Kapitel 22 - Vom Geben & Nehmen
Robin hielt inne, den Löffel in den Eintopf zu schieben. 'Natürlich bist du nicht meinetwegen gekommen', dachte er, sprach es aber nicht aus. „Wenn du wegen deines Anteils hier bist..." Robin nickte mit dem Kinn in Richtung des Hauptraumes. „Die Beute ist in einem Versteck, rechts neben dem Kamin. Direkt unter den Planken."
Der Stuhl scharrte über den Boden, als Marian sich wieder erhob, um nachzusehen, ob Robin die Wahrheit sprach. Zumindest verließ sie den Raum und der Klang ihrer Schritte trug sie in das 'Wohnzimmer', in dem ein Feuer leise knackte und ein wenig die Feuchtigkeit in Luft und Gehölz der Ruine vertrieb.
„Ich bin nicht nur deshalb gekommen", hörte er sie laut sagen.
Robin brummte ein „Warum denn dann?", während er nun den Löffel in den Eintopf tunkte, ein wenig in die Schüssel blies, um die Hitze zu mildern und in Ungeduld eine große Portion in den Mund schob. Der Würgereflex kam so schnell, dass Robin sich nicht bremsen konnte. Röchelnd spuckte er den Inhalt seines Mundes wieder in die Schüssel und verzog das Gesicht.
„Bei Gott!", röchelte er leise.
„Was?" Marian schob hörbar die Planken beiseite, Geld rasselte und Schmuck klirrte.
„Nichts! Ich habe mich nur verschluckt!", stieß Robin schnell aus und starrte angewidert auf die Schüssel herunter. Er hatte den Fraß in den Soldatenbarracken heruntergewürgt, als das Essen für die höhergestellten Krieger knapp wurde. Aber das? Er konnte nicht sagen, was schlimmer war. Dass seine Zunge von dem vielen Salz schon kribbelte, oder dass der Inhalt der Suppe eindeutig verkocht worden war. Himmel, wie lange stand das Zeug über dem Feuer? „Hast du im Kloster auch zu kochen gelernt?"
„Nein. Aber ein Eintopf war ja nicht allzu schwer. Magda, die Köchin, meinte immer, man wirft nur die Zutaten zusammen. Warum fragst du das?"
Marians Stimme kam näher und Robin warf einen verzweifelten Blick zum Fenster, in dem Gedanken, den Inhalt schnell hinauszukippen.
„Du hast ein Händchen dafür", log er, weil er nach all der Hilfe nicht undankbar sein wollte. Vielleicht konnte er mit etwas Wasser diesen Sud verdünnen, um ihn einigermaßen genießbar zu machen?
In diesem Moment kehrte Marian zurück. Sie stopfte einen der Steuerbeutel in eine lederne Tasche, die sie um die Schultern trug. Erst jetzt fiel ihm auf, dass Marian Reitkleidung trug: ein ledernes Mieder über einem dunkelgrünen Rock. Es passte zu ihrem roten Haar, das sie sich mit einem grünen Band zusammengefasst hatte. Einem Seidenband, genauso hübsch wie jenes, welches er einst von ihr gestohlen hatte.
„Ich hatte schon Angst, du hättest alles für Wein ausgegeben", scherzte Marian indessen, ahnungslos, in welche moralische Zwickmühle sie ihn mit ihren Kochkünsten gebracht hatte. „Von deiner Verletzung abgesehen, muss ich sagen, dass dieser Diebstahl erstaunlich erfolgreich war, meinst du nicht auch?" Ihre Worte klangen herausfordernd, aber ihr Blick hatte etwas Sorgenvolles. Bevor Robin sich entrüstet über den Fortlauf ihres Einbruchs beschweren konnte, sah ihm Marian tief in die Augen und fragte gradeheraus: „Was ist mit dem Jungen geschehen?"
Gelassen sah Robin ihr entgegen. Er wollte weltmännisch wirken und mit seinem klugen Einfall prahlen, also nahm er noch einen Löffel des Eintopfs in den Mund und hatte dabei vollkommen den widerlichen Geschmack vergessen. Bevor er antworten konnte, begann er zu prusten und als Marian ihn voller Sorge und Mitleid ansah, da würgte er das Gebräu einfach hinunter und tat so, als hätte er sich am Essen verbrannt.
„Ich bin nicht auf den Kopf gefallen, Marian und nach dem du mich mit einem Kind allein gelassen hast, das offen gestanden nicht von meiner Seite weichen wollte; da habe ich etwas sehr, sehr Kluges getan."
Marian rollte entnervt mit den Augen. Kaum war er auf den Beinen, begann Robin Hood wieder in sein großspuriges Getue zu verfallen. Zu gerne hätte sie kurz auf seine Wunde gedrückt.
„Zu seiner Familie konnte ich ihn nicht bringen, da hätten sie ihn wieder aufgelesen. Also habe ich ihm etwas von dem gestohlenen Geld gegeben und bei einem alten Freund belassen. Mach dir keine Sorgen, er ist vertrauenswürdig. Zudem ist er unbestechlich. Was soll ein Mönch auch mit Geld anfangen."
„Du hast ihm etwas von dem Geld gegeben?", fragte Marian ungläubig und runzelte die Stirn. War es so abwegig, dass er so etwas Mildtätiges tat?
„Warum haben wir das gemacht? Wieso nimmst du es auf dich, gepfändeten Tand zu stehlen, Gefangene zu befreien und damit unsere gesamte Mission zu gefährden?" Auch wenn Robin zwanghaft versuchte, vom Thema abzulenken, so wollte er doch eine ehrliche Antwort haben. Er verstand noch nicht wirklich, wieso Marian das tat, was sie tat.
Sie sahen sich für einen langen Moment still an. Dann seufzte Marian leise, griff in ihre Tasche und zog etwas an einer langen, silbernen Kette hervor. „Wir verlieren Dinge, Robin. Jeden Tag. Wir verlieren Schmuckstücke, geliebte Menschen und vielleicht sogar Hoffnung. Ich wäre gerne einer dieser Menschen, der Anderen solche Dinge zurückgibt, anstelle sie ihnen zu nehmen."
Sie griff zärtlich nach seiner Hand und legte sanft das Amulett, das sie hervorgezogen hatte, hinein. Es war ein schweres, schlichtes silbernes Schmuckstück, welches ein detailreiches Wappen trug: das Wappen des Hauses Locksley. Sein Wappen. Diese Kette hatte einst seinem Vater gehört. „Ich trage es immer bei mir, Junge" hatte sein Vater gesagt „Nahe dem Herzen. Denn so vergesse ich nie, woher ich komme, wohin ich gehöre und wen ich meine Familie nennen darf. Meine Gattin, meine Kinder, meine Freunde und Schützlinge. Jeder Bürger in Huntingdon." Robin hatte diese Kette seit über 5 Jahren nicht mehr gesehen und Tränen begannen seine Augen zu füllen.
„Schmeckt der Eintopf? Du hast die letzten Tage kaum etwas zu dir genommen."
Robin zwang sich ein Lächeln auf die Lippen. Wäre es eine andere Situation, er hätte sie vielleicht gefragt, ob sie ihn vergiften wollte. Stattdessen nickte er steif. „Ich werde jede Menge davon essen", flunkerte er schamlos. Indessen nahm er sich vor, den Inhalt im Wald zu vergraben, sobald Marian fort war.
Er fühlte sich beinahe schlecht, als er das Strahlen in ihren Zügen sah. Den Stolz darüber, ihn ach so gut verpflegt zu haben.
Robin griff nach dem Brot und hoffte, dass ihm jenes helfen würde, diese Folter dieser Speise erträglicher zu machen. „Also, weswegen bis du hergekommen?"
Marian stieß ein Seufzen aus und ihre Finger trommelten leicht auf der Tischplatte. Ihre Züge waren ernst und ihr Blick hing an Robin, als stellte sie sich auf eine anstrengende Konversation ein.
„Unser letzter Raubzug war wohl der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen gebracht hat", begann sie. „Wir können keine Steuern mehr aus der Burg stehlen, Robin", meinte sie dann ernst und ihr Blick wurde strenger. „Der Sheriff hat gedroht, dem König über die Diebstähle zu berichten - und meinen Vater als Mitschuldigen hinzustellen, weil er nicht verhindern kann, dass aus seiner eigenen Festung geraubt wurde."
Robin nutzte die Gelegenheit, um den Löffel wieder sinken zu lassen. Seinem Gesicht war erlaubt, sich für einen Moment angewidert zu verziehen. „Dieser Abschaum!", maulte er. „Aber ich werde nicht aufhören, die Steuergelder zu stehlen, Marian. Die Rebellion benötigt dieses Geld."
Robin rechnete mit Zorn und Ärger. Vielleicht mit Tränen oder dass sie ihm etwas ins Gesicht warf und ihn anschrie, dass sie ihm geholfen hatte und er ein undankbarer Bastard war. Immerhin waren Frauen sehr launisch und bei dem Feuer, welches insbesondere dieses Exemplar besaß.
Marian tat nichts dergleichen. Stattdessen nickte sie zustimmend. „Ich weiß." Der Geistesblitz, den sie die letzten paar Tage hatte behalten müssen, flackerte so hell hinter den blauen Iriden, dass sie jene förmlich wie ein Sonnenstrahl erhellten und Robin konnte den drohenden Schatten eines neuen Planes regelrecht sehen. „Deshalb habe ich eine Idee: Wir stehlen die Steuern, ehe sie die Burg erreichen."
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