
1. Kapitel: Erstes Wiedersehen
Es war ein warmer Donnerstagvormittag. Die ersten Kinder liefen lachend durch die Fußgängerzone, erfreuten sich an den sechs Wochen endloser Ferien, die vor ihnen lagen. Vor der Eisdiele saß eine junge brünette Frau und las in einem Krimi. Mit einer Hand rührte sie gedankenverloren in ihrem Cappuccino herum. Schließlich klappte sie das Buch zu und verstaute es in ihrer Tasche. Sie konnte sich jetzt einfach nicht konzentrieren. Eine Woche voller Stress und Trauer lag hinter ihr, denn vor einer Woche war ihr Großvater verstorben. Seitdem dachte Pauline jeden Tag an ihn. Seufzend trank sie ihre Tasse aus, legte einen Geldschein auf den Tisch und verließ die Fußgängerzone. Pauline bog gerade in die Straße ein, die raus aus der Stadt in Richtung Bauernhof führte, als ihr Handy klingelte.
„Hallo?", sie blieb stehen und sah über die Felder.
„Pauline, der Notar ist da. Wo bist du?", ihre Großtante Henriette klang etwas panisch, was so gar nicht zu ihrer ruhigen und nachdenklichen Art passte.
„Kurz vorm Hof. Gib mir zwei Minuten", Pauline legte auf und joggte die letzten Meter. Während ihrer Ausbildung zur Polizistin hatte sie ihre Leidenschaft für das Laufen entdeckt.
„Henriette?", rief Pauline etwas aus der Puste, nachdem sie die Tür aufgeschlossen hatte.
Ihre Großtante kam aus dem Wohnzimmer und umarmte sie fest. „Komm", sie zog Pauline mit sich und drückte sie dann auf das alte Sofa.
„Klausing, mein Name", der Herr im Anzug streckte ihr eine Hand zur Begrüßung hin. „Mein Beileid."
Pauline nickte und er setzte sich wieder. In der Folgestunde erklärte Herr Klausing Henriette und Pauline, dass ihr Bruder und Großvater ihnen den Hof zu gleichen Teilen überlassen hat, jedoch auch einen Berg Schulden, der sich besonders in der letzten Zeit vergrößert hat.
„Warum habt ihr nie etwas gesagt?", fragte Pauline fassungslos, als sie den Betrag hörte.
„Du hattest genug eigene Probleme", Henriette sah aus dem Fenster. „Außerdem wollte er nicht, dass wir dir zur Last fallen."
Bevor Pauline etwas entgegnen konnte, verabschiedete sich der Notar und wuselte aus der Wohnung. Kaum waren sie alleine sagte Pauline:
„Ich ziehe zu dir! Keine Widerrede! Außerdem helfe ich dir, die Schulden abzuzahlen."
„Du wirfst dein ganzes Leben weg", Henriette schüttelte den Kopf. „Bau dir etwas Eigenes aus und verkauf den Hof, sobald ich tot bin." Damit stand sie auf und ging in die Küche. Pauline sah ihr ungläubig nach. Doch dann piepste ihr Handy und lenkte sie ab.
Hey, ich bin jetzt erst angekommen:( Wollen wir uns heute Abend bei dir treffen?
Kurz war Pauline irritiert, doch dann klickte sie auf das kleine Bildchen und schaute direkt einer lächelnden Schönheit ins Gesicht.
„Wer ist das denn?", Henriette stand auf einmal hinter ihr. „Ist das Jacky?"
„Scheint so, als würde mein Plan aufgehen", lächelte Pauline als Antwort.
Drei Stunden später drückte eine junge Mexikanerin auf eine der Klingeln im Wohnblock. Nervös fuhr sie sich durch ihre dunklen Haare und kontrollierte den Sitz ihrer Bluse.
„Ja?", erklang es aus der Sprechanlage.
„Hola, hier ist Jacky."
Und schon summte die Tür und ließ Jacky Ramirez ins Innere eintreten. Mit schnellen Schritten lief sie die Treppen hoch, bis sie im dritten Stock einer lächelnden Pauline gegenüber stand.
„Lass dich drücken", die beiden fielen sich in die Arme, froh, jeweils ein Stück Heimat gefunden zu haben. Dann führte Pauline ihre Freundin in ihre kleine bescheidene Wohnung. Überall konnte Jacky Bücher erspähen, aber auch lose Zettel, Blöcke, Notizbücher und Kugelschreiber. Als sie das Bild einer Klapperschlange sah, musste sie unwillkürlich grinsen.
„Ich habe es auf dem Flohmarkt gefunden und sofort mitgenommen", erklärte Pauline, die dem Blick ihrer Freundin gefolgt war.
„Schade, dass du es nicht früher gefunden hast." Jacky stellte ihre Tasche ab und griff nach einem der losen Zettel. Pauline war in der Zeit in die Küche geeilt um das Essen zu holen.
„Du schreibst?", fragte Jacky und hielt entschuldigend den Zettel hoch.
Pauline stellte das Brot und die Dips auf dem Sofatisch ab und bedeutete Jacky sich zu setzen.
„Ja, ich habe schon in der Schule ab und zu ein paar Kapitel verfasst", sagte die Brünette. „Während der Ausbildung habe ich dann regelmäßiger geschrieben und die Sachen auf einer Plattform veröffentlicht."
„Cool." Jacky nickte und erinnerte sich an ihren Versuch, ein Buch zu schreiben. „Ich habe nach dem Bandenbuch aufgehört zu schreiben, keine Zeit dafür. Was genau machst du jetzt eigentlich beruflich?" Sie griff nach einem Stück Brot.
„Ich bin Polizistin, noch in der Ausbildung. Aber mein Ziel ist die Kriminalabteilung", Pauline deutete auf die ganzen Zettel. „Das mache ich nur als Hobby."
Jacky griff nach dem Zettel neben ihrem Fuß. „Ich finde, du schreibst gut."
Und nach der anfänglichen Schüchternheit entspannte sich schnell ein Gespräch unter Freundinnen. Pauline erfuhr, dass Jacky mittlerweile im Hotelgewerbe tätig war, wieder in Mexiko wohnte und gerade mit einem heißen Kanadier Schluss gemacht hatte, weshalb sie jetzt nach Indien gehen wollte.
„Wohnen deine Eltern eigentlich noch hier? Ich habe sie schon länger nicht mehr gesehen", fragte Pauline.
Jacky schüttelte den Kopf und erklärte, ihre Eltern seien nach Sergios Abschluss zurück nach Mexiko gegangen.
„Und wo wohnst du jetzt?"
„Ich habe ein Zimmer im Hotel Wiesenglück bekommen", sagte Jacky und wurde sofort von ihrer Freundin unterbrochen.
„Auf keinen Fall! Du holst sofort deinen Koffer und schläfst bei mir", bestimmte Pauline.
Und so sehr Jacky dagegen protestierte, ließ sich Pauline nicht erweichen, sodass die Mexikanerin schließlich abends in Paulines Doppelbett lag.
„Weißt du, es tat gut, mal wieder mit jemanden von früher zu reden", wisperte Jacky. „Du hast mir gefehlt. Alle haben mir gefehlt." Als Antwort drückte Pauline einfach nur ihre Hand.
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