Kapitel 7
Am nächsten Morgen verließ ich das Haus früher, um mit dem Fahrrad zur Schule zu fahren. Das machte ich eigentlich immer dann, wenn die Sticheleien kaum noch auszuhalten waren, um meinen Mitschülern aus dem Weg zu gehen, nur half das nicht auf Dauer, deshalb setzte ich dieses Mittel nur sehr begrenzt ein.
Jedoch war das nicht der heutige Grund für die sportliche Betätigung, stattdessen hatte ich einfach keine Lust auf irgendwelche Begegnungen mit Emilia und Alex. Als ich die Tür zum Schuppen aufstieß, blinkten mich zwei große, gelbe Augen an und ein kleiner Umriss erhob sich wankend. „Arg", rief ich und wich ein paar Schritte zurück, bis ich erkannte, dass es sich um Kittekatt handelte. Daraufhin machte ich erneut: „Arg!"
„Hallo Berenike", schnurrte sie erfreut und Keks krähte „Guten Morgen!"
„Hi", seufzte ich, nicht sicher, ob ich weinen oder lachen sollte.
„Wir wollten dich abholen. Heute steht Hexen auf dem Programm für dich", verkündete die Krähe und die Katze setzte nach: „Spinnweb war nicht sehr glücklich, dass du gestern gleich die ganze Schule verzaubert hast."
„Ich – ich – hab – nicht gezaubert", erwiderte ich empört.
„Schwerer Fall von Gedächtnisverlust", flüsterte Keks und Kittekatt nickte ernst.
„Ich erinnere mich", rief ich. „Ich war das nicht."
„Sondern?", wollte die Krähe wissen.
„Emilia oder Alex", sagte ich siegesgewiss.
„Jetzt beschuldigt sie auch noch Unschuldige. Ich muss dir leider sagen, dass die zwei nicht ohne die Erlaubnis von Spinnweb draufloszaubern würden. Das du überhaupt weißt, dass sie Hexenschüler sind, ist nicht gut. Woher weißt du das?", wetterte die Katze.
„Von dir", antwortete ich prompt und die zwei sahen mich missmutig an.
„Eins musst du ihr lassen, sie ist nicht auf den Kopf gefallen", hörte ich die Krähe zischen, aber Kittekatt ließ sich zu keiner Antwort hinreißen.
„Los geht's!", rief sie stattdessen und eilte hinaus. Ich schnappte mir mein Fahrrad und fuhr an der Einfahrt einfach in eine andere Richtung, als die beiden liefen und flogen. Ich hatte nicht vor zu dem Hexenhaus zurückzukehren.
Aber an der nächsten Kreuzung warteten sie schon und meinten gehässig: „Das wird nichts, junge Dame. So wie die Motte zum Licht fliegt, wirst du heute Spinnweb treffen." Kurzerhand setzte ich mich hin und blieb einfach auf einem kleinen Rasenabschnitt sitzen. Die beiden seufzten, als sich unsere Umgebung veränderte und „blop" das Gartentörchen zwischen zwei Bäumen auftauchte.
Fasziniert sah ich hinüber. Die Hexe stand dahinter und musterte mich.
Dann zuckte sie mit den Schultern und entfernte sich rasch.
„Das ist nicht gut", flüsterte Keks beunruhigt und Kittekatt murmelte anklagend: „Das darfst du nicht. Zeig doch einmal ein bisschen Respekt. Sie ist schwierig, aber sie meint es nicht böse."
„Pffff....", machte ich genervt und verschränkte die Arme abweisend.
„Wir dürfen uns nicht einmischen", mahnte die Krähe nachdenklich.
„Pffff....", wiederholte ich.
„Du brauchst sie genauso dringend, wie sie dich", meinte Kittekatt schnippisch und warf Keks einen bösen Blick zu.
„Wieso das?", rief ich aufgebracht. „Ganz sicher nicht!" Hätte ich meine Arme noch mehr verschränken können, dann hätte ich es getan. So hielt ich nur meine ausdrucksstarke Position bei. Ein fernes Kichern erklang und ein Schauer jagte mir über den Rücken. „War das Spinn-Spinnweb?", erkundigte ich mich vorsichtig.
„Nein", protestierten die beiden wie aus einem Mund und warfen sich besorgte Blicke zu.
„Toll. Wirklich super", schimpfte ich, dann erhob ich mich und stapfte zum Gartentor. Ich lief hinein und rief: „Hallo Garten. Bitte bring mich zum Haus." Schwups stand ich auch schon davor. Da konnte es wohl jemand nicht erwarten, dass ich ankam, bemerkte ich verblüfft.Spinnweb sah mich genauso überrascht an, wie ich sie.
„Ach doch noch aufgetaucht", meinte sie zwar angriffslustig, strich sich aber gleichzeitig unsicher den Rock glatt. „Liebevoll", hustete es neben mir aus dem Krähenschnabel und die Katze maunzte: „Erwachsen." Verwirrt sah ich die beiden Tiere an. Spinnweb seufzte und erklärte:
„Schau Kleines, ich bin es nicht gewohnt, mich jemandem zu erklären. Wir haben nicht mehr viel Zeit, was zwar meine Schuld ist, aber ich habe nicht mit solchen Problemen gerechnet. Es ist ziemlich zwecklos, aber gut, jetzt bist du ja hier."
„Wir wussten nicht, dass es so knapp wird, sonst hätten wir ihr schon längst den Marsch geblasen", krähte Keks und plusterte sich auf. Als ihn ein böser Blick von Spinnweb traf, wurde er schnell wieder ganz klein. Besonders als sie ungehalten knurrte: „Geh mir nicht auf den... ." Mehr musste sie nicht sagen, der Rabe wurde noch winziger und Kittekatt grinste vergnügt.
Ich wartete einfach. Normalerweise erklärte sich dann das meiste von selbst, denn zu viele Fragen lösten eher Ungeduld und Missmut aus. Zumindest hatte ich das beobachtet, ich persönlich redete ja nur so wenig wie möglich.
Spinnweb seufzte und setzte immer wieder an, um etwas zu sagen, brach aber jedes Mal ab, bevor die ersten Silben ihren Mund verließen.
Irgendwann stampfte sie wütend auf und rief: „Es hat ja doch keinen Zweck!" Dann lief sie in den Garten, der jedoch augenblicklich eine riesen Dornenhecke wachsen ließ und sie damit fast einschloss. Nur in meine Richtung war noch eine Passage. Das machte sie nur wütender und sie schoss Feuerbälle auf ihren grünen Widersacher, der davon jedoch gänzlich unbeeindruckt war. Auf etwaige Brandherde klatschte jedes Mal ein großer Ast, ein Netz aus Blättern, das sich wie eine Decke über das Feuer legte oder ein Wasserball düste von einer nahen Wasserquelle herüber und spritzte die Hexe gleich mit nass.
Spinnweb kreischte wütend und beschimpfte den Garten lautstark mit allen erdenklichen Schimpfwörtern: „undankbares Biogrün", „vermaledeites Giftgewächs" und auch „Abgasschikane" hörte ich sie wüten.
Die Hecke blieb jedoch, wo sie war, wobei ein deutliches Zucken bei der letzten Beleidigung durch die Pflanzen ging. „Jetzt reicht es!", schrie Keks nicht minderlaut und alle drehten sich zu ihm um. Seine Augen schienen zu glühen und Spinnweb rief: „Ich kann nichts mehr machen. Lasst mich einfach in Ruhe. Es passiert, was passieren soll."
„Oh, diese Theatralik. So viel Selbstmitleid, verdammt. Reiß dich zusammen", schimpften die Tiere abwechselnd. Die Hexe blickte düster auf die winzige Gruppe herab. „Sie kann nicht bestehen", verteidigte sie sich. „Wie soll sie die Zauber aussprechen? Wirklich nichts gegen deinen Sprechfehler, Kleines. Aber als Hexe muss man ordentlich sprechen können, sonst passieren Unfälle, so wie gestern in der Schule. Kannst du mir sagen, was genau du gesagt hast? Falls das überhaupt möglich ist."
„Ich – ich hab nicht gezaubert!", rief ich erneut aufgebracht.
Sie hob drohend die Hand und hielt sie mir hin, dann fragte sie: „Darf ich?" Augenblicklich zog ich mich ein paar Schritte zurück. Sie seufzte und verdrehte die Augen. „Ich möchte nur sehen, was du genau gemacht hast. Dafür muss ich dich allerdings berühren. Wäre es in Ordnung für dich, wenn du mir nur deine Hand reichst?", erklärte sie gezwungen geduldig und streckte mir unmissverständlich fordernd ihre ausgestreckte Rechte entgegen. Ich hatte nicht wirklich eine Wahl und hob resigniert meinen Arm hoch. Sie zögerte nicht lange, kam schnell näher und fasste nach der Hand. Dann hielt sie diese und betrachtete mich forschend. „Das ist doch nicht", murmelte sie schließlich und ihre Augen weiteten sich. Gleich darauf schloss sie diese rasch und flüsterte Unverständliches vor sich hin.
Mir wurde immer mulmiger zumute. Ich beobachtete sie und fragte mich, was sie so lange machte. Dann öffnete sie plötzlich unerwarteterweise die Augen und blickte mich durchdringend an, während sie behutsam meine Hand losließ.
Ohne Vorwarnung schmiss sie den Kopf in den Nacken und lachte schallend los, ich schaute ratlos zu den Tieren, die sie nicht minder verständnislos ansahen. Das Gelächter ging in ein freudiges Kichern über, dann wurde sie sich bewusst, dass wir noch da waren und sie verstummte, aber ihre gute Laune war ihr deutlich anzusehen. „Du hast das gewusst Garten", rief sie anklagend, jedoch überhaupt nicht mehr böse und ein leises Klingen ging durch die Büsche. Erstaunt starrte ich mich um. „Was denn?", wollte Kittekatt neugierig wissen.
„Kuchen", verkündete Spinnweb und steuerte auf's Haus zu. Wir folgten verwirrt, der nun fast vor Energie übersprühenden Hexe. Auch das Gebäude schien heute viel hübscher, als am Tag zuvor. Die Farben leuchteten, selbst wenn hi und da immer noch Abnutzungserscheinungen auftraten. Drinnen duftete es nach Apfelkuchen und das ganze Haus strahlte Optimismus aus. War das noch derselbe Ort? War es noch dieselbe Person, die dort summend in ihren Töpfen rührte, um Tee und Schlagsahne herzustellen? Ich ließ mich auf einer Sitzbank nieder und schaute mich erstaunt um. Die Schrift war verschwunden, die Küche war aufgeräumt und sauber. Keks setzte sich auf eine Stange und Kittekatt rollte sich kopfschüttelnd neben mir auf der Küchenbank zusammen.
„Ich kann dir leider nicht beibringen zu zaubern", bemerkte Spinnweb zusammenhangslos und stellte mir einen Tee und Apfelkuchen mit einem riesigen Haufen Schlagsahne hin. Ich mampfte drauflos und nickte nur, als wüsste ich, was sie meinte.
„Das kannst du doch nicht machen", rief Keks entrüstet. „Du bist ihre Mentorin, du kannst sie doch nicht im Stich lassen", maunzte Kittekatt mindestens ebenso verzweifelt. Spinnweb lächelte geheimnisvoll. Ich traute mich zum ersten Mal überhaupt sie genauer zu betrachten. Sie sah nicht, wie eine Hexe aus dem Bilderbuch aus. Ihre Zähne und Nase waren nicht größer oder krummer als bei anderen. Ihre Augen strahlten grün und sie schien alles, was sie ansah, sofort zu durchdringen. Sie benutzte keine Schminke, aber wenn sie das Gesicht nicht so verkniff vor Wut, war sie eine schöne Frau im mittleren Alter. Hatten die beiden Tiere nicht was von 777 Jahrestag gefaselt? Gestern hatte sie viel älter gewirkt, stellte ich nachdenklich fest.
„Sie hat alles, was sie braucht", erwiderte die Hexe und biss ebenfalls beherzt in ihr Kuchenstück.
„Maxima wird sie zu Hackbrei verarbeiten", protestierte Keks.
„Wer ist – wer ist Maxim-Maxima?", wollte ich wissen.
„Die Mentorin von Emilia", antwortete Kittekatt und beäugte mich aufmerksam. Dabei legte sie den Kopf abwägend schief, wie ein Mensch.
Spinnweb lachte und meinte anerkennend: „Mutiges Mädchen. Nicht der Hackbrei beunruhigt dich, sondern du willst erst mal wissen, um wen es geht."
Ich nickte nur entschlossen.
„Die Hexe Maxima ist meine Freundin. Unsere gesamte Zeit hat sie sich mir untergeordnet, so wie es sein sollte. Vor 16 Jahren kam es zum Streit und seitdem versucht sie, die Macht in unserem beschaulichen Städtchen an sich zu reißen, erklärte Spinnweb. „Freundin", schnaubte Keks. In dem Moment klopfte es an der Tür und alle guckten erstaunt in die Richtung, alle außer die Hexe. Die gluckste vor sich hin. „Ist für dich", meinte sie nur und erhob sich, um den Tisch abzuräumen.
Ich stand wackelig auf und schlich hinüber. Was war denn nun schon wieder los?
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