3. Kapitel
Lorbeerjunges rannte, so schnell sie konnte. Der Sand stob hinter ihr auf und sie sprang mit einem lauten Platschen in den Bach. Flink wetzte sie zum Hochstein und sprang hoch. Sie hakte ihre Krallen geübt in die kleinen Rillen und kletterte mit verlangsamten Tempo ganz nach oben. Keuchend blieb sie sitzend und sah über das Lager. Neben hier zog sich auch Sprudeljunges hoch und berührte mit der Pfote ihren Schweif. „Ich hab dich gefangen!" kreischte die grau gemusterte Kätzin und sprang wieder herunter. Geschickt landete sie auf allen vier Pfoten und lief zu den übrigen Jungen. „Vorsicht, Lorbeerjunges ist jetzt der Krieger!" Die Kätzin genoss noch einige Herzschläge den Überblick über das Lager und folgte Sprudeljunges, ehe sie noch von Eisblume erwischt wurden. Eigentlich durften sie nicht mehr auf den Hochstein klettern, seit Spritzjunges gestürzt war und mit einer verstauchten Pfoten nur neben seiner Mutter liegen und zusehen konnte. Eisblume döste mit halbgeschlossenen Augen vor sich hin, nur ihre Ohren, die den Bewegungen der Jungen folgten, verrieten ihre Aufmerksamkeit. Fröhlich rannte Lorbeerjunges zu ihren Geschwistern und Baugefährten, die daraufhin auseinander stoben. Mit peitschendem Schweif blieb die Kätzin stehen. „Wollen wir nicht lieber etwas anderes spielen?" fragte sie. „Maus und Krieger wird allmählich langweilig, wie wäre es mit Aufspürkatze?" Die anderen Jungen kamen wieder herbeigelaufen. „Na gut", nickte Tropfenjunges. Strudeljunges rief: „Okay, aber ich bin die Aufspürkatze! Ihr habt sechzig Herzschläge Zeit!" Auch die übrigen nickten zustimmend und Lorbeerjunges sah sich eilig nach einem geeigneten Versteck um. Vor kurzem hatte sie einen kleinen Überhang des Lagerwalls entdeckt, nur wenige Zweige, doch sie boten genügend Sichtschutz für eine so kleine Katze wie sie. Schnell schlüpfte sie darunter und kauerte sich in eine angenehme Position, den Schweif um die Pfoten gelegt. Zwischen den Zweigen beobachtete sie, wie Plätscherjunges, Pfützenjunges, Tropfenjunges und Sprudeljunges in verschiedenen Bauen verschwanden, unter den Fischhaufen krochen oder hinter den Hochstein liefen. Strudeljunges zählte die letzten drei Herzschläge laut mit und sah sich dann suchend um. Wie erwartet schien ihr Versteck eine gute Wahl gewesen zu sein, denn Strudeljunges sah nicht einmal ansatzweise in ihre Richtung.
Nach einiger Zeit begannen ihre Pfoten zu kribbeln und sie wollte sich gerade in eine andere Position legen, als Lichthimmel näher kam, gemeinsam mit Nebeldunst. Sie miauten gerade etwas und Lorbeerjunges hörte ihren Namen heraus, deshalb verhielt sie sich ruhig. Es hatte ihr schon immer Spaß gemacht, andere Katzen auszuspionieren, besonders, wenn es um sie zu gehen schien. Die Kätzin spitzte die Ohren und lauschte. „...ich weiß, dass das unfair ihr gegenüber ist. Aber ich konnte es bisher einfach nicht über das Herz bringen, es..." Lorbeerjunges verfluchte den Wind, der gerade jetzt ihr Versteck rascheln lassen musste, sodass sie nicht alle Worte verstehen konnte. „... wie selbstverständlich angenommen und ich will ihre Welt nicht durcheinander bringen..." Eine kleine Pause entstand und Nebeldunst seufzte. „Ich verstehe dich ja, aber du kannst nicht ewig damit warten. Noch ist Lorbeerjunges zu jung, um sich darüber Gedanken zu machen, doch schon bald wird ihr auffallen, das etwas mit der Familie nicht stimmt. Sie hat nie infrage gestellt, dass Flutwelle nicht ihr Vater ist, aber sie ihr Leben lang in diesem Glauben zu lassen, ich sei ihre Mutter, das ist einfach nicht richtig. Es wird ihr zu denken geben, dass die anderen älter sind und einen anderen Vater haben, und was ist mit der Fellfarbe?" Die Stimmen verklangen, Lorbeerjunges konnte nichts mehr verstehen, doch eigentlich hatte sie genug gehört. Ihr Herz klopfte wild, als diese Neuigkeiten bei ihr ankamen. Sie wollte es nicht wahrhaben! Das konnte doch nicht richtig sein, sie musste sich verhört haben! Nebeldunst sollte nicht ihre Mutter sein? Und was war mit Plätscherjunges, Pfützenjunges und Strudeljunges? Waren sie am Ende auch nicht ihre Geschwister? Doch wenn Nebeldunst nicht ihre Mutter war, wer war es dann? Und wieso wurde sie die drei Monde, die ihr Leben bereits zählte, angelogen?
Tränen stiegen ihr in die Augen und verschleierten ihre Sicht. Sie rollten die Wangen herunter und Lorbeerjunges stolperte aus ihrem Versteck. Am Rande nahm sie wahr, wie Strudeljunges auf sie zu hüpfte, doch sie schickte ihn mit einem Schweifschnippen wieder weg und sie sah sich nach ihren Eltern um. Nein, nur nach ihrem Vater. Sie saßen im Schatten des Hochsteins und redeten noch immer miteinander. Schnell stürzte sie auf die beiden Katzen zu und kam vor ihnen zum stehen. Die Tränen flossen noch immer, doch darum konnte sie sich jetzt nicht kümmern. Nebeldunst sah auf und erkannte erschrocken, dass sie weinte. „Hey, Lorbeerjunges, was ist denn passiert, wieso weinst du denn?" fragte sie mit weicher Stimme und wollte sie zu sich ziehen, doch Lorbeerjunges machte sich los und miaute mit sich überschlagender Stimme: „Tu nicht so als wärst du meine Mutter!" Anklagend wendete sie den Kopf und sah zu Lichthimmel. Mit Genugtun erkannte sie die Betroffenheit in seinem Gesicht. Er hatte seine wasserblauen Augen aufgerissen und sah sie an, öffnete das Maul und wollte etwas sagen, doch Lorbeerjunges schnitt ihm das Wort ab. „So ein Vater bist du also!" spuckte sie. „Mein ganzes Leben ist eine Lüge gewesen, obwohl ich erste drei Mondkreisläufe erlebt habe!" Sie drehte sich um und rauschte davon. Im Lagerwall hinter der Kinderstube hatte sie vor einigen Sonnenaufgängen ein kleines Loch entdeckt. Im Moment wollte sie einfach nur weg. Sie umrundete ihren Bau und zwängte sich durch die Dornen. Kurz meinte sie, sie müsse steckenbleiben, doch dann kämpfte sie sich frei und stand im Territorium des BachClans. Staunend sah sie sich um und hatte ihre Wut für einige Herzschläge vergessen. Doch dann hörte sie die Rufe der Katzen, die sie für ihre Geschwister gehalten hatte und die Tränen stiegen in ihr auf. Im Moment der Konfrontation hatte sich die rechtschaffene Wut besser als die Trauer angefühlt, doch nun brachte ihr das auch nichts mehr. Einsam kauerte sie sich ins Gebüsch. Sie hatte eine ganze Familie gehabt, und nun blieb ihr nur noch Lichthimmel - und der hatte sie von Grund auf belogen. Sie wusste nicht, wie viel Zeit vergangen war, als ein erleichterter Ruf erklang. „Ich habe sie gefunden!" Lorbeerjunges schreckte auf. Eine gestreifte Kätzin, die Wasserfall hieß, wenn sie sich recht erinnerte, stand vor ihrem behelfsmäßigen Versteck und sah zu ihr herunter. „Na komm schon raus, Kleines. Dein Vater hat das ja nur getan, damit du eine schöne Kindheit hast, weil er dich liebt. Er bereut trotzdem, es dir nicht gesagt zu haben." Zögerlich wischte sich Lorbeerjunges ein paar Male mit der angeleckten Pfote über das Gesicht und stand auf. Schnurrend packte die Kätzin sie am Nackenfell und trug sie einmal um den Wall herum zurück ins Lager.
Der Himmel hatte sich mittlerweile zugezogen und ein kühler Wind kam auf. Ihr Vater saß auf der Lichtung und stellte hoffnungsvoll die Ohren auf, als er sie kommen hörte. „Lorbeerjunges" rief er und lief schnell zu ihr. Die Kätzin hoffte, keinen Ärger zu bekommen, weil sie unerlaubt das Lager verlassen hatte, doch ihr Vater war weit davon entfernt, mit ihr zu schimpfen und leckte ihr liebevoll die Ohren. Obwohl Lorbeerjunges innerlich sehr verletzt war, schmolz ihr Ärger dahin und sie schmiegte sich an ihren Vater. „Aber Lichthimmel..." begann sie zögerlich, doch sie hatte ein Recht auf die Wahrheit und sie musste es einfach wissen. „wer ist denn dann m Mutter? Habe ich noch eine ganze Familie?" Lichthimmel schüttelte den Kopf und die Trauer stand ihm ins Gesicht geschrieben. „Deine Mutter war ein Hauskätzchen. Sie hieß Julia, doch sie hat sich vor langer Zeit dem Clan angeschlossen und war eine gute Kriegerin. Bei deiner Geburt ist sie dann gestorben", flüsterte er. Lorbeerjunges senkte den Kopf. Sie verstand, weshalb sie bei Nebeldunst gelegen hatte, doch mit jedem Gedanken hatte sie das Gefühl, über eine weitere Scherbe ihres Lebens zu stolpern. Lichthimmel war jedoch noch nicht fertig. „Ich wollte dir schon etwas länger etwas über den Rest deiner Familie erzählen. Ich hatte eine große Schwester. Sie war die Anführerin vor Seestern und hieß Morgenstern. Und meine Mutter hieß Waldlicht, doch sie ist schon lange vor deiner Geburt gestorben... Über die Familie deiner Mutter weiß ich wenig, doch ich erinnere mich an Blühglanz, der kleine Bruder von Julia, er hatte einen Kriegernamen angenommen." Lorbeerjunges nickte aufmerksam. Sie hatte ein bisschen das Gefühl, plötzlich in einer anderen Katze zu stecken, mit eigener Familie. Würde sie je wieder normal mit Nebeldunst sprechen können, von der eigenen Mutter zur Mutter der Baugefährten degradiert - würde sie von nun an allein schlafen müssen? Und was war mit den anderen Jungen, hatten sie es gewusst? Doch gleichzeitig gab auch vieles in ihrem Leben jetzt einen Sinn. Dass ihre Ziehgeschwister einen Mond älter waren und dass sie als einzige diese goldene Färbung hatte zum Beispiel. Lorbeerjunges seufzte und kuschelte sich an ihren Vater. „Und wie sah meine... Mutter überhaupt aus?" fragte sie schließlich. Lichthimmel antwortete erst einige Herzschläge später. „Du hast ihre dunklen, braunen Augen. Aber anders als wir hatte sie dunkelbraun, fast schwarzes Fell..." Die Kätzin gähnte. Was auch immer der morgige Tag in dieser neuen Katze, die sie jetzt war, bringen würde - sie war bereit. Aber erst schlafen.
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