19 - Lebenszeichen
Verwundert hatten die restlichen Top Vier Mitglieder am Dienstagmorgen mitbekommen, das Violene in der Liga übernachtet hatte. Diese wiederum versuchte, die Gespräche eher kurz zu halten, da die Nacht alles andere als erholsam war.
Immerhin lag sie noch bis fast drei Uhr nachts wach, nur um dann gegen acht Uhr wieder aufstehen zu dürfen. Sich daher kurzerhand einen Tee gemacht haben, hatte sie sich so schnell wie möglich wieder zurück in den Besprechungsraum verzogen. Noch immer das Hologramm anstarrend, welches ihr stumm die Daten anzeigt, die seit ihrer Pressemitteilung gemeldet wurden.
Seufzend ruft Violene mit einem zweiten Hologramm eine Karte der Region auf, mit ungutem Gefühl die vielen roten Punkte musternd. Schon bei ihrer letzten Sitzung waren es nicht gerade wenige, aber seitdem sie die Pressemitteilung der Liga veröffentlichen ließen, scheint die Anzahl der Punkte nochmal um ein Doppeltes gewachsen zu sein.
„Wer macht so was nur...? Und vor allem warum??", frustriert nimmt sie einen großen Schluck ihres Tees, mustert dabei für einen Moment den dunklen Inhalt ihres Bechers. „Diebstähle gab es ja schon immer wieder mal, aber... da muss etwas Größeres dahinterstecken. Irgendeine größere Organisation. Aber Team Flare ist zerschlagen, offiziell..."
Mit dem rechten Bein leicht wippend, bleibt ihr Blick auf die Karte gerichtet. Alle bisherigen gemeldeten Diebstähle betrafen vor allem jüngere Trainer. Meist waren schwächere Pokémon anscheinend das Ziel, nur vereinzelt gab es auch Meldungen von Trainern, wo stärkere Pokémon gestohlen wurden. Aber egal wie sie versucht, das zu drehen und zu wenden, es will sich noch immer kein aussagekräftigeres Muster darin erkennen lassen.
Frustriert von dieser Tatsache steht sie auf und greift nach ihrem Holo-Log.
Die bisherigen Meldungen sind noch zu wenig, um wirklich etwas damit machen zu können. Geschweige denn, anhand dessen Ansätze zu finden wie es weitergehen könnte. Von diesem Gedanken begleitet, verlässt sie den Besprechungsraum und betritt den Lichtsaal. Die Sonne steht schon hoch genug, um durch die Buntglasfenster zu scheinen, was den Saal in mehrere Farben taucht. Erinnerungen kommen wieder hoch, wie sie damals zum ersten Mal diesen Saal betrat. Wie die Aufregung sie fest im Griff hatte und wie Diantha ihr herausfordernd entgegenblickte. Wie sie selbst einen Pokéball zog und dem damaligen Champ entgegenstreckte.
Und nun steht sie hier, an Dianthas Stelle.
In diesen Erinnerungen schwelgend streicht ihr Daumen über den Rand des Holo-Logs, welchen sie noch immer fest umschlossen in der Hand hält. So viel hatten sie damals erlebt und schlussendlich hat ihre Reise sie damals hierher geführt. Nur um jetzt vor der Frage zu stehen, was Flordelis da draußen vorhat.
Flordelis!, bei dem Gedanken an Ihn schreckt sie auf. Auch wenn die Chance sehr gering ist, könnte es ja sein, dass er ihren Post letzte Nacht entdeckt hat. Und nicht nur das, vielleicht... nur vielleicht hatte er ihr ja sogar eine Antwort hinterlassen. Einen Hinweis.
Das ich da nicht gleich drauf gekommen bin! Tja, vielleicht war meine Nacht ja doch zu kurz... Immerhin hatte ich für die letzten zwei Stunden konsequent das Hologramm im Besprechungsraum angestarrt und bin da auch keinen Deut schlauer draus geworden.
Über sich selbst innerlich den Kopf schüttelnd, schaltet sie den Holo-Log kurzerhand ein und betrachtet den Ladebildschirm unwohl. Auf der einen Seite wäre eine Nachricht von ihm tatsächlich gar nicht so unpraktisch, auf der anderen Seite würde es nur ein weiteres Mal bestätigen, das Flordelis wahrhaftig lebt. Aber bis sie ihm nicht selbst leibhaftig gegenüberstand, würde es ihr wohl niemand glauben. Mit Ausnahme von Pachira.
Es kommt ihr vor wie Stunden, seitdem der kleine Ladebildschirm aufploppte und das Hochfahren des Geräts signalisierte. Zäh wie Kaugummi scheint der Ladekreis sich zu bewegen, bis endlich ein erlösender kleiner Piepton ertönt und der Home-Bildschirm ihr angezeigt wird.
Ohne noch länger zögern zu wollen, öffnet sie die betreffende Netzwerk-App, als ihr auch schon „1 neue Antwort" entgegenblickt. Es könnte Flordelis gewesen sein, aber auch jeder andere Bewohner in Kalos. Immerhin ist diese App für jeden Bewohner mit einem Holo-Log zugänglich.
Es ist der nächste Satz, der ihr das Blut fast in den Adern gefrieren lässt, kaum hatte sie auf „Anzeigen" geklickt:
„Der Frieden ist vergänglich, kein Paradies kann auf ewig bestehen."
Natürlich könnte sich irgendjemand anderes hier einen Spaß mit ihr erlauben, aber die Formulierung lässt für sie keine weiteren Zweifel über. Er lebt. Flordelis lebt.
Keinen wirklichen Ton über die Lippen kriegend, starrt sie den Bildschirm ihres Holo-Logs an. Während diese Erkenntnis sie wie ein Schlag in die Magengrube trifft. Ihre Gedanken sich überschlagen und sie zugleich keinen einzigen zustande bringt.
Sie hätten damals die Ruine genauer untersuchen müssen.
Sie hätten damals eine Fahndung nach ihm machen müssen.
Sie hätten damals ihn mit aus seinem Versteck retten müssen.
Sie hätten.
Sie hätten-
Sie hätten...
Sie weiß es.
Und er weiß, dass sie es weiß.
Und er weiß ebenso, dass niemand ihr glauben würde.
Das er, der berüchtigtste Mann Kalos, aufgrund der Geschehnisse, noch am Leben ist.
Schlussendlich ist es Lucario, der sie aus dieser inneren Starre befreit.
Behutsam legt er seine Pfote auf den Holo-Log, sorgt so dafür, dass ihre Trainerin kurzerhand blinzelt. Bevor sie vorsichtig den Kopf hebt und in sein besorgtes Gesicht blickt. Dabei ist es nicht nur Lucario, der sie so mustert, sondern auch die anderen Pokémon aus ihrem Team.
So legt Brigaron behutsam seine Pranke auf ihre linke Schulter, während Fiaro auf ihrer rechten sitzt und leise krächzt. Auch Glurak, Lapras und Xerneas stehen dabei vor ihr und mustern sie ebenso besorgt.
Erst jetzt realisiert Violene, dass ihr gesamtes Team aus seinen Bällen gekommen ist. Weil sie gemerkt haben, dass mit ihrer Trainerin etwas nicht stimmt. Um für sie da zu sein und ihr Mut zu machen.
„Mit was haben wir es zu tun?", brummt Gluraks tiefe Stimme, als er direkt die entscheidende Frage stellt.
„Flordelis, er ... er lebt und ... ich glaub, ich weiß, wo ich ihn finde", versucht Violene ihre Stimme wiederzufinden, „Friede ist vergänglich, kein Paradies kann auf ewig bestehen. Ich glaube nicht, dass er damit nur auf seine Pläne anspielt. Dahinter muss mehr stecken, immerhin war es seine Antwort auf meinen Post. Und soweit ich weiß, gibt es nur ein Paradies in der Kalos-Region, wo wirklich noch Friede herrscht."
„Das Pokémon-Dorf, wo wir damals den Arenaleiter Galantho gesucht haben", antwortet Brigaron darauf, einen erschrockenen Unterton in seiner Stimme nicht ganz verhindern können.
„Genau, das heißt also, ich muss dorthin und ihn stellen. Für Kalos und für die Pokémon dort. Wenn er wirklich von dem Dorf weiß, sind eine Menge schutzlose Pokémon in Gefahr. Das Dorf ist nicht umsonst ein geheimer Ort, eigentlich...", erklärt Violene ihrem Team kurzerhand den Entschluss, den sie gefasst hat.
Entschlossen nicken ihre Pokémon daraufhin, bereit, sie auch in dieser möglichen Konfrontation zu begleiten und zu unterstützen. Dankbar lächelnd nickt sie ihrem Team zu, bevor sie ihre Pokémon zurückruft und die Bälle wieder am Gürtel befestigt. Auch den Holo-Log hatte sie kurzerhand in ihrer Gürteltasche verstaut.
Ohne noch länger warten zu wollen, verlässt sie den Lichtsaal Richtung Halle, aufpassend, keinem weiteren Top-Vier Mitglied dabei über den Weg zu laufen. Immerhin hatte sie das Dorf damals auch eher durch Zufall entdeckt und dem Arenaleiter Galantho darüber hinaus versprochen dieses Geheimnis für sich zu behalten und zu bewahren.
Erst als sie draußen ist und das Gebäude der Liga vollständig verlassen hatte, holt sie Glurak in einer unbeobachteten Ecke wieder aus seinem Ball. Noch immer so entschlossen wie zuvor nickt das Feuerpokémon ihr zu, kaum ist sie auf seinen Rücken geklettert.
Es braucht keine Worte, um das Ziel festzulegen, geschweige denn in welche Richtung sie fliegen müssen. Der Plan ist schlussendlich gar nicht so kompliziert. Zuerst Fractalia City ansteuern und von dort aus dann zum Geheimen Dorf aufbrechen. Immerhin ist das Dorf nicht vom Himmel auszumachen und die meisten geben schnell auf, wenn es heißt, man muss sich durch den davorliegenden Irrwald schlagen. Denn dieser Wald macht seinem Namen mithilfe eines sehr verwirrenden Labyrinths alle Ehre.
Immerhin dauerte der Flug hierhin nicht zu lange, sodass Violene am Rand von Fractalia City Glurak wieder zurückrufen konnte. Dankbar für ihr Team, während sie sich mit weiteren Schritten von der Stadt zum angrenzenden Irrwald entfernt. Eine Hand an den Pokébällen ihres Teams, der Stille im Wald nicht vollständig trauen wollen.
Denn kaum hatte sie die paar ersten Schritte in den Irrwald gemacht, hat die Dunkelheit des Waldes sie auch schon verschluckt. Der Irrwald ist so dicht zusammengewachsen zum Großteil, dass es nur wenige Stellen gibt, wo Sonnenlicht es schafft, durch die Baumkronen zu kommen. Unwohl hebt Violene den Blick und starrt direkt in die sie willkommen heißende Dunkelheit des Irrwaldes.
Es ist nicht so, dass sie den Weg zum Geheimen Dorf nicht kennen würde. Immerhin war sie schon mehrfach hier. Aber diesmal scheint allein schon der Irrwald sich noch dunkler und düster anzufühlen als normalerweise.
Schlucken müssen spürt sie, wie diese Düsterheit beginnt ihren Körper hochzukriechen. Bis es ihren Nacken erreicht und sich fest an sie klammert, ihr Herz schneller schlagen lässt. Und das alles, obwohl der Wald im ersten Moment so normal aussieht wie immer. Keinerlei Spuren, die auf gewaltsames Eindringen hinweisen, geschweige denn auf ein respektloses Verhalten im Irrwald.
Versuchend sich zu schütteln und so wenigstens ein bisschen das eklige Gefühl loszuwerden, schafft sie es unter Anstrengung nach einem Pokéball zu greifen. Nur Millisekunden später erscheint neben ihr das typische rote Licht, bis Brigaron sich neben ihr materialisiert und zunickt.
Bereit zu kämpfen und sie zu verteidigen, wenn es notwendig wird.
Sich dadurch immerhin etwas besser fühlend, nickt sie dem Pflanzen-Pokémon ebenso zu, als sie gemeinsam immer mehr die Dunkelheit des Irrwalds betreten.
Nicht ahnend, was sie erwartet.
Im Stillen.
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