10
Reflexartig warf Ben sich auf den Boden und schnappte in die Tiefe.
Tatsächlich bekam er Cléos Hand zu fassen. Mit aller Kraft zerrte er sie wieder nach oben. Einen Moment lang saßen sie schweigend und schwer atmend nebeneinander. Dann unterbrach Cléo die Stille.
"Was sollte das denn!?", fragte sie. Verwundert sah Ben sie an. "Ich...hab dich gerettet?"
Unsicher scharrte er mit dem Fuß am Boden. "Warum hast du mich überhaupt gestoßen? Dann wäre deine sogenannte Rettung gar nicht nötig gewesen!"
Mit einem fassungslosen Gesichtsausdruck starrte sie ihn an. "Ich dachte echt, wir wären Freunde, aber zur Not schubste wohl auch Menschen in den Abgrund!" Ben sah sie an.
"Was? Ich hab dich nicht gestoßen!" Er war empört. "Warum sollte ich?"
"Das frage ich dich! Jetzt verpiss dich, du Mörder!". Das letzt Wort hallte noch lange in seinem Kopf wider. Mörder.
Hatte er sie geschubst, ohne es zu wissen, so wie in einer Trance? Ben schüttelte den Kopf. Nein, ich hab sie nicht geschubst! Langsam rappelte er sich auf. "Wie du meinst..." Und er machte sich wieder auf zum Tunnel.
Es war, als würde man gegen eine Wand laufen, was daran lag, dass der Tunneleingang nicht mehr dort war und Ben gegen den Felsen stieß. Verblüfft sah er sich um. Cléo saß mit verschränkten Armen auf dem Boden und spielte mit den Fingern im Staub.
Er tastete den Stein ab. Vielleicht gab es ja einen Mechanismus, wie in einem Videospiel. Aber nein, der Felsen war, wie es der Name schon versprach, felsenfest.
"Der Eingang ist weg!", sagte er leise.
"Was?", fragte Cléo säuerlich. "Mir war, als hätte ein unmöglicher Wichser etwas von sich gegeben!"
"Der Tunnel...er ist...", stotterte Ben.
"Was? He? Voller Frösche? Geh doch einfach-" Sie drehte sich um und sah mit offenem Mund den Felsen an. "-weg!"
"Wie kommen wir jetzt hier runter?", fragte Cléo aufgebracht. Ben zuckte mit den Schultern. Er war hungrig und hatte Durst, war müde, ausgelaugt. Für das hier hatte er gerade keinen Nerv.
"Ich werde garantiert nicht in diesen Wald gehen, es wird bald dunkel, nicht das wir uns verirren!", zeterte sie weiter. Ben sagte nichts. Er rutschte stumm die Felswand hinab, dem Boden entgegen.
"Wir sind am Arsch...", sprach er endlich aus, was er sich seit zwei Tagen dachte. "Wir sind einfach..." Er holte Luft. "...ganz gewaltig am Arsch!"
Cléo setzte sich neben ihn. Ben wich zurück. "Was denn?", fragte sie unsicher und blickte ihn an. "Nichts, ich..."Er zögerte. "Was, wenn ich dich doch gestoßen habe, ohne es zu wissen?" Traurig sah er auf. "Wie das denn?". Cléo runzelte die Stirn. "Keine Ahnung, war...nur so'n Gedanke..." Mit dem Finger malte Ben Kreise in die bröselige Erde.
"Aber du hast mich doch gestoßen...wer soll es sonst gewesen sein? Warum?"
"Ich weiß es nicht...ich war es nicht, das wüsste ich doch. Warum würde ich es tun?"
Cléo zuckte mit den Schultern.
Längere Zeit saßen sie so da, ohne ein Wort zu sagen. Schließlich erhob Cléo ihre Stimme.
"Wo ist eigentlich dein Vater?"
"Ich weiß es nicht", gab Ben zu. "Ich mache mir echt Sorgen...meine Familie ist ein bisschen eigen, vielleicht hat er Mist gebaut und ist von Bord gefallen!", mutmaßte er.
"Ach, war er auch auf dem Schiff?"
"Jap."
Wieder schwiegen sie sich an.
"Wo ist dein Vater?", fragte Ben dann.
"Er ist in Südafrika."
"Cool!", sagte Ben. Das Wort war ungebremst aus ihm herausgekommen, obwohl er sich sicher war, dass Cléo ihren Vater jetzt lieber bei sich gehabt hätte.
"Naja, cool ist was anderes", seufzte sie. "Jetzt sitze ich mit meiner hysterischen Mutter und ihren Dienern zu Hause fest!" Sie hielt inne. "...Mit ihren Dienern, ohne sie."
Traurig senkte Cléo den Kopf. "Sie ist beim Untergang vom Schiff gefallen und kann nicht schwimmen..." Ben war kein guter Tröster. Vorsichtig legte er einen Arm um sie. Da fiel Cléo ihm um den Hals.
"Ben? Ich hab Angst! Und ich habe sonst nie Angst! Ich hatte nicht mal Angst, als das verdammte Schiff untergegangen ist, aber jetzt, hier..-". Sie hielt inne und starrte in den mittlerweile dunkel gewordenen Himmel. "Seit wir hier sind, fühl ich mich, als hätte ich einen Menschen auf dem Gewissen..." Cléo schluckte. "Was ist, wenn ich meine Mutter geschubst habe und mich nur nicht daran erinnern kann, so wie du mit mir?"
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