Die Bande des Schmerzes
Die Bande des Schmerzes
Als die Nacht über sie hereingebrochen war, hatte die Gemeinschaft ihr Lager am Ufer aufgeschlagen. Auch nach mehreren Stunden Bootsfahrt hatten die Hüter kaum ein Wort verloren und sich von den anderen zurückgezogen. Während Alex und Amy sich schlafen gelegt hatten, hielten Sofia und Melina Wache und Leah sah zu Frodo und Sam. Die beiden Hobbits saßen etwas abseits und nun versuchte Sam anscheinend, auf Frodo einzureden.
,,Iss was, Herr Frodo!", sagte Sam, aber Frodo schüttelte nur kaum merklich den Kopf.
,,Nein, Sam!"
,,Du hast schon den ganzen Tag nichts gegessen...und schlafen tust du auch nicht. Denk nicht, ich hätts nicht bemerkt.", beteuerte Sam und trat an die Seite des Hobbits, doch Frodo wirkte abwesend und in sich gekehrt.
,,Mir fehlt nichts."
,,Das tut es doch. Ich bin hier, um dir zu helfen. Ich hab Gandalf versprochen, dass ich das tue."
Sam warf Frodo vielsagende Blicke zu und Leah musste ein wenig schmunzeln, angesichts seiner Hartnäckigkeit. So leicht ließ sich Sam eben nicht abspeisen und ihrer Meinung nach war dies genau das, was Frodo als treuen besten Freund an seiner Seite brauchte. Aber der Ringträger sah Sam nun niedergeschlagen an und auch die Trauer stand ihm noch ins Gesicht geschrieben.
,,Du kannst mir nicht helfen, Sam. Diesmal nicht."
Frodo richtete seinen Blick wieder auf das Wasser und Sam zog sich bedrückt zurück. Leah empfand Mitleid mit ihm, denn er versuchte anscheinend vergeblich Frodo zu helfen. Sie hoffte jedoch, dass Sam nicht aufgab und Frodo weiterhin treu zur Seite stand. Aber nun erregte etwas anderes ihre Aufmerksamkeit, denn sie wurde nun unfreiwillig Zeugin einer Auseinandersetzung zwischen Aragorn und Boromir.
,,Minas Tirith...dieser Weg wäre sicher. Das weißt du! Dort könnten wir uns neu formieren und dann mit gestärkter Kraft nach Mordor aufbrechen.", versuchte Boromir ihn zu überzeugen, aber Aragorn verwarf diesen Vorschlag gleich wieder.
,,Es gibt keine Stärke in Gondor, die uns weiterhelfen würde."
,,Aber von den Elben hast du dir weiterhelfen lassen.", warf Boromir ihm vor und sah Aragorn verständnislos an. ,,Warum vertraust du deinem eigenen Volk so wenig? Ja...sie sind unentschieden...und haben Schwächen, aber auch Mut und Ehre...kann man unter den Menschen finden. Doch du verschließt die Augen davor."
Boromir wirkte schon fast verzweifelt, während er versuchte, weiter auf Aragorn einzureden. Leah wusste nicht so recht, was sie davon halten sollte, doch sie erkannte den Ernst der Lage, als Aragorn sich abwenden wollte, Boromir ihn jedoch harsch zurückhielt.
,,Du fürchtest dich! Dein Leben lang hast du dich im Schatten verborgen...aus Angst davor, was du bist...wer du bist!", fuhr Boromir ihn an, als Leah dazwischen ging und den Rothaarigen ernst ansah.
,,Das reicht jetzt! Wie oft sollen wir es Euch eigentlich noch sagen? Wir werden nicht nach Gondor gehen!"
Leah funkelte Boromir geradezu wütend an und dieser warf einen letzten vorwurfsvollen Blick Richtung Aragorn, ehe er sich abwandte und ging. Zwar sah Leah ihm noch kurz nach, doch sie war froh, dass die Situation nicht eskaliert war. Sie hatte also im richtigen Moment eingegriffen.
,,Ist alles in Ordnung?", fragte sie an Aragorn gewandt und dieser winkte ab.
,,Mir gehts gut. Ihr hättet das nicht tun müssen."
,,Ich weiß! Aber ich dachte, es wäre besser, wenn ich Boromir zurückpfeife, bevor er sich noch ganz vergisst.", erwiderte Leah und dann sah sie Aragorn mitfühlend an. ,,Doch etwas würde ich schon gerne wissen: warum habt Ihr so viel Angst vor dem, was Ihr wirklich seid...oder sein könntet? Es ist doch Eure Bestimmung!"
Leah musterte Aragorn und sah, wie er sich anspannte. Ganz offenbar führte er aufgrund dieses Themas einen inneren Konflikt und Leah erinnerte sich daran, wie sie und die anderen sich damals gefühlt hatten, als sie erfahren hatten, dass sie die Hüter von Mittelerde waren.
Sie hatten ebenfalls Zweifel gehabt! Zweifel, ob sie dieser Bestimmung und Bürde gewachsen waren und sie erfüllen konnten. Und dabei ging es ja nicht nur um ihr eigenes Leben, sondern um das von allen, die in ganz Mittelerde lebten. Aragorn hingegen, musste sich entscheiden, ob er weiterhin als Waldläufer im Exil leben oder sich als König der Menschen erheben würde. Eine Entscheidung, die sein ganzes Leben verändern könnte.
,,Ich kenne die Geschichten...weiß, was in der Vergangenheit passiert ist. Und ich sagte es Euch bereits...das gleiche Blut von Isildur fließt durch meine Venen und somit auch die gleiche Schwäche. Wenn ich mein Schicksal annehme...dann könnte ich versagen wie er.", brachte Aragorn hervor, woraufhin Leah ihn entschlossen ansah.
,,Das wisst Ihr doch gar nicht. Es ist nicht gesagt, dass Ihr versagen werdet, Genauso gut könntet Ihr alles verändern und Mittelerde in ein besseres Zeitalter führen. Wenn Ihr Euer Schicksal annehmt...dann werden die Menschen Euch folgen und Ihr werdet ihr wahrer König sein."
Aragorn sah Leah an und erwiderte nichts. Nun wusste Leah nicht, ob ihre Worte ihn sprachlos gemacht hatten oder er einfach nur nichts darauf erwidern wollte. Aber sie wusste, dass sie jedes einzelne Wort genauso meinte, wie sie es ausgesprochen hatte. In ihren Augen war Aragorn der geborene König und insgeheim hoffte sie, dass er sich doch noch zu diesem erheben würde.
***
Melina stand in sicherer Entfernung und dennoch war ihr das Gespräch zwischen Aragorn und ihrer Schwester nicht entgangen. Und sie konnte nicht leugnen, dass sie selbst von Leahs Worten ergriffen war. Sie versuchte, Aragorn von seinem Schicksal zu überzeugen. Wollte ihm Mut machen, es zu ergreifen und Melina erinnerte sich daran, dass ihre Schwester nur zu einer einzigen Person schon diese besondere Verbindung gehabt hatte...vor ganz genau 60 Jahren!
,,Ich danke Euch für Euer Vertrauen, Leah. Nur glaube ich nicht daran, dass dies jemals geschehen wird.", sagte Aragorn noch, ehe er sich von der rothaarigen Hüterin abwandte und von ihr entfernte.
Melina sah zu ihrer Schwester, die Aragorn noch nachsah und in ihren Augen lag unendliche Verzweiflung. Aber nicht nur das sah Melina im Blick ihrer Schwester, sondern auch Schmerz. Unendlicher Schmerz, der sie seit Jahren quälte und selbst nach so langer Zeit einfach nicht verlassen zu wollen schien. Leah wandte sich nun ebenfalls ab und flüchtete in das kleine Waldstück nahe des Lagers, woraufhin Melina ihr nachsetzte. Zwar wusste sie nicht, ob Leah jetzt überhaupt mich jemandem reden wollte, aber sie wollte ihre Schwester jetzt auch keineswegs allein lassen.
Und so folgte Melina ihr in den Wald, wo sie zuerst nach ihr suchen musste. Denn Leah war aus ihrem Blickfeld verschwunden, doch schnell fand Melina ihre Spuren und entdeckte ihre Schwester, die an einem Baum lehnte und den Kopf niedergeschlagen gesenkt hatte.
,,Leah?"
Als Melina die Stille durchbrach, zuckte Leah zusammen und hob schnell den Blick, wo sie ihre Schwester auch schon entdeckte. Melina war nur wenige Schritte von ihr entfernt und hatte ihren sorgenvollen Blick auf sie gerichtet. Hastig versuchte Leah, wieder ihre Fassung wiederzuerlangen und so normal wie möglich auszusehen, aber dafür war es längst zu spät. Denn Melina hatte sie ohne Zweifel direkt durchschaut und kam nun direkt auf sie zu.
,,Ist alles in Ordnung, Leah? Ich habe dich und Aragorn reden hören.", sagte sie und Leah winkte ab.
,,Alles bestens. Ich habe nur versucht, ihm die positiven Möglichkeiten seiner Bestimmung näher zu bringen. Aber er scheint seine Entscheidung bereits gefällt zu haben."
Obwohl Leah sich bemühte, konnte sie ihre Enttäuschung nicht ganz verbergen. Sie hatte so sehr gehofft, Aragorn noch umstimmen zu können. Warum, das wusste sie selbst nicht, aber sie wusste auch, wann sie verloren hatte und dies hatte sie. Aragorn schien niemals der König sein zu wollen, den all diejenigen, die von seinem Schicksal wussten, in ihm sahen.
,,Vielleicht ändert er seine Meinung noch, Leah. Du musst ihm etwas Zeit geben. Ich bin sicher, eines Tages wird er erkennen, dass dies der richtige Weg ist und dann wird er auch König werden.", versuchte Melina sie zu ermutigen, woraufhin Leah nur ergebend seufzte.
,,Ich weiß nicht, Melina. Es scheint nicht so, als hätten meine Worte ihm etwas bedeutet. Und wenn ich ehrlich bin...dann werde ich aus ihm irgendwie nicht schlau. Manchmal habe ich das Gefühl, dass ich ihn schon gut genug kennen würde, um ihn einschätzen zu können...doch dann wird mir wieder bewusst, dass ich ihn ganz und gar nicht kenne."
Leahs Blick verlor sich in der Ferne und sie fragte sich, warum sie sich eigentlich die Mühe machte. Es war immerhin das Schicksal von Aragorn, um das es hier hing und nicht um das Ihre. Aber dennoch hoffte sie insgeheim irgendwie, dass er seine Meinung dennoch ändern würde...wie Melina gesagt hatte.
Und Melina warf Leah nun einen merkwürdigen Blick zu, der die Rothaarige verwirrte. Ihre Schwester schien bereits weiter zu denken und obwohl Leah ihre Gedanken nicht lesen konnte, hatte sie schon eine dunkle Ahnung, was nun folgen würde.
,,Das erinnert mich an etwas.", setzte Melina an, ehe sie ihrer Schwester vielsagende Blicke zuwarf. ,,An eine Hüterin, die einst einen arroganten Zwergenprinzen dazu brachte, sein wahres Ich zu offenbaren und ihn auf den richtigen Weg brachte. Und alles, was sie dazu brauchte...war ihr Herz...welches sie an ihn verloren hatte. Doch jetzt...scheint es inzwischen jemand anderem zu gehören.", sprach Melina aus und Leah sah sie erschüttert an.
Seit ihrem Wiedersehen hatte Melina es nicht gewagt, dieses Thema so offen und so direkt anzusprechen. Doch nun hatte sie es getan und nicht nur das. Sie hatte auch ihre Vermutung ausgesprochen, welche sie bereits die gesamte Reise über gehabt hatte. Dass Leah und Aragorn eine Verbindung zueinander hatten, wie Leah sie einst schon zu Thorin gehabt hatte. Und während Leah durch diese Äußerung regelrecht sprachlos war und sich schockiert umdrehte, so wusste Melina, dass die Vergangenheit Leah immer noch Schmerzen bereitete. Schmerzen, die Melina ihr nur zu gerne abnehmen würde
,,Leah...ich weiß, der Tod von Thorinhat dich damals sehr getroffen und er verfolgt dich bis heute. Aber vielleicht...ist es langsam an der Zeit...loszulassen! Und ich glaube, Aragorn könnte dir dabei helfenwenn du ihm die Chance gibst.", sagte Melina und sah ihre Schwester mitfühlend an.
Diese jedoch drehte sich um und hatte nun ein funkelndes Anzeichen von Wut in ihren Augen.
,,Das kommt ausgerechnet von dir! Weiß du was, Melina? Du hast keine Ahnung, wie es sich anfühlt, seine große Liebe zu verlieren. Denn du...du schaffst es ja noch nicht einmal, dir überhaupt Gefühle einzugestehen. Du und Legolas...selbst ein Blinder würde sehen, dass ihr beide mehr füreinander empfindet, als ihr zugeben wollt. Doch anstatt miteinander glücklich zu werden, geht ihr euch aus dem Weg und das ganze 60 Jahre lang. Und jetzt? Beginnt alles von vorn! Wir befinden uns auf einer Mission und ihr beide seid natürlich nicht mehr, als gute Freunde. Ein kleiner Rat unter Schwestern: bekomm erstmal das Chaos deiner eigenen Gefühle in den Griff, bevor du mir oder jemand anderem Tipps für Beziehungen oder im Loslassen gibst."
Mit diesen Worten ließ Leah ihre Schwester stehen und ging in Richtung Lager zurück. Melina war erstarrt wie eine Statue und sah zu Sofia, die wie aus dem Nichts aufgetaucht zu sein schien und offenbar unfreiwillig Zeugin der Auseinandersetzung geworden war. Allerdings warf sie Melina nun vielsagende Blicke zu und seufzte ein wenig.
,,Sie hat Recht, Melina! Du hattest als Einzige von uns das Glück, dass deine große Liebe nicht getötet wurde. Sag Legolas, was du für ihn empfindest. Denn sonst könnte es eines Tages zu spät sein."
Sie legte Melina eine Hand auf die Schulter, dann ging sie ebenfalls zu der Gruppe zurück. Kurz war Melina wie vor den Kopf gestoßen, doch dann begab auch sie sich auf den Rückweg zum Lager. Und als sie aus dem Wald gestürmt kam, traf sie auf Legolas, der allem Anschein bemerkt hatte, dass Ärger in der Luft lag.
Melina hielt inne und starrte den Elbenprinzen für einen Moment erschüttert an, sagte jedoch nichts. Legolas hingegen, sah sie fragend an und sie erkannte die Sorge in seinem Blick.
,,Alles in Ordnung?", wollte er wissen, aber Melina nickte nur.
,,Ja! Alles bestens!"
Dies war zwar nicht die Wahrheit, aber Melina wollte ihm keinesfalls in die Geschehnisse von eben einweihen. Genauso wenig konnte sie nicht den Rat von Leah befolgen und deshalb wandte sie sich von Legolas ab, ehe sie zu ihrem Schlafplatz ging. Sie fühlte sich schlecht wegen des Streits mit ihrer Schwester, aber dennoch wusste Melina eins: ganz gleich, was Leah auch sagte...vielleicht war es wirklich an der Zeit, dass sie alle die Vergangenheit loslassen sollten. Denn wenn sie es nicht taten...wie sollten sie die Bande des Schmerzes jemals brechen können?
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