6.4. Jaenun
Am nächsten Tag war Jaenun bereits beinahe wieder von seinen Verletzungen vollends genesen, während Lehni noch zu schwach war um lange zu stehen, also hatte man ihm einen Sessel gebracht um neben seinem Freund sitzen zu können, während dieser fasziniert aus den riesigen Fenstern starrte und die mächtigen Häuser aus Stein betrachtete.
Hier sah alles anders aus als in Ahnahn, keine Holzhütten, keine Baumpaläste oder Boote zur Fortbewegung, hier war alles aus Stein. Es war eine kühle, von Efeu bewachsene neue Welt aus Ziegeln für Jaenun.
Lehni war eher vom ausgezeichneten Essen fasziniert und verschlang bereits seine zweite Portion, als Jaetru mit einem Tablett zu ihnen trat. >Darf ich euch beiden Grünen Tee reichen?<
>Sieh nur Jaenun, endlich jemand der kleiner ist als du!< rief Lehni entzückt aus, was ihm einen bösen Blick von beiden Jae einbrachte und er lehnte sich in seinem Sessel zufrieden zurück und nahm noch einen Bissen. >Das ist sehr bemerkenswert vom Hausherren persönlich bedient zu werden.< murmelte er mit vollem Mund und fand sogar ein wenig Gefallen an dem Gedanken, während Jaetru ein wenig gezwungen lächelte und meinte, dass es eine gewöhnlich höfliche Geste unter den Jae wäre, die er gerne seinen hohen Gästen entgegen bringen würde.
Erst jetzt löste Jaenun den Blick vom Fenster und nahm eine Tasse des Tees an, der ihn sofort begeisterte, nachdem er nur kurz daran genippt hatte. Der Geschmack erinnerte ihn daran, wie seine Mutter ihren Tee zubereitete, anders als die Chorr das taten und es brachte ihn zum Lächeln und unwillkürlich wandte er den Blick wieder nach draußen >Ich war höchst aufgeregt, in das Reich der Jaes zu kommen. Zu sehen wie es hier so ist.<
>Gefällt es Euch?< wollte Jaetru wissen und richtete seine Kleidung. Er hatte einen blass blauen Wollwams über ein schneeweißes Hemd übergelegt, das mit einer schwarzen Krawatte verschlossen war, einem Accessoir dass nur Jae trugen. Sein Morgenmantel war prächtig gewesen, doch dieser Aufzug für den Alltag war noch vornehmer.
>Sehr!< versicherte Jaenun und bekam einen verträumten Gesichtsausdruck >Diese Stadt wirkt so alt und die Häuser aus Stein sind auch ganz anders als jene in Ahnhan. Es ruft nach Kultur, nach Traditionen die ich allesamt kennen lernen möchte.<
Jaetru nickte nachdenklich >Panareen war die erste Stadt der Jae, nachdem sie in dieses Land gekommen waren und hier damit begannen, die Gegend zu erobern und zu kultivieren. Sie kamen über Nemuraq, legten einen weiten, beschwerlichen Weg zurück, um dann hier zu enden und ihre Erste Siedlung zu gründen und von hier aus, den Rest des Landes zu erobern. Panareen, das Herz des Reichs.<
Die panereenische Festung lag auf einem Hügel, zu dessen Füßen sich die große Stadt bis zum See erschreckte. Ein offener Kiefern-Eichenwald überzog den Hügel bis zu ihnen hinauf und die ätherischen Öle der Krautschicht dufteten in der Morgenluft.
Es wurde still, eine unangenehme Spannung entstand, die sich immer weiter aufbaute und nur durch Lehnis Schmatzen gestört wurde, bevor Jaetru endlich damit raus rückte, was er sich bereits die gesamte Zeit gefragt hatte >Warum seid Ihr zurück gekommen? Um Euer Fürstentum zurück zu erobern?<
>Mein was?< fragte Jaenun, löste seinen Blick vom Fenster und schenkte dem Jüngeren nun seine volle Aufmerksamkeit.
>Euer Fürstentum.< beharrte Jaetru und zog seine Augenbrauen zusammen, während Jaenun nur dümmlich überrascht drein schaun konnte >Loreen, das Fürstentum Eures Vaters! Ihr seid sein rechtmäßiger Erbe und könnt es Euch zurück holen. Eigentlich solltet Ihr das auch, das Fürstentum zerfällt unter der Hand von Fürst Jaeseon, der es gerade besetzt hält!<
Jaenun schluckte trocken, zu mehr war er im ersten Moment nicht fähig. Die Frage ob das wirklich wahr sein könnte, drängte sich ihm natürlich auf, schließlich war er wie jeder andere unsichere Charakter, sofort davon eingenommen, vielleicht doch aus der Masse heraus ragen zu können, doch dann wandte sich sein Denken komplett um >Das ist nicht möglich. Mein Vater war ein Verbrecher!<
Jaetru zuckte nur unbekümmert mit den Schultern >Vielleicht war er das auch, doch in erster Linie war er der Fürst von Loreen und Ihr seid sein Sohn und Erbe.<
>Woher wollt Ihr das wissen?< fragte Jaenun noch einmal skeptisch nach >Es wird sicher mehr als nur einen Jaenun auf dieser Welt geben.<
>Das stimmt, doch gewiss nur sehr wenige, die ebenso wie Ihr, vor gut dreiundzwanzig Jahren zusammen mit einer Mutter die Fürstin Jaeleeva von Minzka genannt wird, vor den Mördern ihres Vaters geflohen sind und gleichzeitig dem verstorbenen Fürsten von Loreen wie aus dem Gesicht geschnitten scheinen.<
Jaenun ließ die Schultern hängen. >Warum wurde mein Vater umgebracht?< wollte er wissen, auch wenn Jaetrus Worte nur noch wie durch einen Dicken Watteumschlag zu ihm durch drangen. Er war weiterhin skeptisch und musste ein unsicheres Lachen unterdrücken.Für ihn ergab der Lauf dieses Gespräches sehr wenig Sinn und er hoffte durch mehr Fakten, einen Irrtum aufzudecken.
Der junge Fürst lachte jedoch leicht auf >Eine feindliche Übernahme Eures Fürstentums wegen.<
Seine Mutter sagte, dass man ihn auch umbringen wollte. Die Erklärung, dass dies wegen seinen möglichen Erbschaftsansprüchen passieren konnte, machte diese ganze Sache noch plausibler. Es war so viel in seinem Kopf, dass er nicht wirklich einen klaren Gedanken fassen konnte und so brabbelte er unbewusst über die einzige Sache daher, über die er sich vollständig im Klaren war >Eigentlich bin ich wegen einem ganz anderen Auftrag gekommen.< stotterte Jaenun und sah hilfesuchend zu Lehni, der nur kauend mit den Flügeln zuckte und tellergroße Augen machte. Er sah wie der Besucher eines Theaterstücks aus, das eben eine Intrige oder verblüffende Wendung dargestellt hatte, völlig unbeteiligt, doch höchst interessiert.
Da Jaenun nicht wirklich ernsthaft auf die Hilfe seines Freundes gehofft hatte, fuhr er seufzend fort, während er versuchte seine zitternden Hände unter Kontrolle zu halten >Ich soll nämlich zu dem König der Jae und eine Botschaft meiner Königin überbringen. Sie würde gerne mit ihrem Nachbarland in Kontakt treten und Beziehungen zu den Jae aufbauen. Nach dieser Mission soll ich vielleicht Ritter werden und der Königin als Exekutive dienen und einen Krieg mit Jentyponien verhindern und ihr weiter als Berater zur Verfügung stehen also habe ich gar keine Zeit hier Fürst zu sein!<
Jaetru war einen Moment lang still, er sah Jaenun mit ausdruckslosem Gesicht an, beobachtete wie sich der bleiche Junge an der Mauer stützte und damit rang sich zusammenzureißen. Die Augenlider waren bei dem jungen Fürsten halb gesenkt und der Mund war eine dünne Linie, bevor er zu lächeln begann. >Die Jae haben keinen König. Es ist im Grunde eine lose Ansammlung an Fürstentümern, die ungeeint und zerstritten sind. Wir haben einen offiziellen Anführer, dem Ihr Eure Botschaft überreichen könnt, doch zuerst müsst Ihr den Fürsten von Vijen besiegen.<
>Was muss ich tun?!< die wackeligen Beine drohten Jaenun zu versagen, als ein weitere Verantwortung auf seine Liste gesetzt wurde.
>Die Banditen die Euch so weit im Herzen des Reiches der Jae überfallen haben, sind ausschließlich hier, da Jaeho, der Fürst von Vijen, das Land so tyrannisiert, gleichzeitig aber nichts für den Schutz der Bevölkerung tut.<
>Das ist jetzt ein anderer, als dieser Fürst Jaeseon, der Jaenuns Fürstentum besetzt hält?< mischte sich Lehni ein und Jaetru nickte kurz, auch wenn er überaus unglücklich darüber aussah, dass man ihn unterbrochen hatte >Jaeseon ist eine kleine Erdnuss, im Vergleich zu Fürst Jaeho von Vijen. Dieser hält nämlich den Jae Vash in seiner Gewalt, unseren Anführer. Und er hat sich mit ihm in seinem Fürstentum zurück gezogen. Seit zwei Jahren hat die beiden niemand mehr gesehen, obwohl er nun die Macht an sich gerissen hat.< Jaetru seufzte und rieb sich die Oberarme, als würde er frösteln, bevor er fortfuhr >Fürst Jaeho ist ein Untoter, er lebt in den Katakomben von Vijen. Er ist ein wahres Monster, der das Tageslicht scheut und sich von uns Untertanen Gold und Waffen liefern lässt um ihn zu besänftigen. Eine Kreatur, die nur zwischen Dämmerung und Sonnenaufgang existiert. Seit Jahren leiden wir unter ihm, denn er gibt den Jae Vash nicht frei, was unsere Situation verbessern könnte, deshalb musst du ihn zuerst besiegen. Befreie uns von dem Untoten Jae, dem schwarzen Hexer, denn nur so kannst du deine Botschaft überbringen. Außerdem würdest du deinem leidenden Volk unglaublich helfen!<
Lehni warf einen skeptischen Blick zu Jaenun und konnte gar nicht glauben, dass dieser tatsächlich regungslos dastand und seine Möglichkeiten abwog. Schnell zu Chori zurück zu kehren, was eigentlich stets eine Priorität gewesen war, würde sich jetzt wohl lange verzögern.
Auch Jaetru merkte das und fuhr mit seinem Appell fort >Ihr seid der Prinz des Blutes! Durch Eure Fähigkeit habt Ihr als Einziger eine Chance, uns zu befreien! Ich bitte Euch darum, Jaenun Heimatloser!< Jaetru kniete sich auf den Boden und senkte den Kopf. >Bitte Fürst Jaenun.<
Es war um Jaenun geschehen, die Befürchtungen seiner Mutter wurden ignoriert. Schon hunderte stärkere und erfahrenere Männer, waren in der Vergangenheit von solch eine Umschmeichelung überzeugt worden, sie alle waren dem Ruf nach einer Aufgabe, die Ruhm und Ehre versprach, mit wild schlagendem Herzen nachgekommen. Er bat den Fürsten von Panareen sich wieder aufzurichten und sah ihn betroffen an >Ihr scheint sehr verzweifelt zu sein und wenn ich das richtig verstanden habe, sehe ich auch ein, warum Ihr so fühlt. Also dieser Jae Vash ist euer Anführer, doch der Untote Jae hält ihn gefangen und hat dadurch die Führung unrechtmäßig übernommen? Und wenn ich den Gefangenen befreie und den untoten Fürsten von Vijen besiege, kann Jae Vash wieder Anführer sein, ich kann ihm den Brief meiner Königin geben und auch Eurem Volk ginge es wieder besser?<
Jaetru stand auf, richtete sich die blonden Haare vorsichtig, bevor er mit einem dramatischen Augenaufschlag einen ernsten Blick an den Älteren richtete. >So ist es. Es ist dringend nötig, nicht nur wegen den Banditen im Reich, sondern auch um die restlichen Fürsten zu einen und die Situation für alle besser zu machen. Deine Königin kann nur mit einem geeinten Land paktieren, ein einzelnes Fürstentum nützt ihr wohl nichts.<
Dem stimmte Jaenun nachdenklich nickend zu, eine Einigung des Landes schien ihm unumgänglich bevor er seinen Auftrag vollenden konnte.
Jaetru lächelte wieder >Ausgezeichnet. Ihr würdet Euch also dazu bereit erklären uns zu helfen, so wie es ein richtiger Ritter tun würde? Das ist ein so ehrenvoller Zug von Euch, habt vielen Dank!<
>Gerne.< hauchte Jaenun, er war in großem Konflikt, wusste nicht ob er sich schuldig wegen seiner Mutter fühlen sollte, oder großartig, da er eine wichtige Aufgabe zu erfüllen hatte.
Jaetru versprach, dass sie die Details am nächsten Tag klären würden, wenn auch Lehni wieder zu Kräften gekommen war. Dann verabschiedete er sich, nahm die leeren Teetassen und ließ Jaenun mit einigen unbeantworteten Fragen zurück. Das Schicksal seines Vaters wurde so nur noch mysteriöser.
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