20.2. Daiv
(Bild: Daiv. Also, ich verstehe, dass das Bild nicht wirklich passend für seine Position in diesem Kapitel ist. Aber wie könnte ich euch dieses Bild vorenthalten? frowningMonday hat es natürlich gezeichnet und es ist echt spitze geworden! Außerdem ist dieses Kapitel @LittlePolarfox gewidmet, weil sie Daiv nicht in einer Zelle sehen wollte und ich mich von dem Drama ernähre :P muhaha )
Die Wellen fingen an sich höher aufzubäumen, das Wasser begann anders zu riechen, wenn es durch seine winzige Gefängniszelle nach unten in die Bilge rann und Daiv zog den Rest eines verfaulenden Strohsacks enger um die Schultern, als die Südwinde stärker wurden und nun fast unaufhörlich durch die Balken pfiffen. All das verriet ihm nur zu deutlich, dass sie wohl vor einigen Tagen einen weiten Bogen um Camo herum gemacht und nun die Ausläufer seines geliebten Torrider Meeres hinter sich gelassen hatten. Sie mussten in den kalten und dunklen Strom des Sanantik gesteuert sein, was kein angenehmer Ort für einen Chorr war.
Wäre er wenigstens noch auf einem Schiff der Zabuyeli Schwestern, dann hätte diese Reise zumindest angenehmer verlaufen können. Doch nachdem sie die ahnahnische Küste durch einen weiten Südwestschwenker gemieden hatten und auf camonischer Höhe vor Ailee angelegt hatten, waren er und Choyon der Echino, einem Gefangenentransporter, übergeben worden, damit die Zabuyeli Schwestern weiter bei der Verteidigung der Neal-Inseln helfen konnten.
Die Echino war ein Schiff der jentyponischen Marine, das eindeutig mit unerfahrenen Männern besetzt war, sonst hätten sie nie solange gebraucht, um zum Sanantik Strom zu gelangen. Neben dieser Observierung verriet jedoch auch das häufige Schnalzen der neunschwänzigen Katze und das ständige Gebrülle des Quartiermeisters, dass es sich hier definitiv nicht um ein glückliches Schiff handelte. Die Männer waren untrainiert, unmotiviert und vor allem, keine Seeleute.
Es war für Daiv offensichtlich, dass die Jentyponier Mühe dabei hatten, ihre Schiffe mit genügend Freiwilligen zu füllen und so wurden Schuldner und Saufnasen, Verbrecher und arme Hafenarbeiter, einfach auf den Straßen eingefangen und auf solche kleinen Briggs geschafft. Die Besatzung stöhnte unter dem strengen Regime, Trunkenheit bei der Arbeit war ein übliches Phänomen, wenn die Matrosen die Planken schrubbten, ließen sie heimlich die Kanonenkugeln über das Deck rollen, um die Offiziere zu ärgern und bei einem Zwischenstopp in Asange, waren einige der Männer desertiert und dort zurück geblieben.
Das Schiff war in Asange jedoch nicht nur mit Trinkwasser, sondern auch mit weiteren Chorr Gefangenen beladen worden und so konnte das Fehlen der Matrosen, durch die Zwangsarbeit der Lituolier, ausgeglichen werden. Auch Daiv hatte täglich Schwabber und Bürsten in den Händen, schrubbte Planken, spleißte Seile und schnitt neues Holz für das Vorschiff zu. Die Arbeit gefiel ihm jedoch auch irgendwie, denn wieder an Deck zu sein und den Wind zu spüren, war alle mal besser, als hier in seiner Zelle zu vergammeln. Und sich mit den anderen Chorr zu unterhalten, stillte seine Wissbegierde nach Neuigkeiten ganz wesentlich.
Sie durften eigentlich nicht miteinander sprechen, wenn ein jentyponischer Offizier sie dabei erwischte, wie sie tuschelten, gab es Schläge, doch manch ein Chorr, trug den roten Handabdruck auch stolz und wie zum Schmuck auf seinem Gesicht, wenn er erfolgreich dabei gewesen war, die Jentyponier zu ärgern. Somit waren die Gefangenen und die gepeinigten Matrosen einander sehr ähnlich.
Die meisten der Chorr stammten von der versenkten Miliolinella, die vor Camo einen Konvoi Jentyponier abfangen hatte wollen. Drei der lituolischen Schiffe wurden dabei zerstört oder gekapert, während es vier der Jentyponier waren. Ein passables Ergebnis.
Fragte man die betroffenen Matrosen, bestanden sie jedoch darauf, dass es sich um ein >...vorzügliches Ergebnis!< handelte. Weiters waren auch ein paar wenige Mitglieder der Carinya neu dazu gekommen, die sich voller Zuneigung zu ihrem alten Kapitän, um Daiv scharrten. Sie hatten schlechte Nachrichten, denn sie waren Zeuge davon geworden, wie Daivs geliebte Carinya für die Jentyponier die Segel setzen musste, nachdem sie repetiert worden war.
Der Kommodore konnte verstehen, warum sie nach diesem Ereignis auf die südländischen Schweine schimpften, doch insgeheim war er einfach nur froh, dass die Jentyponier sein Schiff noch nicht auseinander genommen hatten, um ihre wertvollen Teile an irgend einen hässlichen Katamaran zu montieren.
Einer der neuen Gefangenen an Deck, stammte von der untergegangenen Handelsfregatte Cassidulina. Diesen Umstand hatte Daiv jedoch erst einige Tage nach dessen Ankunft hier an Deck feststellen können, denn der hagere, unnatürlich blass aussehende Chorr, mit Augenringen so angeschwollen wie pralle Kissen, sprach nur sehr wenig. Doch wenn er einmal etwas sagte, dann schrubbten alle wie zufällig die wenigen Flecken neben ihm und hörten aufmerksam zu.
Auch Daiv robbte während seiner Arbeit immer nur langsam von dem alten Kerl weg und versuchte in Hörweite zu verbleiben, denn er musste dringend mehr über diesen Herrscher der See erfahren. Xiphias, ein Monster von einem Schiff. Schwer und mit dickem, hartem Eichenholz gepanzert. Zwölf Segel, auf neun Masten aufgeteilt, um das Ungetüm durch die Wellen zu schieben. Sollten Daivs Berechnungen stimmen, dann war dieses Monster von einem Schiff, um die hundertfünfzig Meter lang. Er konnte sich nicht erklären, woher die Jentyponier die Technologie für solche Konstruktionen hatten. Die Chorr waren limitiert in der Länge ihrer Schiffe. Sie waren nicht mehr stabil, sobald sie länger als achtzig Meter wurden und mussten unzufriedenstellend mit teurem Metall verstärkt werden. Dabei konnte der Rumpf durch die Eigenlast jedoch so unter Spannung geraten, dass er bei einem geschickten, oder geglückten, Treffer, sofort barst.
So wie die meisten Chorr, die dem Alten von der Cassidulina lauschten, empfand Daiv also eine große Faszination über dieses Ungetüm, die er jedoch stets nach einiger Bedenkzeit mit Skepsis abwinkte, denn so ein Riese konnte nicht existieren. Insgeheim hoffte er es jedoch, denn er hatte große Lust dazu, solch eine katastrophale Erfindung der Seemannskunst mit eigenen Augen zu sehen. Doch er war auch empfänglich für die Furcht um ihn herum, die bei den Zuhörern aufkam, wenn erzählt wurde, wie die Cassidulina verschlungen worden war.
Er hatte mit Choyon darüber gesprochen, der jedoch kaum Interesse an dieser Geschichte zeigte. Er schien eigentlich an nichts mehr wirklich Interesse zu haben, magerte ab, war stiller als sonst und man konnte vermuten hoffnungslos, würde er nicht seine gesamte Zeit und Konzentration darauf verwenden, um die Stimmung der Besatzung weiter gegen ihren Kapitän und den Quartiermeister aufzustacheln. >Das ist unsere einzige Chance.< zischte er Daiv immer wieder zu, wenn sie zusammen in ihre Zelle gestopft wurden >Eine Meuterei. Wir sind jetzt so viele Chorr Gefangene, dass wir in dem Chaos die Kontrolle übernehmen können.< Daiv stimmte seinem ersten Offizier halbherzig zu.
Es brodelte und rumorte auf diesem Schiff und Daiv machte sich keine Sorgen darüber, dass sie es nicht schaffen würden, eine Meuterei anzuzetteln, doch ihm war nicht geheuer, was danach passieren könnte. Als Schiffsjunge, im zarten Alter von sieben Jahren, war er ein Besatzungsmitglied der berühmten Pulinella gewesen. Er hatte in jener berüchtigten Nacht am Kap Liro gesehen, wie die grölende Mannschaft den grausamen Kapitän Scharfzungen Net Harium auf dem Großmast aufgehängt und erst nach Tagen des dahin Rottens, in das Meer geworfen hatten. Er war, wie alle anderen Besatzungsmitglieder auch, nach der Ergreifung der Pulinella, durch die königliche Marine, in der Zwölfsternstadt vor Gericht gestanden. Die Strafe für einen siebenjährigen Unbeteiligten, waren damals vier Hiebe mit der Peitsche. Den meisten seiner Bordkameraden, war jedoch der Kopf abgeschlagen worden. Eine Meuterei war nach diesen Erlebnissen, in seinen Augen nur ein kurzfristiger Befreiungsschlag für die Besatzung.
Und wenn er nicht nur über das Schicksal der Jentyponier nachdachte, sondern sich auch seinen Chorr Schützlingen zuwendete, die sich an ihm, als höchstrangigsten Gefangenen, orientierten, sah er sogar noch schwärzer. Vielleicht konnten sie ja alle Jentyponier mit vereinten Kräften besiegen, während eine Meuterei das Schiff in ein Chaos stürzte. Vielleicht war die Macht der Verzweiflung größer als der Hunger der Gefangenen, ihre müden und ausgelaugten Körper und ihre Anfälligkeit gegen jentypinische Waffen. Doch ob sie das Schiff alleine nach Lituolien steuern würden können, war fragwürdig. Vor allem, da sie bereits in feindlichen Gewässern lagen und sich die jentyponische Marine wahrscheinlich schnell denken konnte, was passiert war, wenn ihr Gefangenentransporter umdrehte und zurück in den Norden segelte. Vielleicht würde gar das Monsterschiff für sie geschickt werden, um sie mit Mann und Maus zu versenken.
Der alte Daiv hätte all diese Einwände in den Wind geschlagen. Er hätte auf seinen ersten Offizier vertraut, auf seine Chorr Kumpanen und vor allem auf sich selbst und seine Fähigkeit, aus schweren Situationen mit Geschick und Witz wieder heraus zu kommen. Doch der neue Daiv war eines Besseren belehrt worden. Der neue Daiv sah vor seinem inneren Auge immer und immer wieder, die Carinya auf das Riff auflaufen.
Wäre er bei den Zabuyeli Schwestern verblieben, könnte er sich die Tage mit Wein und Gesang und dem lustvoll gerundetem Körper von Warika Zabuyeli vertreiben, die es Faust dick hinter den Ohren hatte. Doch hier auf dem jentyponischen Gefangenentransporter Echino, musste er sich mit dem Gefühl der Reue beschäftigen. Besonders, wenn Choyon ihn so anstarrt. Wie ein Besessener, der seinen Kapitän zum Handeln bringen wollte. >Ein ordentlicher lituolischer Offizier darf sich nicht kampflos ergeben. Er wird jede Möglichkeit nutzen.< schien aus seinen Augen zu sprechen.
Und Daiv schämte sich dafür, dass er bis jetzt nicht nach diesem Standard gelebt hatte, also spielte er halbherzig mit. Er hatte schnell die jentyponischen Worte für die gängigsten Manöver und Befehle gelernt. Seine große Erfahrung auf hoher See, ließ ihn sofort erkennen, wie ein Schiff reagierte, nach dem ein spezieller jentyponischer Befehl erfolgt war. Und so war er in der Lage die Stimmung an Bord noch weiter anzuheizen und das ohne große Intrigen oder der gleichen, einfach entspannt von seiner überfüllten Gefängniszelle aus. Das ging am leichtesten, wenn er das Schiff unter sich vibrieren spürte, dann wusste er genau, dass die kleine alte Fregatte zu nah am Wind war und den großen Kräften nicht mehr standhalten wollte. Dann rief er mit seiner lautesten Kapitänsstimme einen Befehl, dessen Ausführung die Situation für das Schiff noch verschlimmerte.
Doch auch wenn Choyon ihn mit seinen intensiven Blicken dazu auffordern wollte, den Schabernack an diesem Nachmittag weiter zu treiben, hatte Daiv nach den langen Stunden an Deck nicht mehr wirklich Lust darauf, die armen jentyponischen Burschen in Schwierigkeiten zu bringen. Er bahnte sich seinen Weg zu dem vergitterten Tor, was nicht schwer war, denn die anderen Chorr in der Zelle, machten ihm so viel Platz wie möglich. Sie wahrten weiterhin den gebührenden Respekt, der einem Kapitän der lituolischen Flotte zustand.
Dort lehnte er sich gegen das kühle Metall und begann leise zu summen. Seine zuversichtlichen Lebensgeister waren auch an dieser Ecke der Zelle nicht zu finden. Doch als er seine Arme durch die Gitterstäbe hängen ließ und sich dabei, wie ein nasser Sack fühlte, begann er langsam zu realisieren, dass neben der Scham, die er wegen dem Verlust der Carinya verspürte, auch großes Heimweh nach Ahnahn in seinem Herzen regierte. Das Summen schwoll nun an und wurde lauter. Er stimmte einen von den Chorr geschätzten Kanon an, dessen Text auf typische Chorr Art, keinen wörtlichen Sinn ergab. Es war ein Lied mit langen, getragenen Silben, die rhythmisch Gefühle ausdrückten, doch keine Worte. Die Nirin hatten diese Art des Gesangs erfunden und es war ein sehr klassischer Weg, um sich auf hoher See mit anderen Schiffen zu verständigen, da der Wind Worte so und so verschlucken würde und nur hohe Töne weit getragen wurden. Und Chorr verdankten es ihren Vorfahren, von allen Bewohnern Perunas die besten Voraussetzungen zu besitzen, lange auf- und abschwellende Töne zu halten. Ihre Lungen waren dafür gemacht, besonders viel Luft zu speichern und so stellte sich ihre Art zu singen, als fast unnacharmbar für den Rest der perunianische Völker da.
Auch jedem jentyponischen Matrosen wurde sofort bewusst, wie beliebt das Lied war, das Daiv angestimmt hatte, denn es dröhnte plötzlich aus allen Ritzen und Abgängen von der Brig bis auf das Vordeck. Fast alle Chorr Gefangenen stimmten mit ein, was das Schiff beinahe zum Vibrieren brachte. Auch wenn dieses Phänomen erst viel später von der modernen Wissenschaft bewiesen werden würde, wussten die Chorr unter Deck des Gefangenentransporters Echino, in diesem Moment doch schon genau, wie sich ihre Herzschläge synchronisierten und sie sich alle untereinander und mit ihrem Heimatland verbunden fühlten.
Angst war die Reaktion der Jentyponier auf dieses Schauspiel, denn sie verwendeten Musik in diesem Kontext nur um Angriffe zu koordinieren. Es hielt sich außerdem unter den südlichen Völkern Perunas hartnäckig der Aberglaube, dass die Chorr ihren Gesang dazu verwendeten, um die native Bevölkerung in Sümpfen, auf hoher See und an Flüssen so zu verwirren, dass sie die Orientierung verloren und die Chorr sie dann ertränken konnten. Doch diese Reaktion war völlig überzogen, denn das Lied war ein Ausdruck der Verbundenheit. Mit den Vorfahren der Chorr und dem neuen Land, das die erobert hatten. Daiv verstand die Bedeutung des Liedes natürlich und genoss die Hochstimmung, die ihn plötzlich erfüllte. Ein Ständchen über seine Heimat zu summen änderte nichts daran, dass er die Carinya verloren hatte, oder dass er als Kriegsgefangener seine Tage in einer winzigen, stinkenden Zelle verbringen musste. Die Schuldgefühle konnte man nicht wegsingen. Doch dieses Lied ließ ihn für einen Moment wieder Hoffnung schöpfen, vor allem durch die Resonanz unter Deck, die vermuten ließ, wie viele Chorr hier unten, auf einen Befreiungsschlag warteten. Vielleicht würden sie es alle gemeinsam schaffen, die Echino zu übernehmen.
Sie kamen jedoch nicht weit, weder mit ihren Vorstellungen über eine Rückreise nach Lituolien, noch in den Strophen des Liedes, denn der Quartiermeister erschien persönlich unter Deck, nur einige Minuten, nachdem die Chorr mit ihrem Gesang begonnen hatten. Er marschierte direkt auf Daivs Zelle zu und öffnete diese, unter großem Protest und Beschimpfungen der Chorr, doch er ließ sich davon nicht von seiner Mission abbringen. Mit seinem Knüppel, schlug er ein zwei Mal gegen die Gitterstäbe, um Beschwerden zu unterbinden und packte, wohl nicht zufällig, Daiv dann am Unterarm.
Der ehemalige Kapitän wurde nach draußen gezogen und unsanft geschüttelt. >Kein Geschwafel, kein Gesinge!< verordnete der Quartiermeister in auffällig gebrochener Gemeinsprache und ließ seinen Blick dabei in jede Ecke der Zelle fallen. Dort funkelte ihm erboste Chorraugen entgegen, keiner der Gefangenen war davon begeistert gewesen, dass man sie unterbrochen hatte und dass ihr Kapitän so grob angefasst wurde. Auch Daivs Gesichtsausdruck hatte etwas stolzes, trotziges in seinen Zügen, selbst als der Chorr in die Obhut der beiden Seesoldaten gestoßen wurde, die zusammen mit dem Quartiermeister unter Deck gekommen waren. Sie packten den Chorr unbarmherzig grob und schleppten ihn nach oben an Deck.
Daiv konnte nicht bestreiten, dass er dieses mal den friedlichen Protest unter Deck angestachelt hatte und wehrte sich deshalb nicht, als er vor den Mast geführt wurde. Sie wussten ja alle schon, dass er der gefallene Kapitän der Carinya war, der höchstrangigste Taugenichts auf diesem Schiff und es war für den Quartiermeister immer wieder eine Freude, an Daiv, im Namen seines eigenen Kapitäns, ein abschreckendes Beispiel zu setzen. Die Chorr schienen sich jedoch nicht abschrecken zu lassen. Sie wurden nur noch weiter zum Ungehorsam angestachelt, wenn sie sahen, wie Daiv bestraft wurde und so entwickelte sich schnell ein wirrer Kreislauf an Züchtigung und darauf folgendem Trotz.
Doch die Chorr waren nicht die Einzigen, die regelmäßig bestraft wurden. Daiv hatte einen erste Reihe Zuschauerplatz auf den letzten Jentyponier, der zitternd und halb bewusstlos vom Mast geschnitten wurde, um in einem fliegenden Wechsel, für den Chorr Platz zu machen. Es war eine gängige Bestrafungsmethode für kleinere Vergehen, für einige Stunden bis Tage, nackt an den Mast gebunden zu werden und dort Wind und Wetter ausgesetzt zu sein. Auch Daiv ereilte dieses Schicksal nun, der jentyponische Kapitän hatte wohl genug von seinen Späßen und erhöhte sein Strafmaß erheblich, mit einer Sanktion, die für die Kälte empfindlichen Chorr, besonders unangenehm war.
Seiner Kleider entledigte sich Daiv jedoch resignierend und wie er hoffte würdevoll. Die hauchdünnen Fetzen, die man ihm zum Anziehen gegeben hatte, wären zu seinem Schutz vor der Kälte, so und so nicht hilfreich gewesen. Er versuchte einen gewissen Stolz an den Tag zu legen, als seine Hände nach hinten gezogen wurden und er mit offenen Schultern der peitschenden See entgegen, an den Mast gebunden wurde. Die beiden Seesoldaten, die ihm nun auch die Beine fesselten und ihn fest verschnürten, schienen jedoch so routiniert in ihren Handbewegungen, dass sie seinen trotzigen Stolz gar nicht mehr wahrnahmen, so schnell waren sie mit der Arbeit fertig und beeilten sich zurück unter Deck, wo sie wahrscheinlich ein Glas Grog erwartete. Der Quertiermaster schüttelte noch einmal mit verachtendem Blick den Kopf und sagte über die Schulter hinweg, als er bereits den beiden Seesoldaten folgen wollte >Jetzt hältst du vielleicht endlich einmal den Schlapfen.< und damit war die Sache für alle Beteiligte erledigt und Daiv verblieb alleine an den Mast gefesselt.
Er biss die Zähne zusammen. Seine kaputte Leinenhose und das nach Kartoffelsack riechende Hemdchen, die von den Seesoldaten mitgenommen worden waren, hätte er jetzt doch plötzlich noch gerne am Leib gehabt, auch wenn sie das Auskühlen seines dünnhäutigen Körpers, nur minimal verlangsamt hätten. Für mehr Gedanken, hatte Daiv im Moment noch keine Kapazität, er verfluchte die erste Stunde seines stummen Martyriums lang, einfach kontinuierlich den beißenden Wind und den Nebel, der immer wieder um ihr Schiff getrieben wurde und sie völlig einhüllte. Doch als die Kälte und Nässe, seine Lippen blau und seine Pobacken schließlich taub zurück ließen, erspähte Daiv den Kapitän der Echino an Deck kommen und das ließ ihn endlich einen neuen Gedanken fassen.
Kapitän Aldrickt Reydi Shwimmer. Ein verbitterter Mann, der anscheinend nur Freude in seinem kalten Herzen empfand, wenn er Gefangene und straffällige Matrosen, an den Mast gebunden sah. Kapitän Aldricks Gesicht hellte auf, als er während seiner Runde über das Deck, den Blick über Daivs bibbernde Gestalt streifen ließ und ein verachtendes Lächeln ließen seine Mundwinkel sich fast katzenhaft verziehen. Der Chorr hielt seinem Blick stand, er funkelte zurück, mit plötzlich neu entdeckter Wut. Auf dem Piratenschiff der Zabuyeli Schwestern, hatte man Daiv mit Respekt behandelt und ihn wie einen Gast betrachtet. Es war der übliche Anstand, den man einem anderen Kapitän entgegen brachte, schließlich verband man mit den meisten anderen Bewohnern der hohen See, eine unverkennbare Abenteuerlust und eine Würdigung für das Handwerk der Seefahrt. Eine Liebe für Wellen und Wind und das Singen der Seegel. Es spielte also keine Rolle, wenn man zufällig unter gegnerischer Flaggen zur See gestochen war, man konnte einander trotzdem Wertschätzung entgegen bringen. So viel Wertschätzung sogar, dass es Daiv bei den Zabuyeli Schwerstern sogar schwer gefallen war, sich überhaupt auf die Trauer über die Carinya zu konzentrieren. Auf seine eigene Scham über deren Verlust.
Doch zwischen ihm und Kapitän Aldrickt Shwimmer schien keine solche Verbindung zu bestehen, dieser liebte wohl weder die See, noch seine Mannschaft. Aber wenn Daiv seine abstoßenden Gefühle, dem Jentyponier gegenüber, analysierte, dann erkannte er schnell, dass er Kapitän Aldrickt keine weitere Macht mehr über ihn geben wollte. Er hatte sich während den langen, kalten Tagen auf der Echino verändert, das spürte er nun. Vielleicht war es nicht Choyon gewesen, der aufgegeben hatte, sondern er selbst. Also wollte er diesen Vorgang stoppen, wollte sich wieder finden. Er lächelte schief zurück.
>Danke, Kapitän Shwimmer, dass Ihr mich heute von einer weiteren Schicht Matrosenarbeit entbunden habt.<
Eigentlich war es der Mannschaft und Gefangenen verboten, einen Kapitän anzusprechen, wenn man nicht das Wort durch eine ausdrückliche Erlaubnis erteilt bekommen hatte. Zumindest war das auf den Chorr Schiffen so der Fall, auch wenn Daiv auf der Carinya, dieses Recht des Kapitäns, nie eingefordert hatte. Doch der Chorr ließ sich seinen Rang nicht mehr auf das Niveau eines einfachen Gefangenen degradieren. Er war Kommodore gewesen und Kapitän Shwimmer hatte nicht das Recht dazu, so zu tun, als könnte er sich damit rühmen, die Carinya versenkt und Daiv Delan gefangen zu haben. So hatte es sich schließlich nicht zugetragen.
Kapitän Aldrickts Blick zuckte zurück zu seinem Gefangenen und sein Lächeln machte einem strengen Runzeln seiner buschigen Augenbrauen Platz >Ferkelige Chorr.< spuckte er mit leiser, raspeliger Stimme und tiefem jentyponischen Akzent >Selbst in solch einer Position, verstehen sie nicht, in welch erniedrigenden Lage sie sich befinden.<
>Ich wüsste nicht, wofür ich mich schämen sollte!< entgegnete Daiv mit einem Zwinkern, stand mit einem mal wieder gerade da und spannte seine Muskeln präsentierend an, so gut das eben ging. Die Kälte wich aus seinen starren Wangen, denn die plötzliche Wut wärmte ihn von Innen >Wir Chorr nennen diese Art der Bestrafung 'Freiluftbuffet'.<
>Wenn Ihr diese lustige Überfahrt bereits als Urlaub von der Front anseht, dann kann ich mir gar nicht vorstellen, welchen Spaß Ihr haben werdet, wenn wir erst einmal in Jentyponien angekommen sind, wo es an jeder Ecke an Männern fehlt. Auf den Feldern, in den Mienen, beim Trockenlegen unserer eiskalten Sümpfe im Süden und bei der Produktion von Stahl für den Krieg. Da werdet Ihr schamlosen Chorr, vor Vergnügen Jauchzen.< seine Stimme war noch immer leise, doch sie schien vor Gift zu triefen. >Vielleicht solltet Ihr die nächsten Stunden dafür verwenden, über diese Perspektive nachzudenken. Ihr habt bis zum Morgen Zeit, um euch zu entscheiden, wie Ihr Euch auf der restlichen Reise auf meinem Schiff verhalten wollt. Ob all die Späße mit falschen Befehlen und dummen Lieder tatsächlich wertvoll für Euch sind. Wer weiß, vielleicht bekommt Ihr ja plötzlich das Gefühl, dass Ihr Eure Kräfte während der Überfahrt doch etwas schonen möchtet, damit Ihr in Jentyponien Euer volles Potential entfalten könnt.<
Daiv gefiel diese Drohung ganz und gar nicht. Als Zwangsarbeiter in Jentyponien würden seine Chorr gewiss viel Leid erfahren, vor allem da dort unten im Süden, sowohl Land als auch Leute gegen sie eingestellt waren. Doch er versuchte den alten Daiv zurück ins Spiel zu bringen und so lächelte siegessicher >Gut! Ich war schon besorgt, dass ich mich bald tatsächlich schämen muss. Hier auf dem Schiff gibt es nämlich nicht viele Möglichkeiten, meine Muskeln vor dem Abbau zu beschützen. Ich freue mich schon auf die körperliche Ertüchtigung.< er zog seine Augenbrauen auffällig hoch und ließ sie schnell wieder fallen.
Der jentyponische Kapitän fand keinen Humor in dieser Aussage >Wie schön, dass wir Euch da behilflich sein können. Doch schon bald wird Euch der Schmäh ausgehen, Kapitän Delan. Bald wird selbst das Sprechen zu schwer für Euch sein. Und die Sucht danach, das letzte witzige Wort zu bekommen, wird dem Drang zu Überleben weichen.<
>Kommodore Delan.< korrigierte Daiv schmunzelnd und Kapitän Aldrickt wandte sich angewidert wirkend ab.
Der Chorr beobachtete ihn noch eine Weile, wie er seine Runde an Deck drehte, versuchte durch den Nebel zu spähen und sich nach ihrer Position erkundigte. Eine andere Beschäftigung hatte Daiv im Moment nicht und als Kapitän Shwimmer wieder in seiner Kajüte verschwunden war, blieb dem Chorr nichts mehr anderes übrig, als über die Zukunft nachzudenken und mit dem Offizier der Wache zu flirten. Das erste war schwer, das zweite kinderleicht.
Sein Ziel war ihm völlig klar. Eine neue Art des Tatendrangs trieb ihn zu seinem Entschluss, denn er wollte verdammt sein, würde er es nicht schaffen, seinen Ruf in das Gegenteil umzukehren und als Kommondore Daiv Delan, Kapitän der Carinya und Eroberer der Neal Inseln, in die Geschichte einzugehen. Doch ob eine Meuterei tatsächlich erfolgreich sein würde, so wie Choyon meinte, war das schwierig abzuschätzende mögliche Ergebnis.
Vier Glasen, nachdem Kapitän Shwimmer das Deck wieder verlassen hatte, holte das gewohnte Anschlagen der Glocke, Daiv aus seinen Gedanken. Die Nachmittagswache würde sich bald mit der Abendwache abwechseln und er hätte jentyponisches Frischfleisch, um seine Späße zu treiben, aber noch immer keine Lösung. Er hob müde seinen Schweren Kopf, sein schiefes Lächeln war auf seinem Gesicht eingefroren. Im schwächer werdenden Licht der untergehenden Sonne, konnte Daiv seinen angestrengten Atem in schnell kondensierenden Wölkchen verschwinden sehen. Die letzten Sonnenstrahlen waren also einen Moment lang, aus dem Nebel ausgebrochen und trafen wärmend auf seine unterkühlte Haut, doch nur gerade so lange, um ihn daran zu erinnern, wie sich die Wärme einer Berührung eines Liebhabers anfühlen würde. Denn schon einen Moment später, schob sich ein eigenartiger Schatten zwischen ihn und seiner ersehnten Wärme.
Zwischen den Nebelbänken, genau im Westen, war ein Schiff in Sicht gekommen. Auch der Ausguck über ihm hatte anscheinend einen flüchtigen Blick darauf werfen können, zumindest rief er etwas in jentyponisch aus dem Krähennest, was Daivs Atem zum Stocken brachte. Er hatte sich die Silhouette also nicht eingebildet. Verhaltene Nervosität war unter den Offizieren der Wache zu beobachten, ein Zögern, das Daiv noch gut von seinen Ausfahrten mit der Carinya kannte. Dieses Schiff konnte alles mögliche sein. Verbündeter, Feind, oder unbeteiligter Händler, der aus Ilazien nach Kiwandra wollte. Für genauere Aussagen war das Schiff noch zu weit entfernt und als Daiv seinen Blick von den Offizieren nahm und versuchte noch etwas von ihrem Verfolger zu erkennen, hatte der Nebel bereits all seine geheimen Mitreisenden wieder zugedeckt.
Die Jentyponier diskutierten und schickten schließlich den dienstjüngsten, schwächsten Offizierleutnant in die Kajüte des Kapitäns, um Meldung zu machen. Nachdem dieser, nur wenige Momente später, alleine wieder an Deck trottete wurde ersichtlich, dass sich Kapitän Shwimmer offensichtlich dazu entschieden hatte noch abzuwarten. Daiv wollte das selbe tun.
Die Nachmittagswache wechselte mit der Abendwache, bevor der Chorr das Schiff schließlich wieder zu Gesicht bekam und in der voran geschrittenen Dunkelheit, war es noch schwerer zu erkennen, auch wenn sich der Nebel nun endlich aufgelöst hatte. Was zu sehen war, verdutzte Daiv aber ein wenig. Das Schiff bewegte sich komisch, es schlenkerte in einer unnatürlichen Weise, als hätte man ein Küstenschiff ohne Bedenken auf hohe See geschickt. Die unsymmetrische Bauweise war genauso auffällig wie sie in Daivs Erfahrung unbekannt war und ließ ihn sich weiter wundern, wer sie da verfolgte.
Langsam, Stunde um Stunde, kam es jedoch trotz der Kursänderungen durch Kapitän Shwimmer, trotz Dunkelheit und seine seltsame Bauweise, immer näher. Es hatte alle Segel gesetzt und wer auch immer dieses ungewöhnliche Vehikel kommandierte, wusste anscheinend genau, was man aus dem seltsamen Ding herausholen konnte. Fast um fünf Glasen der Nachtwache, entschied Kapitän Shwimmer schließlich, dass es sich bei ihrem Verfolger wahrscheinlich um einen Gegner handelte und ließ das Schiff sicherheitshalber für ein Gefecht vorbereiten.
Die unerfahrene Mannschaft empfing diese Befehle mit Entsetzen, doch für Daiv bedeutete dieser Umstand einen großen Gewinn. Er wurde endlich von seinem Mast entbunden und mit einer schmutzigen Decke bedeckt, auf seinen Abstieg zurück unter Deck vorbereitet. Er hatte Mühe dabei seine Beine zu finden und sein Hals fühlte sich ausgetrocknet und wund an, doch er war dennoch bester Laune und voller Zuversicht. Jetzt musste etwas geschehen, jetzt änderte sich sein Schicksal, das spürte er, denn nur ein lituolisches Schiff, konnte im Moment eine Bedrohung für die Echino darstellen. Die Rettung ist nah, dachte er, als er, durch einen Seesoldaten gestützt, den Abstieg zu der Brig auf sich nahm und dabei neben der Treppe, für einen Moment das lose Schloss der Vorratskammer bemerkte.
Ohne lange zu überlegen, Folgte er seinen inneren Stimmen und simulierte einen Schwächeanfall, mit dem er sich gegen die Tür der Vorratskammer fallen ließ. Mosai muss mich lieben, schoss es ihm durch den Kopf, als er das Schloss unter seinem Gewicht weggedrückt, von der Tür fallen sah, er leitet meine guten Einfälle. Es wird etwas passieren. Er lässt etwas passieren.
Der Seesoldat half Daiv grob zurück auf die Beine und registrierte anscheinend gar nicht, dass die Tür zur Speisekammer nun nur noch leicht angelehnt war und die nervöse Besatzung plötzlich freien Zugang zu den gesamten Rum- und Weinvorräten des Schiffs hatte. Daiv musste ein aufgeregtes, schwindeliges Auflachen unterdrücken, als er vorwärts stolperte und erkannte, dass der Seesoldat zu sehr damit beschäftigt war, schnell zurück zu seinem Posten zu gelangen, als sich über seine Nachlässigkeiten Gedanken zu machen und er begegnete Choyon mit einem tränennassen, wirren Grinsen auf dem Gesicht, als er zurück in ihre Zelle gesteckt worden war.
>Es passiert, Choyon!< informierte er das Mitglied der Weißen Klingen >Da draußen ist ein Schiff von uns. Die Besatzung wird ein Gefecht verweigern und eine Meuterei anzetteln. Unser Schiff wird die Echino im Handstreich nehmen!<
Sein ehemaliger erster Offizier sah Daiv an, als wäre dieser wahnsinnig geworden >Kommodore. Welches Schiff? Wir sind bestimmt schon lange in jentyponischen Hoheitsgewässer eingedrungen. Wer würde sich von uns hier her trauen, um einen Gefangenentransporter zu überfallen?<
>Ein verrückter Hund, auf alle Fälle!< kommandierte Daiv wild grinsend und rieb sich die bibbernden Oberarme. Das er diesen verrückten Hund insgeheim in Gedanken, mit der beliebten Romanfigur Vatan der Chorr Pirat verglich, behielt er lieber für sich. >Mosai hat dich und mich gesegnet. Dieser Plan wird klappen!<
>Euer Enthusiasmus ist erfrischend.< antwortete Choyon, nachdem er einen Moment lang nach einer diplomatischen Antwort gerungen und vorsichtig versuchte hatte, Daiv Wärme zu spenden >Doch wir wissen noch immer nicht, was nach der Meuterei passiert. Was wenn wir dennoch gegen die jentyponischen Besatzung kämpfen müssen?<
Daiv legte seinem ehemaligen ersten Offizier einen zitternden Finger gegen die Lippen und grinste zuversichtlich >Mosai wird sich darum kümmern.<
Choyon seufzte und befahl den restlichen Chorr in der Brig etwas für den Kommodore zum Anziehen zu finden, während sich Daiv müde doch glücklich lächelnd, auf einen feuchten Strohsack setzte. Warten war nun angesagt.
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