Zum König von Nemuraq - 20.1. Silwan
Das war Wüstenrast, wie Jaeran es kannte. Zumindest erklärte er das Silwan. Es gab hier viel zu sehen und das Tag und Nacht. Glasbläser und Keramikkünstler, exotische Tanzvorstellungen und Tierschauen. Sportwettkämpfe wie Pferderennen vor den Stadtmauern und das allseits beliebte Ringen und neben jedem der zahlreichen Cafes in der Stadt, stand mindestens ein Badehaus, was sowohl Silwan als auch Jaeran begeisterte.
Sie, weil sie sich als Chorr nach der warmen feuchten Luft des ahnahnischen Dschungels sehnte, er, weil eine ordentliche Badekultur zu leben, eines seiner größten Hobbys darstellte.
Doch es gab auch untypische Dinge, die man in Nemuraq nicht erwartet hätte. Man konnte grünen und schwarzen Tee erstehen und fand typisch atonenisches Essen angeboten. In manchen Ecken wurde aufgeregt in Kiwandrenisch diskutiert und am Hauptplatz camonisch gesungen. Selbst auf sie Häuser einiger T stieß man, die typisch flach und ebenerdig, aus dem nun rar gewordenen Holz Nemuraqs gebaut worden waren. Sie mussten bereits Jahrhunderte alt sein, doch schienen noch von deren Erben bewohnt zu werden.
Wüstenrast war die multikulturellste Stadt des Kontinents und niemand wusste so genau warum. Durchreisende, die es nicht weiter geschafft hatten und zu Gestrandeten geworden waren, hatte es in der langen Geschichte der Stadt zahlreiche gegeben. Doch die Gründe für ihren Verbleib in Wüstenrast, waren so zahlreich, wie ihre Nachkommen.
Sie hatten sich ausgemacht, ordentlich gestriegelt und geputzt, geschrubbt und Jaeran rasiert, vor ihrer Herberge zu treffen, um zu dem Eidechsenkönig von Nemuraq geführt zu werden. Den ganzen Schmutz von ihrer Haut los zu werden, war eine enorme Wohltat für Silwan und so trat sie gut gelaunt und voller Tatendrang auf die sandigen Straßen, auch wenn sie wusste, dass da draußen die Hitze wieder zuschlagen würde. Doch grundsätzlich gab ihr die Vorstellung, endlich mit dem König zu sprechen, den geforderten Energieschwung, um auch den unbarmherzig brennenden Föhn, entgegen zu treten.
Draußen fand sie bereits Jaeran vor, wie versprochen nahm er es mit der Badekultur sehr ernst und abgesehen von seiner dreckigen Reisekleidung, sah der Jae sogar einmal richtig präsentabel aus. Er kniete hinter seinem Hirsch und inspizierte nachdenklich dessen Hinterlauf, während er dem Tier liebevoll auf den Hintern haute >Na? Hat dich da was gestochen?<
Silwan konnte nichts dergleichen erkennen, doch ihr fehlte auch jegliche Erfahrung und Geduld mit solchen Sachen. Der Hirsch würde die kurze Strecke bis zum Palast schon überleben. Sie räusperte sich, um die Aufmerksamkeit des Jae zu erlangen, was auch überraschender Weise, augenblicklich klappte. Jaeran sah auf und lächelte sie strahlend an, bevor er sich langsam aufrichtete >Du siehst richtig elegant aus!<
Sie hatte im Gegensatz zu ihm, ein zweites paar Kleidung mitgenommen, um sich vor dem Besuch beim König umzuziehen. Das Kompliment schmeichelte ihr, auch wenn elegant auszusehen, genau der Plan gewesen war und es sie schockiert hätte, wäre sie damit nicht erfolgreich gewesen. Doch wenn sogar ein stumpfer Krieger wie Jaeran bemerkte, dass sie sich Mühe gegeben hatte, würden dem nemutaqische König wohl die Augen heraus fallen.
Der Jae fasste die Reaktion auf sein Kompliment anscheinend als überaus zufriedenstellend auf, obwohl sich Silwan nicht bewusst gewesen war, dass sich die Wirkung seiner netten Worte, so deutlich auf ihrem Gesicht widergespiegelt fanden. Wie dem auch sei, er strahlte weiter hin zufrieden vor sich hin, hörte jedoch plötzlich damit auf, als er mit dem Blick noch einmal über sie strich und etwas kurioses entdeckte >Ich dachte, du hättest deinen teuren Schmuck zuhause gelassen. Zumindest hast du das vor Azuril behauptet.<
Silwan hätte nicht gedacht, dass dem Jae dieses Detail auffallen würde, doch da hatte sie seine Aufmerksamkeitsspanne wohl abermals unterschätzt. Oder die Liebe zu seinem Hirschen, den sie jetzt doch mit ein wenig Mitleid betrachtete, wie er lahmend, von irgend einem Insekt gestochen, ohne sein prächtiges Geweih, ein wenig mickrig da stand.
Doch ihr Mitgefühl wollte sie sich nicht anmerken lassen >Ich habe für diesen Anlass tatsächlich meinen schönsten Schmuck mitgenommen. Einem König mit angemessener Ausstattung gegenüber zu treten, ist nicht nur eine Frage des Respektes, sondern auch der Glaubwürdigkeit. Ich denke nicht, dass er einem heruntergekommenen Chorrmädchen glaubt, dass diese eine Nachricht von der Königin überbringt, wenn diese aussieht, als hätte sie in ihrem schweren Leben auf der Straße, nicht einmal lesen gelernt.< Sie zuckte mit den Schultern >Und deinem Freund Namrehs, wächst seine Krone wieder nach, doch dieses filigrane Ohrnetzt ist aus feinstem kiwandrischem Gold. Davon muss die Anführerin der Naurabuten nichts mitbekommen.<
Jaeran nahm das ganze anscheinend doch leichter auf die Schulter, als gedacht und kraulte Namrehs zwischen den Ohren >Nun, ich habe nicht vor, diesen Umstand Azuril von den Naurabuten weiterzuerzählen. Und der hier auch nicht.< er zeigte auf seinen Hirschen.
>Ist seine Verletzung denn schlimm?< fragte die Chorr da und sah sich das Bein auch noch einmal genauer an, doch dies brachte ihr weiterhin keine größeren Erkenntnisse. Jaeran lachte jedoch >Der Überlebt das schon.<
Das beruhigte die Chorr, schließlich hatte das schlechte Gewissen doch schon an ihr genagt, zuerst stahl sie dem Tier sein Geweih und jetzt hätte sie sich einfach auf seinen Rücken gesetzt, ohne sich seines Zustandes bewusst gewesen zu sein, hätte Jaeran nichts gesagt. So wie es sich mit der armen alten Gabelgazelle verhalten hatte, die in der Wüste verstorben war.
Es fiel eine unangenehme Stille über die beiden, nun da dieses Thema geklärt war. Die Hitze war zu groß um die Anstrengung auf sich zu nehmen und weiter über Belanglosigkeiten zu plaudern und sie beide kannten sich noch nicht gut genug, um Stimulation in einem tiefen und wichtigen Gesprächsthema zu finden. Die Stimmung begann damit, um ehrlich zu sein, eher bedrückend zu werden. Beide hingen in der unerträglich warmen Luft, ihren Gedanken nach, aber konnten das unangenehme Gefühl auch nicht abschütteln, dass sie die Stille mit einem Gespräch füllen sollten.
Jaeran machte den ersten Schritt, auch wenn er normalerweise ein Mann war, der lange Phasen des Schweigens sehr gut aushielt und nichts ehrenrühriges in der Stille zwischen zwei Personen sah, fand er es doch unangenehm, hier herum zu stehen und nichts anderes zu tun zu haben. Er kam wieder auf Silwans Schmuck zurück, eine Taktik, die die Chorr bereits öfter bei dem Älteren bemerkt hatte. Wusste er nicht über was er reden sollte, griff er das vorherige Thema wieder auf, fand sogar manchmal händeringend einen neuen Punkt, den er hinzufügen konnte, oder wiederholte zustimmend das zuletzt gesagte, nur umformuliert, so tuend als hätte er bis jetzt über die gesagten Worte nachgedacht. >Welch Wunder, dass Yaims deinen Schmuck nicht gefunden hat, bei all seinen nächtlichen Suchaktionen.<
Über den Gedanken, dass jemand durch ihre Sachen gewühlt hatte unangenehm berührt, blickte die Chorr zu Boden, doch dann fühlte sie sich der Höflichkeit halber dazu gezwungen zu antworten >Er hatte wohl tatsächlich nur die Drogen im Kopf.< dann blickte sie jedoch auf und zog die Augenbrauen zusammen, eigentlich wäre es ihr sehr recht, wenn diese Yaims nun endlich auftauchen würde, bevor sie ihr wunderschönes Kleid völlig durchgeschwitzt hatte >Wo ist der eigentlich?<
Auf das Fehlen von Yaims angesprochen, bekam Jaeran einen verzwickten Ausdruck, sein Lächeln war auf seinem Gesicht gefroren und seine grünen Augen schnellten zu der Herberge >Er war nicht mehr in unserem Zimmer, als ich aus dem Badehaus zurück gekehrt war.<
Jaerans Auffassungsgabe zu loben, war wohl eindeutig zu früh gewesen, bemerkte Silwan in Gedanken und drehte sich seufzend um, als sie sich stur und zielstrebig zurück durch die Tür der Herberge aufmachte. Dort drinnen sprach sie noch einmal mit der Wirtin, um ihren dringenden Verdacht zu bestätigen, was ihr auch gelang >Der junge Mann, der mit Euch unterwegs war, hat die Herberge bereits vor euch wieder verlassen, werte Gäste.< war die Auskunft der Wirtin gewesen und sie hatte sich tief verbeugt >Wenn Ihr werte Gäste auf die Rückkehr eures Freundes warten wollt, kann ich Euch ein Glas Echsenspucke einschenken.<
Silwan brauchte jetzt kein alkoholisches Getränk, sie brauchte dringen eine Möglichkeit diesen Yaims aufzutreiben. Innerlich fluchte sie einen Sturm zusammen, als sie mit festen, wütenden Schritten wieder nach draußen trat und sich links und rechts der Straße umsah. In Wüstenrast waren die meisten der engen Gässchen und Wege, zwischen den dicht verbauten Häusern, von hohen Schattendächern überspannt, die alle paar hundert Meter mit einem Windturm als Aufsatz, ausgestattet waren. So waren die Bewohner auf offener Straße, vor der prallen Sonne geschützt und die Windtürme sorgten durch den Kamineffekt für einen nahezu stetigen Luftstrom, der die Hitze erträglich machte, wenn man das Leben hier gewohnt war. Doch die Abdeckung machte es einem auch fast unmöglich, sicher durch das Netz aus Straßen zu navigieren. Es gab einfach keine Landmarken, denen man folgen konnte, wenn man wie durch die Tunnel von Nacktmullen lief.
Links und Rechts reihten sich hunderte kleine Geschäfte für Kunsthandwerk aneinander, die Händler nahe der Herbergen, wollten mit ihrer Präsenz wohl jede Möglichkeit nutzen, um Neuankömmlinge mit ihren Waren zu mästen, bevor sie wieder abreisen konnten. Doch zwischen den Kupferstechern, Kachelmalern, Teppichfärbern und Metallätzern, fand man weit und breit keinen Yaims.
Silwan drehte sich zu Jaeran um, so heftig und determiniert, dass dieser zusammen zuckte >Wo könnte er hin gegangen sein? Er kam nach Wüstenrast um sich Stoff zu besorgen. Wo findet man das hier?<
Jaeran kratzte sich das nun spiegelglatte Kinne und öffnete dabei wieder einen Schnitt, den er sich beim Rasieren zugezogen hatte. Die Bewegung verteilte das Blut schön über sein halbes Unterkiefer >Man findet in Wüstenrast überall was.< plötzlich hielt er inne und ließ den Arm mit großen Augen sinken >Habe ich gehört.<
Die Botschafterin blieb unbarmherzig >Dann werden wir in jeder verruchten Ecke, jedem Lokal, an jeder Brücke und öffentlichem Ort suchen!< beschloss sie und stapfte los.
Sie war wütend auf sich selbst, wüten, dass sie diesen unzuverlässigen Manipulator zu ihrem Schlüssel zum König gemacht hatte. Doch dies war nun einmal passiert und sie musste Yaims finden, um endlich ihre Mission zu erfüllen und dabei würde sie nichts davon abhalten. Nicht die Händler, die mit allen Mitteln ihre Aufmerksamkeit versuchten zu erlangen und auch nicht Jaeran, der mit dem Vorschlag, sie könnten alleine zum Palast des Königs gehen, nur auf bewusst taube Ohren stieß. Der König von Nemuraq unterhielt bereits seit Jahrzehnten keinen diplomatischen Kontakt mehr zu den Chorr, knapp bis zu einem Jahrhundert. Sie konnte dort nicht einfach auftauchen, ohne jemanden, der für sie vermitteln würde. Außerdem schuldete dieser Halunke ihnen noch diesen wichtigen Teil der Abmachung. Davon würde sie ihn aus Prinzip heraus nicht entbinden, auch wenn er sich versuchte vor ihr zu verstecken.
Plötzlich wurde sie am Handgelenk zurück gehalten und von Jaeran erfolgreich zum Stehen gebracht >Warte.< meinte er halblaut und sprach erst weiter, als sie sich dazu erbarmt hatte, sich zu ihm umzudrehen >Ich habe da von einem Lokal gehört. Die Chancen stehen recht gut, dass er sich dort hin verzogen hat.<
Silwan verengte die Augen >Warum bist du da so sicher?<
Der Jae zuckte mit den Schultern, er verfiel in solch ein Murmeln, dass man ihn kaum mehr verstehen konnte >Als er uns im Lager der Naurabuten ansprach, meinte er wörtlich 'Wenn ihr es schafft, werde ich euch zum König in Wüstenrast bringen'. Zufällig kenne ich da dieses Cafe, das 'Zum König' heißt.<
Nun war sich Silwan definitiv bewusst, wie ihr Gesicht aussehen musste, denn ihre Augen verengten sich spürbar zu hauchdünnen Schlitzen und ihre, zu einer schmalen Linie zusammen gepressten Lippen, brachen nur auseinander, um die alles entscheidende Frage zu stellen >Gibt es dort Drogen?<
Jaeran nickte, mit einem Gesicht, das wohl kreidebleich gewesen wäre, hätte ihn die Sonne, die Tage zuvor in der Wüste, nicht bereits so intensiv geküsst.
>Bring mich dort hin.< forderte Silwan nun, die ihre Wut auf Yaims von den Naurabuten, kaum zügeln konnte >Wir werden diesen verlogenen, kleinen Wicht aus diesem Lokal hinaus holen und wenn wir seine Leiche an den Füßen auf die Straße schleifen!<
Jaeran ließ ihre Hand los und fing entschuldigend an zu lächeln >Weißt du, es gibt da ein camonisches Sprichwort-<
>Sofort, Jaeran!<
Natürlich wollte sie Yaims nicht umbringen, doch gnädig würde sie nach diesem unverfrorenen Trick auch nicht sein. Sie ließ den riesigen, breitschultrigen Jae nun voran gehen, der wie ein Pflug die wuselnde Menge an einkaufenden Einheimischen, zur Seite trieb und sie schneller voran kommen ließ, während sich Silwan fragte, was Yaims Verhalten eigentlich zu bedeuten hatte. Warum die ganzen Manipulationen und Lügen? Wofür brauchte er sie um nach Wüstenrast zu gelangen, er hätte doch auch ganz alleine hier her kommen können und hatte keine Vorteile davon, seinen Stamm zu verlassen und sie dann hier her zu begleiten, nur um sie herein zu legen. Sie würde auf die Antwort auf diese Fragen selbst nicht drauf kommen, was wohl ein weiterer Grund dafür war, den verlogenen Wicht endlich zu finden.
Nach dutzenden Malen Abbiegen in neue kleine Gassen, wusste Silwan nicht mehr im Geringsten, wo sich ihre Herberge befand, doch Jaeran blieb plötzlich stehen und ihr Fokus darauf, Yaims zu finden, ließ sie dieses Detail völlig vergessen. Dort vor ihnen, befand sich das Kellerlokal 'Zum König', mit einem bunten Holzschild über dem Abgang angekündigt. Jaeran drehte sich noch einmal zu ihr um und bat sie lächelnd niemanden umzubringen, bevor er aufmunternd nickte und sich aufmachte, um hinunter in das Lokal zu steigen. Sie folgte ihm, augenrollend und wurde sogleich in die stickige Luft eingehüllt, die dort unten von den Windtürmen nicht mehr weggetragen werden konnte.
Zumindest kühlte jedoch die Dunkelheit ein wenig, als sie am Ende der Steinstufen angekommen waren und Jaeran die Holztür aufstieß. Drinnen ging es geschäftig zu, in irgend einer Ecke spielte ein Gegenspieler aufgeregt und ließ sich durch ihr Erscheinen, nicht aus der Konzentration bringen, auch nicht als sich ein Wirt erfreut ausrufend, durch die Menge an gut besetzten Tischen schob und den beiden zuwinkte >Willkommen, willkommen!< begrüßte er sie und hatte dabei einen starken pheenischen Akzent. Einen kurzer Augenblick lang, schien ein Gedanke durch den Kopf des Wirten zu huschen, dann setze er mit noch größerem Enthusiasmus zum Sprechen fort >Jaeran von Minzka, die Wüstenrose. Der einzige Jae, den man hier willkommen heißt!<
Silwans Entsetzen, dass Jaeran sie beide anscheinend zu einem Manengrunder geführt hatte, wurde jedoch fast augenblicklich von dem Gefühl der Überraschung unterbrochen, als plötzlich aus dem hinteren Teil des Lokals, schnell wie ein Blitz, jemand aufgesprungen war, an dem Wirten vorbei gelaufen und zwischen Jaeran und Silwan durch, die Flucht nach draußen ergriffen hatte. Der Wahnsinnige hatte eine Kapuze auf gehabt, doch bei der Chorr kamen nicht die geringste Zweifel auf, dass es sich klar um Yaims gehandelt haben musste. Sie boxte gegen Jaerans Schulter und zeigte aufgeregt auf den Eingang >Los, los! Ihm nach!<
Dieses mal reagierte Jaeran glücklicher Weise einmal wie eine Person mit normaler Aufmerksamkeitsspanne und wandte sich nun tatsächlich dem Eingang zu, bereit dazu los zu sprinten. Hätte Silwan vorher gewusst, dass man Jaerans Jagdinstinkte nur hätte reizen müssen, hätte die Reise durch die Wüste für sie wohl angenehmer verlaufen können. Doch jetzt noch über diese Versäumnisse nachzuweinen, war müßig, sie entschied sich lieber dazu, Jaeran nachzulaufen, der bereits losgesartet war und den verblüfften Wirten einfach stehen gelassen hatte.
Sie nahm gleich drei der unregelmäßig geschlagenen Stufen auf einmal und stolperte den beiden großgewachsenen Männern mit aller Mühe nach, doch bemerkte zu ihrem Unmut, dass Jaeran bereits am Kopf der Treppe, ergebnislos wieder stehen geblieben war.
>Was ist los?< fragte sie stirnrunzelnd und warf einen Blick in beide Seitengassen, die das Lokal umschlossen. Natürlich gab es keinen Hinweis darauf, in welche der beiden Gässchen dieser Wahnsinnige gelaufen war.
Jaeran stand Habt-Acht, wie eine Statue da und starrte in die Luft. Dies war keine Stellung, die Silwan präferierte. Sie rempelte ihn leicht an, doch er reagierte erst, als der manengrunder Wirt, zu ihnen nach draußen kam. >Hat dieser Gast irgend etwas gesagt, als er her gekommen ist? Was er als nächstes vor hat? Was sein Ziel nach dem Abstieg ist?< fragte der Jae energiegeladen, was sich jedoch nicht auf den Wirten übertragen ließ. Dieser stotterte nämlich erst nach einer langen Denkpause, dass Yaims ihm nichts gesagt hätte, was Jaeran helfen könnte, ihn zu finden.
>Was machen wir denn jetzt?< fragte die Chorr schockiert. Jaeran zeigte sich ernst, doch nicht hoffnungslos >Bei den Weißen Klingen gibt es ein Sprichwort: 'Brauchst du einen guten Fährtenleser, wende dich an Jaeran.'<
Silwan war sich nicht sicher, ob er sie hier anlog, oder nicht, doch es gefiel ihr trotzdem was sie da hörte >Na dann los, du Wunderknabe. Such!<
Jaeran nahm es sportlich, wie ein Hund herum kommandiert zu werden und nahm die Fährte auf. Zum Glück war der erste Hinweis nicht schwer zu finden, denn Yaims hatte bei seiner Flucht, sein Glas in den Sand fallen gelassen, welches Jaeran sofort entdeckt hatte. Silwan folgte seinem plötzlichen Energieschub zu dem Gefäß, doch blieb dann entnervt an der verdächtigen Gasse stehen, als sich der Jae bückte und das Glas aufhob, um es dem Wirten zurückzubringen. Sie musste ihn zurück pfeifen und ihm noch einmal bewusst machen, dass sie sich zu beeilen hatten. Dankenswerter Weise, kam ihnen der manengrunder Wirt entgegen und nahm dem Jae das Glas aus der Hand, bevor sich dieser umwand und mit einer kurzen Verabschiedung die Gasse hinunter lief. Silwan zog er dabei mit sich.
Das war ihr auch ganz recht, denn sie wollte in dem Gewirr aus nemuraqischen Straßen nicht verloren gehen und selbst war sie nicht mehr in der Lage, Jaerans Entdeckungen zu folgen. Es war ihr unbegreiflich an welchem unsichtbaren Strang er sich zu orientieren schien, welchen geheimen Zeichen er folgte, doch er fand anscheinend genug Hinweise in dieser windigen Stadt, um sie beide fast im Laufschritt vorwärts zu führen. Wären da nicht die anderen Leute gewesen, die sie beide und den verfolgten Nemuraqer, ausbremsten. Man konnte jedoch nicht leugnen, dass sie eine beeindruckende Distanz in kurzer Zeit zustande brachten und das war ausschließlich Jaeran zu verdanken.
Und dann waren sie plötzlich in eine Gasse eingebogen, in der sie Yaims das erste mal deutlich vor sich sehen konnten, aufgehalten von einem niedrigen Zaun, über den er gerade kletternd entfliehen wollte. Silwan wurde von Jaeran abrupt losgelassen und er stürzte sich auf den Nemuraqer, mit der Wucht eines wild gewordenen Stiers. Das schlug die Luft aus den Lungen des armen Jungen und man konnte ihn darauf hin bequem vom Zaun schälen und davor auf den Boden setzen.
Silwan eilte zu den beiden Burschen. Sie wollte die Erste sein, die Yaims zur Rede stellte, schließlich war sie die Botschafterin. Und weitaus wütender als Jaeran. Also kniete sie sich zu dem keuchenden Nemuraqer und sah ihn fest an >Was sollte das alles? Warum versuchst du uns zu hintergehen?<
Yaims japste und rang nach Luft, was Jaeran offensichtlich dazu brachte, sich schuldig zu fühlen, er hatte schließlich in seinem Eifer ein wenig übertrieben, doch Silwan verdrehte nur die Augen und kickte das Päckchen Drogen zur Seite, das aus Yaims Hand gefallen war >Ich habe dich etwas gefragt!<
Langsam beruhigte sich der Nomade wieder und auch wenn es am Anfang schmerzte, war er wieder in der Lage dazu, Luft zu holen. Seine Stimme fand er jedoch erst wieder, als sich Silwan zu ihm herunter beugte und ihm einen vernichtenden Blick zugeworfen hatte >Ich habe eine Aufgabe zu erfüllen und du hast mich dabei bis jetzt nur behindert.<
Langsam öffnete Yaims den Mund, als wäre er nicht sicher, was er sagen sollte, dann lächelte er plötzlich mit Tränen in den Augen >Ich kann von hier den Mond sehen.<
Silwan richtete sich wieder auf und seufzte tief >Großartig.< murmelte sie sarkastisch >Natürlich ist er wieder zugedröhnt.<
Ihn auf den Rücken klopfend, versuchte Jaeran den Jungen zu unterstützen und kratzte dafür die wenigen Nemi Vokabeln zusammen, von denen er sicher war, wie man sie aussprach >Yaims. Wir brauchen Hilfe. Von dir. Kannst du dein Versprechen halten?<
Der Angesprochene lachte trocken und gequält >Ich bringe euch zum König, Retinaqs.< sagte er plötzlich und versuchte sich am Zaun entlang, wieder auf die Beine zu stemmen >Es ist nicht weit von hier.<
>Nicht weit von hier?< fragte Silwan erbost und war sich nicht sicher, für wie blöd Yaims sie hielt. Es war sogar ihr klar, dass sie sich weit vom Palast entfernt hatten, auch wenn sie aufgrund der Überdachung nichts sehen konnte. >Was für ein Spiel spielst du hier?<
Yaims kicherte und es war nicht klar, ob seine Knie deshalb zitterten, oder durch seinen Allgemeinzustand >Meine Mutter ist jene, die nur vor ihrem Ankyen Brett sitzt. Das Spiel, das ich spiele, wird Wahrheit genannt.<
Silwan verstand kein Wort und suchte Hilfe durch einen Blick zu Jaeran. Der wiederum, sprang sofort auf dieses abstrakte Gerede an >Zeig uns deine Wahrheit, wenn du dein Versprechen halten möchtest.< Er bot dem Nemuraqer sogar seinen Arm an, damit sich dieser beim Gehen abstützen konnte und so blieb Silwan nichts anderes übrig, als den beiden skeptisch zu folgen. Sie schlüpften einmal mehr durch einige enge Gassen und traten dann auf einen großen Platz hinaus, der im Vergleich zu den reichlich benutzten und mit Leuten fast schon verstopften umliegenden Straßen, fast unheimlich leer und ruhig vor ihnen lag.
In der Mitte befand sich ein gigantisches Mausoleum, aus weißem Marmor, das wie ein Tempel gebaut, eindeutig das Grabmal für einen extrem reichen Verstorbenen darstellte. Und da dämmerte es Silwan langsam. Sie blieb stehen und ballte ihre Fäuste >Moment!< stieß sie durch zusammen gebissene Zähne hindurch aus >Ich wollte nicht zu irgend einem König gebracht werden, sondern zu dem aktuellen König von Nemuraq, der vermutlich im Palast sitzt, so wie Könige das nun einmal tun.<
Jaeran war jedoch weiter gegangen und konnte die Wahrheit deshalb wohl schon deutlicher sehen >Ich denke,< sagte er langsam und betrachtete die gigantischen goldenen Lettern auf dem weißen Stein, die man selbst von hier aus schon lesen konnte >Das ist der aktuelle König von Nemuraq. Nun, der Letzte zumindest, wenn man die Inschrift übersetzt.<
Der Blick der Chorr schnellte zu Yaims und der nickte langsam und mit einer Mischung aus Schadenfreude und Traurigkeit. >Es gibt einen König von Nemuraq. Doch er kann euch nicht mehr helfen.<
>Wie konnte uns das nicht aufgefallen sein?< fragte Silwan entsetzt in die Runde. Ihre Fäuste waren nicht mehr geballt, im Gegenteil, jegliche Kraft war aus ihren Muskeln gewichen und sie starrte das gigantische Grab vor ihr an, als wäre es nicht die Gedenkstätte eines Verstorbenen Königs, sondern ein Mahnmal für Silwans größten Fehlschlag. >Wie kann es sein, dass der Kontinent keine Ahnung hatte, dass niemand Nemuraq regiert.<
Yaims ließ sich erschöpft auf den Boden sinken und begann damit, seine Finger abzuschlecken >Nemuraq hat sich selbst verwaltet. Ohne König.< er begann müde zu grinsen >Ja, das haben uns die Retinaqs nicht zugetraut, oder?<
Silwan hörte sich die Erklärungen auf ihre Frage jedoch gar nicht an. Sie war zu sehr damit beschäftigt darüber nachzudenken, wie sie das jemals ihrer Königin erklären sollte. Und ob es überhaupt noch ein Königreich geben würde, zu dem sie zurückkehren konnte, würden sie keine Verbündeten auftreiben können. Sie blinzelte ihre Tränen zurück und ballte ihre Fäuste wieder. Aufgeben war hier keine Option >Was ist mit der Stadtverwaltung? Spuck es aus, irgendwer muss hier doch das Sagen haben, sonst würde die Stadt in Chaos untergehen.<
Yaims befand sich nun in einem kompromittierten Zustand. Sein Kopf war an Jaerans Schulter gelehnt, mit dem einen Arm stützte er sich am Boden ab, mit dem anderen wischte er sich Spucke vom Kinn. Ein Blick zu Jaeran verriet Silwan, dass dieser auch nicht genau wusste, wie es so weit gekommen war.
Yaims lachte heiser >Der Stadtkonzil hat niemandem außerhalb der Stadtmauern etwas zu sagen. Dafür haben meine Vorfahren gesorgt. Wüstenrast ist ein Stadtstaat ohne Einfluss. Gut so, wenn man den hohen Anteil an T bedenkt, die hier noch immer leben.<
Silwan drehte sich um, denn sie konnte die beiden Männer nicht mehr ansehen. Sie hatte genug von der Wüste, von diesem Krieg, von all den Problemen. Doch von neuen Ideen, hatte sie noch nie genug gehabt und würde dies auch heute nicht verhindern können. Ratlos, wütend und über die maßen traurig, starrte sie das Sonnendach über ihr an, das immer dunkler wurde und anzeigte, dass sich der Abend bemerkbar gemacht hatte, auch wenn man den Himmel nicht direkt sehen konnte. Ein weiterer Tag ging also zu ende und sie hatte keinen Erfolg vorzuweisen.
Hinter ihr hörte sie, wie die beiden Männer das Gespräch wieder aufnahmen, auch wenn sie das Gesagte ignorieren wollte. Die Worte drangen noch nicht in ihr aufgewühltes Bewusstsein, doch Jaerans beruhigend klingende Stimme, war schon genug für Silwan, dass sie sich aus der Konversation draußen halten wollte, schließlich war ihre Wut auf Yaims noch in keinem Fall abgeklungen. Doch dass die Antwort auf die vorsichtige Frage des Jae, warum Yaims sie >...überhaupt so hinter das Licht geführt< hatte, Silwans Interesse weckte, stand für sie in keinster Weise im Widerspruch zu ihrer Wut. Also lauschte sie zumindest für diesen Teil der Konversation aufmerksam. Wieder umdrehen brauchte sie sich ihrer Meinung nach jedoch immer noch nicht.
Der Nemuraqer zeigte sich redselig, aber nicht informativ >Als ich ein Kind war, haben ich irgendwie aufgehört meine Mutter zu verstehen.< ließ er vernehmen und gluckste leise und in sich gesunken einen Ton zwischen einem Lachen und Schluchzen >Als würden wir plötzlich eine andere Sprache sprechen. Wenn sie zum Beispiel von der Wüste sprach, hab ich von Nemuraq gesprochen. Wenn ich vom Sommer angefangen habe, erzählte sie von der Hitze. Wenn ich 'uns' sagte, verstand sie 'die Naurabuten'. Erkennt ihr das Problem?<
Silwan seufzte wütend und drehte sich nun endlich wieder um >Jaeran.< versuchte sie sich Gehör zu verschaffen, doch Yaims ließ sich nicht stoppen >'Schiffe' wurden zu 'T Herrschaft', der Horizont eine Grenze, ein Spiel eine Probe. Und-< nun schluchzte er deutlich >Zukunft wurde Vergangenheit.<
Silwan hatte keine Geduld mehr >Jaeran, wir sollten überprüfen, ob er dieses mal wirklich die Wahrheit sagt. Wir sollten zum Palast gehen. Vielleicht ist das nur ein Grabmal von vielen und gar nicht wirklich der letzte König von Nemuraq. Vielleicht hat eine neue Linie begonnen.<
Jaeran blickte sie nun an, Yaims Kopf war noch immer an seine Schulter gelehnt und das gequälte Gesicht des Jae, zeigte Silwan deutlich, dass er nicht vorhatte, den Nemuraqer in diesem Zustand hier im Stich zu lassen. >Jaeran.< wiederholte sie.
>Wenn es einen König von Nemuraq noch gibt, wird er uns jetzt am Abend so und so nicht mehr empfangen. Denn jetzt würde er beginnen, sich um sein Volk zu kümmern. Wegen der Kühle.< antwortete ihr Jaeran in Chorr und wandte sich dann wieder Yaims zu, ihm beruhigend auf die Schulter klopfend.
Er wechselte wieder die Sprache und kommunizierte von nun an in Nemi mit Yaims, was Silwan die Möglichkeit raubte, noch an ihrem Gespräch teilzuhaben. Sie betrachtete die beiden Männer, wie Jaeran dem anderen Trost spendete und das ließ ihre Muskeln entspannten. Auch in ihrer Brust regte sich nun eine gewisse Art von Mitgefühl für den klar verwirrten Jungen und sie setzte sich stumm neben die beiden und wartete mit der neu gefundenen Geduld, bis sich Yaims beruhigt hatte. Durch die Dunkelheit wurden die Straßen von Wüstenrast zu diesem Zeitpunkt bereits unheimlich und der ruhige Zustand, den Yaims endlich erreicht hatte, war kaum mehr von dem eines erschöpften Einnickens zu unterscheiden, also brachten sie den Jungen stumm zurück zu ihrer Herberge. Sie machten sich jedoch zusammen noch einmal auf in die Innenstadt, vor allem da Silwan zwar überaus ausgelaugt war, doch in keinster Weise schlafen konnte. Zum Glück, kannte Jaeran genau die richtige Bar für solch einen Zustand.
Er hatte sie an einem Tisch sitzen lassen, dessen Nachbarschaft laut singende, heitere Marunen darstellte und war ihnen etwas zu trinken holen gegangen. Sie hätten keinen größeren Kontrast zu Silwans Gemütszustand abbilden können.
Als Jaeran zurück kam und reichte er ihr eine von zwei mitgebrachten Schalen, die mit einer giftig aussehenden, neon blauen Flüssigkeit gefüllt waren, die beim Abstellen gefährlich nahe an den Rand der Schale schwappte. Silwans Begeisterung hielt sich in unübersehbaren Grenzen.
>Vergorener Kaktusnektar. Die Nemuraqer erklären einem liebend gerne, dass er blau wie der klare Himmel, trocken wie der Wüstenwind und süß wie dein Liebhaber ist. Auch wenn man nicht fragt.<
Silwan seufzte und nahm einen großen Schluck von dem blauen Gesöff, was sie jedoch gleich bereute. Ihr zog sich alles im Mund zusammen und selbst ihre Ohren, legte sie eng und angewidert an den Kopf. >Natürlich gibt es hier nichts anderes außer Alkohol und Drogen!<
Jaeran sah sie mit einer Güte und Geduld an, die Silwan im Moment nicht vertrug >Ich denke, dass sie hier nichts anderes haben, woran sie sich erfreuen können. Die Wüste ist endlos und ohne Ressourcen. Da bleiben nur Alkohol und Drogen. Aber Kopf hoch, morgen werden wir noch einmal zum Palast schauen und wenn dort kein König zu finden ist, dann können wir wenigstens wieder nach Hause.<
>Ohne Erfolgsnachrichten.< murrte sie und trank, trotz dem warnenden Grummeln ihres Magens, noch einen großen Schluck, bevor Jaeran wie aus der Pistole geschossen >Aber mit viel Wissensgewinn!< entgegnete.
Sie wollte ihm entgegen schmettern, dass man die Jentyponier und Menengrunder mit Wissensgewinn alleine nicht besiegen konnte, doch dieser grinsende Idiot würde wohl nur entgegnen, dass man sie ohne Wissensgewinn jedoch ganz gewiss nicht in die Knie zwingen würde. Das war jedoch nicht der Punkt. Und um dieser nutzlosen Diskussion zu entgehen, vermied sie es einfach darauf zu antworten und somit noch eine von Jaerans unerträglich positiven Antworten zu provozieren. >Manchmal gehst du mir echt auf die nerven.< seufzte sie und leerte ihre Schale mit zusammen gezogenen Augenbrauen.
Der Jae nahm auch das sportlich, er lachte leicht, interpretierte die Stimmung richtig und schwieg den Rest des Abends. Dafür war ihm Silwan dankbar. Nicht weil sie einen kleinen Sieg gegen seine ungetrübte Fröhlichkeit davon getragen hatte, sondern weil er so viel Verständnis aufbrachte.
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