8 - Waghalsige Aktion
Nebel hat sich über die Landschaft von Sinnoh gelegt.
Nicht einmal die frühe Morgensonne schafft es, diesen zu durchbrechen.
So leise wie nur möglich hat Violene am Morgen das Haus von Cynthia und das Dorf Elyses verlassen. Den Blick geradeaus gerichtet, während sie in der einen Hand noch immer fest den Zettel von ihr umschlossen hat. Aus Angst, diesen verlieren zu können. Aus Angst, dadurch dann jemanden auf ihre Fährte zu locken. Noch einmal fällt ihr Blick aus dem Augenwinkel auf den Namen darauf. Ein Name, eine Möglichkeit mehr über all das zu lernen.
Kopfschüttelnd verstaut sie diesen in ihrer Tasche. Denn auch wenn es eine Möglichkeit ist, so gibt es vorher noch eine andere Sache, die sie unbedingt erledigen will: Den Kraterberg erklimmen und die Speersäule erkunden.
Sie zweifelt nicht an Cynthias Worten, das man diese nicht mehr auf normalen Wegen erreichen kann. Aber irgendetwas scheint sie dorthin zu rufen. Nach ganz oben, auf die Spitze des sogenannten Kraterbergs. Und der beste Weg, um herauszufinden, worum es sich dabei handeln könnte, ist, dem zu folgen.
Zugleich muss Violene sich eingestehen, nicht damit gerechnet zu haben, wie groß und vor allem hoch der Kraterberg schlussendlich ist. Anerkennend legt sie den Kopf in den Nacken und versucht, weit oben im Himmel die Spitze auszumachen, hinter all dem Nebel und all den Wolken.
„Vielleicht kann Glurak mir da weiterhelfen...", murmelnd nimmt sie seinen Pokéball in die Hand und lässt ihn vor sich erscheinen, „Hey Kumpel, ich brauche deine Hilfe. Glaubst du, du schaffst es, mich zur Spitze des Kraterbergs zu fliegen?" Bei ihren Worten zeigt sie auf die besagte Spitze, die sich irgendwo da oben zu verstecken scheint.
Kurzerhand folgt Glurak ihrem Blick, scheint selbst einmal nachzudenken, bis er leise etwas grummelt. Wäre da nicht die Aufregung, die sich so beharrlich an ihre Knochen klammert, hätte sie meinen können, das Glurak so etwas wie „Bestimmt" sagte. Aber vielleicht ist es auch nur Einbildung gewesen, was sie auf den kurzen Schlaf schieben könnte.
Vielleicht.
Noch einmal versucht Violene selbst, die Spitze des Kraterbergs zu erkennen. Kann aber ihr mulmiges Gefühl zugleich nicht ganz verstecken. Vielleicht wäre es mit der Megaentwicklung doch sicherer. Insbesondere für ihren Partner, der dadurch mehr Kraft und mehr Ausdauer erhalten würde.
Schweigend sieht sie wieder zu Glurak und mustert den Megastein, welchen er um den Hals trägt.
Durchatmend hebt sie ihre rechte Hand, denn das ist das zweite Geheimnis, welches der Handschuh trägt: einen Schüsselstein. Entschlossen drückt sie zwei Finger ihrer linken Hand auf diesen, als ihre Blicke sich treffen. Sowohl die Steine als auch Glurak beginnen zu leuchten, bis er in seiner Mega-Form vor seiner Trainerin steht. Seine roten Flammen werden blau und auch sein Bauch und das Innere seiner Flügel nehmen eine hellblaue Farbe an, während seine restlichen Schuppen zu einem dunklen warmen Grau werden.
Die Mega-Entwicklung, eines der vielen Geheimnisse, welches nur von wenigen in Kalos erforscht wird. Doch weiß man eines ganz bestimmt: Neben den beiden Steinen braucht es zwischen Trainer und Pokémon auch ein enges Band der Verbundenheit. Ohne das lässt es sich nicht auslösen.
Lächelnd streicht Violene Glurak über die Stirn, welcher das auch in seiner Mega-Form gerne genießt. Zugleich weiß sie, dass sie keine Zeit verschwenden dürfen. Diese Form hält nicht ewig.
In dem Moment, wo Mega-Glurak sich sicher ist, dass seine Trainerin gut auf seinem Rücken sitzt, fliegt er los. Immer nah am Kraterberg bleibend beeilt er sich, mit kräftigen Flügelschlägen an Höhe zu gewinnen.
Und es dauert nicht lange, da haben sie den meisten Nebel schon hinter sich gelassen. Dafür werden sie hier oben wiederum direkt von vereinzelten Wolken, vor allem aber von der aufgehenden Morgensonne begrüßt. Der Anblick, der sich dabei über die Sinnoh-Region ergibt, ist atemberaubend. Zugleich ist das aber nur der Ostteil der Region, da noch immer der Kraterberg vor ihnen liegt und sie vom Westteil trennt.
Diese Aussicht staunend genießend kriegt Violene nur am Rande mit, wie ihr Partner mit jedem Meter mehr zu kämpfen hat. Obwohl er sich mit all seiner Kraft anstrengt weiterhochzufliegen, so wird er das Gefühl nicht los, das irgendetwas da oben ihn daran hindern will. Und das mit aller Macht.
Knurrend versucht er mit einigen weiteren kräftigen Flügelschlägen nochmal mehr an Höhe zu gewinnen. Bis er auf einem Felsvorsprung notgedrungen landen muss, bevor ihn seine restliche Kraft verlässt.
Besorgt beobachtet seine Trainerin das, von seinem Rücken gleitend und selbst Halt auf diesem Vorsprung suchend. „Danke dir, Glurak. Ich hätte dich nicht so herausfordern dürfen...", besorgt mustert sie das Drachenpokémon und versucht auf Nummer sicher zu gehen, dass es nur die Kraftanstrengung war, die ihn so erschöpfte. „Ruh dich aus, du hast dir deine Pause mehr als verdient...", mit leiser Stimme ruft sie ihn zurück und betrachtet nachdenklich seinen Pokéball.
Noch nie hatte sie erlebt, dass ein Flug Glurak so viel Kraft rauben kann.
Erst recht nicht in seiner Mega-Form. Umso mehr überrascht sie das. Und umso mehr kann sie den Eindruck nicht loswerden, das dies mit dem Heiligtum auf dem Kraterberg zusammenhängt. Ob das wirklich eine so gute Idee war hierher zu kommen? Sie kann es nicht sagen.
Langsam lässt sie ihren Blick schweifen. Die Wolken am Himmel scheinen jetzt schon zum Greifen nahe. Es fehlt nicht mehr viel und sie hat diese durchbrochen. Hoffentlich ist die Speersäule dann auch nicht mehr weit. Auf der anderen Seite wird sie dieses seltsame Gefühl nicht los, was hier oben anscheinend sogar noch stärker wurde. Was vorher nur erbsengroß schien, drückt nun wie ein großer Stein auf ihre Brust. Ein dumpfes, seltsames Gefühl.
Auch ihr Herz schlägt hier oben schneller, als es unten noch der Fall war. Versuchend sich selbst zu beruhigen, atmet sie ein paar Mal tief ein und aus, den Blick wieder auf den Kraterberg richtend. Es fehlt nicht mehr viel, bis sie hoffentlich endlich die Spitze erreicht.
Mit unmerklich zitternder Hand befestigt sie Gluraks Pokéball neben den anderen an ihrem Gürtel. Noch einmal überprüft sie, dass sowohl die Pokébälle ihres Teams als auch die Gürteltasche sicher sitzen. Nur um sich dann behutsam auf dem Vorsprung umzudrehen und nach passenden Stellen zum Klettern zu greifen.
Stück für Stück.
Das Wichtigste dabei: Nie nach unten sehen.
Und irgendwie weckt dieses Klettern Erinnerungen in ihr. Erinnerungen an ihre Anfangszeit als Trainerin. Als sie frisch nach Kalos umgezogen sind und der Professor Platan sie mit den anderen aus ihrer Nachbarschaft auf eine Trainerreise schickte. Wer hätte gedacht, dass sie einmal so viel erreichen würde? Wenn Violene ehrlich ist, sie selbst nicht. Doch bereut sie es nicht.
Es war die zweite Arena, von Lino, wo sie zum Klettern herausgefordert wurde, um schlussendlich ihn dann herausfordern zu können. Der größte Unterschied zu heute nur ist, seine Kletterhalle war niemals so hoch. Und künstlich angelegt.
Der Kraterberg wiederum... er ist etwas sehr Besonderes. Irgendwie verständlich, wenn man damals dort das wichtigste Heiligtum der Sinnoh-Region erbaute, vor allem, wenn es dem Dimensionstrio und Arceus, dem Gott selbst, gewidmet wurde. Der höchste Punkt in Sinnoh.
Ein Fiepen reißt sie aus ihren Gedanken und lässt sie innehalten.
Im ersten Moment will sie es als Hirngespinst abtun, der knappen Luft hier oben geschuldet. So wie sie schon zum zweiten Mal dachte, das Glurak leibhaftig mit ihr reden würde. Aber da ist es plötzlich erneut zu hören. Wieder ein Fiepen, diesmal lauter.
Diesmal hat sie sich nicht getäuscht, da ist sie sich sicher. Entschieden versucht sie einen festen Stand an ihrer jetzigen Stelle zu finden, um dann Ausschau nach der Ursache zu halten. Tatsächlich wird sie auch fündig. Nur was sie knapp eine Armlänge von sich entfernt, da entdeckt, damit hätte sie niemals gerechnet. Erst recht nicht auf dem Kraterberg, erst recht nicht hier oben:
Ein Evoli.
„Wie kommst du denn hierher, Kleines?", erstaunt mustert sie das kleine hellbraune Pokémon, dessen Pfote unter einem Stein eingeklemmt ist. Angesichts der aktuellen Situation ist diese Frage eigentlich zweitrangig, doch kommt sie nicht umher sich darüber zu wundern.
Erneut fiepend sieht das Normalpokémon zu ihr auf und für einen Moment meint Violene, in den Augen des Evolis so etwas wie Angst zu erkennen. Was mehr als verständlich wäre im Angesicht der aktuellen Lage.
„Hey, es wird alles gut. Du bist nicht alleine. Vertraue mir, ich helfe dir da raus und bringe dich sicher nach Hause. Ja?", mit ruhiger Stimme versucht sie sich dem Evoli zu nähern, ohne das aus Versehen weiteres Geröll vom Kraterberg abbricht. „Vertraue mir, gleich bist du befreit und bist sicher. Dann wird dir nichts mehr passieren, das verspreche ich dir!"
Vorsichtig lächelt sie in dessen Richtung, versucht, noch einmal einen festen Stand zu finden, und streckt mehr ihre Hand in die Richtung des Evolis aus. Wenige Zentimeter vor dessen Nase hält sie inne und gibt dem kleinen Pokémon die Möglichkeit erst einmal zu schnuppern. Erst als sie sich sicher ist, dass es vor ihr keine Angst haben wird, packt sie den Stein und legt diesen weg, nur um dann mit einem beherzten Griff Evoli zu packen und nah zu sich zu heben.
„Es wird alles gut...", wiederholt Violene leise, um sowohl dem Evoli als auch sich selbst Mut zuzusprechen. Still zählt sie von drei runter, bis sie sich sicher ist, dass sie gefahrlos weiterklettern kann. Das Evoli dabei nah bei sich tragend fixiert sie ihren Blick wieder auf die Unebenheiten des Kraterbergs, Hand für Hand, Griff für Griff.
Im nächsten Moment könnte sie laut aufjubeln, als sie eine flache Ebene unter ihrer Hand spürt. Sie haben es geschafft! Die Spitze des Kraterbergs!
„So, ich hebe dich jetzt einmal nach oben. Warte da auf mich, ja?", schmunzelnd sieht sie zu dem Evoli, welches den Kopf schiefzulegen scheint. Mit der einen Hand sich weiterhin so gut festhaltend, wie sie nur kann, hebt sie mit der freien wiederum Evoli hoch und auf die flache Ebene. Nur um sich wenige Sekunden später selbst dort hochzuziehen und erleichtert aufatmen zu können.
Das ist es.
Der höchste Punkt des Kraterbergs.
Das Heiligtum der Sinnoh-Region, die Speersäule.
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