Zwanzig
Ich riss die Tür zu Mailas Praxis auf und blieb keuchend im braunen Türrahmen stehen. Mein Herz hämmerte in meiner Brust, als ob es jeden Moment zerspringen könnte. Mein Atem ging stoßweise und unregelmäßig, als hätte ich gerade einen Marathon hinter mir. Meine Hände zitterten, während ich den Türrahmen umklammerte, um nicht das Gleichgewicht zu verlieren. Ein Schauer lief mir über den Rücken, und meine Schultern schmerzten vor Anspannung. Maila, die gerade über einen Stapel Akten gebeugt am Schreibtisch saß, sah überrascht auf. Ihre Miene zeigte eine Mischung aus Besorgnis und Verwunderung.
„Tara? Was ist los? Normalerweise klopft man an, bevor man hereinkommt", sagte sie, und ihre Stimme klang genervt, aber ich erkannte die Besorgnis in ihren Augen. „Ich habe Patienten, du kannst nicht einfach so..."
„Maila, ich glaube, ich werde langsam verrückt", unterbrach ich sie atemlos. Meine Stimme war zittrig, beinahe fremd. Sie legte die Akte zur Seite und stand langsam auf. Ihre Haltung wandelte sich von genervt zu aufmerksam. Langsam näherte sie sich mir, als wolle sie mich beruhigen, wie ein Mensch, der mit einem verängstigten Tier umgeht.
„So? Warum das?", fragte sie sanft, ihre Stirn in Falten gelegt. Ihre Augen suchten nach Anzeichen, die sie deuten konnte.
„Mein Anhänger...", begann ich und spürte, wie meine Kehle sich zusammenzog. Ich griff nach dem kleinen Amulett um meinen Hals, das sich warm anfühlte, fast als würde es lebendig pulsieren. „Er spielt verrückt. Es ist, als würde er mich irgendwo hinziehen wollen. Es ist so stark, Maila. Ich habe Angst. Angst, dass er mich in eine Falle lockt. Der Drang, ihm zu folgen, wird immer stärker. Ich weiß nicht, wie lange ich noch dagegen ankämpfen kann."
Maila trat noch näher an mich heran und legte sanft eine Hand auf meinen Arm. Ihre Berührung war warm und beruhigend. Ihr Blick war sanft und mütterlich, als sie mich ansah.
„Tara, vielleicht solltest du dem Drang nicht widerstehen", sagte sie sanft. „Du bist diejenige, die die Kraft des Sterns in sich trägt, diejenige, die alles zusammenhält. Vielleicht möchte dir der Stern etwas zeigen. Etwas, das nur du sehen kannst."
„Kannst du mitkommen?", fragte ich, meine Stimme kaum mehr als ein Flüstern. Die Vorstellung, allein diesem Drang zu folgen, ließ meine Angst noch größer werden.
Maila nickte nachdenklich und begann, den weißen Kittel auszuziehen, den sie trug. „Natürlich komme ich mit. Was gibt es Besseres in der Mittagspause als ein Abenteuer?" Sie lächelte, aber ich konnte die Sorge in ihren Augen sehen. Gemeinsam verließen wir die Praxis.
Draußen prasselte ein feiner Nieselregen auf uns herab. Der Himmel war grau und schwer, und ein dünner Schleier aus Rauch hing über der Stadt. Der Geruch von nasser Erde und feuchtem Stein lag in der Luft, der Rauch brannte leicht in meiner Nase, aber das schien mir nichts auszumachen. Wir hasteten durch die fast menschenleeren Straßen. Die wenigen Gestalten, die wir sahen, huschten hastig vorbei, die Köpfe gesenkt, als wollten sie sich unsichtbar machen. Der Rauch hatte in letzter Zeit stark zugenommen, und die Menschen zogen es vor, drinnen zu bleiben. Aus einigen Fenstern drang schwaches Licht, und ich fragte mich, ob uns jemand durch die Gardinen beobachtete.
„Kannst du nicht langsamer machen?", rief Maila mir keuchend hinterher. Ich drehte mich um und sah, wie sie mit Mühe versuchte, mit meinem Tempo mitzuhalten.
„Es tut mir leid", sagte ich außer Atem, „aber ich habe keine Kontrolle darüber. Der Anhänger... er zieht mich einfach weiter."
Der Anhänger, der um meinen Hals hing, pulsierte warm gegen meine Haut. Es fühlte sich an, als hätte er ein Eigenleben entwickelt, als würde er mir eine Richtung vorgeben, die ich nicht verstehen konnte. Alles um mich herum verschwamm, als würde sich die Welt nur auf dieses eine Ziel konzentrieren.
Der Anhänger führte uns in eine enge, dunkle Seitengasse. Der Regen tropfte von den Dächern, und der Geruch von feuchtem Müll hing in der Luft. Im Halbdunkel erkannte ich eine Gestalt, die gegen die Wand gelehnt saß. Sie war so still, dass ich sie beinahe übersehen hätte. Ein junges Mädchen, etwa in meinem Alter, mit dunkelbraunen, welligen Haaren, die ihr wirr ins Gesicht fielen. Ihr Blick war leer und schien durch mich hindurchzugehen, als wäre ich gar nicht da.
„Alles in Ordnung mit dir?", fragte ich vorsichtig. Meine Stimme klang laut und fremd in der Stille der Gasse. Das Mädchen zuckte leicht zusammen und hob den Kopf. Ihre Augen, groß und braun, sahen uns an, als hätte sie uns gerade erst bemerkt.
Maila trat näher, ihre Besorgnis war deutlich. „Es sieht nicht so aus, als würde es dir gut gehen", sagte sie sanft. „Ich bin Ärztin, ich kann das sehen."
Das Mädchen seufzte leise, ein erschöpftes, trauriges Geräusch. „So? Dann sind Sie die Erste", murmelte sie kaum hörbar. „Laut den anderen Ärzten bin ich gesund und hab' eine Macke."
Etwas in ihrer Stimme, in den Schatten unter ihren Augen und der Blässe ihrer Haut ließ mich stutzen. Da war etwas Vertrautes, etwas, das ich nicht sofort einordnen konnte. „Wie lange geht es dir denn schon so schlecht?", fragte Maila, die denselben Verdacht zu hegen schien wie ich.
„Wochen", antwortete sie mit einem Schulterzucken. „Mir ist ständig schwindelig, ich bin müde, und nachmittags bin ich völlig erledigt. Da kann ich gar nichts mehr machen."
Maila nickte verständnisvoll. „Meine Praxis ist gleich um die Ecke. Ist es okay für dich, wenn wir dich mit dorthin nehmen? Ich glaube nicht, dass du dir das alles nur einbildest. Man sieht deutlich, dass etwas nicht stimmt." Das Mädchen zögerte einen Moment, dann nickte sie langsam.
„Ich bin übrigens Tara, und das ist Maila", stellte ich uns vor, während wir ihr halfen, auf die Beine zu kommen. Ihre Beine wankten, und ich spürte, wie sie einen Moment das Gleichgewicht verlor, bevor sie sich an Maila und mir abstützen konnte.
„Ivy", murmelte sie knapp, als wir sie die Gasse entlangführten. Ihre Stimme klang brüchig, und ich spürte, wie sie bei jedem Schritt ein wenig fester zugriff.
Zurück in der Praxis setzten wir Ivy auf einen Stuhl in Mailas Büro. Der Raum war von einer leichten Unordnung geprägt: Papierstapel lagen auf dem Schreibtisch, ein offener Schrank ließ einige Akten herausragen.
„Hier ist ein ganz schönes Chaos", stellte Ivy fest, ihre Stimme klang erschöpft, aber sie versuchte zu lächeln. Ich tauschte einen überraschten Blick mit Maila. Es war, als hätte Ivy auf irgendeine Weise unsere Verbindung zur Höhle gespürt, als würde sie mehr sehen, als sie sollte. Wenn sie das Chaos in diesem Raum sehen konnte, dann war sie möglicherweise eine von uns.
„Entschuldigung", sagte Maila sanft, „es ist im Moment ein bisschen hektisch hier."
Maila nahm ein Stethoskop aus einer Schublade und beugte sich zu Ivy hinüber. „Ich möchte dich kurz untersuchen, nur um sicherzugehen, dass nichts Ernstes dahintersteckt. Ist das okay?"
Ivy nickte müde, und Maila begann behutsam mit ihrer Untersuchung. Sie legte das Stethoskop an Ivys Brust und hörte aufmerksam ihren Herzschlag ab. „Atme tief ein", wies sie Ivy an, die den Anweisungen folgte. Maila lauschte einen Moment, dann nickte sie, mehr zu sich selbst als zu uns.
„Dein Herzschlag ist ruhig, das ist ein gutes Zeichen", sagte sie. „Aber deine Augen wirken müde. Hast du gut geschlafen in letzter Zeit?" Ivy zuckte mit den Schultern.
„Nicht wirklich. Es ist, als ob mein Körper ständig gegen etwas ankämpfen muss. Ich bin einfach immer erschöpft", murmelte Ivy.
Maila leuchtete mit einer kleinen Taschenlampe in Ivys Augen und musterte die Pupillenreaktion. Dann fühlte sie den Puls an Ivys Handgelenk, konzentriert und mit einer Ruhe, die mir immer beruhigend erschien. „Dein Puls ist normal, aber dein Blutdruck scheint ein wenig niedrig zu sein", sagte sie nachdenklich.
„Es gibt keine sichtbaren Anzeichen für eine körperliche Krankheit", fügte Maila hinzu und wandte sich an mich. „Aber ihre Symptome könnten von etwas anderem kommen."
„Dann halten sie mich jetzt auch für verrückt? Mir geht es wirklich nicht gut. Ich bilde mir das nicht ein", sprach Ivy verzweifelt.
„Ihre Symptome könnten von etwas kommen, das nicht so leicht zu erkennen ist. Vielleicht hat es mit dem Stern zu tun, Tara."
„Was meinst du damit?", fragte Ivy und blickte zwischen uns hin und her. „Welcher Stern?"
„Es ist kompliziert", sagte ich vorsichtig. „Aber es könnte sein, dass du mit etwas in Verbindung stehst, das stärker ist, als wir es verstehen. Etwas, das dich belastet."
„Was könnte das sein?", fragte Ivy, ihre Stimme klang besorgt. „Ich verstehe nicht, warum es mir so schlecht geht."
Ich lief zum Regal und zog das alte, leicht vergilbte Plakat hervor, das den Stern der Legenden zeigte. „Vielleicht können wir das gemeinsam herausfinden", sagte ich und zeigte es ihr. „Wir müssen nur den richtigen Weg finden."
Maila nickte. „Wir müssen vorsichtig sein. Wenn der Stern dich ruft, dann gibt es vielleicht einen Grund dafür. Aber wir müssen sicherstellen, dass du dabei nicht Schaden nimmst."
Ivy sah das Plakat an, ihre Augen weit aufgerissen. „Das habe ich schon einmal gesehen", flüsterte sie, „in meinen Träumen. Aber er sieht ein bisschen anders aus. Bei mir leuchtet diese Zacke immer", sagte sie und deutete mit dem Finger auf die Zacke des Elements Erde.
Ein Schauer lief mir über den Rücken. Es war also wahr: Ivy war die eigentliche Hüterin des Elements Erde. Diejenige, die von Zoraida und Gilbert vertrieben wurde, um Tierra ins Spiel zu bringen. Aber warum? Die Verbindung zwischen uns und dem Stern schien stärker zu sein, als ich gedacht hatte. Und Ivy war ein Teil davon, ob sie es nun wollte oder nicht.
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