Der Schürzenjäger in Nöten (6) (Warnung: Verstörender Inhalt)
An ein Ross zu kommen, war schwerer als Emarce gedacht hatte. Die meisten Bewohner des Städtchens waren wohl schlau genug ihre Reittiere wegzusperren, um sie vor Dieben, wie Emarce, zu verbergen.
Im Nachhinein hätte die Fledderin damit rechnen müssen.
Rösser waren teuer, schwer zu bekommen und fast alle auf den Schlachtfeldern im Einsatz. Ursprünglich kamen die majestätischen Geschöpfe schließlich gar nicht von Tendämlow, auch wenn sie langsam heimisch wurden.
Sie entsprangen der Züchtung mehrere Arten. Vorallem die Pferde der Erde und Flügelhörner von Arkatia Sinistra spielten bei der Zucht eine große Rolle, wobei die Pferde lediglich beigefügt wurden, um der anderen Art ihre nervigen Eigenschaften der Intelligenz und des Eigenwilligens zu nehmen, sowie ihre Magie im Zaun zu halten.
Schon lange war der dunkelste Punkt der Nacht vorüber gezogen, und die ersten Monde verschwanden bereits am Horizont, als Emarce endlich fündig wurde.
In einem äußerst schlecht verriegelten Stall am Rand der Stadt, den die Fledderin mit Leichtigkeit aufzubrechen vermochte, stand ein Ross.
In mehreren Boxen waren die verschiedensten Tiere eingepfercht, die meisten von ihnen groß, prächtig und fett, und ein Ross, auf das beides überhaupt nicht zutraf.
Es musste das hässlichste seiner Art sein, das die Kriminelle je gesehen, geschweigeden gestohlen, hatte. Aber jetzt durfte sie nicht wählerisch sein. Sie öffnete die Box und schlich auf das Tier zu, das auf den zweiten Blick sogar noch abstoßender aussah.
Die Kreatur hatte krumme, viel zu lange spitze Zähne, die widerlich nach Fäulnis stanken. Auf ihrem Kopf reckte sich ein schiefes, schartiges Horn, dessen Spitze bereits abgebrochen war, in die Höhe. Ihr Fell war matt, schmutzig und an einigen Stellen büschelweise ausgefallen. Schweif und Mähne der Stute waren dünn und verfilzt und sie war mager. Von ihrem Rücken hingen zwei zerzauste Flügel, die bestimmt nicht mehr flugfähig waren.
Das Tier sah Emarce aus blutunterlaufenen, wässrigen Augen an, die viel zu tief in den Höhlen lagen, und gab ein schiefes Wiehern von sich.
Die Fledderin verzog das Gesicht. "Verdammt, bist du ein hässliches Kerlchen. Siehst richtig schlachtreif aus."
Das Ross schnaubte, als wolle es "Schau dich doch mal selber an, bevor du andere hässlich nennst.", sagen und bleckte die Zähne. Emarce kicherte leise. "Weißt du, ich glaube so nenne ich dich: Schlachtreif. Passt zu dir."
Das Ross schnaubte erneut, als sei es frustriert, dann begann es an Emarce' Tasche herumzuschnüffeln. "Hast du Hunger, Schlachtreif?", fragte Emarce und zog einige Streifen Trockenfleisch aus dem Objekt der Begierde. Das Ross schnappte sofort danach. "Du kannst das haben, und ich habe mehr davon, wenn du mich nach Kesseldorf bringst... und vielleicht auch zurück. Wir sehen dann, ob ich die Zeit und Energie habe ein Portal zu erstellen. Na? Haben wir eine Vereinbarung?"
Das Ross schnappte sich augenblicklich das Fleisch. "Gutes hässliches Rösslein.", flüsterte Emarce, "Du wirst Tante Marci schön durch die Gegend tragen, oder?"
Noch bevor das Ross antworten, oder die Fledderin mehr des versprochenen Fleisches hervorholen, konnte, flog eine Türe auf der Hinterseite des Stalls auf. "Hey, was macht Ihr denn da?", brüllte eine junge Dämonin, mit einem Schlachtermesser in der Hand, "Aufhören! Das Ross gehört Euch nicht! Ihr müsst das bezahlen, wenn ihr das mitnehmt! Das ist Fleischraub!"
Emarce fluchte.
"Du bist wirklich schlachtreif, was? Das ist die Metzgerin. Ich bin bei der Metzgerin eingestiegen.", zeterte die Fledderin vor sich hin, als sie das Ross aus der Box zog. "He, Ihr sollt aufhören, habe ich gesagt!", brüllte die Metzgerin und rannte auf die Flüchtenden zu. Emarce dachte gar nicht daran. Flink schwang sie sich auf den mageren Rücken Schlachtreifs und drücke ihr die Stiefel in die Seite. "Lauf, du halb totes Ding, Lauf! Denk an das Fleisch! Du willst es essen, nicht zu welchem werden, oder? Renn!", brüllte sie und krallte sich in der Mähne fest. Schlachtreif wieherte, warf den Kopf in den Nacken und galoppierte los. "Leck mich, du Bastard!", schrie Emarce über ihre Schulter, als das Ross aus dem Stall rauschte.
"Stehen bleiben! Ich zeige Euch an! Ich gehe zur Garde!", schallte ihnen die Stimme der Metzgerin hinter her.
Kesseldorf war nicht weit entfernt. Trotzdem schmerzte Emarce' Hintern bereits von dem wilden Ritt auf Schlachtreifs magerem, knochigen Rücken, als die ersten Häuser am Horizont in Sicht kamen. Das Ross hatte, trotz seines Zustandes, das Tempo gehalten.
Die aufgehende Sonne kämpfte sich durch Umbraes dicke Wolkendecke und tauchte die Silhouette des Städtchens nun in ein flirrendes Licht. Rot, vermutete die Fledderin, vielleicht auch orange.
"Wuhu! Nicht mehr lang, Schlachtreif, dann haben wir ihn! Dann sind wir reich!", brüllte Emarce, als sie die Häuser entdeckte und stieß triumphierend eine Faust in die Luft.
Noch waren weit und breit keine anderen Fledderer zu sehen.
Das war gut.
Niemand würde ihr die besten Teile wegschnappen.
Sie zog an der verfilzten Mähne des Rosses, sodass es sein Tempo drosselte.
Wachsam suchten ihre roten Augen die Böschung am Wegesrand nach Spuren ab.
Sie rechnete nicht damit, dass der berühmte Ritter Feroci, der ach so viele Feinde hatte, sein Lager direkt an der Straße aufgeschlagen hatte. Er war sicherlich die Böschung hinaufgestiegen, um sich dort im lichten Wald zu verbergen und gleichzeitig den Strategischen Vorteil der Höhe zu haben. Nur dass der, bemerkte Emarce mit einem fiesen kichern in Gedanken, dem Ritter wohl nicht viel gebracht hatte.
Sie wurde nicht enttäuscht:
Ein leichter Trampelpfad führte die Böschung nach oben.
Die Büsche, die den Weg säumten, waren an ein paar Stellen abgeknickt.
"Da haben wir ihn.", flüsterte die Fledderin grinsend und rutschte von Schlachtreifs Rücken. Dann kramte sie ein paar Fleischstreifen aus ihrer Tasche und warf sie dem Ross zu.
"Hau rein. Aber komm wieder, wenn ich dich rufe, ja?", flüsterte sie dem hässlichen Geschöpf zu. Schlachtreif schnaubte und trabte die Böschung nach oben, wo sie begann zu grasen.
Emarce schüttelte lachend den Kopf, dann begann sie ebenfalls nach oben zu klettern.
Die zu großen Stiefel bereiteten ihr dabei böse Schwierigkeiten.
Ständig blieben die militärischen Dinger an irgendwas hängen, und brachten Emarce zum stolpern. Ehlender Mist.
Sie würde sich gleich, wenn sie oben war, Ferocis Stiefel klauen. Beschwörerdämonen waren kleiner als Erddämonen. Da würden die Stiefel bestimmt besser passen.
Emarce kicherte erneut.
Sie würde reich werden. Verdammt reich!
Sie war wahnsinnig gut gelaunt, trotz der blöden Stiefel.
Kaum hatte Emarce die Böschung erklommen, entdeckte sie Ferocis Lager.
Der Ritter hatte sich doch tatsächlich ein Zelt aufgebaut, oder besser gesagt, seine Wesen hatten es getan.
Emarce bezweifelte, dass der ach so berühmte und erfolgreiche Ritter Feroci tatsächlich selbst Hand anlegte, wenn er nicht gerade metzelnd über ein Schlachtfeld fegte.
Feroci war eine Legende.
Vielen Kriegern hatte der große Krieg Ruhm gebracht, aber kaum einem wie ihm.
Man erzählte sich der Ritter sei unverwundbar und unsterblich.
Obwohl er zu den Beschwörerdämonen zählte, die von Natur aus körperlich eher schwach waren, sagte man ihn gerade zu mysische Kräfte nach.
Auricordian, auf der anderen Seite, sagte man, sei der Herold aus den Legenden, doch in Feroci sah man den Jäger.
Den mit Übermacht gesegneten Krieger, dem es bestimmt war den Herold zu töten. Den, den Malus und Malitia erschaffen hatten, um ihre tötlichste Kreation aufzuhalten, als diese außer Kontrolle geriet.
Auf solch lächerliches Gewäsch gab Emarce überhaupt nichts.
Den Herold und den Jäger gab es gar nicht. Sie waren lediglich Figuren aus Geschichten, die man Kindern vor dem Einschlafen erzählte.
Lächerlich.
Man konnte jeden töten und zwei Leben waren auch nicht verknüpft.
Als ob da wirklich jemand daran glaubte! Feroci und Auricordian waren einfach herausragende Krieger. Da war nichts mystisches an ihnen, und Ferocis Tod bewies es.
Trotzdem war Emarce äußerst vorsichtig, als sie sich dem Lager näherte. Man konnte nie wissen.
Neben dem reichlich bestickten Zelt des Ritters lagen einige zerschlagene Wesen. Von denen ging garantiert keine Gefahr mehr aus.
Das Gras und Moos, um das Zelt herum, war zertrampelt. Dann sah sie ihn:
Ritter Feroci lag vor dem Eingang seines Zeltes, in einer Lache seines eigenen Blutes.
Durch das Gras zog sich eine dunkle Spur, ungefähr drei Xili von Feroci entfernt zu ihm. Er hatte wohl versucht sich in das Zelt zu ziehen. Immer noch umklammerte seine rechte Hand seine legendäre Waffe.
Ferocis Klinge.
Ein schmales, langes Schwert, mit Abbix-Bezug und einem reichlich verzierten Griff. Sein Körper war vollkommen regungslos, kein Ausdruck lag auf seinem Gesicht.
Emarce vollführte einen kleinen Freudentanz.
Er war tot. Feroci war tot. Sie würde so verdammt viel Geld an ihm verdienen! Sie würden in all den Misanom schwimmen können!
Eilig stellte sie ihre Tasche neben dem toten Kriegshelden auf den Boden und fischte einige Gläser, die Flaschen mit Öl und Alkohol zur Konservierung und ein Messer hervor. Sein Herz, seine Hauer, sein Skalp und andere, eher private Teile, würden sicherlich am meisten Geld einbringen.
Emarce ging neben der Leiche in die Hocke und legte den Oberkörper des Ritters frei. Zuerst würde sie sich das Herz schnappen. In Ferocis Bauch, umgeben von feinen Muskeln, war eine hässliche Stichwunde zu sehen. Da hatten die Halunken aus Cators Schenke ihn also erwischt. Sie mussten ihn geradewegs durchstochen haben.
Emarce legte das Messer, knapp unter den Rippen, an Ferocis Haut an, die so weiß war, wie Porzellan. Jetzt musste sie sich konzentrieren, um das wertvolle Organ freizulegen ohne es zu beschädigen.
Gerade als sie den Schnitt tätigen wollte zog etwas an ihrem Ärmel. Emarce sah hinab und hätte vor Schreck fast das Messer fallen gelassen. Ferocis blutverschmierte Finger hatten sich in den Stoff gegraben. Sie sah zu seinem Gesicht auf.
Er hatte den Kopf leicht gehoben. Hätte er Augen gehabt, hätte er sie jetzt direkt angesehen.
"Fledderer.", keuchte er verächtlich.
"Oh Dünschiss der Malitia.", stieß Emarce schockiert aus.
Er war nicht tot.
Er. War. Nicht. Tot!
Augenblicklich schossen Ferocis Augenbrauen in die Höhe und, um einiges höflicher lies er, mit seidiger Stimme, mit der er wohl normalerweise Dämoninen ins Bett bekam, verlauten: "Oh, eine Fledderin! Wie schön euch zu treffen, Lady...?"
"Emarce.", antwortete die Fledderin ohne genauer darüber nachzudenken. Danach hätte sie sich am liebsten selbst geschlagen. Sie hatte ihm ihren echten Namen gesagt.
Wie bescheuert! Warum hatte sie nicht gelogen?
Feroci bekam von ihrem inneren Konflikt wohl nichts mit.
"Emarce, was ein eleganter Name. Er passt sicher wundervoll zu Euch, Lady Emarce. Und, was werdet Ihr jetzt tun, da Ihr festgestellt habt, dass ich noch lebe? Werdet Ihr mich töten, um an meine Organe zu kommen? Werdet Ihr mich verlassen und einen anderen Ritter suchen, dessen Leiche Ihr entweihen könnt?", fragte er und seine blutverschmierten Lippen verzogen sich zu einem spöttischen Grinsen.
Fast augenblicklich hatte die Fledderin sich wieder gefangen.
Mit Spott konnte sie umgehen.
Emarce schnaubte. "Nein, ich fürchte es gibt kaum einen anderen Ritter, der so viel einbringen würde wie du. Aber, anders als andere Anwesende, habe ich durchaus einen Moralkompass. Ich töte nicht. Nein, Feroci, ich werde einfach hier sitzen und warten, bis du von alleine stirbst. Bei deinem Zustand wird das sicher nicht mehr lange dauern."
Feroci lachte und Blut blubberte aus seinem geöffneten Mund.
"Und mich sterben zu lassen sieht Euer Moralkompass nicht als Mord an, Lady Emarce?"
Die Fledderin schüttelte den Kopf. "Nein, das nennt man der Natur ihren Lauf lassen"
Erneut lachte der Krieger. "Natürlich. Ich werde also nicht Eure Jungfer in Nöten sein?"
Emarce schnaubte.
"Bei allem was man über dich erzählt, bist du ein verruchter Schürzenjäger und sicherlich keine Jungfrau."
"Dann eben... Euer Schürzenjäger in Nöten, Lady Emarce?
Ich kann auch für meine heroische Rettung zahlen, wisst Ihr?"
Emarce zögerte. Feroci war reich, das entsprach der Wahrheit.
"Nein.", entschied sie dann, "Du gehst sowieso drauf, auch wenn ich dich lebendig mitnehme. Und dein Herz allein bringt mehr ein, als alles, das du mir geben würdest."
Emarce setzte sich auf das Moos und grinste.
Feroci hustete Blut.
Nicht mehr lange.
"Was habt Ihr getan?", brüllte plötzlich eine Stimme. Emarce fuhr herum.
Am Rand der Böschung stand eine Gruppe Schattengardisten. "Ihr habt Ritter Feroci angegriffen! Ihr ehlende Fledderin! Dafür werdet ihr hängen!", schrie ihr Anführer.
Emarce drehte sich der Magen um, als sie seine glänzende Rüstung erkannte.
Es war Fürst Agema aus der Verhörzelle.
Sie hatte einen Penis nach ihm geworfen. Der würde ihr bestimmt nicht glauben.
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