2 - Ein neues Abenteuer
Das Problem im Kraftwerk hat sich an dem Tag dann doch noch als ein wirklich ordentliches Problem erwiesen. Irgendjemand hatte im Inneren des Kraftwerks einiges manipuliert und ein paar wilde, sonderbar aggressive Pokémon taten ihr Übriges dazu. Das Einzige, was wirklich suspekt war, dass es hauptsächlich Elektro-Pokémon waren, die dort verrückt gespielt haben. Obwohl auf der Route, wo das Kraftwerk liegt, eigentlich nur Boden-Pokémon heimisch sind.
Nachdenklich liegt Violene auf dem Bett des gemieteten Zimmers im Pokémon-Center. Die Hälfte ihres Teams befindet sich immer noch in der Behandlung unten bei Schwester Joy. Auch wenn ihre Pokémon stark sind, sicher ist sicher.
Schon seit einer halben Stunde starrt sie bewegungslos die Decke an und lässt vor ihrem inneren Auge das Geschehen immer und immer wieder Revue passieren. Die Pokémon haben sich einfach zu seltsam verhalten und die Art der Manipulation erinnert sie dunkel an einen älteren Vorfall, den sie mitbekam. Doch am meisten macht dieser eine seltsame Stofffetzen sie skeptisch. Den hatte sie erst am Ende des Kampfes durch Zufall entdeckt.
Grübelnd holt sie besagten Fetzen aus ihrer Hosentasche und hält ihn prüfend gegen das Licht der Deckenlampe. Das Stück hat eine komische weiß-graue Färbung und der Stoff fühlt sich merkwürdig elastisch, dehnbar und doch irgendwo auch weich an. Immer wieder fährt sie mit ihren Fingern darüber, aber nichts, wirklich gar nichts, will ihr dazu einfallen.
Genervt darüber stöhnt sie auf, steckt den Stofffetzen wieder ein und schaut noch einmal auf die Zeitanzeige ihres Holo-Logs. Schockiert starrt sie die Zahlen an und fragt sich, wieso sie um 01:49 Uhr noch immer wach ist. Murrend dreht sie sich im Bett um und hofft, endlich bald einschlafen zu können. Unaufhörlich kreisen ihre Gedanken trotzdem weiter um den Tag. Die ganze Sache will ihr einfach keine Ruhe gönnen. Trotz vieler Fragen und Sachen, die sie deswegen beschäftigen, dämmert sie mit der Zeit dann langsam in einen leichten Schlaf weg. Aber auch im Schlaf wird ihr keine Ruhe gegönnt.
Verwirrt und leicht ängstlich findet sie sich an einem merkwürdigen Ort wieder. Unter ihr befindet sich ein steinerner Boden, der mit merkwürdigen Mustern verziert ist. Um sie herum wiederum nichts als Dunkelheit. Ihr schneller Atem und Herzschlag hier sind die einzigen Geräusche, die sie hören kann.
Vorsichtig dreht sie sich immer wieder im Kreis, um herauszufinden, wo sie ist. Aber die Dunkelheit will konsequent nicht von ihr weichen. Probeweise geht sie daraufhin einen Schritt, und ein tiefes hallendes Geräusch ist dabei von überall zu hören. Bevor die Angst sie aber weiter lähmen kann, fasst sie neuen Mut und geht weiter. Mit entschlossenem Blick fixiert sie einen unbekannten Punkt vor sich, mit dem Versuch, ihre Angst einzudämmen, indem sie sich nicht zu sehr auf die gesamte Dunkelheit um sich konzentriert. Doch ein plötzliches lautes Brüllen, das die schon unheimliche Stille erst recht unangenehm zerreißt, lässt sie stehen bleiben. Worauf ihr Herz, wenn überhaupt möglich, noch schneller zu rasen beginnt.
Mit zitternden Händen tastet sie kurzerhand ihren Gürtel nach ihren Pokémon ab, aber kein einziger Pokéball befindet sich noch an diesem. Nun wird Violene wirklich panisch und kann die Angst nur noch schwer zurückhalten. Das Blut scheint auf einmal unheimlich laut in ihren Ohren zu rauschen, sie hat das Gefühl, überall irgendwas zu hören und plötzlich Schatten in dem dunklen Nichts zu erkennen. Doch diese Angst in ihr wird plötzlich von einem seltsamen Neuen und guttuenden Gefühl in ihr vertrieben. Ein angenehmes Prickeln mit dazugehöriger Wärme durchfließt von ein auf den anderen Moment ihren Körper und lässt ihren Puls wieder normal werden. Überrascht von sich selbst schaut sie sich noch einmal um.
Von ihrem Punkt aus beginnt im Boden ein angenehmes Licht auszugehen. Und dieses Licht fließt genau durch die Rillen der verschiedenen Muster, die sich im Steinboden befinden. An sich fließt das Licht dabei nicht sehr weit, aber doch weit genug für Violene, um sich wenigstens ein bisschen orientieren zu können.
Genau an der Grenze von Schatten und Licht beginnen sich Gestalten zu formen.
Langsam nehmen die schwarzen materiellen Schatten Formen an, aber noch bevor sie auf die Gestalten zugehen oder diese ansatzweise erkennen kann, wird ihr plötzlich schwarz vor Augen.
Schweißgebadet und hochgeschreckt wacht der junge Champ im Bett auf.
Sich vorsichtig aufrecht hingesetzt habend starren ihre Augen eine Zeit lang die gegenüberliegende Wand an, bis sie langsam realisiert, wo sie sich befindet. „Es war nur ein Traum... Ein wirklich verrückter Traum ...", murmelt sie leise vor sich hin und hält sich dabei erschöpft den Kopf, die Augen halb geschlossen.
Nachdem sie einigermaßen wieder klar denken konnte, holt sie ihren Holo-Log hervor, um die Uhrzeit zu erfahren. Die leuchtende Zeitanzeige zeigt ihr ungerührt 06:12 Uhr an. Stöhnend lässt sie sich rücklings wieder ins Bett fallen und schließt resigniert die Augen. Aber egal, was sie jetzt versuchen würde, einschlafen ist nicht mehr drin. Die Erkenntnis muss sie auch nach einer weiteren Viertelstunde mit sinnlosem Wachliegen erkennen.
Nicht gerade glücklich über diesen Umstand schlägt sie also die Bettdecke zurück und richtet sich auf, um sich etwas zu strecken. Da sie in ihren Alltagsklamotten geschlafen hat, muss sie nicht sonderlich Zeit aufbringen, um sich anzuziehen. Stattdessen befestigt sie die Bälle ihrer Pokémon, außer derer, die in Behandlung sind, an ihrem Gürtel. Holo-Log und Pokédex landen mit so einigen anderen Sachen wieder in ihrer Gürteltasche, die sie von ihrer Mutter bekam und somit gegen die ihr lästige Umhänge-Tasche austauschen konnte. Sie schaut noch ein letztes Mal zurück in das kleine Zimmer, bevor sie die Tür schließt und mit dem kleinen Zimmerschlüssel so leise wie möglich abschließt. In der Hoffnung, niemand anderes dabei zu wecken. Mit leisen Schritten geht sie den Flur entlang zu den Treppen, um nach unten in die Halle zu kommen.
Schwester Joy befindet sich schon hinter dem typischen Tresen und ist tief in ihrer Arbeit versunken. Lächelnd legt Violene den Schlüssel auf dem Tresen ab und schreckt Schwester Joy mit dem dazugehörigen Geräusch aus ihrer Arbeit auf. Verwirrt schaut die hoch und lächelt wiederum, als sie Violene entdeckt und wiedererkennt. „Ihren Pokémon geht es wieder besser. Sie sind topfit", erzählt Schwester Joy ihr, bevor die junge Trainerin überhaupt den Mund aufmachen konnte, um danach zu fragen, und stellt ein Tablett mit den dazugehörigen Pokébällen auf den Tresen.
Nickend entnimmt Violene die Bälle ihrer Partner aus dem Tablett und befestigt die nun auch an ihrem Gürtel. Da es gerade noch früh morgens ist, ist die Cafeteria mit dem Buffet leider noch geschlossen. Innerlich seufzend darüber macht sie sich nun also auf den Weg nach Hause, nach Escissia. Zu Fuß ist das schon eine ordentliche Strecke, die man gerne mal leichtfertig unterschätzen kann, vor allem wenn man aus dem Nordring losläuft. Obwohl Illumina City die größte Stadt von Kalos ist, ist es zu dieser doch noch recht frühen Stunde ruhiger als zur Hauptzeit, wenn der normale Alltag seinen Höhepunkt erreicht. Dabei ist ihr Heimweg nicht so ruhig, wie sie es von früher kennt. Denn immer wieder grüßen Leute sie oder flüstern miteinander, wenn sie sie entdecken. Doch davon lässt sie sich im Großen und Ganzen nicht aufhalten. Auch wenn es gerade am Anfang sehr ungewohnt war.
Während des Heimwegs schweifen ihre Gedanken immer wieder zurück zum gestrigen Morgen, als sie noch auf dem Dachboden war. Das Foto, das sie dort fand, will ihr einfach keine Ruhe lassen. Genauso wenig wie die Tatsache, dass ihre Mutter nicht nur auch dieses Zeichen hat, sondern ihr auch nie etwas davon erzählte! Wobei sie sich eingestehen muss, das sie ihres ja genauso vor ihrer Mutter geheimgehalten hat.
Gedankenverloren durchquert sie somit Illumina City, Route 4 und Nouvaria City. Überrascht bemerkt sie erst im Nouvaria Wald, wo sie sich befindet und wie weit sie schon gekommen ist. Die Sonne steht noch nicht mal an seinem höchsten Punkt am Himmel, schafft es aber, teils durch die dichten Baumkronen zu scheinen. Datiris zwitschern um sie herum leise um die Wette und zwischen den ganzen Bäumen entdeckt sie auch immer mal wieder einige Purmel. Endlich nach einer gefühlt endlos langen Wanderung, welche schlussendlich gar nicht so endlos ist, wie es sich anfühlte, kann sie nur wenige Meter vor sich das Tor zu ihrer Heimatstadt entdecken.
Ein kleines Lächeln huscht über ihr Gesicht und weicht schon im nächsten Moment einem ernsten Gesichtsausdruck, geprägt von Entschlossenheit. Endlich kann sie ihre Mutter wegen dem Zeichen fragen und hoffentlich all die offenen Fragen dazu in ihr klären. Mit entschlossenen Schritten nähert sie sich dem Tor und steuert augenblicklich ihr altbekanntes Haus an. Noch vor ihrer Haustür wird sie freudig von Rihorn begrüßt, welcher begeistert bemerkt, dass sie endlich wieder zurück ist. Lächelnd kniet sie sich zu ihm runter und muss unweigerlich lachen, als er ihr übers Gesicht schleckt: „Ri Rihorn!"
„Ich freue mich auch, dich zu sehen", entgegnet Violene leise lachend und krault ihn unterm Kinn an seiner Lieblingsstelle. Er quittiert das wiederum mit einem zufriedenen Lächeln und geht dann zurück auf seinen Platz im Vorgarten. Vor der Tür bleibt sie noch einmal stehen, eine Hand auf der Klinke und atmet ein letztes Mal tief durch.
Mit einem wohlbekannten leisen Knarzen öffnet sie die Tür und betretet das Haus. „Violene? Bist du das?", hört sie ihre Mutter kurz darauf durch den Flur rufen.
„Ja", antwortet sie, schließt die Tür und nähert sich aufgeregt dem Wohnzimmer, in dem sie ihre Mutter vermutet.
„Was war es denn diesmal?", fragt ihre Mutter sie weiter und legt ihr Buch neben sich auf das Sofa. Durchatmend und froh nach dem langen Marsch endlich sitzen zu können, lässt Violene sich auf das Sofa gegenüber ihrer Mutter fallen: „Das Kalos-Kraftwerk. Ein paar wilde Pokémon haben verrückt gespielt. Wahrscheinlich wegen dem Strom."
„Aber so, wie ich dich kenne, habt ihr das Problem in den Griff gekriegt oder?", fragt ihre Mutter sie weiter schmunzelnd.
„Ja, zum Glück. Ohne mein Team wäre das nicht so gut ausgegangen", erklärt Violene ihrer Mutter geduldig, obwohl sie ihre eigenen Fragen nur noch schwer zurückhalten kann.
Noch im gleichen Moment nutzt sie die sich ihr anbietende Chance, holt das Foto hervor und legt es sichtbar auf den Tisch vor ihre Mutter, bevor diese wieder was sagen kann. Als die das Foto entdeckt, wechselt ihr Gesichtsausdruck kurzerhand von geschockt zu verwirrt und dann fragend. „Was ist mit dem Foto?", fragt sie ihre Tochter dann nach einigem Schweigen. „Das Zeichen, Mum, auf deiner rechten Hand. Was hat es damit auf sich?", spricht sie endlich die Frage aus, die ihr so lange auf der Zunge brannte.
Um ihrer Frage Nachdruck zu verleihen, zieht Violene ihren rechten Handschuh aus und gibt den Blick auf ihr Eigenes frei.
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