Die Belagerung Panareens - 31.1. Jaeho
Alle Fenster in der Festung waren weit aufgerissen und einige Diener liefen durch die Gänge und bemühten sich darum, feuchte Tücher zu verteilen oder vor den Fenstern aufzuhängen, doch all die Mühe war vergebens, in der hochsommerlichen Hitze von Panareen. Es regte sich kein Lüftchen von den Bergen im Westen und ihre Lebensader, der große Strom Alfa'Raviila, oder Alparabilee, wie ihn die Jae nannten, war schon seit einigen Wochen auf einem historischen Tiefstand gesunken. Nicht dass ein reißender Fluss ihre Gegner aufgehalten hätte, denn die Manengrunder flogen über jedes Hindernis am Boden so oder so hinweg. Doch es hätte die Situation bezüglich der bevorstehenden Belagerung doch entspannt.
Grimmig blickte Jaeho in den Becher vor ihm, der mit Wasser aus dem Fluss gefüllt war. Darin schwebten verdächtige Flankerl. Doch was ihn noch mehr beunruhigte, waren all die Personen in dem kleinen Kabinettraum der Festung. Darin befanden sich nämlich verdächtige Fürsten.
Von siebzehn Jaefürsten waren sechs bereits in benachbarte Königreiche geflüchtet. Von den verbliebenen elf waren drei tot, einer marschierte irgendwo in der nemuraqischen Wüste herum, verschollen ohne auch nur die geringste Nachricht zu versenden und ein anderer war auf einer Geheimmission in Camo unterwegs. Und ein dritter anderer eroberte gerade mit Daiv Delan zusammen die Neal Inseln zurück.
So, mit Jaeho selbst und Jaenun, blieben also nur noch fünf Fürsten im Land der Jae übrig. Das waren drei zu viel, wenn es nach Jaeho ging. Ihm war auch nicht klar, warum zum wieder holten mal, sein Rat ignoriert worden war und sich nun alle zusammen in Panareen trafen und wohl dort die gesamte Belagerung lang verbleiben würden. Jaenun hatte ihm erklärt, dass er sich um seine Sicherheit gekümmert hätte. Auch wenn die Unzufriedenheit unter den Fürsten extrem groß war und auch wenn deren Lösung für ihre Unsicherheit schon immer Gewalt gewesen war, fühlte sich der Vash nicht gefährdet. Chori war noch immer sein bester Schutz, hatte er erklärt, denn sollte ein anderer Fürst Vash werden, weil Jaenun umgebracht worden war, würde sie sofort aus dem Krieg aussteigen und das Land der Jae den Manengrundern überlassen. Das wüssten die anderen Fürsten.
Aber Jaenun war im Moment nur am Erklären. Er traf sich demütig mit den anderen Fürsten, mit den Vertretern des Militärs, mit den Bürgern der Stadt. Und alles was er sagte, klang gut, er hatte sich mittlerweile eine Ausdrucksweise angeeignet, die wesentlich zur Beruhigung aller beitrug, sonst hätte er sich nicht so lange als Vash gehalten. Er beruhigte mit Chori und der Macht Ahnahns, mit Jaeran und einem Ersatzheer aus Nemuraq, mit Jaetru und der Göttlichen des Blutes, mit Jaeho und seiner Erfahrung als Mitglied der Weißen Klingen, mit Panareen als größte Festung des Landes, mit den Sasanliern die Chori versprochen hatte zu schicken, mit Waffen aus Camo, Lebensmitteln aus Asofen und nun auch sauberem Wasser. Er erklärte den Anwesenden gerade irgend ein alchemistisches Verfahren, das durch mehrere Filtervorgänge, das Wasser trinkbar machen konnte. Jaeho hörte jedoch nicht so genau zu, also konnte er auch nicht wiedergeben, worum es sich dabei handelte. Er merkte erst auf, als er seinen Namen hörte und Jaenun eben den Versammelten Fürsten und Zivilvertretern erklärte, dass man dieses Verfahren aber erst anwenden müsste, wenn das Holz aufgebraucht war, das man gerade emsig auf Jaehos Geheiß hin, aus der Stadt entfernen ließ. Das Abkochen des Wassers war schließlich die einfachste Variante.
Wie praktisch. Es stimmte, dass Jaeho im Moment das alte Theater abtragen ließ, das zum größten Teil aus Holz bestand und auch Jaetrus neue Gartenanlage, die Holzdächer der alten Stadt und die Kaserne. Es war gefährlich all das Holz herum liegen zu lassen, denn die Brandbomben der Manengrunder würden es gierig als Geschenk ansehen. Es klang alles gut und schlüssig und beruhigend, was Jaenun da erklärte.
Doch Jaeho war sich sicher, dass Jaenun dieses Holz bereits auch den Schmieden für ihre Öfen versprochen gehabt hatte und den Zimmermeistern zum Ausbau der Verteidigungsgräben. Das war ein bisschen das Problem an Jaenuns schönen Erklärungen, denn Jaeho wusste, dass wer immer am Erklären, Beschwichtigen und Relativieren war, hatte keine Zeit dazu, die Wirklichkeit noch wahrzunehmen.
Und die anderen Fürsten schienen das auch langsam zu ahnen. Der uralte Fürst vom Ahnemorn, Jaepha, lächelte nun höflich, doch unbegeistert in die Runde. Jaesotto von Asofen, einer der Fürsten, die Jaenun in der Vergangenheit bereits heraus gefordert hatten, schüttelte leicht den Kopf, wohl unbewusst, doch für Jaeho dennoch deutlich. Fürstin Jaebeth von Marin ergriff das Wort, nachdem sie Jaephas Blick aufgefangen hatte und fasste unter den Tisch. Jaehos Hände fielen intuitiv zu seiner blanken Seite. Sie alle hatten ihre Waffen am Eingang der Kabinettkammer abgeben müssen und so tastete er umsonst nach dem Griff seines Schwertes, innerlich darüber fluchend, dass er genau wegen solch eines törichten Unsinns, bereits ein Auge verloren hatte. Natürlich waren das alles verdammte Konspirateure!
Doch die Fürstin von Marin holte nur mit einem amüsierten Lächeln, Jaeho gegenüber, ein Buch unter dem Tisch hervor und legte es sehr deutlich dem Vash unter die Nase. Eine Konspiration auf andere Weise, wie Jaeho erkannte.
>Mein Vash, wir sind uns eurer Bemühungen, unsere Stadt zu beschützen sehr bewusst.< Misstrauisch ließ Jaeho die versammelten Fürsten ihnen gegenüber, nicht aus dem Auge. Ihm gefiel gar nicht, wie säuselnd die Stimme der Fürstin wurde und welche Blicke eben zwischen Jaesotto und Jaepha gewechselt worden waren.
Sein Starren wurde jedoch unterbrochen, als er Jaenuns warme Hand, auf der seinen spürte und er somit sanft davon abgehalten worden war, weiter nervös auf der Tischplatte zu trommeln. Jaetru hätte ihm für dieses Verhalten eine Ohrfeige gegeben. Das war ihm vielleicht sogar lieber als Reaktion.
>Was soll das bedeuten?< fragte Jaenun, ohne sich weiter um den Älteren zu kümmern und zog das Buch näher zu sich und er sah süß dabei aus, wie sich seine Stirn runzelte. Fürstin Jaebeth fuhr lieblich lächelnd fort >Auch wir machen uns jedoch Sorgen. Und in unserem Bemühen, Eure Anstrengungen zu unterstützen, sind wir auf dieses interessante Buch gestoßen.<
Jaeho spähte neben sich und versuchte dem Text mehr Einzelheiten zu entlocken. Es handelte sich dabei wohl um eine Abhandlung über Fürst Ichyo von Falkzinnen, dem ersten Prinz des Blutes.
Jaenuns Mine blieb neutral, als er den Text überflog.
>Euch wird gewiss interessieren, was wir über die Fähigkeiten Eures Vorgängers heraus gefunden haben. Er war ebenfalls Prinz des Blutes.<
Jaenun klappte das Buch zu und lehnte sich abwartend in seinem Sitz zurück >Ich kenne diesen Text. Er diente mir als Inspiration für die Medizin, die ich nun aus meinem Blut herstelle. Auf was wollt Ihr also hinaus?<
>Der Fürst Ichyo hat seiner Göttlichen und seinem Volk redlich gedient.< ergriff nun Jaepha das Wort und Jaeho spitzte nun die Ohren ganz besonders bei dieser Beschreibung. >Ihm wurden einzigartige offensive Fähigkeiten zugesprochen, die im Krieg gegen die Ilazier ohne Zweifel äußerst hilfreich waren.<
>Wir waren bei einem Priester, der Eurer Göttlichen geweiht worden ist. Er bestätigte uns, dass sie diese Art, ihre Gabe zu benutzen, zum Schutz ihrer geliebten Völker, durchaus gut heißt.< mischte sich Jaesotto ein.
>Dieses Gefecht ist drei hundert Jahre her.< entgegnete Jaenun und schob das geschlossene Buch mit solch einer Selbstsicherheit von sich, wie sie Jaeho noch nie bei dem Jungen bemerkt hatte >Weder wissen wir, ob die Berichte von damals authentisch sind, noch warum er bereits einen Tag nach seinem immensem Gegenangriff, vom Schlachtfeld spurlos verschwunden ist.< er zwang nun wieder ein höfliches Lächeln in sein Gesicht >Danke für den Versuch unsere Optionen zu erweitern. Ich werde immer für Vorschläge meiner Fürsten, ein offenes Ohr haben.<
Die Gemeinschaft ihnen gegenüber, erwiderte das freundliche Lächeln, doch Jaeho spürte deutlich, dass sie sich nicht damit geschlagen geben würden, eine negative Antwort auf ihren mysteriösen Plan bekommen zu haben.
>Nun zu anderen Belangen.< eröffnete Jaenun endlich seine Themen >Wie geht es mit der Überführung von Jaesore von Hamirs Leichnam voran?<
Mehrere Personen regten sich plötzlich bei diesem Thema. Yeon, der im hinteren Teil des Kabinetts, auf der kleinen Galerie saß, regte sich, da er der Chefverhandler in diesen Belangen war. Die Witwe von Fürst Jaesore, Jaejunee, war ebenso anwesend und hatte seine kleine Erbin Jaekani im Arm. Früher war Jaejunee eine wiffe, energiegeladene Frau gewesen, doch nun schien alles Leben aus ihr gefahren zu sein und sie umklammerte die kleine Fürstin, wie versteinert, für deren Fürstentum sie nun Entscheidungen treffen musste. Sie horchte jedoch auf, als dieses Thema angeschnitten worden war und ein Feuer entfachte sich in ihrem Blick. Von ihm unbemerkt, hatte auch Jaeho bei der Nennung des Namens seines alten Mentors, wieder zum Trommeln angefangen. Jaenun unterband dieses Verhalten jedoch wieder sanft und Jaeho kaute auf der Innenseite seiner Wange herum. Er wusste nicht, was er sonst tun sollte, denn wenn er seine Hände nicht beschäftigte, würden sie gewiss nach seiner Pfeife fischen.
Er war sich sicher, dass er nur mit einem Zug an dem bitteren Varicin Rauch, seine blanken Nerven beruhigen könnte, dass der Druck in seinem Kopf abnehmen und sein schweres Herz fröhlicher Schlagen würde. Doch er schämte sich bereits längst dafür, vor anderen Leuten zu rauchen. Vor allem nach der Kritik, die Jaesore damals geäußert hatte und so versuchte er durchzuhalten, bis ein privater Moment für ihn gekommen war.
>Das Königreich Manengrund erklärt sich dazu bereit den Leichnam zu überstellen, solange wir dafür eine nicht unbeachtliche Menge an Lösegeld zahlen.< berichtete Yeon.
Fürstin Jaebeth biss sich empört auf die Unterlippe und Jaenun legte die Stirn in besorgte Falten >Dennoch. Ich denke es ist die beste Variante um Zeit zu gewinnen. Ein Staatsbegräbnis in Panareen, können die Manengrunder nicht durch einen Angriff unterbrechen. Wir würden weiterhin ein paar Tage Ruhe von ihnen haben.<
>Hat er denn nicht schon genug für euch alle getan?< fragte die Witwe Jaejunee da mit eisiger Stimme >Er sollte in der Erde von Hamir liegen. Seine Pflicht ist endlich vorbei.<
Jaenun neben ihm, erstarrte sichtlich im Konflikt mit seinem Plan und der trauernden Witwe. Die Stimmung im Raum gefror zu einer betroffenen Winterlandschaft in der sich niemand rühren wollte. Nur Jaejunee brannte mit ihrem wütenden Feuer durch den Stillstand >Ihr habt ihn doch komplett vergessen, seit er auf der Mauer gefallen ist. Niemand hat sich für ihn interessiert. Niemand dafür verhandelt das sein Körper nach hause kommt. Erst als er euch wieder nützlich wurde, habt ihr euch seiner erinnert!< Sie schluchzte auf >Er hat bereits genug für euch getan!< Als sie zu weinen begann, fing auch ihre Tochter in ihren Armen an, in Tränen auszubrechen und Jaenun verlor sichtlich die Kontrolle über die Situation.
Jaeho bot an, die kleine Jaekani nach draußen zu bringen und die Erwachsenen in Ruhe reden zu lassen, was von allen mehr oder weniger dankbar aufgefasst wurde. In Wirklichkeit wollte er sich jedoch auch selbst damit beruhigen, vor allem, als Jaenun endlich wieder Worte zu all dem gefunden hatte >Hamir ist überrannt. Die einzige Möglichkeit ihn auf lituolischem Boden beizusetzen, ist ihn nach Panareen bringen zu lassen. Nach dem Krieg, werde ich mich natürlich darum kümmern, dass er nach Hamir überführt wird.<
>Er ist für euch gestorben. Lasst ihn nun in Ruhe!< versuchte Jaejunee noch einmal zu erwirken, doch Jaenun blieb bemerkenswert hart >Er ist der Wächter unseres Reiches. Seine Aufgabe ist noch nicht vollbracht.<
Als Jaejunee lautstark Aden Dennens Kopf forderte, hatte Jaeho endlich die kleine Jaekani auf seinen Schoß gehoben und rollte mit ihr zusammen gerade glücklicher weise aus dem Kabinett in die Vorhalle. Mehr hatte auch er nicht mehr hören wollen.
Draußen befanden sich ihre beiden Geschwisterkinder. Jaemi baute gerade mit dem kleinen Jaemin einen Schakal aus Holzklötzchen nach. Sie sah verwundert auf, doch konnte wohl an dem Zustand der beiden Herankommenden erkennen, dass sie lieber nicht fragen sollte. Sie merkte jedoch trotzdem interessiert an, dass Jaeho den Vash mit all den verdächtigen Fürsten alleine im Kabinettkammerl gelassen hatte.
>Dieses Grab hat er sich selbst geschaufelt!< kommentierte Jaeho daraufhin nur mürrisch und wischte mit den Ärmeln seiner Weste über das tränennasse Gesicht des Kindes auf seinem Schoß.
>Ich habe Jaekani hier versprochen, sie mit zur Schmiede zu nehmen!< nun hatte er sich der Kleinen völlig zugewandt und lächelte sie ermutigend an >Ist es nicht so?<
Ihr Bruder Jaemin stolperte vorwärts und verkündete begeistert, dass er auch mitkommen wollte und das entlockte Jaekani sogar ein Lächeln ihrerseits >Ja, das hast du Juvi.< flüsterte sie heiser.
Jaeho war mit sich zufrieden und sah seine Schwester nun auffordernd an.
Doch Jaemi schüttelte den Kopf >Ich werde hier bleiben. Irgend jemand muss den Vash doch beschützen.<
>Der Vash hat sich gegen den Rat seines Leibwächters, Freundes und Beraters dazu entschieden, alle anderen Fürsten hier her einzuladen. Außerdem wird Chori bald schon hier auftauchen, dann kann sie sich um den Jungen kümmern.<
Er meinte es nicht so und Jaemi wusste auch, dass er es nicht so meinte. Deshalb lächelte sie nun schief >Du weißt schon, dass Jaenun nicht dafür da ist, um Jaetrus Fehler auszubaden?<
>Ja. Das weiß ich natürlich.<
Für sie war das Gespräch damit beendet, sie strich Jaemin und Jaekani über den Kopf und schlich in die kleine Kabinettkammer.
Es waren auch noch einige andere von Jaehos Ratschlägen ignoriert worden. Zum Beispiel hatte er all seinen Freuden, wie auch seiner Schwester dazu geraten, die Stadt schon längst verlassen zu haben. Es war ihm nicht recht, dass Chori nun auch hier her kommen wollte. Es war ihm nicht recht, dass Jaenun noch immer hier blieb und sich Jaesores Kinder nun hier auch noch eingefunden hatten. Es war der selbe Konflikt in ihm, wie damals, als Loreen fiel. Wie sollte er, Jaeho der Verunglückte, all diese Leute beschützen?
Doch dieses mal hatte er zumindest die Hilfe von einer unglaublichen Ingenieurin zur Seite gestellt bekommen, die hier in Panareen ihre Schmiede betrieb. Panareen war schon immer ein Treffpunkt der verschiedensten Künste, Wissenschaften und Philosophen. Selbst aus dem weit entfernten Nemuraq waren junge Leute erschienen, die hier studieren und ihr Handwerk aufbauen wollten und so war auch die Schmiedin Yharyne aus dem Wüstenland vor Jahren her gekommen. Und sie hatte bereits einen unglaublichen Wissensschatz mit gebracht.
Die Schmiedin Yharyne, hatte bereits vor ein paar Tagen seinen Rollstuhl inspiziert gehabt und war zu dem Schluss gekommen, dass sie ohne Probleme dabei helfen konnte, ihn zu verbessern und ihm damit mehr Möglichkeiten zur Verteidigung zu geben. Es war geplant, die Rollfähigkeit zu verbessern, so dass er auch mit schwerer Rüstung, leichter vorwärts kam, was seine eigene Sicherheit unglaublich steigerte. Doch auch offensive Waffen, wollte Yharyne einbauen. So hatte sie sich eine Armbrust ausgedacht, die von der Rückenlehne aus, über Jaehos Schulter nach vorne geklappt werden konnte und durch einen Schnappmechanismus, in drei Positionen festgestellt werden konnte. So war er dazu in der Lage Gegner in der Luft, aber auch auf dem Boden, direkt vor ihm zu treffen. Die Armbrust selbst war natürlich dazu gedacht, dass er Feinde abfangen konnte, noch bevor sie sich nahe genug an ihn heran gepirscht hatten, um für seine eingeschränkte Beweglichkeit zum Problem zu werden.
Während Yharyne ihre Modifikationen begann an seinen Rollstuhl anzubringen, bespaßte sie auch die beiden Halbwiesen mit ihren Geschichten, ihrem charmanten Akzent und den interessanten Techniken, die sie benutzte und die sie freudig erklärte. Doch Jaehos Aufmerksamkeit galt bereits wieder den nächsten Schritten für die Verteidigung der Stadt, denen er sich widmen musste. Es gab noch so viel zu tun, noch so viele verdammte Lücken in ihrer Verteidigung, die er schließen musste, denn das war die Verantwortung, die Chori ihm übertragen hatte, als sie Kilee Leiqs Ultimatum mit den Worten >Keinen Zentimeter werde ich diesem Lanzetfischchen überlassen!< zurück geschmettert hatte.
Es war schon später Nachmittag, bis er sich in seinem Zimmer in der Festung endlich einen Zug Varicin gönnte. Die Verstärkung der äußersten Bastei mit einem Ravelin, war auf gutem Weg. Die Hausbesitzer nahe der Stadtmauer, waren alle vor den berühmten jentyponischen Mineuren gewarnt und es war ihnen befohlen worden, in ihren Kellern rund um die Uhr Diener abbestellt zu halten, die etwaige Tunnel unter dem Niederwall hindurch, aufspüren sollten. Die Kinder aus Hamir waren wieder bei ihrer trauernden Mutter. Sein Rollstuhl war verbessert worden. Es gab noch immer genug zu tun, doch dem würde er sich erst am Morgen widmen können.
Leider wurde seine Verschnaufpause gestört, als er plötzlich ein Klopfen an seiner Tür hörte. Er löschte seine Pfeife hastig ab und stieß die Fenster auf, bevor er sich seine Leier griff und erst dann >Herein?< rief.
Eine eigenartige Prozession kam in sein Zimmer spaziert und verschloss die Tür hinter sich fest. Es war der steinalte Fürst vom Ahnemorn, Jaepha, zusammen mit Jaesotto und einem jentyponischen Priester. Dieser Priester hatte ein Buch unter dem Arm geklemmt, das Jaeho verdächtig bekannt vor kam.
>Guten Abend.< begrüßte er die Gemeinschaft in seinem Zimmer und suchte ihre Taillen sofort mit den Blick nach Waffen ab, doch fand nichts bemerkenswertes >Kann ich euch helfen?<
Vor allem der jentyponische Priester interessierte ihn sehr. Es war lange her, dass er das letzte mal im Tempel von Panareen gewesen war, doch er hatte dennoch angenommen, dass alle Priester, vor allem die jentyponischen, Lituolien verlassen hatten. Schließlich hatte dies Großpriester Matti angeordnet gehabt.
Doch nun forderte Jaesotto seine Aufmerksamkeit, als er das Buch, dem Priester aus der Hand nahm und Jaeho auf den Tisch legte. Er tat dies mit seltsamer Vorsicht und Jaeho erkannte, dass es sich hierbei doch nicht um das Schriftwerk vom Vormittag handelte. Dieses Exemplar wirkte älter. Kostbarer.
>Ich vermute, dass Ihr die Diskussion heute in der kleinen Kabinettskammer, mit Interesse verfolgt habt.< begann Jaepha und ließ seine alten Knochen ungefragt auf Jaehos Bett nieder, der einzigen Sitzgelegenheit.
Obwohl er lügen musste und obwohl er nichts von diesem Fürsten Ichyo von Falkzinnen wusste, nickte er stumm, denn er hatte keinerlei Interesse an einem Geschichtsunterricht.
>Gut.< brummte Jaepha >Es ist zu bedauern, dass der Vash die Möglichkeit ausgeschlagen hatte, seine Fähigkeiten vielfältiger einzusetzen. Er lässt viel Potential verstreichen, obwohl wir nun zur Verteidigung der Stadt, jede Hilfe gebrauchen können.<
Alle Anwesenden nickten betroffen und auch Jaeho erwischte sich dabei, dass er leichte Zustimmung zeigte.
>Und eigentlich solltet nicht nur Ihr, Fürst Jaeho, Euren Beitrag dazu leisten, um Panareen zu halten. Es ist eine große Aufgabe, für solch einen jungen Kopf und Kämpfer, die selbst erfahrene Soldaten vor eine Herausforderung stellen würde, denn die Manengrunder sind Biester! Wir alle sollten zusammen helfen, meint Ihr nicht auch, Fürst Jaeho?<
Etwas in Jaehos Gesicht hatte wohl weiter hin Zustimmung ausgedrückt, denn Jaepha fuhr energiegeladen fort und signalisierte dabei Fürst Jaesotto, das Buch aufzuschlagen. Der andere Fürst blätterte ergeben und der alte Mann fuhr fort >Nun das Potential des Vashs ist bei weitem größer, als es bis jetzt den Anschein hatte. Ichyo der Große, Prinz des Blutes, hatte es geschafft, alleine gegen eine ganze ilazische Armee anzukommen und damit deren Vormarsch auf Falkzinnen gestoppt. Seine Fähigkeiten das Blut seiner Gegner zu kontrollieren, war atemberaubend. Mit einem einzigen Blick alleine, vermochte er es das Blut seiner Feinde zum Kochen zu bringen und dadurch Massen an ilazischen Soldaten zu vernichten. Versteht Ihr? Wenn ein einziger Blick reicht, dann wären Angriffe aus der Luft, kein Problem mehr für uns.<
Ein Phantomschmerz zuckte durch Jaehos sonst so gefühllose Beine und er wünschte sich, dass er das schmerzstillende Varicin nicht hätte ablöschen müssen. Er räusperte sich, um Jaepha in seiner Euphorie etwas einzubremsen >Doch die Entscheidung des Vashs ist klar. Er will seine Fähigkeiten nur zum Heilen der Kranken und Verletzten einsetzen. Hat Fürst Ichyo diese Gabe so weit ausgereizt gehabt wie Jaenun? Mit einem Tropfen seines Blutes, kann Jaenun zehn Männer heilen!<
Mittlerweile hatte der Priester das Blättern der hauchdünnen Seiten übernommen, da Jaesotto wohl nicht wusste, wonach er suchen musste. Der Jentyponier stoppte im letzten Drittel der Seiten und präsentierte den Anwesenden verlegen seinen Fund.
>Nein, davon steht in unserem Buch nichts.< warf Fürst Jaesotto ein, machte eine abweisende Handbewegung und schob das Buch näher zu Jaeho >Aber dafür das hier!<
Jaeho zog den Text vollends zu sich und überflog den Inhalt. Er hörte dabei dem schnatternden Jaesotto nicht zu, der ihm versuchte, das Geschriebene zu erklären. Er bemerkte jedoch im beiläufig, dass sich Jaesotto nicht halb so gut mit dem Buch auskannte, wie er vorgab dies zu tun. Der Priester musste ihnen den Text zusammengefasst haben. Dann schob er mit kalten Fingern, das Buch wieder von sich >Was ist das für ein Schmarren? Aberglaube. Hokus Pokus! Runen und dergleichen, werden nur von Jahrmarktskünstlern und Scharlatanen verwendet.<
Nun äußerte sich endlich auch der jentyponische Priester zu dem Thema >Die Runenmagie ist eine alte Kunst. Älter als unser Königreich, und all die Reiche vor ihm. Ihre Bedeutung ist seit dem Götterfall, nach und nach in Vergessenheit geraten. Doch jemand der mit den Göttern verbunden ist, kann deren Energie durch Runen nutzbar machen.<
>Jemand wie Ihr, Fürst Jaeho. Ihr seid als Mitglied der Weißen Klingen, dem Gott des Lebens geweiht.< fügte Jaepha hinzu.>In diesem Buch, befindet sich das Wissen um die Runen, die uns eine Aktivierung der Macht eines Titelträgers ermöglichen! Ihr könntet das verborgene Potential des Vash entfachen und seine Hand für uns und unser Königreich lenken.<
>Dieses Buch-< langsam begannen das Rätsel für Jaeho eine klarere Form anzunehmen >sollte nicht mehr existieren. Es sollte bei dem großen Feuer der Bibliothek von Istar und Dalf verbrannt sein.<
Das darauf folgende Grinsen der drei Anwesenden, gefiel Jaeho gar nicht.
>Unsere Vorfahren, haben ihr Leben, ihre Freiheit und ihre Ehre riskiert, um dieses Wissen zu erhalten.< erklärte Jaepha und wollte sich auf keine weiteren Auskünfte diesbezüglich einlassen. Doch mit Jaeho war er noch nicht fertig >Als Mitglied der Weißen Klingen, ist es Eure Pflicht dieses Königreich zu verteidigen. Mit allen Mitteln. Hier ist ein Mittel.<
Dreckig lächelnd, schob Jaesotto das Buch wieder unter Jaehos Nase.
Draußen wurde es dunkler und dunkler und das flackernde Kaminfeuer, warf eigentümliche Schatten auf die Gesichter seiner Besucher.
>Auch Ihr seid mit den Göttern verbunden-< wandte sich Jaeho an den Priester >warum macht nicht Ihr eure Hände schmutzig?<
Jaesotto antwortete für den Jentyponier mit einer abfälligen Handbewegung und einer Arroganz in der Stimme, die er nicht verstecken konnte >Der Vash vertraut Euch. Das Anwenden der Rune, muss im richtigen Augenblick und ohne Gegenwehr erfolgen.<
Der Vash vertraute jedem, das war das Problem, dachte sich Jaeho bei sich, doch sagte nichts dazu.
>Ein Löwe sieht auch nicht davon ab, seine Krallen einzusetzen, nur weil ihm die Beute leid tut und unsere Gegner werden sich erst recht nicht zurückhalten, weil wir so bemitleidenswert dastehen.< Jaepha stand wieder auf und schob seine müden Füße über den Boden, näher an Jaeho heran. Auch die anderen beiden umringten ihn nun und wollten wohl eine schnelle Entscheidung von ihm.
>Sie werden her kommen und unsere Freunde und Familien aus den Unterschlüpfen zerren. Sie werden keine Gnade kennen, Fürst Jaeho. Denkt an Eure Schwester.<
Jaeho rollte rückwärts bis er an sein Bett stieß und zeigte dann, als er nicht mehr weiter kam, schließlich zur Tür >Meine Herren, ihr solltet jetzt gehen.< sagte er mit zusammen gezogenen Augenbrauen >Lasst das Buch hier.<
Die Gemeinschaft um Jaepha sah überrascht, doch glücklich aus, sie bedankten sich ausgelassen und wünschten eine gute Nacht, Gesundheit und ein fortbestehen von Jaehos vernünftigen Kopf. Doch Jaeho versuchte das Geschnatter auszublenden. Nachdem er endlich wieder alleine war, nahm er das Buch auf den Schoß und rollte näher zum Kamin. Er verblieb so einige Momente stumm.
Dann rollte er noch näher zum Kamin und warf das Buch ohne weiteres Zögern in das Feuer. Der Schein der Flammen brachte sein Gesicht golden zum leuchten, als das Feuer freudig den Papyrus der Seiten erfasste und einen Moment lang aufbrüllend loderte. Erleichtert ergriff Jaeho seine Pfeife, stopfte sie mit Varicin und fischte mit dem Schürhaken eine brennende Seite aus dem Kamin. An seiner Pfeife ziehend, entzündete er das Schmerzmittel mit dem glimmenden Blatt und warf den Rest zurück in das Feuer, als der Funke auf das Varicinharz übergesprungen war. Dann lehnte er sich endlich müde in seinem Rollstuhl zurück und puffte genüsslich kleine Wolken in die warme Sommerluft.
Die nächsten Tage flossen ihm durch die Finger und er verwünschte sich dafür, dass er nicht an mehreren Orten gleichzeitig sein konnte. An manche Orte konnte er gar nicht gelangen, denn da die Stadt Panareen an die Flanken der Spinnenhügel gebaut worden war, gab es allerhand Unebenheiten und Stufen. Für manche hatte er sich Rampen bauen lassen, doch andere waren so steil, dass er es so und so aus eigener Kraft nicht geschafft hätte, sich dort hinauf zu schieben.
Die heranrückende Manengrunder Armee schien ihn zu verhöhnen, denn sie machten große Landgewinne und kamen im Gegensatz zu ihm, wunderbar voran. Sie hatten einen großen Vorstoß von der Grenze Batteras aus bestritten und lagerten bereits auf den, nun Staub trockenen, Überflutungsebenen des Alparabilee. Man konnte sie von dem panareenischen Wachturm aus sehen, doch noch nicht beschießen und Jaeho dachte an all die Geschichten über Panareen, die Jaetrus Familiensitz als uneinnehmbare Festung beschrieben. Die Burg selbst war in der Tat schwer bewaffnet und ihre Mauern waren dicker als alle anderen Festungen im Reich. Doch die Stadt kam Jaeho nun unglaublich verletzlich vor und musste den Manengrundern, wie eine reife Frucht erscheinen, die schon viel zu lange unberührt und ungestört ein süßes Wachstum erfahren hatte und nun nur noch zu pflücken war.
Jaeho schien sich nur einmal im Kreis gedreht zu haben, da kämpften sie im Nordwesten der Stadt bereits um die Arachia Brücke, die einzige sichere Verbindung nach Vijen. Man wollte Panareen vollständig abschneiden und machte rasende Fortschritte mit diesem Vorhaben.
Doch es war noch so viel zu tun. So viele Löcher, die eigentlich noch gestopft werden mussten und die Ereignisse überschlugen sich, sodass eine Aktion in die andere floss und sich Jaeho nur noch an einzelne Szenen erinnerte.
Er wusste nicht mehr wie lange es her war, seit Jaetru aufgebrochen war. Es fühlte sich an, als wären es bereits Jahre gewesen und er hatte auch nicht mehr die Zuversicht, um daran zu glauben, dass der Junge rechtzeitig und mit ausreichender Hilfe zurück kommen würde.
Kurz nachdem die Brücke in die Hände der Jentyponier und Manengrunder gefallen war und sich die Stadt immer weiter mit unterversorgten Flüchtlingen verstopfte, kam endlich Chori nach Panareen geflogen, einen Trupp Sasanlier anführend.
Sie war mutig, energiegeladen, determiniert und wütend auf die Aggressoren, so wie immer. Seiner Schwester nicht unähnlich und er freute sich darüber sie wieder zu sehen, obwohl er sie auf keinen Fall hier haben wollte. Er hatte einst ein Lied über die beiden geschrieben gehabt, dass sowohl Jaemi, als auch Chori, seine Bewunderung ausdrücken sollte. Doch das lag bereits eine Millionen Jahre in der Vergangenheit.
Jaeho war anwesend, als sich Jaenun und Chori im kleinen Kabinettraum der Festung nach mehrwöchigem Getrennt sein wieder sahen und auch wenn er ihr eigentlich raten hatte wollen, sofort wieder umzudrehen und diese sterbende Stadt hinter sich zu lassen, konnte er es bei dem Anblick der beiden nicht über sich bringen. Es hätte so und so nichts gebracht.
Auch wenn sein Vater Jaefili der größte Poet des Reiches gewesen war, hatte er sich immer dagegen gewährt Liebe mit direkten Worten zu beschreiben. Er war stets der Ansicht gewesen, dass jeder Versuch dieses Gefühl zu übermitteln, zum Scheitern verurteilt war, wenn dieser eine Beschreibung des Gefühls selbst zum Ziel hatte. >Wir wollen nicht dem Kitsch verfallen.< hatte Jaefili einmal in dem Vorwort eines seiner Gedichte geschrieben und war immer wieder auf Umwege zu dem besten Ergebnis gekommen.
>Wo du hin gehst, gehe auch ich hin.< das war die schönste Umschreibung, die Jaeho aus dem Gedichten seines Vaters gelernt hatte zu verwenden und wenn er Jaenun und Chori so an sah, dann wusste er, dass dieser Satz, in seiner Eleganz, die beiden beschrieb.
Er selbst sollte nun in Nemuraq sein, wenn man dieser Logik folgte. Doch das war nicht erwünscht und er sollte das endlich akzeptieren.
Panareen war nun seine Aufgabe und er versuchte all seine Liebe und Aufmerksamkeit ihrer letzten Bastion gegen die Manengrunder und deren Bewohnern zu widmen. Also zeigte er Chori die Lage und ließ Jaemi Tag ein Tag aus Botengänge durch die ganze Stadt verrichten. Sie würde seine Beine ersetzen, wenn die Schlacht um Panareen begonnen hatte, so wie es auch der Fall in Loreen gewesen war und dafür sollte sie üben, sich in dem Gelände so gut zurecht zu finden, dass sie ihre Pfade auch erkannte, wenn die Bomben der Manengrunder das Rückgrat der Stadt aufgerissen hatten, Trümmer Straßen und Passagen versperrten und das Gesicht von Panareen, keine Anhaltspunkte mehr für die Orientierung übrig hatte.
Als sich die Manengrunder und Jentyponier an die Spinnenhügel heran tasteten und versuchten den Kreis um die Stadt zu schließen, begann Jaeho den jungen Vash und seine immer zahlreicher aus ihm heraus flutenden Erklärungen und Beschwichtigungen, endlich zu verstehen. Auch Jaeho war nun damit beschäftigt, seine Soldaten auf die neu eingetroffenen Sasanlier Flieger aufmerksam zu machen und von deren Erfahrung im ahnahner Dschungel und deren Motivation zu schwärmen. Er konnte schließlich nichts anderes tun, denn er sah es genau so, wie Jaenun es ihm vor ein paar Tagen klar gemacht hatte >Was soll ich denn anderes machen? Etwa aufgeben? Das kann ich nicht.<
Einen halben Tag später, waren die Spinnenhügel durch ihre Feinde eingenommen. Die Sasanlier zogen sich in die Stadt zurück und der Minenkrieg begann.
Irgendwo im Hintergrund seines überforderten Geistes, befand sich noch immer die Sorge um diese eigenartige Rune, den dreimal verfluchten Plan dieser gestörten alten Männer, jene Rune dazu zu verwenden, die Kontrolle über einen Titelträger zu erlangen und all die Gefahren, die damit einher gingen. Das Thema kam jedoch erst wieder in den Vordergrund seines Denkens, als er eines Morgens in einen Streit mit Jaesotto von Asofen geriet. Der andere Fürst hatte darauf bestanden, bei der Musterung der neu eingetroffenen Soldaten dabei zu sein. Es sollte eine der letzten Musterungen vor Beginn der Angriffe auf Panareen sein, doch das wusste zu diesem Zeitpunkt noch niemand. Es war jedoch bereits ersichtlich, dass kaum mehr Männer und Frauen zusammen gezogen werden konnten. Ihre letzten Reserven waren aus dem unmittelbaren Umland, Asofen und Jakofin aufgebracht worden, allesamt müde und verbrauchte Soldaten.
An jenem Morgen also, ließ Jaeho die Neuankömmlinge antreten und suchte sich gleich jene raus, die es an ihren vorherigen Fronten zu schwer gehabt hatten. Psychosomatisch Stumme oder Taube. Kriegszitterer.
Von Musterung zu Musterung wurden es immer mehr, deren Körper den psychischen Belastungen nicht mehr stand hielten und so sammelte er diese in einer eigenen Gruppe von Kriegsversehrten und wollte sie in ein paar Tagen, als letzten Trupp an Soldaten, dem Zug an flüchtenden Zivilisten mitschicken, die es noch über das Gebirge nach Camo schaffen wollten. Danach würden wohl alle, die noch in der Stadt verblieben waren, darin völlig eingeschlossen sein.
Jaesotto von Asofen hingegen, war vehement dagegen, dass irgend jemand aus dem aktiven Frontdienst entlassen wurde. Er sah kopfschüttelnd über die Kriegsversehrten hinweg und bestand darauf, dass sie >doch nur simulieren< würden.
Jaeho wusste wie schlecht es war, wenn sich Befehlshaber vor den Soldaten stritten und er wusste auch, dass es sich hierbei nur um einen Vorwand handelte, doch er war zu müde, um viel Vorsicht walten zu lassen.
>Ich wusste nicht, dass Ihr Experte in der Diagnostik von Kriegsversehrten seid.< antwortete Jaeho schnippisch.
>Genau so wenig seid Ihr es.< entgegnete Jaesotto.
Jaeho war sich nicht sicher, woher die plötzliche Frustration kam, doch der ältere Fürst versuchte definitiv einen Streit loszubrechen. Sie alle wurden langsam in der enger werdenden Stadt verrückt und Fürsten hatten so und so immer das Gefühl, alles besser zu wissen, als der andere.
>Nein, ich bin kein Experte. Doch ich bin der Kommandeur der verteidigenden Streitkräfte. Und wenn ich sage, dass ich diese Soldaten nicht an die Front schicke, dann ist das meiner Verantwortung unterlegen.<
Die anwesenden Kämpfer warfen einander unsichere Blicke zu, als sie davon Zeugen werden konnten, wie Jaesottos Gesicht langsam eine beißend rote Farbe annahm. Auch Jaeho spürte nun ihre Aufmerksamkeit deutlich auf sich, also richtete er sich in seinem Rollstuhl auf so gut er konnte und setzte noch eines drauf >Wie wäre es also, wenn Ihr euch weiter Eurer Aufgabe widmet und mich hier meine Arbeit vollenden lasst. Die Tempel sind gewiss noch voller esoterischer Wunderwaffen. Ich habe gehört, dass Hufeisen gute Talismane sein können.<
Das erste mal seit Tagen war auch ein Funke in ihm zu einem wütenden Feuer entfacht worden und mit prickelnden Wangen und steigendem Puls erkannte nun auch Jaeho überrascht, dass vielleicht er es war, der einen Streit suchte.
Jaesottos Gesicht verzog sich zu einer unansehnlichen Fratze und er schmatzte tadelnd mit den Lippen >Ihr vergesst Eure guten Manieren, Fürst von Vijen! Valdrieen pa Jae wurdet Ihr einst genannt, der beste der Jae. Denn uns war versprochen worden, dass Ihr das Wunderkind Eurer Generation seid! Der Vash hat viel Geld in Eure Ausbildung gesteckt. Geld das er von seinen Fürsten eingefordert hatte. Leider sehen wir von diesen Kisten voller Gold, kein einziges Stückchen mehr wieder, nachdem Ihr Euer Ablaufdatum bereits vorzeitig erreicht habt.<
>Verzeiht, dass man mir bei den Mitgliedern der Weißen Klingen nicht beigebracht hat, Gold zu scheißen!<
>Es würde schon ausreichen, wenn Ihr selbstständig auf die Toilette gehen könntet.<
Die anwesenden Soldaten mischten sich nun aufgeregt ein, diese Beleidigungen waren eindeutig zu viel des Guten und verlangten eigentlich ab diesem Zeitpunkt nach einem Duell, um die Ehre der beiden zu verteidigen. Doch darauf wollte es hier niemand ankommen lassen, vor allem solange die Manengrunder vor den Toren der Stadt standen. >Bitte die Herren Fürsten! Das muss doch unter zivilisierten Männern von Rang nicht sein!< versuchten die Jae unter den Soldaten zu beschwichtigen, während sich die T und Chorr zurück lehnten und ihr Interesse und Grinsen nicht wirklich verbergen konnten. >Eine Entschuldigung räumt das Ganze gewiss wieder aus der Welt.<
>Ruhe!< befahl Jaesotto und riss sich von den Händen los, die versucht hatten, ihm beruhigend auf die Schultern zu klopfen. Er starrte den Jüngeren an und wartete auf eine Antwort.
Jaeho konnte sein früheres Ich sehen. Valdrieen pa Jae, wie er durch die Gassen von Panareen schlüpft, sich in Winkeln versteckt, an Mauern hinauf zieht, über Dächer springt und mit Schwert, Säbel, Speer, Pfeil oder Bratpfanne, wenn es sein musste, die Manengrunder bekämpfte. Er konnte es fühlen, wie leicht, wie lautlos er die Fußballen abrollen lässt, wie regungslos er da steht, stundenlang wenn es sein musste, sodass nur ein Meisterfährtenleser wie Jaeran ihn finden konnte. Er sah sich durch den Alparabilee schwimmen, einen Trupp leiser Soldaten anführen um die Manengrunder in die Zange zu nehmen. Er hörte die Männer für ihn jubeln und sah seinen Mentor Jaesore lächelnd den Kopf schütteln, während er seinen ungewöhnlichen Kampfstil und die wilde Technik zwar kritisierte, doch auch bewunderte. Doch er sah sein früheres Ich auch straucheln. Seine Züge sind angespannt, sein Rücken gekrümmt von all den Erwartungen die man auf ihn projizierte.
Mit einem Seufzen schüttelte er den Kopf. Wenn Jaesotto glaubte Jaeho verletzten zu können, dann hatte er die Rechnung ohne Jaetru und dessen harte Schule gemacht, die Jaeho völlig abgehärtet hatte.
>Wenn ich Valdrieen pa Jae sein soll, dann sind wir am Arsch.<
>Dem stimme ich zu!< entgegnete der Fürst von Asofen noch immer wütend und verschränkte die Arme vor der Brust >Ihr habt euer Potential an einen nutzlosen Vash verschwendet. Überhaupt hat Eure Generation uns alle in das Verderben geführt! Ihr und Jaetru und Jaenun. Alles Einfaltspinsel und Halbwüchsige! Jaesore von Hamir hätte der neue Vash werden sollen! Er hat schon immer dem Land gedient, wie der makellose Krieger, der Ihr werden hättet sollen. Ich rate Euch eines, Fürst Jaeho von Vijen. Wenn Ihr tatsächlich Eurer Bestimmung folgen wollt, dann lasst Euch gesagt sein, Eurem Land zu dienen und dem Beispiel von Jaesore zu folgen ist nun Eure Aufgabe.<
>Wenn Ihr mir wirklich dazu raten wollt zu sterben, solltet Ihr Euch vielleicht daran erinnern, dass Ihr mich noch um eine gewisse Gefälligkeit gebeten habt. Eine Gefälligkeit die niemand anderer erledigen kann, schließlich ist mir mit der Informationsquelle ein kleines Missgeschick passiert.<
Jaesotto schnappte nach Luft >Was soll das heißen?<
>Das soll heißen, dass das hungrige Feuer, nun doch noch zum Zug gekommen ist.<
>Seid Ihr von allen guten Geistern verlassen?< Jaesotto kreischte nun auf, viel schriller als es sein massiger Körper vermuten hatte lassen und ergriff Jaeho am Kragen. Dieser krallte sich an seinem Rollstuhl fest und hoffte, so nicht auf den Boden gezogen zu werden. Den Vash umzubringen, war im Reich der Jae Politik, einen anderen Fürsten umzubringen jedoch Mord und so hoffte er, dass sich Jaesotto soweit noch im Griff hatte, um diese Unterscheidung, ihm selbst zuliebe, noch machen zu können.
Ihm wurde jedoch weiterhin in sein Gesicht geschrien >Wisst Ihr wie viel Geld mich dieses Buch gekostet hat? Dafür hätte man Panareen drei mal wieder aufbauen können! Acht mal verflucht sollt Ihr und der Rest von euch Kriegsinvaliden sein!<
Jaeho hatte das Auge zusammengekniffen und merkte erst deshalb ein paar Momente später, was sich hinter ihm zusammen braute. Die Soldaten bewegten sich nun langsam auf die Szene zu, dieses mal nicht nur die Jae, sondern auch die Chorr und T. Es waren allesamt Bekannte von ihm, junge Leute die er zu Beginn des Krieges in Minzka ausgebildet hatte und die der Meinung waren, dass er immer gut zu ihnen gewesen war. Sie waren also mit einer klaren Mission unterwegs und ließen sich auch nicht mehr davon abhalten, nachdem die Ersten von ihnen los marschiert waren. Erst drängten sie sich zwischen Jaeho und Jaesotte und befreiten ihn dadurch aus dem Griff des Älteren. Dann gaben sie vor plötzlich alle samt in Eile zu sein und schnell ihre Kriegsvorberitungen treffen zu müssen und ließen Jaesotte keinen Platz mehr zum Ausweichen. Sie drängten ihn somit naiv spielend aus dem Raum, wie ein Boot, das von der Flut an den Strand gespült worden war und ließen Jaeho dadurch alleine zurück.
Er wusste nicht wie lange sie ihn vor sich her geschoben hatten, doch es war ihm bewusst, dass sie sich mit dieser Aktion nur noch ganz knapp im straffreien Bereich befanden. Doch niemand konnte im Moment wirklich noch über Konsequenzen nachdenken, schließlich war tatsächlich eine Schlacht vorzubereiten.
Doch als erstes, war noch immer der letzte Rest der internen Kämpfe zu klären. Er rollte so schnell wie ihm dies möglich war zurück in die Festung, um den Spion Yeon zu finden. Dabei hatte er entlang von Jaetrus Gärten, einen grandiosen Ausblick auf die, von ihren Feinden belagerten Felder vor der Stadt. Sie hatten sich dort bereits ein ganzes temporäres Dorf aufgebaut, mit all den Reichtümern und Gefangenen, die sie auf ihren Raubzügen der Umgebung ergattert hatten, eine Tribüne zur Unterhaltung der Soldaten, ein Marktplatz zum Eintauschen von gestohlenem Gut, eine Poststelle, eine riesige Fläche, auf der die Adler versorgt wurden und mehrere Lazarette. Gerade wurde eine Herde gestohlener Kühe durch das Dorf getrieben und das lies die hungrigen Adler vor Vorfreude aufkreischen. Jaeho fragte sich anespannt, was man diesen geflügelten Biestern verfüttern würde, wenn keine Rinderherden in der Umgebung mehr übrig waren. Sonst war im Moment nicht viel Aktivität in dem Lager auszumachen, da die Südländer die Hitze nur schwer ertrugen und sich in ihren Zelten versteckt hielten, doch Jaeho verfluchte sie dennoch innerlich für ihre Geschäftigkeit. Eigentlich hatte er ganz andere Sorgen als sich um seine durchdrehenden Fürsten zu kümmern.
Er fand Jaeyeon auf der großen Terrasse, wo auch er die Hitze versuchte auszustehen. Er war in einem Haufen Papierkram vergraben, alles wohl Dokumente die dazu dienten, den Transfer von Jaesores Leichnahm so glatt wie möglich von Statten gehen zu lassen. Doch auch wenn er eben schwer beschäftigt war, sah er dennoch auf und schenkte Jaeho seine volle Aufmerksamkeit.
>Du bist in Sorge.< erriet der Jüngere Jae und schickte seine Assistenten weg, damit sie in Ruhe sprechen konnten >Wenn der oberste Verteidiger der Stadt solch ein Gesicht zieht, dann sollte ich wohl darüber nachdenken, mich noch dem letzten Zug aus der Stadt heraus anzuschließen. Doch meinen Informationen nach, werden die Manengrunder morgen in der Früh bereits Erech nehmen und damit die Spinnenhügel komplett kontrollieren.<
>Damit ist die Stadt dann von allen Seiten eingeschlossen. Dann zahlt es sich auch nicht mehr aus zu gehen, denkst du nicht auch? Du willst doch das Ende nicht verpassen.<
>Ich muss zugeben, dass mich das Ende nicht so sehr interessiert wie dich. Doch irgend jemand muss dafür sorgen, dass unser Jaesore Juvi nach Hause kommt.<
Jaehos Blick glitt über Yeons Kopf hinweg auf die Gärten und von dort auf die belagerten Felder. Lächelnd strich sich der Jüngere eine Strähne hinter sein Ohr und erkannte ohne sich dabei anstrengen zu müssen, dass Jaeho nicht mehr über seinen toten Mentor reden wollte >Also womit kann ich dir behilflich sein, Juvi?<
Da er normalerweise ein sehr direkter und wortkarger Mann war, hatte Jaeho im ersten Moment Schwierigkeiten dabei, seine Sorge über den jentyponischen Priester gleichzeitig vage, doch auch verständlich auszudrücken >Es gibt einen Mann in dieser Stadt, der gefährliche Informationen besitzt. Um die Informationsquelle habe ich mich bereits gekümmert, doch ich mache mir Sorgen was passieren wird, wenn dieser Mann von unseren Feinden geschnappt wird und plaudert.<
>Ist es denn ein Mann der zum Plaudern neigt?<
Diese Antwort viel Jaeho weitaus leichter, bedachte er wie feige ihm der jentyponische Priester vorgekommen war. Er konnte sich auch gut vorstellen, dass man aus diesem Grund an Jaeho heran getreten war, um das geheime Runenritual durchzuführen, da es gewiss gefährliche Konsequenzen hatte, die Macht eines Göttlichen uneingeladen zu beschwören. Der Dienst den er seinem Königreich laut den Fürsten Jaesotto und Jaepha leisten sollte, ging anscheinend in mehrfacher Hinsicht weiter als sie dies dem jentyponischen Priester zutrauten. >Ich denke, dass seine berechtigte Angst ihn zum Plaudern brächte.<
Yeon rieb sich am Kinn und seine lange Stille ließ Jaeho nicht sehr zuversichtlich werden.
>Ja das ist ein Problem.< murmelte er nach ein paar Momenten >Dem Mann eine aufwendige Eskorte zu seinem Schutz mitzugeben, wäre wohl für unsere Feinde, wie für unsere Freunde, noch auffälliger. Wie gefährlich ist diese Information denn?<
Immens! wollte Jaeho antworten. Es ging dabei nicht nur darum, dass man den Willen und die Grenzen eines Titelträgers wie Jaenun missachtete, sondern auch darum, dass man mit dieser Runenmagie, auch in den Geist aller anderen Entscheidungsträger auf ihrer Seite eindringen konnte. Wenn man beispielsweise Choris Fähigkeiten anzapfte und ihre Gabe in andere Gedanken einzutauchen verwendete. Jaeho wollte gar nicht weiter daran denken, welche Macht man dann bekommen könnte >Es gibt einen Grund, warum ich die Informationsquelle sofort vernichtet habe und mir nun Sorgen mache.<
>Ich verstehe.< seufzte Yeon >Nun dann gibt es nur zwei Möglichkeiten die ich sehe, doch sie werden dir beide nicht gefallen. Erstens-< er riss einen Zettel aus seinem Notizbuch und schrieb etwas mit schwungvoller Handschrift darauf >könnte man natürlich versuchen den Mann unschädlich zu machen. In der Hitze des Gefechts hat sich im Krieg schon manch ein Pfeil verirrt.<
Er reichte Jaeho den Zettel und als dieser darauf starrte, las er nur eine Auflistung verschiedener Kosten.
>Artheon ist der bessere Strafverteidiger von uns beiden, doch ich kann dir natürlich auch zur Seite stehen, wenn du dich für diese Variante entscheidest.<
>Sehr lustig. Was ist die zweite Möglichkeit?<
>Ich persönlich würde versuchen den Mann davon zu überzeugen, dass die Information die er hat, falsch ist. Am besten geht das, wenn man ihm eine abgeänderte Information zufüttert. Doch das ist natürlich kein sehr wasserdichter Plan. Er könnte noch immer alles preisgeben, was er jemals über das Thema erfahren hat, wenn er geschnappt wird. Und ihn davon zu überzeugen, dass die neue Information die wahre Sachlage darstellt, funktioniert eigentlich nur mit viel Zeit und Vorsicht gut.<
Jaeho verzog das Gesicht und Yeon zuckte nur mit den Schultern >Ich will nicht wissen, wie du dich entscheidest. Aber eine Entscheidung muss bald getroffen werden, so wie es sich anhört.<
Natürlich war es Jaeho am liebsten, dass es niemand anderen mehr gab, der die Information über die Runen noch wusste, doch den Priester zu töten, war für ihn selbstverständlich auch keine Option.
Er setzte zu einem >Danke und bis später.< an, da hielt ihn Yeon jedoch auf und schenkte sich Tee nach.
>Da gäbe es auch etwas, das ich mit dir besprechen wollte, Juvi.<
Jaeho ließ die Schultern hängen und sah den Anwalt fragend an.
Dieser lehnte sich zurück, nippte unendlich langsam an seinem Tee und setzte dann zu seiner Erklärung an >Du siehst furchtbar aus, ich brauche nicht einmal meine Spione zu fragen, um zu wissen, dass du nicht schläfst.<
Wieder verzog Jaeho das Gesicht. Er fragte sich, warum sich all seine Freunde dazu berufen fühlten, seine Mutter zu spielen, wenn er doch eine großartige Mutter hatte. Vielleicht plauderte auch Jaemi nur zu viel aus dem Nähkästchen. Er zuckte mit den Schultern >Ich bin ein Geschöpf das nur zwischen Dämmerung und Morgengrauen existiert. Was erwartest du?<
Yeons Augen wurden groß, als würde er sich fragen ob er sich verhört hätte, dann fuhr ein Schauder durch seinen Körper und er versuchte wohl das überwältigende Gefühl des Fremdschämens zu unterdrücken >Ich tu mal so als hätte ich diese pathetische Erklärung nicht gehört und fahre einfach mit dem eigentlichen Thema fort. Wie du weißt habe ich das Spionagenetzwerk von Jaetru übernommen, seit er die Stadt verlassen hat. Und das war eine ungemeine Hilfe, denn er hat einen wirklich exzellent aufgestellten und hoch professionellen Pool an Spionen. Doch auf meinem Schreibtisch landen täglich Depeschen, in denen es nicht um den Krieg geht. Die Spione schreiben so häufig auch nicht kriegsrelevante Berichte an mich, dass ich das Gefühl habe, dass das für sie völlig natürlich ist und sie dies als Teil ihrer, von Jaetru festgelegten, Aufgaben sehen. Jaeho, diese Nachrichten handeln alle von dir. Wo du warst, was du getan hast, mit wem du gesprochen hast.< Yeon lachte verlegen >Du weißt, dass ich in Panareen aufgewachsen bin und Jaetru kenne, seit er schon das erste Fünkchen Macht über dieses Land in seinen Fingern gehalten hat. Uns war allen klar, dass er Spione hat, doch wir dachten immer, dass er die Leute in der Stadt unter die Lupe nimmt. Doch nein, es dreht sich alles um dich.<
Yeon sah mit einem mal so aus, wie sich Jaeho innerlich fühlte. Blass und irgendwie verstört >Ich hab den Spionen nun befohlen, dass sie damit aufhören müssen. Aber ich wollte trotzdem, dass du davon weißt, denn auch Jaetru muss davon erfahren, dass er damit aufhören soll!<
>Danke für die Information.<
>Du wirkst nicht so überrascht, wie ich mir das vorgestellt habe. Wusstest du davon? Hast du Jaetru bereits gesagt, dass er das nicht machen kann?<
Jaeho seufzte >Yeon, dein Fürst ist ein unsicherer Charakter, auch wenn er immer so groß tut. Er braucht das Gefühl Kontrolle zu haben-<
>Ist das dein Ernst?< der Anwalt ließ die leere Teetasse auf den Tisch fallen, sodass sie scheppernd umfiel >warum verteidigst du seine Verrücktheiten? Was er tut ist illegal und gruselig! Und nicht einmal das Schlimmste was er dir jemals angetan hat.<
Da er plötzlich das Gefühl bekam, mit Jaemi und nicht mit Yeon zu sprechen, antwortete er automatisch eine viel erprobte Aussage >Wir sollten froh sein, dass wir Elten haben, die uns lieben. Jaetru hatte dieses Glück nicht.<
Doch Yeons überraschende Antwort, holte Jaeho zurück in das Hier und Jetzt >Oh das würde mich sogar fast zu Tränen rühren, wenn Jaetru fünf Jahre alt wäre.< die Stimme des anderen Jae wurde jedoch sanfter und er legte seine Hand auf die von Jaeho, die sich in die Armlehne seines Rollstuhls verkrallt hatte >Doch Juvi, Jaetru ist jetzt ein Erwachsener. Seine traumatische Kindheit, sein ungesunder Umgang mit Macht, das sind alles Erklärungen und keine Entschuldigungen. Er ist alt genug um zu verstehen, dass man die Grenzen anderer respektieren sollte.<
Wieder seufzte Jaeho und mit zusammen gezogenen Augenbrauen dachte er einen Moment über Yeons Worte nach. In seiner Brust regte sich dabei etwas. Eine Traurigkeit, die er eigentlich weit von sich weg schieben wollte >Vielleicht hast du recht. In der Vergangenheit war ich möglicher Weise nicht immer deutlich genug, wenn ich ihm nein sagen wollte.<
Der Jüngere schüttelte bemitleidend den Kopf und streichelte mit dem Daumen über Jaehos Hand darunter >In Fragen der persönlichen Grenzen, sollte kein deutliches Nein nötig sein. Jaetru hätte eigentlich auf ein enthusiastisches Ja warten müssen, bevor er irgend etwas tut.< er ließ Jaeho mit einem scheuen Lächeln los und tippte auf das Blatt Papier mit seinen Tarifen, das Jaeho auf seine Oberschenkel gelegt hatte >Wenn du Jaetru anzeigen möchtest, bin ich auch dein Mann dafür. Aber wenn du nur einen Freund zum Reden brauchst, für den du mal nicht der große Beschützer sein musst und vor dem du auch verletzlich sein kannst, dann bin ich auch für dich da.<
Jaeho musste erst seine aufeinander gepressten Kiefer wieder entkrampfen, von denen er nicht einmal mitbekommen hatte, dass sie die ganze Zeit so angespannt gewesen waren. Doch dann zwang er sich auch zu einem Lächeln und fuhr sich durch die Haare >Ich kümmere mich um Jaetru, wenn ich die Belagerung von Panareen überlebt habe.<
>Das ist ein fairer Kompromiss.<
Damit hatte Yeon ihn entlassen und er eilte weiter, all den Aufgaben entgegen, von denen er wusste, dass er sie nicht mehr rechtzeitig schaffen konnte.
Während er versuchte in dieser Nacht zu schlafen, schlichen sich die Jentyponier um die Spinnenberge herum nach Südwesten. Während in Panareen gefrühstückt wurde, begannen die Kämpfe in Erech. Als der Transport von Fürst Jaesores Leichnahm am frühen Nachmittag von statten ging und die Deligation der Manengrunder, mit weißen Diplomatenfahnen ausgestattet, bis zum Tor von Panareen vorgelassen wurde, zogen auch über Erech die weißen Fahnen auf und die bedingungslose Kapitulation wurde im dortigen Rathaus durch die lituolische Stadtverwaltung unterschrieben. Damit waren die Spinnenberge von beiden Seiten gesichert und Panareen umzingelt.
Sie hatten zwei Trauertage für die Bestattung von Fürst Jaesore ausgehandelt, doch auch ihre Feinde nutzten die Zeit, um ihre Gefallenen zu beerdigen. Jaeho war sich sicher, dass sie sich an diese Zeit halten würden, doch wenn er durch sein Fernrohr hinunter auf das Lager ihrer Feinde spähte, sah er auch wachsende Ungeduld. Großadmiral Kilee Leiq mochte nur noch daran interessiert sein, den Krieg zu beenden, um nach hause zu seiner Familie zu kommen, doch dort unten waren auch junge Männer, die nach Panareen gekommen waren, um sich Ruhm und Ehre hier zu verdienen und die Stadt der Jae erst auszurauben und dann bis auf die Grundmauern nieder zu brennen. Es hatte bereits viele Kriege mit den Manengrundern gegeben, doch sie waren noch nie so weit in das Land der Jae eingedrungen und somit war Panareen noch nie bedroht worden. Vielleicht hatte sich deshalb hier so viel Reichtum, Kultur und Wissen entwickeln und ansammeln können und deshalb war sie auch solch ein begehrter Preis unter den Eroberern. Für deren Führung war dies jedoch auch gewollt und deshalb toleriert. Wenn das Land der Jae erst einmal wieder zum Reich der Manengrunder gehörte, musste man das Symbol Panareen so und so dem Erdboden gleich machen. Es konnte keine zwei Hauptstädte geben und nichts sollte den Jae die Idee in den Kopf zaubern, dass sie sich gegen ihre neuen Verwalter auflehnen könnten.
Am liebsten hätte er den jentyponischen Priester während dieser ganzen Vorlaufphase im Auge behalten, denn er wusste nicht, was es für ihn und die Information bedeuten würde, dass er Jaesotto verraten hatte, was mit dem Buch passiert war. Doch er hatte nicht die Kapazitäten, um überall präsent zu sein. Er hatte ihnen allen eine Nachricht zukommen lassen, in der er davon berichtet hatte, dass seine ersten Versuche die Magie des Vashs zu übernehmen, gescheitert waren und dass er eine lange Liste von Modifikationen angewendet hatte, um das gewünschte Ergebnis zu bewerkstelligen. Das war alles was er an Falschinformation zusammen brachte. Denn eigentlich musste seine Aufmerksamkeit dem Vash auf ganz anderer weise gelten.
Es war der zweite Trauertag, am frühen Nachmittag. Die Attacke auf die Stadt würde also in Kürze beginnen.
>Er wird versuchen, zu allen Verwundeten zu gelangen und sie zu bergen. Auch unsere Feinde. Ich will, dass ihr dann natürlich besonders aufpasst! Zuerst werden die Verwundeten entwaffnet. Erst dann kann er zu ihnen.< instruierte er die vier Soldaten, die er zum Schutz des Vashs abbestellt hatte. Es waren zwei Chorr und zwei T, denn er traute in dieser brisanten Situation keinem Jae über dem Weg. Es wäre nicht das erste mal gewesen, dass ein Vash-Titel in Mitten einer Schlacht, verdächtiger weise den Besitzer gewechselt hatte. Er hatte die vier selbst ausgebildet und schätzte ihre Fähigkeiten sehr, dennoch viel es ihm schwer, nicht selber an Jaenuns Seite zu bleiben und ihn vor Angriffen zu beschützen. Doch das war unmöglich und so mussten sich seine Soldaten eine ganze Liste von Instruktionen anhören, wie man am Besten mit dem Jungen umging.
>Ich will auch, dass sonst niemand zu ihm vorgelassen wird. Nur die Mitarbeiter des Lazaretts und Jaemi. Vor allem keine Priester. Habt ihr verstanden?<
Die Soldaten nickten lächelnd, sie waren stolz Jaenuns Ehrengarde zu sein, doch zu weiteren Befehlen blieb keine Zeit, denn die große Tür öffnete sich in diesem Moment und warf ihren langen Schatten auf den Vash, der im Vergleich zu ihr, zwergenhaft wirkte. Langsam und unsicher tappte er zu ihnen in Jaetrus Zeughaus, an tausenden Waffen und Rüstungen vorbei.
>Hallo an alle.< murmelte er viel zu leise und blickte dann zu Jaeho >Du wolltest mich sprechen?<
Der ältere nickte und schickte die Soldaten mit einer Handbewegung nach draußen >Die Zeremonie für Fürst Jaesores Beisetzung beginnt gleich, doch ich wollte dir davor trotzdem noch etwas geben. Ich denke, dass wir danach, kaum noch Gelegenheit dazu hätten.<
Er griff neben sich und zog aus all den Rüstungen, einen ganz bestimmten Brustpanzer hervor >Diese Rüstung gehörte deinem Vater. Man hat sie als Kriegsbeute nach dem Mord an ihm, hier her gebracht.<
Jaenun schluckte sichtbar und lachte verlegen >Naja, viel hat sie ihm ja nicht genützt.<
>Es ist besser als gar nichts. Dreh dich um!<
Der Junge ließ sich von Jaeho dabei helfen, ihm den vielteiligen Panzer anzulegen. Erst das Brustharnisch, Beinschienen, Armschienen, alles sorgfältig vergurtet. Er kniete sich vor Jaeho, damit dieser ihm den schweren Helm mit Pferdehaar als Helmkleinod aufsetzen konnte und stand erst danach wieder auf um sich zu dem Älteren umzudrehen. Damit war seine Verwandlung abgeschlossen.
Und was für eine Verwandlung, in dem mit Gold beschlagenem und mit Pilzen verzierten Brustharnisch war so viel Platz, dass noch ein zweiter Jaenun dort hinein gepasst hätte und der Helm wobbelte armselig auf dem viel zu kleinen Kopf, bis er es völlig aufgab, die rechte Balance zu finden und dem Jungen fast bis über die Nase rutschte.
Irgend ein Teil von Jaehos Herz, bekam bei diesem Anblick einen knackenden Sprung >Vielleicht war das keine so gute Idee.<
Von Jaenuns Gesicht war nur noch sein Mund und Kinn zu sehen, doch man konnte dadurch auch ein verlegenes Lächeln bemerken, wie es sich über seine Züge schlich. Er schob den Helm wieder nach oben >Vielleicht sollte ich für die Zeremonie lieber die Eisenkrone tragen. Doch der Rest sieht doch super aus!<
Besser als nichts. dachte Jaeho bei sich und schob den Jungen wieder nach draußen.
Die Hitze prügelte noch immer auf sie herein, als sie den beschwerlichen Aufstieg vom Zeughaus zur Burg antraten. An manchen Stellen war es so steil, dass die vier Soldaten Jaeho anschieben mussten, doch wenigstens gab es keine Stiegen.
Sie betraten die Burg durch die große Empfangshalle, die ganz nach Jaetrus Geschmack, bis an die Grenzen der architektonischen Kunst mit Prunk und Symbolen der Macht ausgestattet war. Man sollte gleich eingeschüchtert werden, wenn man den verschwenderischen Reichtum der Fürstenfamilie von Panareen zu Gesicht bekam.
Da Jaeho dieses Schauspiel gewohnt war, kümmerte es ihn nur wenig. Er wusste auch, dass der Prunk abnahm, je weiter man in der Burg nach oben zu den privateren Räumlichkeiten gelangte. Selbst an den Türen hatte man dort gespart, nur jene Seiten waren verziert, die man beim Hereinkommen auch wirklich zu Gesicht bekam.
Doch Jaenun und vor allem der Straßenjunge in ihm, als der er zurück in das Land der Jae gekommen war, hatte noch immer nicht das Selbstbewusstsein, um durch diese Halle mit all dem Stolz zu schreiten, der ihm als Vash zustand.
Vor allem an dem großen Wandgemälde, das sich neben dem Eingang in die Zerimonienhalle und den Burg eigenen Tempel befand, huschte der Junge vorbei. Der grimmigen Aufgabe entgegen, Jaesore von Hamir vorerst das letzte mal zu verabschieden. Er sollte neben dem Vash beigesetzt werden, dem er am längsten gedient hatte, Jaerona von Panareen. Gerüchten zufolge, waren die beiden einmal Liebhaber gewesen und Jaeho hoffte nun, dass sie sich im Guten getrennt hatten, wenn sie nun den Tot nebeneinander verbringen mussten. Doch er bezweifelte es, schließlich war Vash Jaerona eine außergewöhnlich ungemütliche Person gewesen.
Unwillig Jaesores Sarg das erste mal tatsächlich zu sehen, verweilte Jaeho einen Moment an dem Wandgemälde. Es war ein beeindruckender, viel verästelter Stammbaum, von Erich Jae Ohneland an, dem Befreier der Jae, bis hinunter zu dem kleinen, zarten Ästchen, das Jaetru darstellte.
Jaetru musste rechtzeitig zurück kehren um seine Stadt zu retten.
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