
Blutschwund und Brühe (4) (Warnung: Verstörender Inhalt)
Der Geruch von Erbrochenem und Verzweiflung lag in der Luft. Es gab nur einen einzigen Raum. In der Mitte Hütte lag ein Steinkreis auf dem Boden aus festgetrampelter Erde, in dem ein kleines Feuer flackerte und die Hütte in ein warmes, orangenes Licht tauchte.
Über den Flammen hing ein verbeulter Kessel, in dem etwas köchelte, vermutlich die Brühe, die die Alte erwähnt hatte. Sie verströmte einen würzigen, angenehmen Geruch, der sich störrisch gegen den Gestank der Seuche auflehnte.
Fast bereute Emarce das Angebot des Mütterchens abgelehnt zu haben.
Neben der kleinen Feuerstelle lagen zwei, in mottenzerfressene Decken gehüllte, Gestalten.
Sie waren klein, völlig abgemagert und zitterten am ganzen Körper, auch wenn das alte Mütterchen ihnen offensichtlich die Decken ihrer verstorbenen Geschwister gegeben hatte, deren kleine Leichen zur Totenschau im hinteren Teil der Hütte aufgebahrt lagen.
"Ist es die Seuche?", fragte Emarce vorsichtig.
Die Alte nickte betrübt. "Blutschwund, sie haben es alle, nur ich nicht. Ich hab nicht aus ihren Bechern getrunken und ihr den Auswurf nicht berührt. Weder das Blut, noch die Kotze. Ich habe mich an die Regeln gehalten, die diese Quacksalber aus dem Palast verbreiten."
Emarce feixte. "Ja, wenigstens darin sind sie gut..."
"Ich habe es meine Schatten machen lassen.", die Alte schüttelte resigniert den Kopf, "Der kann ja nicht krank werden."
Vorsicht sah die Fledderin das Mütterchen an. Sie zögerte. "Du müsstest die Leichen hier raus schaffen. Die können die Seuche noch übertragen."
Die Alte heulte auf und klammerten sich erneut an der Fledderin fest.
"Aber meine Kinder! Sie müssen ihren Weg finden! Nach Ugdapaz! Wenn ihre Körper nicht in Sicherheit, in ihrem Haus, sind, dann finden sie den Weg vielleicht nicht! Was, wenn ihre Seelen auf dem Weg nach Ugdapaz zurückblicken und ihre Körper nicht in ihrem Zuhause zur Leichenschau sehen? Dann bekommen sie Angst und gehen verloren!"
Emarce nickte.
Sie war natürlich mit dem Grund der Leichenschau vertraut.
Auch sie glaubte, wie fast alle Dämonen, an Ugdapaz, das Jehenseits, in dem die Dämonen nach dem Tod in Überfluss und Glück lebten.
Und natürlich wusste sie, dass die Leichenschau für die Reise nach Ugdapaz entschiedend war.
Aber durch die Leichenschau hatte sich der Blutschwund, die Seuche von den Schlachtfeldern, erst verbreiten können.
Weil man die Leichen, zur Leichenschau, heim geschickt hatte.
"Ich bin sicher, sie würden auch nicht sehen wollen, dass ihre Familie wegen ihnen Krank wird und verreckt.
Vielleicht gibt es einen anderen Ort, an dem sie sich wohlfühlen konnten, an dem du sie zur Leichenschau aufbaren kannst.", versuchte Emarce einen Kompromiss zu finden.
Ihr Gesicht hatte mittlerweile aufgehört zu bluteten und machte sich nur noch durch gelegentliches Jucken und Stechen bemerkbar, das war gut. Trotzdem würde sie sich sicher nicht selbst mit den Opfern des Blutschwunds in Kontakt bringen. Kurz überlegte sie das Mütterchen zu fragen, aber sie sah davon ab. Den Kindern wäre nicht geholfen, wenn ihre Mutter die Seuche bekam.
"Emmi, schau dir die lebenden Kinder an. Gib mir eine Zusammenfassung. Ich sehe mal was ich da habe...", befahl die Fledderin, und öffnete nachdenklich ihre Tasche.
"Klar, Marce. Bin dran.", gab der Schatten nervös zurück und beugte sich vorsichtig über die Kinder.
Das alte Mütterchen hatte unterdessen ihren eigenen Schatten gerufen.
Sorgsam und liebevoll hob er die erste der kleinen, mageren Leichen in die Höhe und trug sie langsam, fast schon feierlich, aus der Hütte. Die Alte schluchzte und setzte sich zitternd neben dem Brühetopf auf den erdigen Boden. Sämtliche Energie schien sie verlassen zu haben. "Man braucht acht Tage, bis nach Ugdapaz. Acht.", flüsterte sie schluchzend.
Die Fledderin fühlte sich ätzend.
Vorsichtig zog Emarce einige Glasfläschchen aus ihrer Tasche. Die Korken waren noch nass, von ihrem unfreiwilligen Badeausflug im Graben. Jedes der Behältnisse enthielt ein anderes, zerriebenes Kraut. In einer Phiole bewahrte die Fledderin einen Heiltrank auf, den sie einer guten Freundin auf dem Schwarzmarkt abgekauft hatte. Die Tinktur war mit Dämonenmagie versetzt und schloss Wunden innerhalb weniger Atemzüge.
Eine Salbe, Emarce Eigencreation, erleichterte das Atmen. Ein anderer Trank, den die Fledderin mit der Schwarzmarkt-Freundin angefertigt hatte, vermochte gegen Sehbehiderungen anzukämpfen, half jedoch nur dabei schärfer zu sehen und brachte Emarce keine Farben zurück.
"Der Blutschwund ist schon ziemlich weit, Marce. Die Schleimhäute bluten fast alle. Ist alles offen da drin. Die Augen werden schon glasig.", kommentierte Emmi besorgt, während sie in den Mund eines der Kinder starrte.
Die ehemalige Feldheilerin verzog das Gesicht.
Die Seuche aus den Gräben war eine abscheuliche Sache. Nicht nur sorgte sie für Durchfall und Erbrechen, sie löste auch die feine Haut der Schleimhäute auf und ließ die Opfer aus Mund, Nase, Augen Anus und Genitalien bluten. Die meisten von ihnen wurden vom Mangel am Flüssigkeit in ihren Körpern hinweggerafft. Sie fielen in tiefe Bewusstlosigkeit, dann starben sie.
Emarce zog sich ein paar feuchter Lederhandschuhe über die schmerzenden, verletzten Hände und näherte sich den Kindern einige Schritte.
Sie sahen schlecht aus.
Vorsichtig beugte die Fledderin sich über den Kessel mit der Brühe und schnüffelte.
Das Essen roch gut und kochte vermutlich schon so lange, dass es nicht mehr problematisch war.
In Gedanken legte Emarce sich einen Plan zurecht.
"Was ist in der Brühe?", fragte sie mit einem Blick zu der Alten.
"Gemüse, Kräuter und ein halber Knochen von einem Idhaz... zumindest hat der Hehler mir gesagt, dass er von einem Idhaz ist."
Emarce nickte. Das Knochenmark der Idhaz war gut für die Blutbildung im Körper und vermutlich der einzige Grund aus dem die Kinder überhaupt noch lebten.
"Welcher Becher ist für deine Kinder?", fragte die Fledderin.
Das Jucken in ihrem Gesicht ging ihr mittlerweile mächtig auf die Nerven. Kaum war es ihr noch möglich den Wunsch die Wunde wieder aufzukratzen zu unterdrücken.
Das Mütterchen deutete auf einen rissigen Tonbecher neben dem Lager der Kinder und schniefte. "Emmi, füll da von der Brühe rein. Ich präpariere das. Hoffen wir mal, dass es funktioniert."
Der Schatten klaubte den Becher vom Boden auf und tauchte ihn in den Kessel, dann stellte Emmi die fast klare Flüssigkeit, in der einige Scheibchen Gemüse schwammen, vor Emarce ab.
Die Fledderin gab vorsichtig einige Priesen der Heilkräuter in den Becher und träufelte einige Tropfen der Tränke und ein Spächtelchen Creme hinzu. Die Brühe begann zu blubbern und verfärbte sich langsam. Am liebsten hätte sie die Alte gefragt welche Farbe die Brühe nun hatte, aber das hätte sicherlich nicht sehr vertrauenswürdig geklungen.
Vorsichtig linste Emarce zu der Alten herüber.
Sie hatte keine Ahnung, ob ihr Gemisch tatsächlich helfen würde, aber sie war sich wenigstens ziemlich sicher, dass es nicht giftig geworden war. Trotzdem schnüffelte sie vorsichtig an dem Inhalt des Bechers. Sie roch nichts. Vielleicht lag es an dem grausigen, allgegenwärtigen Gestank in den Hütten, aber es beruhigte die ehemalige Heilerin etwas.
"Emmi, gib es den Kindern. Jedes soll zwei Schlucke davon nehmen.", befahl Emarce und erneut flackerte ihr Blick zu dem alten Mütterchen herüber, das sich nun aufmerksam aufgesetzt hatte.
Der Schatten nickte und trug den Becher zu den Kindern herüber. Vorsichtig hob Emmi den Kopf des ersten Kindes an und ließ ein bisschen Brühe in ihren Mund laufen. Sie passierte die Mundhöhle des kranken Dämonlings ohne Widerstand. Träge schluckte das Mädchen. "Das ist ja blau!", schnappte das Mütterchen plötzlich, "Wie ist die Brühe denn blau geworden?"
Emarce lächelte erleichtert, was ihre Wunde zum Spannen brachte. Blau war gut.
"Das soll so sein.", gab sie zurück.
Emmi war nun zu dem zweiten Kind weitergezogen.
Es wirkte sogar noch schwächer als das erste. Die Fledderin hatte so ihre Zweifel, dass es überleben würde. Trotzdem träufelte Emmi auch ihm die Brühe in den blutigen Mund.
Nervös krallte sich das Mütterchen in ihrem Oberkleid fest und franste einige Stellen aus, während Emarce die Zutaten mit zitternden Fingern wieder in ihre Tasche packte.
Sie war nervös.
Noch war es niemandem gelungen die Seuche zu heilen. Der Blutschwund galt als unbesiegbar.
Emmi stellte den, immer noch fast vollen, Becher neben den kranken Dämonlingen auf den Boden.
Nichts geschah.
Dann ging ein Zittern durch den kleinen, abgemagerten Körper des Mädchens und sie begann zu husten.
Ganz langsam öffnete sie ihre Augen und blinzelte einige Male. Mit trübem Blick sah sie das Mütterchen an.
"Mutti?", flüsterte sie.
"Elpis! Du... du kannst mich sehen.", hauchte die Alte und starrte ihre Tochter mit Tränen in den Augen an.
Der kleine, schwache Junge begann ebenfalls sich zu regen.
Emarce lächelte zufrieden und löste ihren Schatten auf.
Dann huschte sie unbemerkt aus der Hütte.
Sie musste los, das Rezept aufschreiben!
Sie hatte ein Heilmittel gefunden!
Außerdem, auch wenn sie diesen Grund nie zugegeben hätte, konnte die Fledderin längst nicht mehr gut mit lebenden Dämonen umgehen, vorallem wenn diese ihr positiv gesinnt waren.
Nun, mit fast allen lebenden Dämonen.
Emarce grinste, ihrem schmerzenden Gesicht zum Trotz und steuerte den Ort an, zu dem sie bereits von Beginn an gewollt hatte. Den Ort, an dem ihre besten, und einzigen, Freunde lebten und arbeiten:
Die Schenke.
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