Kapitel 17
Wir betraten das Haus. Auch im Inneren hatte sich das Inventar meinem Geschmack angepasst. Ich liebte antike Möbel und in allen Ecken standen Tische, Kommoden, Regale aus bunt zusammen gewürfelten Epochen, die mit Krimskrams gefüllt waren. Der Dachboden unseres Hauses war so und man fand dort massenhaft Schätze aus alten Zeiten, die jemand sehr geliebt haben musste. Mein Vater und ich waren oft oben unterm Dach gewesen, bis wir es aufgegeben hatten, nachdem ich mir einen Riesensplitter in die Handfläche gerammt hatte, der sich böse entzündet hatte.
Wehmütig dachte ich zurück.
Dann lief ich wahllos zu einer Kommode und setzte einen riesigen lila Hut auf, der darauf nur auf mich gewartet hatte. Ich wühlte in den Schubladen und fand Briefe aus vergangenen Zeiten, die einmal Verwandte von mir geschrieben hatten. Ich packte sie und setzte mich in einen grünen alten Ohrensessel mit einer Hängelampe daneben, die sofort anging, als ich mich niederließ. Fasziniert schaute ich das Licht an und ließ dann meinen Blick schweifen. Die Tiere hatten auch begonnen auf Erkundungstour zu gehen. Kittekatt hatte es sich in einem riesigen Katzenkorb am Ofen bequem gemacht. Keks saß in einer offenen, ebenfalls gigantischen Voliere, und hüpfte vorsichtig erst am Boden herum, dann schwang er sich hinauf und prüfte die Äste, Häuschen und Verstecke. Dideldum hatte ein Aquarium entdeckt, das die ganze Wand ausfüllte, und ließ sich genüsslich treiben. Flitzi war in einem Loch in einem freien, jedoch sehr dekorativen Mauerstück verschwunden und ich vermutete, dass dahinter eine Bienenkolonie residierte, es summte jedenfalls gedämpft daraus hervor.
„Hier ist es ja ganz wunderbar", gähnte die Katze und streckte sich genüsslich.
„Ob wir wohl was vom Honig bekommen?", erkundigte sich die Krähe und blickte hoffnungsvoll Richtung Mauerstück. Ich kicherte. Flitzi konnte ich mir, beim besten Willen nicht als Arbeiterhonigbiene vorstellen.
„Sagt mal", begann ich meine Sorgen zu äußern. „Glaubt ihr, dass wir Menschen weg müssen, um die Welt zu retten? Wie auch immer sich das Maxima vorstellt."
Die Tiere sahen sich erstaunt an. Es war Keks, der antwortete: „Hexen leben im Gleichgewicht und verstehen nicht, wie die Menschen so aus dem Gleichgewicht kommen konnten. Aber deshalb kann man euch ja nicht alle bestrafen."
„Das wäre ja so, als wenn Keks Flitzi den Honig wegfrisst, und wir alle nie wieder welchen bekommen", maunzte Kittekatt empört.
„Aber bei Alex Familie hing auch ein Fernseher. Das ist doch Konsum", antwortete ich. „Das nennt man Anpassung", erklärte Dideldum. „Ich glaube sie haben selbst noch nicht alle begriffen, wo die Grenzen sein sollten."
„Ach was", rief Flitzi. „Sie sind wie Kinder, die den Umgang lernen müssen mit den Spielzeugen, die sie entdecken. Das gilt für Hexen und für Menschen, immerhin leben sie in Symbiose."
„Keiner von uns hat wirklich eine Antwort", seufzte ich.
„Natürlich hab ich die", rief Dideldum verletzt. „Die Menschen müssen sich ändern und endlich das Richtige tun, die Hexen werden ihnen dabei helfen."
„Aber was ist das Richtige? Sie zerfleischen sich im Augenblick alle gegenseitig, weil jeder glaubt, dass er es besser weiß, oder einem alles egal ist und man einfach nur seine eigenen Interessen durchsetzt", meinte ich.
„Ihr müsst lernen, eure Ressourcen zu schonen. Im Großen und Kleinen, dafür müsst ihr euch einschränken", antwortete die Qualle.
„Bla, bla, bla", miaute es aus der Ecke. Ich schaute überrascht auf, Dideldum hatte seine Gedanken noch nie mit jemandem anderen außer Flitzi und mir geteilt. Tatsächlich lief die Qualle in ihrem Aquarium rot an, als ich es begriff.
„Eh, ja, eh", stotterte es. „Ich dachte mir, es ist vielleicht einfacher, wenn ich zumindest mit ihnen spreche."
„Es hat gestern Abend damit angefangen", kommentierte Keks und Kittekatt fügte leise hinzu: „Eher es hat sich dazu herabgelassen." Aber immerhin hatten sie die Geschichte mit dem „es" schon drauf, ganz im Gegensatz zu mir. „Du schaffst das auch noch", summte Flitzi in meinem Kopf und ich zuckte zusammen, weil ich das laut gedacht hatte. Die Qualle wurde nun wieder durchsichtig weißlich, denn sie ärgerte sich offensichtlich, sagte aber nichts.
„Ich würde mich auch gerne schminken", sagte ich mutig, jedoch etwas unbeholfen. „Aber scheinbar ist das eine Todsünde, laut Maxima."
„Warum?", fragte die Qualle. „Du versteckst dich schon hinter deinem Gestottere, noch eine Maske mehr brauchst du nicht. Und hübsch bist du nach menschlichen Maßstäben wohl auch. Zumindest findet dieser Alex das. Warum also?"
Ich war fassungslos und wusste nicht, ob es mich mehr kränkte, dass ich mich angeblich hinter meinem Defizit versteckte – das war verdammt noch mal angeboren – oder weil Dideldum so schamlos über Alex Ansichten sprach.
„Ich glaube, was Dideldum meint, ist, dass du tatsächlich nicht mehr stottern müsstest, weil unsere Magie dich unterstützt. Aber mach dir keinen Stress, das wird schon. Alles zu seiner Zeit", erklärte Flitzi vorsichtig und kam aus dem Loch geschossen. Ein tödlicher Blick traf die Qualle, die sich rasch murrend unter ein paar Steinen verkroch.
„Man redet nicht so über die Gefühle von Menschen", protestierte Kittekatt.
Keks wechselte schnell das Thema: „So was steht eigentlich für heute an?"
Ich war wütend. Warum hatten sie mir das nicht schon früher gesagt? Ich mochte mein Gestottere und fühlte mich wohl so, gab ich mir gegenüber zu. Warum war nur immer alles so kompliziert?
Da klopfte es an der Tür und zwar Sturm.
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