9 - Schicksalhafte Begegnung
Sich ein Grinsen nicht verkneifen können, lässt Violene ihren Blick über die ebene Fläche wandern. Der Großteil des Plateaus scheint aus einem gepflasterten Boden zu bestehen, auf welchen sich wiederum teils noch ganze und teils zerbrochene Säulen befinden.
Auch befinden sich zwischen jenen Säulen zwei massive Sockel, auf denen sich anscheinend vor langer Zeit mal Statuen befanden. Welche das gewesen sein könnten, lässt sich heute nicht mehr erkennen. Überhaupt scheint die gesamte Ebene vor langer Zeit nur gerade so ein heftiges Ereignis überstanden zu haben. Nur was... was kann das wichtigste Heiligtum einer Region so zurücklassen?
Unmerklich hebt sie den Kopf, als Evoli mit seiner kleinen Schnauze ihre Hand anstupst.
„Hey Kleiner, geht es dir schon etwas besser?", behutsam hebt sie ihre Hand leicht an, worauf Evoli noch einmal neugierig schnuppert. Dabei fällt ihr Blick auf dessen Vorderpfote, welche das hellbraune Pokémon konstant in der Luft hält.
„Der Stein hat deine Pfote verletzt, oder...? Darf ich mir das ansehen?", mit leiser Stimme redet sie weiter zu Evoli, um dem Kleinen keine Angst einzujagen. Und doch wird sie das dumpfe Gefühl nicht los, das dieses Evoli nicht mal eben so so weit oben auf dem Kraterberg landen konnte. Irgendetwas muss dahinterstecken, nur was?
Wieder stupst das kleine Pokémon sie an und reißt sie so aus ihren Gedanken. Was auch immer die Geschichte dahinter ist, sie wird dies wahrscheinlich noch früh genug erfahren. Hofft sie jedenfalls. Mit einem leichten Lächeln nickt Violene ihm zu und öffnet ihre Tasche, um dort nach brauchbaren Hilfsmitteln zu suchen. Auch wenn der Survivalkurs noch ansteht, wo sie hoffentlich noch einmal wesentliche Grundlagen lernen wird, so hat man die ein oder andere Sache doch schonmal dabei.
So kommt es, dass sie kurzerhand eine Sinelbeere und einen kleinen Verband in ihrer Tasche gefunden hat. Immerhin etwas! Und dann auch noch ziemlich nützlich.
Je nachdem, wie lange sie bis zum nächsten Poké-Center brauchen werden ist es mehr als gut, wenn es wenigstens schon einmal erstversorgt wurde. Insbesondere, wenn unklar ist, ob die Pfote nur verstaucht oder vielleicht sogar gebrochen ist.
„Iss, die Sinelbeere wird dich stärken. Und währenddessen werde ich deine Pfote verbinden, bis wir zu einer richtigen Ärztin können. Das könnte vielleicht kurz wehtun."
Neugierig schnuppert Evoli an der blauen Beere, die im nächsten Moment vor ihm liegt. Lecker sieht diese ja schon aus. Einmal noch schaut er wieder hoch, mustert die junge Trainerin, bevor er von der Beere abbeißt und beginnt diese zu essen. Dabei ist ihr dieser kurze Blick nicht entgangen, doch fehlt ihr die Ruhe, um sich darüber genauer Gedanken zu machen. Vorsichtig packt sie den Verband aus und beginnt diesen um die betroffene Pfote zu wickeln.
Nur am Rande registriert sie dabei, dass das Evoli während dieser Behandlung keinen einzigen Laut von sich gibt. Einzig allein die leisen Kaugeräusche durchbrechen die ansonsten hier herrschende Stille auf dem Plateau. Und doch hatte sie fest damit gerechnet, dass wenigstens ein kleiner Schmerzenslaut von ihm als Protest kommen würde. Aber Fehlanzeige.
Kaum ist sie fertig, schaut sie sich ihr Werk noch einmal kontrollierend an, um ja sicherzugehen, das der Verband nicht zu fest, aber auch nicht zu locker ist.
Dieses Evoli ist erstaunlich, schießt es Violene durch den Kopf, nachdem sie mit ihrem Werk halbwegs zufrieden ist und zusieht, wie das Pokémon grade die letzten Bisse von der Sinelbeere runterschluckt. „Du hattest echt Hunger, oder Kleiner? Wie lange du wohl schon hier oben warst...?"
Evoli aber antwortet ihr nicht. Vielmehr sieht es noch einmal fragend auf, den Kopf kurz schiefgelegt, bevor es Richtung Säulen losgeht. Verwirrt sieht sie ihm hinterher, darum bemüht schnell ihre Gürteltasche zu schließen und hinterherzukommen.
Erst da wird ihr bewusst, dass hier oben auf dem Heiligtum kein anderes Pokémon zu hören ist. Geschweige denn, bis auf Ausnahme des leichten Windes, gar nichts. Als hätte sich die Stille wie ein schützender Mantel über die Spitze des Kraterbergs gelegt. Sodass niemand auf die Idee kommen würde, hier zu stören.
Diese Tatsache aber hält das Evoli nicht davon ab, immer wieder zwischen den Säulen zu verschwinden. Was es für Violene herausfordernd macht, es einerseits nicht völlig aus dem Blick zu verlieren und andererseits ihm irgendwie folgen zu können.
Dafür, dass seine Pfote sehr wahrscheinlich verletzt ist, ist es erstaunlich flink...
So vergehen einige Minuten, bis sie das Evoli wiederfindet, welches sich in der Zwischenzeit hingesetzt hat und abwartend zu ihr aufsieht. Längst aber sind sie schon nicht mehr von Säulen umgeben. Und passend dazu, realisiert sie erst jetzt, sitzt das hellbraune Pokémon auf einem erhöhten Plateau auf dieser Ebene, was fast einem Altar gleicht.
Was ist das alles hier...? Warum ist Evoli bis hierher gerannt...? Und was bedeutet dieser abwartende Blick?
Plötzlich geht von dem Evoli ein gleißend helles Licht aus, was die junge Trainerin zurückzucken und reflexartig einen Arm heben lässt. Für einen Moment hat sie das Gefühl, das der Wind zunehmen würde und ein Rauschen zusätzlich die Luft erfüllt.
Bis wieder eine abrupte Stille herrscht.
Und das Licht verschwand.
Doch mit diesem Anblick hätte sie nie gerechnet.
Eine starke Präsenz erfüllt die Ebene und eine leise Stimme in ihr lässt sie sofort den Blick senken und auf die Knie gehen. Alles in ihr ist sich einig: Dieses Pokémon gehört zum Dimensionstrio.
Vor ihr auf dem Altar befindet sich schon längst nicht mehr das Evoli von vorhin, stattdessen steht dort ein vierbeiniges, zum Großteil weißes Pokémon. Etwas, was entfernt an goldene Ringe erinnert, umfasst den Bauch dieses Pokémon und rote Augen mustern sie intensiv.
„Mein Name lautet Arceus", donnert die Stimme dieses Pokémon über das weite Plateau. Und innerhalb dieses Moments fällt es ihr wie Schuppen von den Augen: Das ist der Anführer des Dimensionstrios, das Pokémon, dem man nachsagt der Schöpfer zu sein. „Was ist dein Anliegen, Trainer?"
„Ich suche Antworten", kommt es ihr dann über die Lippen, während sie sich wieder aufrichtet und ihren rechten Handschuh auszieht, „Dieses Zeichen, du kennst es, oder?"
„Das Zeichen der Aurahüter...", selbst wenn Arceus beginnt nachdenklich zu klingen, so donnert seine Stimme noch immer über das Plateau, „Ich habe mich schon gefragt, wann der Nächste von euch kommen würde. Nun... du bist also bereit, dein Erbe anzunehmen?"
Der Nächste... war schon jemand vor mir hier...? Noch einmal fällt ihr Blick auf das Zeichen auf ihrem Handrücken. Combres Worte dabei so präsent, als würde er jetzt direkt neben ihr stehen: „Um also für ein Gleichgewicht zwischen Mensch und Pokémon zu schaffen, setzte er sogenannte Aurahüter ein. Diese bekamen die Aufgabe mithilfe spezieller und verschiedener Fähigkeiten für Frieden zwischen Mensch und Pokémon zu sorgen."
Sie hatte doch selbst erlebt, zu was Menschen auch heutzutage noch fähig sein können und wie zerbrechlich der Friede sein kann. Wie überzeugt Flordelis von seiner Idee und seinen Machenschaften war, wie er alles daran setzte eine neue Welt zu erschaffen. Hauptsache, das Böse sei ausgelöscht. Und sah selbst nicht mal mehr, wer eigentlich der wahre Bösewicht war.
Wieder treffen sich ihre Blicke und etwas wie Entschlossenheit blitzt in ihren Augen auf: „Ich nehme mein Erbe an und will meinen Ahnen darin gerecht werden."
„Gut", ist wieder Arceus kraftvolle Stimme zu hören, „Du gehörst zu den wenigen Nachfahren der Aurahüter, die heute noch leben. Halte euer Erbe in Ehren und gebe dein Bestes, deiner Aufgabe gerecht zu werden. Denn ein alter Feind wird wiederkehren, dunkle Mächte werden sich wieder erheben wollen. Eure und seine Zeit ist noch nicht vorbei."
Ein alter Feind? Aber er kann doch nicht meinen, dass... Nein, das ist unmöglich! Oder sollte Pachira doch Recht haben, als sie meinte, er wäre noch am Leben? Ich habe es doch selbst gesehen, wie alles einstürzte und ihn unter sich begrub.
„Nun geh, junger Aurahüter. Deine Reise beginnt erst."
Mit diesen Worten beginnt erneut ein gleißend helles Licht von Arceus auszugehen, bis dieser verschwunden ist und einzig allein die Stille Violene auf der Speersäule umgibt.
* * * * * * * * * * *
„Deine Reise beginnt erst." – Noch immer hallen Arceus Worte in ihrem Kopf nach.
Wenn sie ehrlich ist, so ist das Ganze noch immer etwas sehr... unwirklich für sie. Nicht nur, dass sie mal eben so ihre Heimat verließ und nachts eine Ruine erkundete. Dazu kommt dann auch noch die Begegnung mit Arceus und seine Worte.
Aber es ist alles wahr. Sie war in der Ruine, sie war auf der Speersäule, sie begegnete Arceus und das Zeichen der Aurahüter ist noch immer auf ihrer rechten Hand zu finden. Sie ist ein Nachkomme der damaligen Aurahüter und hat ein Erbe, das sie nun antreten kann. Sollte. Muss.
Denn zugleich ist es doch auch eine Verpflichtung. Zu ihrer Position als Champ hinzukommend, erst recht, wenn Flordelis noch immer am Leben ist und jederzeit zurückkommen konnte.
Das sollte sie am besten nicht vergessen Pachira beizeiten von dieser Neuigkeit zu informieren. Insbesondere, wenn sie selbst noch in Sinnoh unterwegs ist, so weit weg von ihrer Heimat.
Seufzend lässt sie sich wieder zurück auf das Bett fallen. Nachdem Arceus sie allein auf der Speersäule zurückließ, hat auch sie den Rücktritt angetreten und das Heiligtum der Sinnoh-Region verlassen. So führte ihr Weg sie wiederum nach Jubelstadt, wo sie sich ein Zimmer im Poké-Center gemietet hat.
Ihr Blick fällt auf einen Zettel, welcher auf dem Tisch liegt. Der Zettel, welchen Cynthia ihr gab. Mit den Kontaktdaten einer Person, welche ihr weiterhelfen könnte laut dem Champ der Sinnoh-Region. Nur hatte sie nicht damit gerechnet, dabei die andere Seite der Sinnoh-Region zu besuchen und an dessen Ende zu reisen.
Das nächste Ziel lautet Fleetburg und von dort aus braucht sie nur noch eine Mitfahrgelegenheit zur sogenannten Eiseninsel. Dort soll sich die besagte Person am liebsten aufhalten.
Das könnte noch spannend werden.
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