Kapitel 2
In der Nacht konnte ich nicht schlafen. Ich versuchte Sinn in die Geschichte zu bekommen. Konnte ich wirklich mit Tieren sprechen? Oder war das nur eine Einbildung? War ich inzwischen so einsam, dass ich mir tierische imaginäre Freunde ausdachte? Die auch noch Kontakt zu dieser Hexe hatten? Jeder in unserer Kleinstadt kannte die Geschichten über sie. Eine alte Frau, die am Waldrand in einem Gruselhaus wohnte, aus dem immer ungewöhnlich laute Tierschreie tönten. Keiner wusste, was sie dort machte, aber wenn man sie überprüfte, waren keine Tiere im Anwesen zu finden. Alle redeten darüber und niemand näherte sich dem Haus freiwillig.
Ich war einmal auf der Flucht vor ein paar Klassenkameraden mit Klebegras in den Garten geschlüpft, an dem Tag hatten glücklicherweise keine Tiere geschrien, aber der Tag war dunkel gewesen und ich hatte in jedem Schatten eine Gestalt gesehen und gedacht, jetzt würde mich die Hexe holen. Ich war danach nie zurückgekehrt und hatte es auch nicht vor.
Je länger ich darüber nachdachte, desto sicherer war ich, dass ich mir die Katze und die Krähe – nein den Raben – eingebildet hatte. Irgendwann, beim ersten Zwitschern der Vögel, schlief ich endlich ein. Am nächsten Morgen klingelte viel zu früh der Wecker und ich machte mich schlaftrunken für die Schule fertig. Meine Mutter stellte mir wie jeden Morgen ein Toast mit Nusscreme hin und plapperte ununterbrochen über ihren neuen Yogakurs. „Ma- Mama", unterbrach ich das Gebrabbel schließlich. „Was denn Schatz?",erkundigte sich meine Mutter abwesend. „Wie ka- kamt ihr auf meinen Na- Namen?", fragte ich mutig und schmierte mein Toast weiter. „Das haben wir doch schon hundertmal durch, Schatz", meinte sie verstimmt. „Es war magisch. Der Name flog mir einfach zu. Ende der Geschichte." Sie stand auf und lief ins Wohnzimmer, in dem sie irgendwo rumkramte. Für mich war klar, sie wollte nicht drüber reden. Ich aß schnell mein Toast, dann rannte ich ins Bad und machte mich fertig, bis es Zeit war zum Bus zu laufen. Ich packte meine Tasche, zog die Jacke an und umarmte meine Mutter kurz, dann verließ ich das Haus und blieb sofort wie angewurzelt stehen. Die Katze und der Rabe saßen jeder an der gleichen Stelle, an der ich die beiden verlassen hatte.
„Was ist denn los, Kleines? Willst du nicht weiter?", flötete meine Mutter in meinem Rücken. Also setzte ich langsam einen Schritt vor den anderen, die beiden Tiere immer im Blick. Keiner sagte etwas. Ich lief einfach an ihnen vorbei, bis ich die Tür hörte. „Da bist du ja wieder?", rief Kittekatt und gesellte sich zu mir. „Wir müssen nach Hause. Wir können nicht lesen und die erste Spur ist uns ein Rätsel. Kommst du jetzt mit, Nike?"
„Ich - ich", Berenike stutzte. „Nike? So hat mich schon lange niemand mehr genannt." Die Tiere blinzelten sich an. Dann schlug ich mir mit der Hand auf den Mund. Ich hatte nicht gestottert.
„Ich – ich muss muss in die Schu- Schule", knurrte ich und setzte meinen Weg fort. Die Krähe flatterte auf, krähte auf Krähenart und meinte: „Dann kommen wir mit."
„Was? Nein, auf keinen Fall!", fluchte ich. „Das - das könnt ihr ver-vergessen. Ich bin jetzt schon – schon der Dorftrottel. Nein."
„Dann kommst du wohl besser mit zu uns", säuselte Kittekatt süffisant.
In dem Moment kam die gleichaltrige Nachbarin vorbei und beäugte sie kritisch. „Redest du etwa mit den Tieren?", fragte sie kichernd. „Du bist echt schräg. Dorftrottel."
Ich blieb stehen und seufzte. „Ok, hab nichts – nichts besseres zu tun – zu tun. Führt mich hin", flüsterte sie leise, nachdem ich in der Schul-App über den Zugang meiner Mutter schnell meine Abwesenheit bekannt gegeben hatte. Manchmal war es eben praktisch, wenn man eine weltfremde Mutter hatte, die einem so etwas Technisches einfach generell überließ.
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