35. Kapitel
Lorbeerpfotes ganzes Leben drehte sich nur noch um Schattenpfote, und wenn sie sich nicht gerade mit ihm traf, verbrachte sie ihre Zeit damit, an ihn zu denken. Niemals hätte sie gedacht, dass der SternenClan solches Glück für sie geplant hatte. Ihre Sorgen wegen der gemeinsamen Zukunft schob sie weit von sich. Sie waren erst im vierten Kurs, bis zur Kriegerzeremonie würde noch viel Zeit vergehen. Meinte Schattenpfote das ernst, sollte einer von ihnen zum anderen in den Clan wechseln? Lorbeerpfote konnte sich nicht vorstellen, nie wieder in ihrem ganzen Leben zum BachClan zurückzukehren, da konnte es ihm wohl kaum anders gehen? Die Kätzin seufzte und zog sich auf den Felsen hoch, an dem sie gerade kletterten. Weidenbach lief unten hin und her und gab Ratschläge. Die Goldbraune legte eine kurze Pause vom Training ein und ließ ihren Blick zwischen den Baumstämmen umherschweifen. Überall entdeckte sie kleine grüne Knospen, ein sicheres Anzeichen der Blattfrische. Schon bald würde der Wald grün sein und die Wiese blühen! Lorbeerpfote konnte es kaum erwarten. In einen Tagtraum versunken malte sie sich aus, wie sie gemeinsam mit Schattenpfote durch eine Blumenwiese lief. Ein Scharren ertönte und riss Lorbeerpfote aus den Gedanken, als Strahlpfote sich neben ihr hochzog und ihr zulächelte. Lorbeerpfote lächelte zurück und machte sich vorsichtig wieder an den Abstieg. Sie konnte nicht sagen, ob sie das Klettern an Bäumen oder Felsen lieber mochte, doch das Runterklettern machte ihr Schwierigkeiten. Sie konnte ihre Krallen nicht einfach in die Rinde graben, sondern musste mit ihren Hinterpfoten Halt an Vorsprüngen oder Rillen suchen, während sie sich mit den Vorderkrallen festkrallte. Erleichtert sprang sie die letzte Fuchslänge zu Boden. Ein ungeduldiger Blick zur Sonne sagte ihr, dass es noch ein Weilchen dauerte, bis sie zur Akademie zurückkehren konnten. Am liebsten hätte Lorbeerpfote die Tage einfach übersprungen, auch wenn sie sich sagte, dass ihr das Training Spaß machte. In ihrem Kurs fühlte sie sich nicht wohl. Manchmal gab es Tage, da schluckte sie ihre Angst, abgelehnt zu werden und die Resignation herunter und ging mehr auf andere Katzen zu. Meistens lief es gut und sie kam sich integrierter vor. Doch an anderen Tagen wurde sie von ihren Mitschülern wie Luft behandelt, auch, wenn sie es vielleicht nicht einmal bemerkten. Weil sie Lorbeerpfote nicht bemerkten. Wirklich etwas gegen sie zu haben schien keiner, außer Erdpfote vielleicht, aber das war ihr noch egal. Es gefiel ihr vor allem nicht, wie gespalten der Kurs war. Es gab Seidenpfote mit Meerpfote und Strahlpfote, die niemanden mitmachen ließen, dann gab es die Kater und Sonnenpfote und Wildpfote, die in letzter Zeit gar nicht mehr wie Freunde wirkten, und es gab Windpfote mit Morgenpfote. Lorbeerpfote wollte gern bei Seidenpfotes Freundesgruppe dazugehören, doch wenn sie nicht gerade im AbendClan waren, ignorierte diese sie komplett, wenigstens im Gegensatz zu Strahlpfote, die wirklich nett war, aber kein riesiges Interesse an einer Freundschaft zeigte. Und bei Windpfote und Morgenpfote würde sie auch gerne mitmachen, aber die beiden waren immer nur zu zweit. Lorbeerpfote seufzte erneut und suchte sich eine andere Stelle, um wieder hochzuklettern. Schattenpfote war der Einzige, der ihr nicht das Gefühl gab, seltsam oder eine Außenseiterin zu sein. Bei ihm konnte sie einfach sie selbst sein und wurde dafür auch noch geliebt. Seine Liebe war wie eine warme Lichtquelle in ihrem Bauch. Egal wie blöd ihr Tag war, Schattenpfote würde ihn retten. Ihr Schatzi. Sie fuhr ihre Krallen aus und klammerte sich in einer Felsspalte fest. Mit zappelnden Hinterbeinen zog sie sich hoch, bis ihre Pfoten Halt fanden und suchte nach einem neuen Vorsprung.
Lorbeerpfote schnippte mit dem Schweif und lief in den Wald, weg vom Felsen. Endlich war der Unterricht vorbei und die Gruppe trennte sich, um sich das Mittagessen zu erjagen. Ohne bestimmtes Ziel trabte die Kätzin zwischen den Bäumen umher. Eine leichte Brise strich über ihr Rückenfell und brachte den Geruch von Blattfrische mit sich. Ihre Augen nahmen eine Bewegung wahr und sie sah eine Spitzmaus, die am Ufer eines kleinen Rinnsals herumhuschte und nach Nahrung suchte. Das plätschernde Wasser hatte sich unbemerkt in die Geräuschkulisse eingefügt und ihren Weg begleitet. Automatisch sank Lorbeerpfote in eine Kauerhaltung und prüfte die Luft. Die Brise war vorüber, weshalb es im Wald nahezu windstill war. Hoffentlich würde die Spitzmaus ihren Geruch nicht allzu schnell wahrnehmen. Der aufgeweichte Boden war eine Wohltat für ihre Pfoten, die den froststarren Waldboden der Blattleere gewöhnt waren, als die Schülerin sich vorsichtig anschlich. Sie ließ ihren Blick nicht von der Beute weichen, während sie den Abstand langsam verkürzte, bis kaum mehr eine Fuchslänge zwischen ihnen lag. Die Maus schien gerade zu trinken und Lorbeerpfote nutzte den Augenblick. Sie spannte die Hinterbeine an, bereit zum Sprung. Noch immer schoben sich bei jeder Jagd die Ratschläge ihres alten Mentors Wolfskralle in ihren Kopf. Kein Laut ertönte, als sie vorschnellte und direkt vor der Spitzmaus auf dem Boden landete. Wassertröpfchen flogen in alle Richtungen und die Maus quiekte, doch sie hatte keine Chance. Lorbeerpfote tötete sie mit einem geübten Biss und machte sich mit ihr auf den Weg zurück zur Akademie. Sie wusste nicht, wie groß die Wälder rund um ihr Zuhause waren, doch in diesem Teil kannte sie sich gut genug aus, um ohne Schwierigkeiten zurückzufinden. Würden sie heute wieder im AbendClan spielen? Blühpfote kam nur noch äußerst selten. Lorbeerpfote hatte keine Ahnung, warum, doch sie traute sich nicht, ihn zu fragen. Nachdem Rosenpfote häufig respektlos gegenüber ihnen gewesen war, hatte Abendstern sie vom Clan ausgeschlossen, worüber die dunkelbraune Kätzin jedoch nicht sonderlich bestürzt schien. Seidenpfote schien auch die Lust vergangen zu sein. Sie nahm sich vor, die hellbraune Kätzin zu fragen, ob diese weiterhin Anführer sein wollte. Hin und wieder kam es sogar vor, dass Lorbeerpfote mit Sandpfote allein im Lager saß, die meistens lieber über andere Sachen reden wollte. Vielleicht sollte sie Mondpfote bald zur Heilerin machen, damit diese wieder häufiger kam. Zwischen den größtenteils kahlen Baumstämmen zeichneten sich bereits die vertrauten Umrisse der Akademie ab und Lorbeerpfote trabte über die Wiese. Auf dem Weg dorthin begegnete sie Seidenpfote und ließ ihre Beute fallen. „Hey, Seidenpfote! Kommst du mit zum AbendClan?", fragte sie. Sie waren am Anfang eigentlich ziemlich gute Freundinnen gewesen, doch inzwischen hatte die Kätzin mit dem seidigen Fell deutlich das Interesse verloren. Seidenpfote wich ihrem Blick aus. „Ich weiß nicht, ob ich noch dabei sein möchte... Irgendwie ist das ganze mir ein bisschen zu viel, es nimmt so viel von meinem Leben ein. Ich möchte einfach nur ein ganz normales Schülerleben haben!" Lorbeerpfote peitschte bestürzt den Schweif. Wer sollte den Clan anführen, wenn Abendstern ging? Würde der AbendClan sterben? „Das... wir- wir müssen uns ja nicht mehr jeden Tag treffen! Ich meine, der AbendClan muss doch gar nicht so viel Platz in deinem Leben einnehmen..." Sie überlegte verzweifelt, was sie sagen konnte, um Seidenpfote zum Bleiben zu überreden, doch diese schüttelte nur den Kopf und wandte sich einer Meise zu, die vor ihr im Gras lag, demonstrativ das Gespräch beendend. Lorbeerpfote nahm allen Mut zusammen und miaute: „Ich weiß nicht, wie du das siehst, aber ich dachte eigentlich, wir wären Freundinnen, auch wenn wir uns viel gestritten haben." Es hatte eine Zeit gegeben, da hatten sie viel zu zweit gemacht und Meerpfote und Strahlpfote waren in den Hintergrund gerückt. „Aber wie du dich jetzt verhältst, das ist irgendwie gar nicht wie Freunde es machen. Das verletzt mich..." Seidenpfote verdrehte die Augen und tauschte einen Blick mit Meerpfote, die belustigt mit den Schnurrhaaren zuckte. Da wurde es Lorbeerpfote zu blöd und sie packte ihre Spitzmaus, stand auf und ging zur Baumgruppe, in der sich das Lager verbarg. Seidenpfote war einfach blöd. Fürs erste war ihr die Lust auf eine Freundschaft mit ihr vergangen. Sie hatte ja noch den AbendClan... der aus einer Heilerin, einer Kriegerin und einer Heilerschülerin bestand. Sollte sie Sandfrost zur Anführerin machen? Zimtblüte ließ die Spitzmaus auf einen imaginären Beutehaufen fallen und fraß sie. Dann sprang sie auf einen kleinen Stein und rief den Clan zusammen. Sandfrost sprang herbei und sogar Mondpfote tauchte in den Schatten auf. „Ich muss euch leider verkünden, dass Abendstern den Clan verlassen hat, um ein Hauskätzchen zu werden. Wir müssen uns überlegen, wie wir den Clan weiterführen. Wir brauchen dringend neue Mitglieder. Sandfrost wiegte den Kopf hin und her. „Ich kann mal in meinem Kurs fragen", überlegte sie. Zimtblüte nickte dankbar und hüpfte vom Felsen. „Hüpfblüte", kicherte Mondpfote. Zimtblüte zuckte mit den Ohren. „Mondfurz", gab sie zurück. „Ich wollte mit dir über deine Heilerzeremonie reden. Wie wäre es, wenn wir die Prüfung morgen abhalten?" Die weiße Kätzin peitschte aufgeregt mit dem Schweif. Sandfrost setzte sich dazu und erzählte etwas aus ihrem Unterricht am Vormittag. Weißpfote aka Mondpfote war die einzige, die etwas gefangen hatte, und zwar gleich zwei Fische auf einmal. Lorbeerpfote nickte bewundernd.
Die Sonne hing schon tief über den Baumkronen, als sich Sandpfote verabschiedete und zu ihrem Kurs zurücklief. Mondpfote streckte die Vorderpfote aus und zeigte ihr ein paar Narben. „Weißt du, woher die kommen?" Lorbeerpfote schüttelte den Kopf. „Woher denn?" Mondpfote schüttelte ebenfalls den Kopf. „Das willst du nicht wissen." Lorbeerpfote lief ein Kribbeln über den Rücken. „Ey, jetzt sag es mir aber auch, das ist sonst unfair. Und tu nicht so, als wärst du älter und erwachsener als ich, ich bin einen Kurs über dir." Mondpfote zuckte mit den Schultern. „Das war ich." Lorbeerpfote legte verständnislos den Kopf schief. „Ich kratze mich da." Wie eiskalter Regen traf sie die Erkenntnis. „D-das solltest du nicht tun. Hör auf damit", stammelte sie, fest beschlossen, sich ihren Schock nicht anmerken zu lassen. „Ich weiß... Aber es hilft, Druck abzulassen, bei dem ganzen Stress... Erzähl niemandem davon." Lorbeerpfote wusste nicht mehr, was sie noch sagen sollte und rannte davon. Schattenpfote, endlich!
Lorbeerpfote tappte im stockdüsteren Gang entlang. Ihre Gedanken waren mindestens ebenso dunkel. Sie wusste nicht, wohin sie mit ihrem neuen Wissen sollte, aber sie musste es irgendwem erzählen. Sie konnte es unmöglich allein herumtragen, diese Last war einfach zu groß. Sollte sie es Schattenpfote sagen? Oder besser nicht? Sie hatte den Ausgang erreicht und beschleunigte ihr Tempo. Sie konnte es kaum erwarten, endlich seinen Duft einzuatmen.
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