolperte rückwärts, bis sie Rinde in ihrem Rücken spürte. Es waren viel zu viele. Mindestens zwei Dutzend.

Was könnte sie jetzt noch retten? Der silberne Kreis um sich herum hatte nun keine Lücke mehr.

Ohne nachzudenken, tat Mavie das Einzige, was ihr einfiel. Sie legte ihre Hände an den Mund - und heulte.

Die Reiter starrten sie an. Sie zögerten kurz. Aber sonst geschah nichts. Natürlich nicht. Diesmal gab es keine losgebundenen Pferde in ihrer Nähe.

Bis auf einmal, aus naher Ferne, eine leise Antwort zu hören war.

Ja, es konnte kein Irrtum sein. Im Wald heulte jemand.

Die Reiter mussten es auch gehört haben. Ihre Helme drehten sich alle in unterschiedliche Richtungen. Verwirrt suchten sie die Bäume ab. Manche griffen nach ihren Schwertern.

Geistesgegenwärtig zog Mavie sich einen Ast nach oben. Und noch einen.

Keinen Moment zu früh. Denn auf einmal war ein lautes Knacken im Unterholz zu hören. Eine schier unendliche Menge Wölfe strömte aus dem Wald auf sie zu.

Kurz darauf war überall graues und braunes Fell zu sehen. Lautes Heulen mischte sich mit Geschrei.

Und dann sah Mavie das wirklich Allerletzte, was sie in diesem Moment erwartet hätte.

Mitten auf dem Rücken eines schneeweißen Wolfes saß eine kleine, grüne Gestalt.

Es war Tulip.

Die Nymphe sah sich einen Moment lang um, bevor ihre scharfen Augen Luan im Baum entdeckten. "Hier runter!", rief sie. "Kommt hier runter! Los!"

Der Anblick war so ungewöhnlich, dass sie seinem Befehl sofort nachkamen. Tulip stieß einen leisen Pfiff aus und fünf der Wölfe blieben rund um den Baum stehen. Bart schwang sich ohne Zögern auf den Rücken des größten. Kurz später saß Luan ebenfalls auf einem Wolfsrücken. Nach vorne gebeugt, als wolle er sofort lospreschen. Mavie dagegen brauchte einen Moment, um ihrem Beispiel zu folgen. Es stand ihr noch scharf vor Augen, wie dieser weise Wolf auf sie zusprang, um sich auf sie zu stürzen. „Mavie, komm!", rief Luan. „Steig auf!" Zögernd legte sie eine Hand auf den Hals des Wolfes. Er rührte sich nicht. Da umklammerte sie das Fell und schwang sich auf seinen Rücken. Er fühlte sich glatt und geschmeidig an. Der Wolf drehte seinen Kopf zu ihr um. Mavie erstarrte. Doch er sah sie nur an. In seinen braunen Augen konnte sie sehen, dass er sie erkannte. Sie durchbohrten sie einen Moment lang. Dann wandte er sich wieder nach vorne.

"Wo sind die Zwerge?", rief Luan. Um sie herum war ein wildes Tumult losgebrochen. Keiner der Reiter hatten noch Augen für die Fünf. Jeder von ihnen kämpfte gegen mindestens zwei Wölfe. In diesem Moment tauchte ein weiterer Wolf in ihrer Runde auf. Trix saß auf seinem Rücken, begeistert grinsend. Und hinter ihm Twix, der sich mit einem gequälten Gesichtsausdruck an seinen Bruder klammerte.

"Auf gehts!", rief Trix. "Weg von hier! Richtung Wiesen bitte, wenn es recht ist, meine Herren!" Dabei meinte er offensichtlich die Wölfe. Und die sprinteten sofort los. Mavie musste sich festhalten, um nicht herunterzurutschen. Sie beugte sich noch weiter nach vorne als Luan - bis ihr Hals die Ohren des Wolfs berührte - und klammerte sich um seinen Nacken. Das schien ihn nicht weiter zu stören. Der Wald raste an ihr vorbei, als würden sie fliegen. Das war noch schneller, als ein Hangritt auf einem Wildschweinrücken.

"Halt!", rief Luan. "Wir sollten zuerst tiefer in den Wald hinein! Wir müssen sie in die Irre führen, sonst wissen sie, wohin wir fliehen!"

Die Wölfe spitzten die Ohren und änderten abrupt ihre Richtung. Sie glitten zwischen Bäumen hindurch, als gäbe es keine Hindernisse im Wald. Als würden sie durch den freien Himmel laufen.

Hin und wieder entdeckten sie das Schimmern einer Rüstung. Und manchmal hatte Mavie den Eindruck, dass die Wölfe absichtlich ein wenig langsamer rannten, damit die Reiter sie sehen konnten. Sie rannten nach Norden, tiefer in den Wald hinein.

Bis Luan plötzlich rief: "Ich glaube, jetzt reicht es. Wir sollten umdrehen!" (Er schrie gegen den Wind an, damit sie ihn verstehen konnten.)

Tulip stieß einen Pfiff aus und die sechs Wölfe änderten abermals schlagartig ihre Richtung. Luan warf es dabei so stark in die Kurve, dass sein Kopf fast den Boden berührte. Aber es schien ihn nicht weiter zu stören. Das hier war das Aufregendste, was er je erlebt hatte.

"Und? Was ist jetzt mit eurem Raben? Habt ihr das Geheimnis schon gelüftet?", rief Tulip.

Wenn ein Reiter in der Nähe wäre, wären sie viel zu schnell, als dass er sie hätte verstehen können.

"Kann man wohl sagen!", brüllte Luan zurück. "Aber wie kommst du hierher?"

"Bin den Wölfen gefolgt. Wusste, sie würden mich zu euch führen!"

"Wie...", brachte Mavie hervor. Sie fühlte sich, als wäre sie mindestens so grün im Gesicht wie Tulip.

„Wieso?", fragte Luan an ihrer Stelle.

"Ihr habt sie im Kampf besiegt. Also folgen sie euch. Ist doch logisch."

Tulip hielt inne, weil er sein Kopf fast von einem Ast gestreift wurde.

"Ich glaube, sie sehen dich als ihre neue Alpha-Wölfin."

"Mich?", fragte Mavie - so überrascht, dass sie ihre Übelkeit ganz vergaß.

"Ja, natürlich dich!", rief Tulip. "Du hast schließlich ihren Anführer besiegt!"

Und als würde er ihm zustimmen, drehte der weiße Wolf unter ihm kurz seinen Kopf in Mavies Richtung.

"Aber was werden die anderen Nymphen sagen? Wie bist du ihnen entwischt?", rief Luan.

"Ach, pfeif auf die Anderen! Ich werde nicht untätig in einer Höhle sitzen, während die Welt sich ändert um uns rum!" Seine Augen leuchteten vor Begeisterung. Er zog einen Käfer aus seiner Nase, den der Wind dort hineingewirbelt hatte.

Während sie in dieser Richtung weitergallopierten, wurde der Wald langsam lichter und lichter. Mavie bemerkte, wie die Bäume immer weiter von einander entfernt standen. Die Stämme waren weniger dick und die Äste weniger ausladend. Und nach einigen Meilen wurde sie von Sonnenstrahlen geblendet, so hell wie sonst nur im Hochsommer auf einer Lichtung. Sie bahnten sich ihre Wege durch das dürre Geäst und brannten unermüdlich auf die Schar herab.

Als sich ihre Augen langsam an die Helligkeit gewöhnten, sah Mavie etwas, was ihren Atem stocken ließ.

Dort drüben lag die größte Lichtung, die sie jemals gesehen hatte. Es war ein schier unendliches Meer aus sich wogendem Gras, das direkt vor ihnen begann – und bis hinten zum Boden des Himmels reichte.

Das Wiesenland.

Die Wölfe wurden langsamer und bremsten schließlich ab. Durchgeschüttelt wie Blätter im Sturm, glitten die Sechs von ihren Rücken. Mavie zog sich die Kapuze aus dem Gesicht und hielt sich an einem dürren Baumstamm fest. Ihr war schwindelig.

"Die Wölfe sind mir die ganze Zeit gefolgt?", fragte sie atemlos, als sie wieder reden konnte. Sie warf den Biestern einen kurzen Blick zu. Die Vorstellung war ihr ziemlich unangenehm.

Tulip lachte. "Du musst keine Angst haben! Du bist ihre Prinzessin geworden! Wenn Wölfe jemanden als ihre Prinzessin sehen, dann fühlen sie einen großen Drang, sie zu beschützen. Deshalb sind sie dir durch den ganzen Wald gefolgt."

"Wie kommt es, dass wir nichts davon bemerkt haben? Wie sind sie über die Schlucht gekommen?", wollte Luan wissen. Man sah ihm an, dass es ihn ärgerte, dass er sie die ganze Zeit nicht entdeckt hatte.

"Welche Schlucht?", fragte Tulip. Aber niemand gab eine Antwort. Sie waren noch alle zu sehr außer Puste. Als wären sie die ganze Strecke auf ihren eigenen Beinen gerannt.

"Du hast uns mal wieder gerettet, Tulip", stellte Luan schließlich fest. "Wenn du und die Wölfe nicht gewesen wärt... wer hätte gedacht, dass ihr uns mal das Leben rettet?"

Mavie nickte. "Ohne euch hätten sie uns erwischt."

Tulip lächelte leicht. "Das war nicht weiter schwer", sagte er. "Ich bin eine Nymphe. Es ist meine Aufgabe, die Zeichen der Zeit zu lesen zwischen den Blättern. Und wenn die anderen Nymphen das nicht tun wollen - dann warne ich den Wald eben alleine!"

"Das bedeutet, wir müssen wieder Abschied nehmen?", fragte Luan.

Tulip nickte, ein wenig Wehmut in den Augen. "Mein Platz ist der Wald."

Und das konnten sie alle nur zu gut verstehen.

"Und du willst nicht zu deiner Familie zurückkehren?", fragte Mavie.

Er schüttelte den Kopf. "Die würden mich wieder einsperren. Aber ich gehöre nach hier draußen. Jemand muss diese Aufgabe schließlich übernehmen."

Mavie musste zugeben, dass sie den kleinen Kerl immer mehr bewunderte. "Du kannst echt stolz auf dich sein. Aber pass auf dich auf, verstanden?"

"Pah! Habt ihr schon vergessen, wer euch aus dem Wandermoor gerettet hat? Passt ihr lieber auf euch auf!"

Luan und Mavie warfen sich kurz amüsierte Blicke zu. Aber eigentlich hatte er ja recht. Sie schwebten in weit größerer Gefahr als er.

"Machen wir!", versprach Luan. "Machs gut, Kumpel. Ich bin stolz, mit einer Nymphe befreundet zu sein."

"Und ich bin stolz, zu den Freunden des letzten Raben zu gehören. Für den Raben!"

Luan grinste. "Für Krächz!", sagte er.

"Für die Nachtigall", sagten Twix und Trix unisono - mit festen Stimmen.

"Für die Freiheit und das Ende der Unterdrückung", fügte Bart hinzu und alle nickten.

Nur Mavie rührte sich nicht. Sie wünschte, sie wäre sich auch so sicher. Aber was, wenn sie sich nun doch alle geirrt hatten?

Wenn wenigstens die Wölfe mit ihnen mitkommen würden. Als sie sich umsah, stellte sie fest, dass sie schon wieder im Wald verschwunden waren. So leise, dass niemand sie gehört hatte. Nur der weiße Alphawolf – der ehemalige Alphawolf – wartete noch hinter den Baumstämmen. Seine Augen ruhten auf Tulip. Sie kleine Nymphe drehte sich zu ihm um und nickte ihm zu. "Ich muss jetzt gehen. Jagu wartet. Möge der Flügel des Adlers stets über euch sein."

"Über dir auch!", sagte Luan grinsend. "Machs gut, alter Knabe!"

Tulip winkte zum Abschied. „Auf Wiedersehen, Wolfsprinzessin!", rief er. „Auf Wiedersehen, Filzhaarjunge! Auf Wiedersehen, Hüttenzwerge! Auf Wiedersehen, alter Mann!"

Wenige Sekunden später war auch er aus dem Wald verschwunden.

Die Fünf zurückgebliebenen standen einen Augenblick schweigend da.

"Alter Mann, ha!" Bart lachte leise in sich hinein. „Zumindest sind keine Reiter hier."

„Warum sollte ich eigentlich meine Kapuze ins Gesicht ziehen?", fragte Mavie.

„Sie suchen nach einem Jungen. In den Dörfern haben sie immer nur nach einem Jungen gefragt. Ich glaube, sie haben keine Ahnung, wer du wirklich bist, oder wie dein Gesicht aussieht. Das könnte unser Vorteil sein."

Mavie dachte angestrengt nach. Vor ihr lagen zu viele einzelne Teile, die sie alle noch sortieren und zusammensetzen musste. Wie bei diesem Spiel mit den vielen Holzklötzen, dass sie mit Unz früher gespielt hatte. Man musste sie alle an den richtigen Platz legen, bis sie eine Form ergaben.

„Ich frag mich, warum sie so überzeugt sind, dass die Nachtigall ein Junge ist" Luan verzog grüblerisch das Gesicht.

Mavie dachte nach. Auf einmal fiel ihr etwas ein. Die Erkenntnis traf sie wie der Schlag eines Schwertes.

„An dem Abend, als Krächz auf mir gelandet ist, da sind ein paar Vögel aus dem Gebüsch gestoben!"

Plötzlich schien alles ineinander zu passen. Sie hatte das fehlende Teil gefunden.

„Spione, ohne Frage!", sagte Bart.

„Und weiter?", fragte Luan.

„Es war ziemlich dunkel damals und meine Haare waren kurz geschnitten. Vögel sind nicht besonders gut darin, Mädchen und Jungen zu unterscheiden. Sie müssen mich damals für einen Jungen gehalten haben. Deshalb haben sie der Königin berichtet, dass ich ein Junge bin! Und kurz später... oh nein." Mavie dachte an Laris. Oh nein, oh nein. Das alles war wegen ihr passiert.

„Was ist?" Luan verzog besorgt das Gesicht. „Was war kurz später?"

„Kurz später sind Reiter durch Windenbach gezogen. Sie haben alle Jungen in meiner Größe mitgenommen." Mavie setzte sich auf einen kleinen Felsen und vergrub die Hände im Gesicht. Bart setzte sich neben sie. Eine Weile lang war es völlig still im Wald.

„Warum hattest du deine Haare geschoren?", fragte Bart schließlich. "Ist das denn bei Mädchen in deinem Dorf üblich?"

Mavie schüttelte den Kopf. Sie gab keine Antwort. Ihre neue Entdeckung beschäftigte sie zu sehr.

"Ich schätze, wir sollten da lang." Luan sprach das Offensichtliche aus. Er deutete zwischen den letzten Bäumen des Waldes hindurch, wo das Gras sich noch immer im Wind wehte.

Die Zwerge traten als Erste zwischen den Bäumen hindurch. Luan folgte ihnen ungewohnt zögerlich. Dann stand auch Bart auf. Und zuletzt Mavie.

Ihr stockte der Atem, als sie das Grasmeer direkt vor ihr sah. Dort war wirklich nichts anderes außer Gras. Überall. So weit das Auge reichte. Und so hoch, dass es den Zwergen bis über die Zipfelmützen reichen musste. Keine Bäume und kein Geäst, das einem Schutz bot. Keine Schatten mehr, die sie verbergen konnten.

Dort draußen waren sie allen Gefahren völlig ausgeliefert.

Aber es half nichts. Das war nun ihr Weg.

Zum ersten Mal wurde Mavie klar, dass der Wald, so wild, düster und gefährlich er sein mochte, doch auch ein Teil ihrer Heimat geworden war.

Sie standen nun ganz am Rand des Schattens, den die letzten Bäume auf das Gras warfen. Im Schatten ihres alten Lebens.

Und sie blickten in ein neues Leben. In die unbekannte Zukunft, die nun direkt vor ihnen stand.

Was das ihr Schicksal? Würde sie von jetzt an immer auf der Flucht sein? Von der einen Gefahr zur nächsten schleichend, ohne eine Pause?

Was bedeutete es genau, die Nachtigall zu sein? Würde sie dieser Aufgabe gerecht werden?

Sie schirmte ihre Augen mit der Handfläche ab und versuchte, irgendein Zeichen von Häusern oder Dörfern dort in den Wiesen zu erkennen. Aber egal, wie genau sie hinsah, da war nur endloses Grün.

Lebte dort überhaupt jemand zwischen all dem Gras? Und wenn ja, was waren das für Menschen? Sprachen sie überhaupt dieselbe Sprache wie sie? Würden sie ihr zuhören? Oder noch verbissener davonjagen als die Dörfler?

Wie sollte sie die Menschen in ganz Endiar zum Kämpfen bringen, wenn man nicht einmal in ihrem Heimatdorf auf sie hörte, wo die Menschen sie kannten?

Selbst sie war nicht so ganz überzeugt von ihrer Botschaft. Wie sollte sie dann anderen von der Prophezeiung erzählen? Oder von einem Adler, den sie nicht kannte?

Und da war noch Frage. Sie lastete schon seit ihrem Aufbruch aus Windenbach auf ihrem Herzen.

„Eines beunruhigt mich", begann sie zögerlich. "Heißt es nicht, dass ganz Endiar kämpfen muss? Wenn die Menschen im Wald aber nun nicht kämpfen wollen, wie soll dann die Prophezeiung erfüllt werden?"

Vielleicht hatte sie schon längst versagt. Vielleicht war alle Hoffnung eh schon verloren, weil ein Teil des Landes nicht mitmachen wollte...

„Ich werde kämpfen!", sagte Bart entschlossen. Er legte Mavie seine weiche, faltige Hand auf die Schulter und zwinkerte ihr zu. „Und wenn dabei meine knirschenden Knochen zu Staub zerfallen werden."

„Ich auch!", sagte Luan und grinste. „Und wenn sich dabei meine Filzhaare verknoten!"

Auch die Zwerge nickten fest. „Wir werden kämpfen, wie es der Adler uns aufgetragen hat. Bis unsere Äxte brechen und unsere Bärte ausfallen."

Mavie konnte nicht anders, als zu lächeln. Immerhin vier Menschen aus dem Wald. Genauer gesagt, zwei Menschen und zwei Zwerge. Sie konnte nur hoffen, dass das für die Erfüllung der Prophezeiung ausreichte.

Egal, was sie verloren hatte. Diese Vier würden bei ihr bleiben. Auch, wenn ihre Familie nicht mehr ihre Familie war. Einen Bruder hatte sie noch. Und der war treuer, als irgendein anderer Mensch in Endiar.

Sie blickte zu Luan hinüber. Wie selbstverständlich griff er nach ihrer Hand. Gemeinsam sahen sie in den Horizont hinein, wo der Abend die ersten Wolken zum Erröten brachte.

„Wie weit man hier sieht, ohne die ganzen Äste im Weg!", murmelte Mavie. „Stell dir vor, da ziehen wir jetzt hin! Ich wünschte, ich wüsste, was uns erwartet!"

„Auf ins Abenteuer", flüsterte Luan lächelnd.

„Auf ins Abenteuer", wisperte Mavie.

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