Kapitel 19
Viele Stunden später hatten wir bereits einiges durchwühlt, aber keine neuen Erkenntnisse erlangt, außer dass wir eine Liste mit möglichen Orten hatten. Die Zusammenstellung umfasste derzeit gerade einmal dreiundzwanzig Zielgebiete, die alle immer wieder aufeinander Bezug nahmen.
„Es ist einfach zu viel Material", seufzte Alex.
„Sollen wir Emilia doch dazuholen? Ich vertraue ihr wirklich nicht, aber zwei Augen mehr, können nicht schaden", überlegte ich zum wiederholten Male, denn wir waren bei jeder einzelnen Gelegenheit zu dem Schluss gekommen, es lieber nicht zu riskieren.
„Verdammt, Berenike. Dann hol sie endlich", lautete überraschenderweise die genervte Antwort, was mich zusammenzucken ließ.
Bevor wir es uns wieder anders überlegen konnten, setzte ich meinen Plan in die Tat um und verschwand in mein Hexenreich.
Das Haus hatte sich gelinde gesagt markant vergrößert und den neuen Gegebenheiten angepasst. Ich streifte durch die Räume, ohne jemand Wachen zu begegnen. Nichts schien mehr an seinem Platz zu sein.
„Wo seid ihr denn?", rief ich und bekam die kurze Antwort von Flitzi: „Küche!"
Ich kam an vielen neuen Türen vorbei, die ich alle ignorierte, weil mir das Haus auf seine Weise die Richtung wies, indem es einfach die Dielen vor mir grün aufleuchten ließ. Fasziniert bog ich absichtlich falsch ab und sofort blinkte der gesamte Boden vor mir rot. Ab da machte ich mir einen Spaß daraus, immer wieder inkorrekt zu laufen. Ich brauchte auch nur in die falsche Richtung zu zucken, da wurde der Holzfußboden gelb, so als ob mich das Haus mit erhobenem Finger warnen würde.
„Nichts für ungut", flüsterte ich und streichelte über die Wand. „Danke, dass du dich so gut um mich kümmerst." Sofort entstand ein Herz in roter Farbe um meine Hand herum und ich fühlte mich – ja man konnte es nicht anders sagen – zu Hause.
„Wo bleibst du denn?", rief da Keks von der nächsten Tür und sah etwas irritiert auf das Herz, das zaghaft verblasste.
„Komm ja schon", murmelte ich und lief los.
In der Küche herrschte eine komische Stimmung. Alle saßen um Emilia herum und schwiegen bei meinem Eintreten. Das Mädchen starrte auf den Tisch, als wäre er das Wichtigste auf der Welt.
„Alles gut?", fragte ich, aber mich umfing nur betretenes Schweigen.
„Emilia weiß schon Bescheid, ihr könnt gleich aufbrechen", meinte Flitzi bemüht vergnügt. „Wir passen auf deine Pflegeltern hier auf", fügte Keks hinzu und ich verstand, dass auch Emilias Eltern von Maxima benutzt worden waren.
Ich nickte, warf der Gruppe noch einen verwirrten Blick zu und nahm Emilia mit mir zurück. Sofort rief Alex bei unserem Auftauchen: „Endlich. Ich hab was gefunden!"
Aufgeregt lief ich zu ihm und beugte mich über die Doktorarbeit. Es ging um die Ozeane, stellte ich mit einem Blick fest. „Blub", entfuhr es mir.
„Nicht euer Ernst", seufzte Emilia.
„Warum glaubst du denn dort?", erkundigte ich mich.
„Hier steht, dass Jade mehrere Jahr in der Tiefsee forschte. Vielleicht gibt es da einen Ort mit Bezug zu Maxima", verkündete er aufgeregt.
„Aber das ist doch nicht der einzige Ort, den ihr gefunden habt, oder? Dann müssen wir ja zu allen Orten, wo sie geforscht hat", seufzte Emilia. „Das dauert zu lange", erwiderte ich und deutete auf die Liste mit den dreiundzwanzig Zielorten.
„Warum ist der Ort unter Wasser besonders?", wollte das Mädchen wissen.
Beide sahen wir sie schräg an. „Na, weil es ungewöhnlich ist", erklärte ich und Alex fügte hinzu: „Kam bisher auch nicht vor. Die anderen Orte wiederholen sich immer wieder."
„Euch ist schon klar, dass die Erde von mehr Wasser als Land bedeckt ist, oder?", erkundigte sich Dideldum bei mir.
Ich nickte nur, ohne die Anfrage weiterzugeben, was die Qualle dazu veranlasste, sich beleidigt zurückzuziehen.
„Können wir es eingrenzen?", fragte ich stattdessen.
„Naja, es geht um untergegangene Städte, so wie Atlantis. Jade nennt nicht den genauen Ort, nur immer wieder Atlantis", meinte Alex.
„Da gibt es eigentlich nicht so viele. Einige im Mittelmeer, Jamaika, Japan und noch Dunwich östlich in England", erwiderte ich prompt.
„Dann lass uns dort hingehen", schlug der Junge aufgeregt vor.
Ich nickte zwar, blickte jedoch zweifelnd auf die Stapel der Arbeiten, die wir noch nicht durchgearbeitet hatten. Emilia bemerkte meinen Blick und seufzte: „Ich bleibe und schau weiter. Ich kenne viele Geschichten von Jade, vielleicht seh ich etwas, was ihr gar nicht bemerken würdet."
„Du weißt was über sie?", rief Alex aufgebracht. „Wieso sagst du das erst jetzt."
„Ihr habt nicht gefragt und ich kann auch nichts Neues beisteuern", antwortete Emilia und verschränkte demonstrativ die Arme. „Kümmert euch lieber darum, wie ihr unter Wasser gelangen wollt."
„Ich möchte trotzdem endlich wissen, wie du in das Ganze reinpasst?", versetzte Alex.
Das Mädchen antwortete nicht, sondern blickte nur wütend zurück.
„Komm, lass uns lieber überlegen, wo wir zuerst hinwollen", murmelte ich und zupfte an Alex Ärmel. Emilia nickte mir milde zu und wandte sich ihrer Lektüre zu ohne uns weiter zu beachten.
Alex stöhnte genervt und meinte: „Wo wollen wir zuerst hin?"
„Naja, diese Unterwasserstädte sind alle sehr gut besucht. Tauchtouristen bevölkern vor allem Japan und Jamaika. Keine Ahnung, wie weit fortgeschritten Maximas Zauber ist und ob wir ungestört sind. In England soll die Sicht ziemlich schlecht sein. Vielleicht fangen wir da an?", fasste ich zweifelnd zusammen, was ich wusste.
Der Junge staunte mich an: „Woher weißt du sowas immer?"
„Machst du Witze? Mein Vater ist Archäologe, Unterwasserstädte sind unheimlich lehrreich, weil sie Altes zugänglich konservieren", antwortete ich.
„Aha", meinte Alex wenig überzeugt und meinte schnell „Ist egal, wo zuerst. Also England klingt gut."
„Passt auf mit den Wolken", gab Emilia zu bedenken und bekam einen schrägen Seitenblick von uns beiden.
„Ich schau mal und such uns ein Plätzchen, wo wir zuerst hinkönnen", seufzte ich und verschwand mental an die britische Ostküste. Alles schien verlassen. Tatsächlich gab es eine Wolke weit im Westen, die sich langsam ausbreitete. Bisher hatte ich sie nur im Fernseher gesehen, aber ihre Größe war in Wahrheit noch viel beeindruckender. Giftgrüne Substanzen zogen da über den Himmel und man wollte intuitiv gleich Reißaus nehmen. Hoffentlich hielten sich die Menschen weiterhin fern.
Alles wirkte gespenstisch still. Die Häuser waren verbarrikadiert worden und wahrscheinlich hatten sich alle nach drinnen verzogen. Ich fragte mich, ob es überall auf der Welt so aussah. Schreckliche Vorstellung.
Meeresgeräusche klangen zu mir herüber und ich folgte den lauten Möwengeschrei, das vom Strand herüberwehte. Innerhalb eines Wimpernschlages, war ich an dem gewünschten Ort. Es war mäßig windig, sonnig und eigentlich ein idealer Strandtag, aber niemand war zu sehen. Die Wolke war so weit weg, dass ich entschied, direkt hierher zu kommen, und so kehrte ich zurück in meinen Körper.
„Und?", fragte Alex sofort.
„Wir können zum Strand, aber ich schütze uns mit einem Schutzschild vor der Wolke", schlug ich vor.
Alex nickte sofort. Emilia meinte: „Vielleicht sollten wir das allen Hexen und Zauberern raten."
„Ach und wie?", wollte ich wissen.
Das Mädchen kicherte: „Na, du bist ja eine Oberhexe."
„Das kannst du uns überlassen", merkte Flitzi an. „Zumindest geben wir die Anweisung an die Hexengemeinde weiter, sich um einen Zauber zu kümmern, der ein Schutzschild bildet. Nicht alle können mit ihren Gedanken zaubern, so wie du", kommentierte Dideldum säuerlich und verdünnisierte sich wieder schnell.
Flitzi seufzte und war gleich darauf auch aus meinem Kopf verschwunden.
„Ist erledigt", meinte ich und versetzte mich mit Alex an den Strand. Ein dünner silbrig-durchsichtiger Schutzzauber umgab uns und ließ uns leicht schimmern, was uns eine spacige Note gab, wie ich fand. Aber leider war niemand in der Nähe, um uns zu bewundern.
„Für die Atmung unter Wasser sorge ich", bestimmte Alex und kurz darauf begann er ein paar abgehakte Worte zu singen, die dazu führten, dass sich der Schutzmantel verstärkte und nun mit blauen Striemen durchzogen war.
„Ich versuch es mal", rief er beherzt und stürzte sich ins Wasser. Ich wartete kurz, bis er wieder auftauchte und rief: „Klappt super. Komm schon!"
Ich folgte und war überrascht, dass das Meerwasser durch meine Schutzmembran warm wirkte. Meine Kleidung wurde nicht nass und ich konnte einfach weiteratmen. Erneut sang Alex ein paar Worte und wir kamen viel schneller voran. Bald darauf waren wir zwischen den ersten Ruinen, die im trüben Wasser wie Schatten an uns vorbeizogen. Ein paar weitere gesungene Anweisungen später, sahen wir unsere Umgebung hell und klar. Ich streckte meine mentalen Fühler aus, aber nirgends schien eine mentale Sperre zu sein, so wie ich sie spürte, wenn ich versuchte Maxima zu orten. Ein Licht leuchtete in der Ferne auf und wir steuerten wie Motten darauf zu, obwohl mir immer unwohler wurde. Was sollte das hier unten sein?
Endlich erkannte ich Buchstaben: „Netter Versuch. Aber leider nein." stand dort geschrieben. Ich verdrehte genervt die Augen und meinte: „Japan? Oder sollen wir aufgeben?"
„Nun, sie hat damit gerechnet", seufzte Alex.
„Aber wir können doch trotzdem kurz die Orte abklappern, um zu sehen, wie es um die Menschen steht?", sagte ich hoffnungsvoll.
„Vielleicht will sie auch genau erreichen, dass wir nicht weitersuchen?", meinte mein Begleiter nachdenklich.
„Lass mich schnell mental schauen", erwiderte ich und war auch schon in Japan, wo ich das gleiche vorfand, dasselbe in Ägypten, Israel, Griechenland, Italien, Jamaika und an der Ostseeküste in Deutschland.
Unverrichteter Dinge kehrte ich zurück, aber immerhin wusste ich, dass die Menschen sich überall versteckten. Dieses Mal war ich sogar in die Häuser gegangen und hatte gesehen, dass es ihnen gut ging. Besorgt, aber soweit wohlauf. Allerdings war die Wolke auch immer weit entfernt gewesen, wenn überhaupt sichtbar.
„Ich glaube, wir können zurückgehen. Das bringt nichts", erklärte ich, als ich wieder in meinen Körper zurückkehrte. Alex nickte nur frustriert, als wir bereits bei Emilia auftauchten, die konzentriert über den Büchern hing. Sie hatte zwei weitere Orte unserer Liste hinzugefügt, stellte ich fest. Einer war Amazonien, den wir ausgespart hatten und der andere war Tibet.
„Ein Dead-end? Nehm ich an", erkundigte sie sich.
„Als ob du es besser weißt", konterte Alex genervt.
„Das tue ich vielleicht, aber wenn ihr das nicht hören wollte. Ist mir das auch egal", gab sie spitz zurück und beugte sich wieder über die Lektüre. Es war immer noch die Arbeit über die Tiefsee. Ich gab Alex einen dringenden Blick und er seufzte.
„Ok, sorry. Ich bin etwas frustriert. Was hast du rausgefunden?", bemühte er sich, nett zu fragen.
Sie lächelte triumphierend: „Es ist wirklich verrückt."
„Erzähl schon. Schlimmer als unser Misserfolg mit der Atlantis-Theorie kann es nicht sein", seufzte Alex ungeduldig.
„Im Weltraum", rückte das Mädchen endlich mit der Sprache heraus.
Beide starrten wir sie an. „In der Arbeit zu der Tiefseeforschung gab es ein paar Ungereimtheiten. Ich glaube, sie war gar nicht in der Tiefsee, sondern hat ihre Ergebnisse nur damit verschleiert, weil die Menschen ihren Aufenthalt außerhalb der Erde nicht hätten nachvollziehen können", erklärte sie erhaben.
„Verrückt ist ein bisschen untertrieben", erwiderte Alex perplex.
Ich streckte meine Fühler aus und stieß kurz darauf im Weltraum, gleich beim Mond, auf eine ähnliche Barriere, wie wenn ich nach Maxima suchte. Es war einfach gewesen, sie zu finden, weil ich mir gedacht hatte, dass der Ort optisch versteckt sein musste.
„Hab sie gefunden", rief ich atemlos. „Super, Emilia!"
Das Mädchen strahlte bis zu beiden Ohren und Alex sah mich noch ungläubiger an. „Gehen wir jetzt zu dritt?", fragte sie hoffnungsvoll.
„Auf gar keine Fall", rief Alex sofort.
„Lass sie mitgehen", sagte da Flitzi in meinen Gedanken.
„In dem Fall bin ich Flitzis Meinung", bekräftigte Dideldum.
Verblüfft sah ich zu Emilia, wenn sogar mein Quallenfreund ihr die Chance geben wollte, konnte ich dem nicht im Wege stehen. Oder doch?
„Säe einen Funken Vertrauen und staune über das, was zurückkommt", kommentierte die Biene und das Glibberwesen fügte hinzu: „Ganz meine Worte."
Ich seufzte. „Geben wir ihr eine Chance", bestimmte ich und unterbrach somit den ausgebrochenen Streit zwischen den beiden. Alex blickte finster und Emilia konnte sich ein glückliches Lächeln nicht verkneifen. „Danke", flüsterte ich in die Richtung, meiner zwei Seelentiere.
„Aber wie kommen wir da hin?", wollte das Mädchen wissen, um wohl rasch das Thema zu wechseln. Der Junge bemerkte düster: „Einen Raumanzug hab ich noch nie herbeigesungen. Auf die Idee wäre ich gar nicht gekommen."
Anscheinend hatte er die Entwicklung akzeptiert und schien sich damit zu arrangieren. Erleichtert erklärte ich: „Kein Problem. Ich bring uns hin, nur kann ich dieses Mal nicht vorfühlen. Eine Barriere verhindert das."
„Wir springen also ins Blaue. Wie aufregend", kommentierte Emilia nur und Alex nickte entschlossen.
„Dann bei drei?", erkundigte ich mich. Meine beiden Begleiter gaben ihre Zustimmen und ich begann: „Eins – zwei – drei!"
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