Eine folgenreiche Entscheidung - 36.1. Melana
Da stand Melana nun, die tapfere Generälin. Ein Paradebeispiel für die jentyponische Infanterie, mit ihrem Ehrensäbel, den sie sich vor Jahren in der Schlacht von Ypers verdient hatte und einem Stapel an Plänen, die ihnen einen Ausweg aus der aktuellen verzwickten Situation versprachen. Doch die Soldatin Mandachel Yuchva, die sich ihrer Befehlshaberin in den Weg gestellt hatte, dieses hagere, zarte Ding, verlangte von ihr, das alles zur Seite zu legen, um den schmutzigen Zettel an sich zu nehmen, den ihr die junge Frau hin hielt. Die Götter hätten ihr besser eine dritte Hand wachsen lassen sollen, scherzte Melana verbittert, noch ohne sich der Tragweite dieses Zettels bewusst zu sein.
Eigentlich hatte sie wichtigeres zu tun. Zumindest dachte sie das in diesem Moment noch.
Sie waren zusammen mit den Manengrundern bereits seit Wochen vor der Stadt Panareen gestanden. Melana war nicht von Anfang an dabei gewesen, sie war gerufen worden, als General Faranca, nach zahlreichen Rückschlägen, dazu aufgefordert worden war, zurück zu treten. Dadurch hatte Melana endlich die älteste Stadt der Jae zu Gesicht bekommen können und dabei hatte sich ein Lebenstraum für sie erfüllt. Sie war gerufen worden, um die Schale der uralten Dame endlich zu knacken, denn man wusste, dass Melana ein Paradebeispiel für die jentyponische Widerstandskraft und deren berüchtigten Einfallsreichtum war. Und mit Großadmiral Kilee Leiq, hatte sie sich auch von Anfang an gut verstanden, auch wenn die Manengrunder ihrer Meinung nach, eigentlich nur als Liebhaber taugten.
Das galt natürlich nicht für Kilee Leiq, der im Gegenteil, ein ausgezeichneter Soldat war, doch auf keinen Fall mehr zum Liebhaber geeignet schien.
Deshalb hatte es sie auch überrascht, dass er den Rückzug von Panareen vorgeschlagen hatte. Es stimmte schon, gegen Ende der Belagerung, hatte die lange Zeit vor Panareen, eine deutliche Schneise in ihre Reihen geschlagen und das war genau so zu spüren gewesen, wie der Widerwille der Soldaten, weiter vor Panareen zu lagern und sich der Seuche auszusetzen. Doch Melana galt nicht um sonst als Problemlöserin. Sie hatte die Situation natürlich als das gigantische Potential gesehen, das sich aus der neuen Lage ergeben hatte. Mussten ihre Soldaten, am Beginn der Belagerung noch, mit Schaufeln und Metzgermessern bewaffnet in die Schlacht ziehen, da es nicht genug Ausrüstung für jeden der Kämpfer gegeben hatte, waren sie nun dazu in der Lage gewesen, die freie Auswahl zu haben, da die Toten ihre Säbel und Pfeile schließlich nicht mehr brauchten.
Dies hatte Kilee Leiq jedoch nicht überzeugt.Sie hatte den, bei der Flucht schwer Verwundeten, kurz vor dem Abflug der Manengrunder über den Ahnemorn, noch einmal gesprochen. Eigentlich hatte sie vor gehabt, ihn zu fragen, ob es das wert gewesen war, denn nun hatten sie nicht nur die Chance vergeben, Panareen einzunehmen, sondern waren auch noch weit zurück gedrängt worden. Die lituolische Gegenoffensive war erstaunlich erfolgreich gewesen, das hatte wohl sogar ihre Gegner überrascht und Melana vermutete noch immer, dass dies an der fehlenden Entschlossenheit der Manengrundern lag.
>Ihr seid jung und versteht das vielleicht noch nicht.< hatte Kilee Leiq geantwortet und es war für Melana unmöglich gewesen, noch Kritik an dem alten Mann zu üben. Er war so schwach und bleich auf seiner Pritsche gelegen, der aufgerissene Rücken mit dem kläglichen Rest an Verbandsmaterial, das sie noch hatten, notdürftig versorgt.>Ich verstehe die jungen Leute auch manchmal nicht mehr. Aber Ihr kennt das Leben eines Soldaten, wenn man aufbricht um zu erobern oder verteidigen oder auszukundschaften oder zu sichern. Man ist vorbereitet und entschlossen und hat nur das Ziel vor Augen. Doch irgend wie entgleitet es einem manchmal. Wie ein Schmetterling, den man nicht mehr einfangen kann. Und man wünscht sich, dass man dieses Unterfangen, doch niemals begonnen hätte.< Melana hatte dem folgen können, aber sah keinen Grund dazu, sich nun über solche Dinge, die man nicht mehr ändern konnte, noch zu grämen.
>Dieser Krieg war ein Fehler.< Damit hatte Kilee Leiq etwas ausgesprochen, was sich zwar alle dachten, doch sich niemand traute, offen zu sagen. Wie könnte man auch? Die Monarchen hatten das Schicksal der Soldaten bestimmt, der Großpriester hatte verkündet, dass dieser Krieg der Wille der Götter war. Doch nach den Schrecken, die man bei der Belagerung von Panareen erlebt hatte, waren all diese Punkte nicht mehr so klar wie noch zu Beginn des Krieges. War es ein Fehler gewesen, loszuziehen?
Der Manengrunder schien davon überzeugt zu sein >Ich bin Soldat, aber auch Vater. Wisst Ihr, Melana meine Liebe, als Elternteil wird man nur an seinen Fehlern gemessen. So kommt es mir zumindest vor. Man umhegt und pflegt die Sprösslinge, versucht sie größer aufzubauen, als man selbst gewachsen ist. Und man passt auf sie auf, in jeder wachen Sekunde. Man hebt sie hoch und wickelt sie in den eigenen Mantel wenn es regnet und gibt ihnen die besten Stücke vom Fleisch, wenn die Zeiten hart sind. Und wenn sie ganz hart sind, dann gibt man ihnen gleich auch die eigene Portion. Doch wenn man einen Fehler macht, dann hebt das all die Fürsorge und Hingabe und all diese anderen wundervollen Gefühle, wieder auf. Sie sind zunichte gemacht, denn unsere Kinder sind das wichtigste für uns, ein Fehler darf einfach nicht passieren. Sie sind so wichtig, dass es unser Leben bestimmt, wie es ihnen geht. Ihre Hand in meiner. Diese kleinen Finger, wie sie sich instinktiv um meine geschlossen haben, wie um einen Vertrag der Generationen zu besiegeln. 'Du bist mein Vater, du passt auf mich auf, oder?', schienen sie zu verlangen. Doch wir sind nicht unfehlbar, wir werden einen Fehler machen, der alles verändert. Und weil wir das insgeheim wissen, sorgen wir uns die ganze Zeit und haben Angst vor dem Tag, an dem wir an unseren noblem Zielen für die kleinen Knirpse scheitern. So sind Väter nun einmal.<
Melana hatte sich gewundert, ob der alte Großadmiral im sterben lag und er vielleicht deshalb so viele Dinge noch los werden wollte. Doch auch wenn das nicht der Fall gewesen war, hörte sie ihm trotzdem gerne zu. Ihr Vater war zwar schon in ihrer frühsten Kindheit gestorben, doch Kilee Leiqs Worte, waren dennoch sehr nachvollziehbar gewesen. Denn Melana hatte eine kleine Tochter zu Hause, von ihr stolz Böhnchen genannt. Es war unvorstellbar, dass ihrem Böhnchen etwas passieren könnte.
>Ich habe keine Ziele mehr in diesem Krieg, vor allem nicht, wenn die Götter Seiten bezogen haben! Nein, ich werde meinen verbleibenden Sohn nehmen und mit ihm zusammen lebend nach Hause kommen! Kaukus soll ein besseres Leben kennen lernen. Ich bin es leid! Die internen Intrigen, die eitlen kleinen Herrchen, die bestimmen, wer leben soll und wer stirbt.< der Großadmiral hatte angestrengt gegrunzt und mit zitternder Hand nach einem Becher gegriffen, was für seinen aufgerissenen Rücken gewiss nicht gut gewesen war. Jede Bewegung seiner Armmuskeln, musste die Verwundung zum Aufschreien gebracht haben.
Melana war ihm zu Hilfe gekommen und hatte den Becher zu seinen Lippen geführt >Doch der Krieg muss zu ende gebracht werden.< hatte sie versucht schwach zu widersprechen und er hatte heiser gelacht >Ja. Man muss ihn ordentlich zu ende bringen, das stimmt. Doch er muss enden. Wofür kämpfen wir hier, meine Liebe? Ich meine nicht wofür unsere Länder kämpfen, sondern Ihr und ich. Bei den Göttern, gegen unsere Brüder. Um Himmels Willen!<
Melana stimmte dem in gewisser Weise zu, aber die Manengrunder hatten doch schon immer gegen ihre Brüder gekämpft. Ihre gesamte Geschichte lang wurde entweder gegen die Ilazier, die Jae oder beide gestritten. Die einen nahm man stets als Vorwand um gegen die anderen vorzugehen, das war nun einmal der Lauf der Dinge hier auf dem Kontinent und sie als Soldaten, durften nicht so überrascht darüber wirken. Doch Kilee Leiq stammte aus einer reinen Soldatenfamilie, vielleicht hatte es bei ihm tatsächlich ein einschneidendes Ereignis bedurft, um das immer weiter spinnende Rad der Gewalt, auch als dieses zu akzeptieren.
Sie stimmte also zu, doch war noch nicht ganz davon überzeugt, dass sie nun einfach aufgeben sollten. In Ahnahn wurde noch wild gekämpft und im Torrida Meer lief gerade eine vielversprechende Seeoffensive an. Sie waren noch nicht verloren, nur weil sie Panareen nicht im ersten Anlauf genommen hatten. Doch vielleicht wollte Kilee Leiq so tun, als wäre bereits jede Chance vertan, um sich gestatten zu können, leben zu wollen.Sie hatte ihn dafür nicht verurteilen können. Denn sie musste ihm auch zustimmen, dass es sinnlos war, in diesem Krieg zu sterben. Als sie sich den schönen Ehrensäbel verdient hatte, damals gegen die Ilazier in Ypers, war sie davon überzeugt gewesen, für eine richtige Sache zu kämpfen und sich womöglich zu opfern. Doch das war hier nicht der Fall. Hier kämpfte man um jemand anderem etwas weg zu nehmen, was man selbst gar nicht brauchte. Es war nur eine Ablenkung, um nicht zugeben zu müssen, dass man keine Großmacht mehr war.>Ich werde es in meinem Zustand nicht über den Ahnemorn schaffen.< war die nächste Aussage des Großadmirals gewesen, die Melana aufgewühlt hatte.
>Ich werde hier verweilen, bis sich alle meine Soldaten über das Gebirge gerettet haben. Die Lituolier werden es nicht so schnell schaffen, ihnen über den Ahnemorn nachzustellen. Meine Piloten haben jedoch auch bereits Befehl erhalten, euch zu ermöglichen, eine Schneise nach Nordosten zu schlagen. Sie werden von den Berghängen aus angreifen und euch unterstützen. Ihr müsst nämlich verdammt aufpassen, meine werte Melana. Sonst werdet Ihr womöglich zwischen den Bergen und der lituolischen Front eingeschlossen. Das müsst ihr unbedingt verhindern. Ich denke, ihr solltet euch entweder nach Faonen durchschlagen, oder einschwenken und eine neue Flanke im Nordosten bilden. Wahrscheinlich sind die lituolischen Posten dort noch nicht gesichert und vielleicht lassen sie sich zurück drängen.< >Ich habe da schon eine Idee.<
>Ich bin davon überzeugt, dass Ihr dafür bestens geeignet seid, um Eure Armee zu retten.<
>Doch was passiert dann mit Euch?<
Der Großadmiral war für einen Moment still geworden. Dann hatte er Melana fest in ihr Gesicht geblickt >Ich werde zusammen mit den restlichen Schwerverletzten hier bleiben und in Kriegsgefangenschaft gehen. Und zu Mosopphes dem Schicksalsbringer beten, dass mir die Lituolier vergeben, was ich ihnen angetan habe.<
Auch diese Entscheidung des Manengrunders hatte akzeptiert werden müssen, schließlich hatte Melana keinerlei Befehlsgewalt über den manengrunder Teil ihrer Streitkraft. Sie hatte nun auch kaum mehr Zeit gehabt, um sich darüber Sorgen zu machen, wie es dem alten Großadmiral in der Kriegsgefangenschaft ging. Denn plötzlich waren neue Pläne auszuarbeiten und übermüdete Soldaten dazu zu ermutigen gewesen, noch ein wenig durch zu halten. Doch in den Tiefen ihres Herzen wusste sie, dass die Lituolier, Kilee Leiq vergeben würden, hatte er doch auch die Kriegsgefangenen aus ihren Reihen, ohne Schaden gehen lassen.So hatte sie eigentlich mit der Sache abschließen und sich ganz darauf konzentrieren wollen, dass ihre Front im Südosten nicht zusammen brach. Doch der Zettel, der ihr nun von der Soldatin Mandachel hin gehalten wurde, machte diesen Vorsatz unmöglich. Auch wenn die Nachricht auf dem Zettel, nur indirekt mit Kilee Leiq zutun hatte.
Madachel wählte leise Worte, die nicht Jentyponisch gesprochen wurden. Denn die tapfere jentyponische Soldatin, war eigentlich gar keine echte Jentyponierin. Und aus irgend einem Grund war sie sich auch sicher, dass Melana diese Worte verstehen konnte, denn die tapfere jentyponische Generälin, war auch keine echte Jentyponierin.
Melana entfaltete mit zitternden Händen den Zettel und warf einen unsicheren Blick darauf. Sie tat so, als hätte sie die Aussage von Madachel nicht gehört und versuchte eine neutrale Miene zu behalten, um nicht bestätigen zu müssen, dass sie das Gesagte durchaus verstanden hatte.Daraufhin versuchte es Madachel noch einmal in Jentyponisch, aber ganz leise und sich besorgt umblickend >Meine Cousine ist Matrosin auf der Lennon. Kapitänin Warika Zabuyeli und ihre Schwester, sind sehr skeptisch dieser Nachricht gegenüber.<>Doch sie werden die Xyphias eskortieren?< fragte Melana, aber musste sich vorher räuspern. Madachel zuckte unsicher mit den Schultern >Für den Fall, dass sie sich dazu entscheiden, diese Sache durchzuziehen, hat mir meine Cousine diesen Brief geschickt. Sie hat Angst, Generälin. Das muss verhindert werden.<
Es war kaum zu glauben, was da auf dem Zettel geschrieben stand. Die Xyphias sollte der Schauplatz eines geheimen Treffens sein, zwischen Ilaziern, Jentyponiern und Manengrundern. Die Ilazier! Wer konnte so töricht sein und diese Bestien mit an den Verhandlungstisch holen?Sie umfasste den Griff ihres Ehrensäbels so fest, dass Madachel instinktiv einen verunsicherten Schritt zurück ging. Doch davon nahm Melana gar keine Notiz. Jedoch nicht wegen böser Absicht, oder Ignoranz, sondern da sich die schrecklichen Szenen vor ihrem inneren Auge abspielten, die sie in Ypers mit erlebt hatte. Jeder Perunianer, der auch nur einen Funken Verstand besaß, würde es vermeiden wollen, mit den Ilaziern gemeinsame Sache zu machen.Und plötzlich fühlte sie sich der Intrigen genau so überdrüssig, wie es Kilee Leiq beschrieben hatte. Doch was tun mit dieser Information?
Den Großadmiral konnte sie nicht mehr fragen, der war bereits in Kriegsgefangenschaft. Sollte sie das publik machen? Aufklären? Dem König Bericht erstatten? Doch man wusste nicht, wem man trauen konnte. Diese Information würde die beiden Königreiche destabilisieren, schließlich wollten hier Teile der Armee, hinter dem Rücken der Monarchen, eine Allianz schmieden, die wohl früher oder später zu einem Putsch der beiden Könige führen könnte. Das klang alles wie das Rezept für einen Bürgerkrieg.
>Ich habe mich an Euch gewandt, Generälin, da ich mir sicher war, dass Ihr dies zu verhindern wisst. Wir sollten diesen Krieg beenden, wenn es so weit kommen muss, um ihn weiter führen zu können! Ich weiß Ihr seht das genau so, auch wenn ich euch nicht persönlich kenne und auch wenn ich erst seit kurzem unter Euch diene. Ich weiß es einfach.<Ein Schauer lief über Melanas Rücken. Der faule Geruch des Lazaretts war noch immer in ihren Haaren gefagen, Ruß von den Kanonen noch immer unter ihren Fingernägeln, das Wohlergehen ihrer Soldaten, noch immer ein Anliegen.
Melana entschloss sich dazu, ihrer Intuition zu folgen. Das war sie dem Schutz ihres Böhnchens auch schuldig, schließlich war es undenkbar was passieren könnte, würden die Ilazier die Konterlle über den Kontinent übernahmen.
Am besten wäre es, wenn man auch auf Seiten der Manengrunder, diese Informationen bestätigen könnte. Ihre Quelle war schließlich nicht wirklich anders überprüfbar. Doch in den Reihen der Manengrundern, kannte sie noch weniger Leute und wusste deshalb nicht, wem man vertrauen konnte. Vielleicht sollte sie diesen Jappa kontaktieren, den sie damals in Faonen aufgerissen hatte. Doch von dem wusste sie sehr persönliche Dinge und gleichzeitig eigentlich gar nichts.
Nein, es gab nur eine Seite in diesem Konflikt, der sie wirklich vertrauen konnte, vollstes Interesse darin zu haben, die Ilazier aufzuhalten. Und damit traf Melana unbewusst, die selbe Entscheidung wie Findrick Enmehn.Sie Blickte Madachel direkt in die Augen und sagte dann entschlossen >Wir müssen nun drastische Mittel vorberiten. Ich hoffe, dass Jaeloha Bogenblitz noch an der Front ist. Hol eine weiße Fahne, wir werden versuchen, ihr diese Information zukommen zu lassen.<
Bạn đang đọc truyện trên: Truyen247.Pro