Kapitel 15 - Katz & Maus
Abenteuer und Wiedergutmachung. Das hatte sie einst gesucht, als sie das erste Mal mit wild pochendem Herzen nach den versteckten Kassetten und Geldkatzen voll unterschlagener Münzen in den Zählkammern gesucht hatte. Ihr war schwindlig vor bodenloser Nervosität und dem Weg, bis zurück in ihre Gemächer, hatte Marian heute nur noch verschwommen in Erinnerung. Doch sie erinnerte sich sehr genau daran wie es war, als die Tür damals hinter ihr zufiel oder wie die Augen der jungen Mutter mit dem kranken Kleinkind strahlten, als Marian die schimmernden Münzen am Tag darauf in ihre Hand legte.
Hätte die Lady ihren Vater einfach gebeten, ganz sicher hätte er ihr Geld gegeben. Das tat er schon früher, als sie noch ein junges Mädchen war. Immer dann, wenn ihr Herz vor Mitleid für diejenigen überquoll, die so viel weniger hatten und hungerten, während volle Teller ihren eigenen Tisch ächzen ließen. Damals, vor den Zeiten des gierigen Prinzen. Heute war auch ihre Tafel weniger reich gedeckt. Earl De Burgh schätzte ihr gutes Herz... aber sie würde sich auch immer an seine resignierten Worte erinnern:
'Ganz gleich wie viele Münzen wir auf die Straßen werfen, mein Kind, es wird den Hunger Englands nicht lindern. Wir können ihnen nicht mit Silber helfen.'
'Aber mit was denn dann, Vater?'
Diese Frage hatte sie lange und oft beschäftigt. Nicht täglich allerdings. Das zu behaupten, wäre gelogen. Ihr Geist schweifte oft ab und suchte andere Wege der Zerstreuung für die drückende Langeweile. Dieses Eingeständnis musste sie sich machen. Und doch kehrte ihr Herz wie ein Pendel unausweichlich immer wieder an diesen Punkt zurück. Die Armut, das Leid der Menschen, vor dem viele Adlige so vehement die Augen verschlossen... Es würde sich nicht ewig ignorieren lassen, selbst wenn sie sich auf ihren Burgen einschlossen und die Vorhänge ihrer Kutschen zuzogen.
Es fühlte sich gut an, den Menschen etwas zurückzugeben. Sie vermisste das Herzklopfen in der Dunkelheit, das Kribbeln in ihren Fingern und ja - den süßen Geschmack des Verbotenen. Es war berauschend und der Lohn umso süßer, wenn es einer Familie die Teller für eine weitere Woche füllte.
Aber bisher waren diese Art von 'Abenteuern' nie derart gefährlich für sie gewesen.
Rasselnde Kettenhemden, klackernde Schwertscheiden und Klingen, das Trommeln der schweren Stiefel auf dem Steinboden. Rufe kamen näher. Wachen, an denen sie irgendwie und vor allem ungesehen vorbeimusste. Eilig drückte sie sich in die Schatten und ging in ihrem Kopf den Plan, um in ihr Gemach zu gelangen, zum wiederholten Male durch. Das hier war wie ein Tanz auf den Zinnen der Burg - und ein falscher Schritt könnte sie in den Abgrund reißen.
Ihr Vorteil war die Dunkelheit und die verwinkelten Ecken des Kerkers, der aufgrund einer vor Jahren eingestürzten Mauer sogar in die Kellergewölbe der Burg überging. Das hier war ihr Zuhause. Sie kannte jeden Winkel dieser Burg und Marian musste jeden Vorteil nutzen, den ihr das alte Gemäuer bot.
Die Schritte kamen näher. Aufgeregte Stimmen zischten und blafften sich gegenseitig an. Die Stimmung war zum zerreißen gespannt und doch nichts gegen die Anspannung in Marians Innern. Wie eine Maus, welche sich vor einem kreisenden Raubvogel verbarg, kauerte sie sich hinter einem Pfeiler nahe einer Zelle zusammen.
'Komm schon, Marian! Du darfst nicht zögern! Die Zeit rinnt dir davon!', schalt sie sich selbst und dann sprang sie nach vorn. Die Tür zur Zelle stand ein schmales Stück offen - gerade so weit, dass sie ohne Probleme hindurchschlüpfen konnte.
Reste von Stroh bedeckten den Boden und fingen den Klang ihrer Schritte auf. Hier stank es widerlich nach Urin und vergammeltem Heu, aber Marian hatte keine Zeit, sich zu ekeln. Ihre Fingerspitzen tasteten über das raue Leder des abgegriffenen Riemens, als sie den Helm eilig in die Ecke legte und an dem Gürtel um ihre Hüfte zerrte.
In diesem Moment kamen die Stimmen alarmierend nahe. Fackeln in den Händen der Wächter warfen tanzende Schatten an die klammen Wände und ließen die feuchten Stellen leuchten wie schimmernde Flüsse aus Feuer. Marian presste sich sofort so weit in die Ecke, wie es ihr möglich war.
'Nein! Sie dürfen mich auf keinen Fall hier finden!'
Die Zeit schien plötzlich sehr viel langsamer zu fließen. Marian regte sich nicht. Jede Bewegung könnte sie verraten. Zwei Wachen rannten durch den langen Flur der Kerker, scheinbar einem Ziel entgegen...
'Sie wollen zu dem Tunnel!', schoss es Marian durch den Kopf und sie knirschte mit den Zähnen. Der Sheriff musste sie geschickt haben. 'Cleverer Bastard!', dachte sie bitter. Hoffentlich war der Vorsprung von Robin und dem Jungen groß genug.
'Du solltest dich lieber um dich selbst sorgen!'
Marian schluckte schwer. Ihr Hals und ihr Mund waren trocken, ihre Haut dafür schweißnass. Begleitet von metallischen Klappern zogen die beiden Männer an ihrer Zelle vorüber und Marian wagte es kurz auszuatmen. Dann verlor sie keine Zeit, öffnete die Schnalle des Gürtels und zerrte sofort an den Schnüren, welche den Wappenrock an den Seiten zusammenhielt. Das Kettenhemd loszuwerden war bedeutend schwieriger. Marians Körper wandte sich, als sie es am Saum griff und sich dann vornüberbeugte, um es mit dem eigenen Gewicht über ihren Kopf zuschieben. Es klirrte, als die schwere Rüstung endlich über ihren Rücken glitt und auf den Haufen fiel. Der rasselnde Klang hallte verräterisch laut in dem kalten Gewölbe.
„Pssst! Hast du das gehört?", erklangen entfernte Stimmen.
Marian hielt sofort inne und ihr Herz überschlug sich.
„Los, geh und sieh nach!"
'Verdammt!', Marian keuchte leise und zog schnell den dunklen Wappenrock über das Kettenhemd. Wenn ein Lichtschein sich am blitzenden Metall der Ringglieder verfing, würde es sie sofort verraten oder zu schnell gefunden werden!
Begleitet von dem gehetzten Atem, drückte sich Marian an die Wand der Kerkerzelle. In ihrem Rücken war die Wand rau und klamm.
Marian starrte an die Wand gegenüber. Das Licht einer Fackel warf einen lang gezogenen, verzerrten Schatten auf den Stein. Sie presste sich noch fester an den Fels, beinahe so, als könnte jener sie verschlucken, wenn sie es nur stark genug hoffte.
Die Schritte kamen näher. Licht schwankte hin und her und Marian konnte hören, wie der Wachmann näher an die Zellen trat.
'Hier ist nichts. Niemand ist so töricht und versteckt sich in den Kerkerzellen. Also verschwinde!', flehte Marian still und kniff die Augen zusammen.
„Kommt schnell! Hier entlang! Er ist über die Tunnel geflohen!"
Das laute Rufen von der anderen Seite ließ Marian zusammenzucken.
Ihre Beine waren zittrig, als sofort Bewegung in den Kerker kam und auch andere Wachen nun in Richtung des alten Tunnels stürmten. Das war ihre Chance!
Marian wartete, bis der Lichtschein von der Düsternis des Verließ verschluckt wurde, dann lief sie los. Sie hoffte, dass das Plätschern des Wassers und die Stimmen der Wachen ihre Schritte übertönten, als sie zur Dienstbotentreppe eilte. Ein gewaltiger Brocken fiel von ihren Herzen, als sie in den Schutz der Dunkelheit schlüpfte. Eilig zog sie nun den Stoff ihres Nachtgewandes aus dem Bund der Hose, strich diesen so glatt es eben ging und eilte sich, die schmalen Treppen hinaufzukommen.
Hier war der Lärm der Alarmglocke und der aufgeregten Wachen deutlicher zu hören. Laute, wütende Rufe konnte sie vernehmen und als sie schließlich in die Gänge schlüpfte, entfernt auch die Stimme ihres Vaters, die sich grollend über allem entlud. Ein wenig nagte das schlechte Gewissen an ihr, als sie schließlich in den Korridor zu ihren Gemächern abbog und seufzend eine Strähne der roten Locken aus ihrem Gesicht wischte. Sie war erschöpft und ermattet. Ihr Körper erschien ihr unglaublich schwer, ihre Beine schwach von der Aufregung, der Flucht... aber sie hatten es geschafft, wenn auch gerade so.
Morgen könnte sie ihren Anteil von Robin einfordern und-
„Guten Abend, Mylady."
Marian wäre beinahe über ihre eigenen Füße gestolpert, so rasch erstarrte ihr ganzer Körper. Ein kalter Schauer floss ihr wie ein Sturzbach vom Schopf bis in die Zehen und ihr Verstand betete eine Sekunde, dass sie sich verhört hatte. Ihr Hals war wie zugeschnürt, als sie schluckte und sich dann langsam umwandte.
Am Ende des Ganges stand der Sheriff.
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