Los niños del mar
Die Sonne brennt unbarmherzig auf die felsige Steilküste herab, doch der Wellengang ist schwer. Glitzernd brechen sich die Schaumkronen, deren Rauschen beinahe ohrenbetäubend laut ist. Unruhig trete ich von einem Fuß auf den anderen, suche Halt in einer Felsspalte. Mit Sonnenaufgang hat der Wind aufgefrischt und zerrt nun an meinem Gefieder. Trotz des aufgewühlten Meeres muss ich fliegen; seit Tagen habe ich nicht viel gefressen. Es ist ein schlechtes Jahr. Für mich, aber auch für die Menschen.
Mit einem gellenden Schrei breite ich meine Flügel aus und erhebe mich in die Luft. Schwer habe ich zu kämpfen, um nicht von den Winden hinfort getragen zu werden. Meine Artgenossen sind an meiner Seite, flattern und segeln mit mir um die Wette. Wir kreisen gemeinsam über das flache Wasser, in der Hoffnung kleinere Fische oder Krebstiere zu entdecken, aber das Meer ist zu unruhig. Nichts ist zu sehen. Unter mir ragen nur einzelne Felsen wie Zähne aus dem Meer – das Salzwasser hat an ihnen geleckt, bis sie bizarre Formen angenommen haben. Sie werden dieses Jahr überdauern, anders als viele von uns.
Mich von den Winden leiten lassend, segle ich weiter auf das offene Meer hinaus. Irgendetwas muss es doch zu fressen geben. Ich lasse mich tiefer sinken, bis ich knapp über der Wasseroberfläche dahingleite. Auch hier draußen ist der Wellengang hoch, doch die fehlende Gischt macht es leichter. Ich merke, wie warm das Wasser ist, anders als sonst um diese Jahreszeit. Etwas stimmt nicht.
Als ich wieder höher steige, entdecke ich ein einsames Fischerboot am Horizont und ändere meine Richtung. Ich sehe bereits einige meiner Artgenossen, wie sie darüber kreisen und warten, ob Abfälle ins Meer geworfen werden. Der Kutter ist winzig und damit ist auch die Chance klein, dass der Fang direkt an Bord verarbeitet wird; aber mir bleibt nicht viel anderes übrig, als mein Glück zu versuchen.
Ich ziehe meine Bahnen in respektvollem Abstand zu dem Kahn, doch ich komme nicht umhin, die seltsame Besatzung zu bemerken. Es sind lediglich zwei Männer, von denen nur einer die Arbeit verrichtet. Sein Körper steckt in der typischen Kluft der Fischer, während der andere die Nase in die Sonne streckt. Er scheint die Wärme zu genießen und sitzt mit dem Rücken an die Reling gelehnt.
„Was liest Du da eigentlich?", fragt der Fischer und unterbricht für einen Moment das schweißtreibende Einholen der Netze. Was der andere antwortet, verstehe ich nicht, denn ein größerer Vogel kreuzt meine Flugbahn, sodass ich an Höhe gewinnen muss, um auszuweichen.
Doch ich komme nicht umhin, das Gespann zu beobachten. Den Fischer und seinen Freund. Dessen langes Haar tanzt im Wind, sodass er besonders widerspenstige Strähnen immer wieder hinter sein Ohr klemmt. Für mich ist er ein seltsamer Anblick; solche Menschen sieht man selten auf See. Weich und zerbrechlich wirkt er und weckt so meine Neugier, die mit jeder Runde, die ich über ihnen fliege, größer wird.
Die Netze, aus denen der Arbeiter seinen Fang löst, sind fast leer und die wenigen Fische, die sich in der dünnen Schnur verheddert haben, sind klein. Es trifft also nicht nur uns. Als der Mann mit der Latzhose das nächste leere Netz aus dem Meer zieht und dabei erboste Laute ausstößt, krächze ich mit ihm mein Klagelied. Ich kann nur hoffen, dass die Lage sich bald ändert – für ihn und für mich.
Es werden immer mehr von uns, die über den Kahn hinweg fliegen, doch meine Aufmerksamkeit bleibt auf dem seltsamen Mann mit dem langen Haar. Ich möchte mehr über ihn wissen und lasse mich auf der schmalen Überdachung über dem Ruders nieder. Die Hitze des Blechs brennt unter meinen Krallen, doch ich bleibe sitzen und es dauert nicht lange, bis er mich bemerkt. Seine dunklen Augen liegen auf mir, mustern mich mit wacher Intelligenz. Den Hass, den die meisten Fischer auf mich haben, erkenne ich nicht bei ihm. Vorsichtig hüpfe ich näher.
„Wer bist Du denn?"
Mit den Flügeln schlagend antworte ich; denn ich mag seine Stimme und ich denke, er spricht mit mir.
„Sprichst Du jetzt schon mit dem Vogel? Du spinnst doch!", ruft der andere über das Tosen der Wellen und schüttelt den Kopf. Er richtet sich dabei auf, um sich mit dem Handrücken den Schweiß von der Stirn zu wischen.
„Wieso denn nicht? Schau mal, der ist ganz zutraulich", lacht der Langhaarige und streckt dann die Hand nach mir aus. „Möchtest Du gern einen Fisch? Ja, ich auch. Aber vielleicht habe ich ja etwas anderes für dich, hm?"
Krächzend antworte ich; er scheint freundlich und mir wohlgesonnen. Etwas, das ich nicht oft erlebe.
„Genug jetzt!", knurrt der andere und kommt auf uns zu. Er fuchtelt mit den Armen, gestikuliert wild und redet so schnell auf seinen Kumpanen ein, dass ich ihm nicht folgen kann.
„Shhh!", wütend stürmt er in meine Richtung und ich flüchte unter lautem Protest in die Lüfte. Wie hat dieser Grobian einen so sanftmütigen Freund an Bord? Eine letzte Schleife fliege ich über dem Boot und sehe, wie der Langhaarige lachend vor dem anderen zum Stehen kommt und ihm eine Hand an die Wange legt. Sofort wird auch das Gesicht des Arbeiters weicher und er drückt seine Lippen auf die seines Freundes.
Für mich ist hier nichts zu holen, die beiden Männer werden heute nicht genug fangen und es ist klar, dass sie ihre spärliche Beute nicht freiwillig teilen. Enttäuscht ziehe ich ab und fliege zurück zur Küste. Vielleicht wurde in der Zwischenzeit etwas Fressbares angespült.
Ich bin noch nicht lange zurück, da türmen sich die dunklen Wolken am Horizont. Der schwere Geruch nach Regen weht vom Meer her und kündigt das bevorstehende Unwetter an. Es ist sinnlos; so werde ich nichts finden. Beinahe panisch suche ich nach einer Nische in der Felswand, damit ich das Unheil aussitzen kann.
Während ich in der geschützten Position verharre und den Kopf einziehe, um den Böen möglichst wenig Angriffsfläche zu bieten, frage ich mich, ob die beiden Männer wohl noch immer auf See sind oder ob sie das Boot gerade im sicheren Hafen vertäuen. Als die ersten Regentropfen mein Gefieder treffen, halte ich die Ungewissheit nicht aus; ich muss wissen, dass der gutmütige Mann nicht der Wut des Meeres zum Opfer gefallen ist.
Der Regen peitscht mir entgegen, perlt an Federn und Schnabel ab. Als ich mich in die Luft erhebe, tost die See. Sie ist bereit, ihren Schlund zu öffnen und jene zu verschlucken, die töricht genug sind, ihrer Gewalt trotzen zu wollen. Dunkel und grau scheint der Horizont hinter den Regenschwaden; angsteinflößend türmen sich die Wellen auf, doch dazwischen erkenne ich lange kein Boot. Es dauert, bis ich es finde und ich bin bereits am Ende meiner Kräfte. Durch den Sturm zu fliegen, kostet mich die letzten Reserven, die mein erschöpfter Körper zu bieten hat.
Die Männer kämpfen auf dem kleinen Kutter um die Kontrolle, doch ich sehe an ihren verzerrten Münden und den weit aufgerissenen Augen, dass es schlecht um sie steht. Ich fliege tief über sie hinweg und schreie verzweifelt auf.
Nein! Nicht dieses Boot, bitte, lass es in den Hafen finden!
Zuvor hat der Mann versucht, mir zu helfen; nun muss auch ich mein Bestes tun. Immer wieder fliege ich über sie hinweg, versuche ihnen den Weg zum Hafen zu weisen, doch die Wellen werfen den Kutter hin und her. Falls die Männer versuchen mir zu folgen, schaffen sie es nicht.
Immer gefährlicher kippt der Kahn, droht zu kentern und ich kann ihnen nicht länger zusehen. Tief gräbt sich die Verzweiflung in mich, schlägt ihre Krallen in mein Herz. Nein, ein letztes Mal stoße ich zu ihnen hinab und jetzt sieht der Mann, den ich zu meinem Schützling erklärt habe, zu mir auf.
„Du bist zurückgekommen." Erkennen liegt auf seinem Gesicht und ich schöpfe Hoffnung.
Doch dann geschieht es; eine Welle schwappt über die Reling und reißt ihn von den Füßen. Mit einem verzweifelten Schrei klammert er sich an allem fest, was seine Hände erreichen können. Glitschig rutschen die Taue durch seine Finger, auch das Geländer der Reling bietet ihm keinen Halt.
Eine Böe peitscht mir entgegen und zwingt mich, meine Richtung zu ändern. Als ich wieder zu dem Boot sehe, ist er fort. Nur der Mann in der Latzhose kauert noch an Bord und ruft mit zitternder Stimme nach seinem Freund. Immer und immer wieder, bis sie bricht und er aufschluchzt; ich sehe es mehr, als dass ich es über den Lärm der See hören kann. Dennoch stimme ich ein. Es ist nicht gerecht, was eben geschehen ist.
Für mich wird es Zeit ans Ufer zurückzukehren; ich kann nichts tun. Die Tragödie hat ihren Lauf genommen. Den Sturm sitze ich auf meinem Felsen aus und irgendwann bricht die Nacht herein. Ich stecke den Schnabel unter den Flügel und harre der Dinge. Morgen werden andere Fischerboote auf dem Meer schwimmen und nach Fang suchen, den sie nicht finden werden. Auch ich werde wieder über sie hinweg fliegen und auf kleine Reste hoffen, die nicht ins Wasser geworfen werden. Der neue Tag wird neue Schicksale hervorbringen und das Meer wird sie hinfort tragen.
Einige Tage später steigt bei Sonnenaufgang eine Gestalt den Pfad entlang der Steilküste herab. Neugierig unterbreche ich meine Futtersuche und fliege einen langen Bogen, um zu sehen, wer es wagt, bei diesem unruhigen Wasser an den Strand zu kommen. Es dauert einen Moment, bis ich ihn erkenne; es ist der Fischer mit der Latzhose, dessen Freund im Sturm verloren gegangen ist. Er allerdings hat es zurück an Land geschafft. Heute trägt er ein einfaches dunkles Gewand und schwere Stiefel. Den Kopf hält er gesenkt, die Schultern nach oben gezogen.
Ich komme näher und sehe wie gerötet seine Augen sind, als er die letzten Meter hinabsteigt und seine Schuhsohlen den schmalen Strand der Bucht berühren. Zögerlich tritt er vor, bis die Ausläufer der Wellen gegen seine Füße schlagen und sie umspülen. Der Wellengang ist auch heute schwer; das Wasser seit dem Sturm getrübt, als ob es etwas verbergen möchte.
Eine Weile steht er einfach nur da und sieht auf das Meer hinaus, sodass ich in sicherem Abstand auf einem Stück Treibholz niederlasse, dessen Oberfläche von den Gezeiten glattgeschliffen wurde.
„Simón... Simón", leise spricht der Mann, das Gesicht zum offenen Meer gewandt. Der Schmerz wird in jeder Silbe offenbar. „Wo bist Du, mein Geliebter?"
Mit einer Hand rauft er sich das Haar, die andere liegt auf seinem Herzen. „Es ist doch Weihnachten. Es tut mir leid, dass ich dich überredet habe, mit mir zu kommen. Ach, Simón, komm zurück zu mir! Es tut mir so schrecklich leid."
Seine gestammelten Worte werden vom Wind davongetragen, ungehört und unverstanden. Nur das Rauschen der Wellen und die Schreie meiner Artgenossen sind zu hören. Ich kann seine Verzweiflung förmlich schmecken, doch ich habe keinen Anteil daran. Es ist vorbei. Es tut mir leid, dass er fortan allein sein wird, doch die Unvorsichtigen bestehen nicht auf See. Diese zarte Seele war zu weich, zu anziehend für die Gewalt der Tiefe, die sie zu sich geholt hat. Dieses Mal bin ich nicht mit der Wahl des Tributs nicht einverstanden, doch wer bin ich, die Entscheidung anzuzweifeln?
Das Meer hat sich genommen, was sein ist. Das Meer hat den Mann zu einem Kind des Meeres gemacht, wie auch ich irgendwann eines sein werde.
Bạn đang đọc truyện trên: Truyen247.Pro