
Kapitel 38 - Das Turney der Maid
Nottinghamshire - Castle De Burgh
Einige Tage später
Die Sonne verschwand hinter dem Horizont, tränkte den Himmel in den von Sternen bestickten Schleier der Nacht und kehrte begleitet von Vogelgezwitscher für einen frischen Tag und den nächsten Sonnenlauf zurück.
Die Menschen gingen ihrem Tagewerk nach, bestellten die Felder, schlugen Holz und trieben das Vieh über das Grün der Wiesen. Es dauerte nicht lange, da verbreitete sich die Kunde von der überfallenen Steuerkutsche und den Dieben, die sich mit den Männern des Prinzen angelegt hatten. Die Gerüchte wurden schnell und mit harter Hand niedergedrückt, doch wirklich erfolgreich war dieses Unterfangen nicht. Gemunkel und Geflüster wanderte von Ohr zu Ohr, das sich wie ein Blatt mit dem Wind verbreitete.
Dreimal begrüßte das Morgenlicht den Sherwood Forest und die umliegenden Ländereien mit den Strahlen von goldenem Licht. Am Morgen des vierten Tages läuteten die Glocken wie zur Begrüßung und ließen erahnen, dass dieser Tag nicht wie die anderen zuvor werden sollte.
In den grauen und schmutzigen Straßen Nottinghams drückte sich heute weit mehr Gesinde als sonst herum. Händler hatten ihre Waren bereits in der Dämmerung auf der Auslage ausgebreitet und die Stimmung schien auf einen milden Wind erwartungsvollen Aufschwungs emporzusteigen. Auf dem Marktplatz brachte der Wirt bereits am Vormittag ein paar Bänke und Tische hinaus auf die Straße und kleine Girlanden mit bunten Wimpeln flatterten in einer lauen Brise.
An Tagen wie diesen vermochte selbst das gequälte Volk ein klein wenig seine Sorgen vergessen. Mancher glückliche Bauer hatte auf dem Markt vor der Festung einen guten Lohn für seine Waren bekommen, Schausteller brachten die Menschen auf Straße und Burghof zum Lachen oder Staunen. Sogar das eine um andere Spanferkel brutzelte über Feuern und wurde vom Burgherrn an diesem Freudentag kostenlos mit Bier und Met an das Volk verteilt, um die Stimmung zu schüren: denn heute und NUR heute, war das Wiegenfest seiner einzigen Tochter!
Nottingham und die Festung brummten wie ein Bienenstock. Zahlreiche Besucher umliegender Dörfer und Gehöfte schwemmten in die Straßen, denn zum Fest des Tages hatte sich die junge Lady nicht mit dem hohen Adel hinter die Mauern zurückgezogen. Anders als viele Namen der edlen Herrschaften, welche zu diesen Zeiten nichts als Gram und Hass verbreiteten, war die Maid bekannt für ihr Herz für das gemeine Volk und heute brachte ihr Jahrestag sogar noch eine größere Freude: Ein kleines Turnier im Vorhof der Burg. Wettkämpfe, an denen selbst das einfache Volk teilnehmen durfte und Gewinne erringen konnte.
Was in manchen adligen Kreisen Aufruhr verursachte, verschaffte den einfachen Menschen am heutigen Tag eine Gelegenheit, die sonst nur den Edlen vorbehalten war. Entsprechend groß war der Ansturm dieses Festes. Schon bald waren die Schauplätze der Wettstreite umringt von Schaulustigen und die Listen der Schreiber so lang, dass mehrere Runden angesetzt werden mussten.
Besonders jene Disziplin, für welche die Leidenschaft wohl nahezu jedem Engländer in die Wiege gelegt wurde, verzeichnete regen Ansturm: das Bogenschießen.
„Es soll mehr als drei Runden zu je zehn Mann geben, Sire", berichtete gerade der Herold, den sein Vater vorausgeschickt hatte und Guy stieß ein amüsiertes Schnauben aus.
'Ich hätte mir denken können, dass ihre Lieblings-Disziplin nicht fehlen wird', dachte der junge Mann auf dem großen Rappen und ließ den Blick umherschweifen. Guy konnte sich nicht erinnern, wann er Nottingham und die Menschen das letzte Mal so ausgelassen erlebt hatte.
„Sieh dir nur diese Ansammlung von Abschaum an", erhob sich eine dunkle Stimme neben ihm empor. Ein dunkler Klang, kühl und harsch - wie das Schlagen schwarzer Rabenflügel, wenn sich der gefürchtete Bote des Todes von gefrorenem Boden in die Lüfte schwang.
Der Sheriff rümpfte die leicht gekrümmte Nase und strich sich das rabenschwarze Haar zurück. Ein Umgang, besetzt mit schwarzem Nerz, lag um seine Schultern und eine edle Kette ließ keinen Zweifel daran, dass er ein Mann von Rang und Namen war. Es gab Zeiten, da hatte man denselben Mann Befehle ausführen sehen. Nun jedoch waren diese Tage weit entfernt und kaum mehr vorstellbar, wenn man sich die gerade Haltung und das gereckte Kinn besah.
Der Sheriff von Nottingham hatte dieselbe Wirkung auf Umstehende wie sein Wappentier, der Rabe, welchen er auf einer geprägten Fibel trug: Blicke, die sich auf den Hüter von Recht und Ordnung hafteten und sich dann beklemmt wieder entfernten. Die meisten Bürgerlichen wichen den Pferden in großem Bogen aus oder wechselten gar die Richtung.
Der bis über die Grenzen von Sherwood hinaus bekannte Gesetzeshüter hatte schon in manchen Dörfern persönlich die Schulden des Volkes eingetrieben - mit Gewalt, wenn harte Worte nichts mehr gebracht hatten. Die Menschen fürchteten ihn und zogen die Köpfe ein, wenn er vorüber ritt. Doch da einige wohlhabendere Gäste geladen worden waren, Heckenritter und Edelleute, traute sich besonders das hungernde Volk doch immer wieder näher an die Reiter.
Sie erhofften sich eine Spende, ein wenig Kupfer, vielleicht sogar ein Pfund Sterling, wenn jemand großzügig wäre. Eine milde Gabe, ganz gleich, was es war. Manchmal erbarmte sich einer der Reichen, gab einen Schal oder vielleicht etwas, das er als wertlos genug erachtete, es abzugeben und sich danach großzügig zu fühlen. Doch selbst diese kleinen Dinge halfen den Menschen. Es war ein kleines Zeichen Menschlichkeit. Und so reckten die Ärmeren die Hände und Kinder streckten sich den Reitern entgegen. Manche jedoch waren so hungrig, so verzweifelt, dass sie sich aufdrängten und nicht lockerließen.
Zwei weitere Männer, welche den kleinen Tross zusätzlich begleiteten, waren aus diesem Grund im Getümmel abgestiegen und drängten das lästige Volk grob fort, welches nicht von selbst Platz machte. Ein alter Mann mit Gehstock stand ihnen dabei im Weg und war nicht schnell genug, sodass die Männer ihn packten und so harsch beiseite stießen, sodass er stürzte.
„Ist das wirklich nötig, Vater?" Guy trieb seinen Hengst näher an das Ross des Sheriffs heran.
Woher diese unwillkommene Beklemmung in seinem Bauch kam, konnte er selbst nicht ganz erklären. Doch in der letzten Zeit fiel es ihm zunehmend schwerer, in den Gesichtern der Menschen Respekt statt Furcht zu erkennen. Diese Zurschaustellung von Gewalt nahm zu und sein Vater zeigte immer weniger Rücksicht gegenüber den einfachen Leuten. Guy wusste, dass sein Vater immer mehr unter Druck geriet. Das Verschwinden der Steuergelder vor knapp einer Woche hatte große Wellen geschlagen.
„Fürchtest du etwa, ich bin zu hart?", fragte der Sheriff von Nottingham und sein geschmeidiger Tonfall verriet Guy bereits, dass er sich auf dünnes Eis begeben hatte. Der Blick aus geschliffenen Klingen, die in ihrer graublauen Farbe ganz ohne jeden Zweifel der Ursprung für Guys gewesen waren, legten sich jedoch mit einer scharfen Spitze auf seinen Sohn.
Jeder, der glaubte, dass Guy viel Rücksicht durch seinen Vater oder eine Sonderbehandlung erhielte, der irrte gewaltig. Schon seit er ein Knabe gewesen war, zeigte sein Vater besonders ihm gegenüber eine ausgeprägte Härte. 'Der beste Stahl kann nur unter den härtesten Schlägen geschmiedet werden', hatte Guy sich immer wieder angehört. Und diese Schläge hatte er zur Genüge zu spüren bekommen. Damit er stärker und härter wurde. Die Welt war grausam und die Menschen waren es auch. Er musste erbarmungslos werden - denn das Gesetz war es auch.
'Ich möchte den Menschen nur helfen', flüsterte eine Stimme in seiner Erinnerung und ließ ihn zwischen Pflichtgefühl und unerwartetem Mitleid wanken.
Guy bereute seine Frage bereits. Im Auge des Sturms war es am stillsten, doch diese Stille währte nicht lang. Für Reue war es jedoch bereits zu spät.
„Denkst du, ich wüsste nicht, woher du dieses plötzliche Mitleid hast?", fuhr er dann fort und seine Augen wurden schmaler.
„Wage es nicht, dir von dem weichen Herzen eines Weibes Mitleid einpflanzen zu lassen! Solches Mitgefühl wird dein Urteilsvermögen trügen. Und wenn du das Gesetz und die Gebote der Krone ehrst, musst du so unparteiisch sein, wie nur irgend möglich." Dabei deutete auf ein paar der ärmlichen Leute, die sich in den stinkenden Straßen zwischen Abfällen und dunklen Schatten herumtrieben.
„Lass dich von diesen Lügen nicht täuschen, du Narr!", zischte sein Vater wie ein nahender Pfeil. „Diese Menschen haben mehr, als sie dich glauben lassen wollen!"
Der Blick des Sheriffs glitt über die zahlreichen Bauern, die nun lachend durch die Straßen liefen. „Nur einen Tag zuvor hatten sie noch beteuert nichts zu besitzen - heute kommen sie hierher und geben ihr Geld für Met und Scharlatane aus! Was denkst du, was wir tun sollten? Keine Steuern mehr eintreiben?", höhnte der Sheriff. „Öffne deine Augen: Für jeden Verweigerer der Steuerschuld haben wir englische Männer in Jerusalem, die keine Schilde, Bögen oder Pfeile bekommen! Jeder von ihnen trägt Schuld am Tod eines Landsmannes, abgeschlachtet von einem Ketzer!" Der Sheriff griff zur Seite und packte nach der Schulter seines Sohnes. „Wach auf Guy. Wenn wir es nicht tun, wird Prinz John Soldaten schicken. Dann wird jedes Dorf und jede Burg brennen, die nicht bezahlen will und sie nehmen es sich mit Gewalt!"
„Bitte Sire, zeigt etwas Barmherzigkeit! Nur eine einzige Münze für einen armen Mann, der alles verloren hat", bettelte plötzlich eine zerlumpte Gestalt neben dem Ross des Sheriffs. Irgendwie hatte der Nichtsnutz es wohl geschafft, die Geschäftigkeit der Wächter auszunutzen und sich indessen an Stiefel und Bein des Sheriffs zu hängen. Schmutzige und vor Dreck nur so strotzende Finger ließen den Sheriff die Lippen in Abscheu und das Gesicht zu einer Grimasse aus Ärger verziehen. Der Mann stank grauenhaft nach Pferdemist und gammligem Stroh!
„Nimm deine dreckigen Hände weg!", bellte der gereizte Mann und trat mit dem Stiefel hart nach dem Almosensammler. Der Stoß traf den Mann gegen die Brust, schleuderte ihn zurück auf den Rücken und ließ ihn sich in stöhnendem Schmerz zur Seite rollen. Sofort kam eine hagere Frau herbeigeeilt, welche dem armen Mann aufzuhelfen gedachte. Vielleicht schaute sie auch nur, ob man dem anderen etwas stehlen konnte. Dieses Pack kannten keine Ehre. Sie hätten einem Kind noch das Brot aus dem Mund gestohlen, wenn es sie selbst satt machte.
Der Sheriff kräuselte die Lippen und sah voller Geringschätzung auf den Bettler und die verlotterte Gestalt herunter, bevor er das Pferd weiter antrieb. Er wollte keinen weiteren Gedanken an diesen Abschaum verschwenden. Stattdessen richtete er seinen Blick wieder auf seinen Sohn. „Hunger ist keine Rechtfertigung, das Gesetz zu brechen. Es fängt mit einem Diebstahl an und dann wird es zu Mord. Gesetze unterscheiden uns von wilden Tieren. Und wer sie bricht, wird wie eines behandelt. Ein wildes Tier, das einem Menschen schadet - was geschieht mit ihm?"
„Es wird erschossen", presste Guy hervor. Diese Antwort sollte lauter sein. Er sollte überzeugter klingen.
„So ist es", zufrieden nickte der Sheriff und drückte die Stiefel in die Flanken seines Pferdes. „Außerdem lege ich meine Hand dafür ins Feuer, dass ein Großteil dieses zwielichtigen und dreckigen Packs das Geld heimlich einer Rebellion gegen die Krone zuschiebt!"
Bei diesen Worten konnte sich Robin Hood, welcher sich unter der Kapuze des Bettlers verborgen hatte, ein schelmisches Grinsen nicht verkneifen.
Bạn đang đọc truyện trên: Truyen247.Pro