10.4. Jaeho
(Bild: Jaeran von Minzka)
Nachdem alle verstaut waren und er seinen beiden Cousins eine gute Nacht gewünscht hatte, gesellte sich Jaeran zu Jaeho in den Wohnbereich vor den Kamin. Der Jüngere der beiden sah tief in das Feuer des Kamins, doch blickte auf, als sich der Fürst von Minzka neben ihm fallen ließ >Ich dachte du würdest dich bei Fürst Jaesore im Zimmer der Fürstin irgendwo zusammen rollen und schlafen.< raunte Jaeho und klang dabei müde.
>Das selbe hatte ich über dich vermutet.< gestand ihm Jaeran, der sich in seinem Sessel zurück lehnte, und die Füße dem Kamin entgegen streckte, sein weißes Schwert dabei auf seinen Knien ruhend >Ich weiß nicht ob ich hier schlafen kann. Diese Burg ist wie eine zweite Heimat für mich, doch sie ist mir auch so fremd, jetzt da mich hier niemand mehr erwartet.<
Jaeho wandte den Blick wieder dem Feuer zu und er kaute kurz auf seiner Unterlippe herum >Ich kann nicht schlafen, solange wir nicht mehrere Kilometer zwischen uns und den Rest dieser Fürsten gebracht haben.< gestand er >Das Wache halten macht mir nichts aus und von hier habe ich alle Türen gut im Blick.<
Er konnte Jaerans warmes Lächeln nicht sehen, doch er wusste das es da sein musste. >Du musst müde sein. Wir können uns die Wache teilen. So wie früher.<
Jaeho schüttelte den Kopf >So wie früher, als wir uns die Wache nie geteilt haben, sondern den jeweils anderen immer schlafen gelassen haben, weil wir einander aus Sturheit und Fürsorge nicht aufwecken wollten? Und uns somit regelmäßig die ganze Nacht um die Ohren geschlagen haben? Bis es zu einem Punkt kam an dem der Schlafende auch nicht mehr geschlafen hat, um ja nicht zu verpassen, den anderen dabei zu erwischen, wie er ihn nicht nach dem Ablauf der Zeit aufweckt hat?<
Der Fürst von Minzka lachte peinlich berührt auf >Das haben wir früher gemacht? Verdammt, ich dachte, dass mir diese geniale Idee erst jetzt gekommen wäre.<
>Nein, das war auch schon früher deine Strategie. Bis wir beide uns darauf geeinigt haben, dass wir selbst fürs Wache halten zu umständlich sind. Doch mir macht es nichts aus aufzubleiben.< fügte Jaeho mit ernster Miene hinzu und hob erst jetzt wieder den Blick, um Jaeran anzusehen >Ich bin schließlich ein Geschöpf, dass nur zwischen Abendrot und Morgengrauen existieren kann.<
Jaeran hielt seinem Blick stand und seine Züge wurden weicher. Obwohl der Fürst von Minzka bereits über dreißig Jahre alt war, hatte sein Gesicht eine jugendliche Frische, um die man ihn nur beneiden konnte. Er war so anders als Jaeho, der mit seinen Mitte zwanzig bereits ein Auge und zwei Beine verloren hatte.
Ein warme Lächeln brach Jaerans Stirnrunzeln abermals auf, als hätte er einen Moment dazu gebraucht, etwas gutes zu finden, was er antworten konnte >Weißt du, nur weil Jaetru das immer wieder zu dir sagt, muss das nicht stimmen.<
Jaeho ließ den Blick wieder sinken, er konnte die Herzlichkeit seines alten Freundes nicht ertragen, doch sehnte sich dennoch danach, wie nach dem Licht der Sonne, das ihn noch immer blendete, nachdem er so lange in den Katakomben von Vijen gelebt hatte. Er dachte an den altbewährten Reisemantel von Jaeran, mit den silbernen gestickten Hirschen, die in ihrer Krone die ganze Sonne trugen, den er Jaenun um die Schultern gelegt hatte und in dem der Junge nun wohl schlafen würde. Er war dick genug um in einer Frühlingsnacht, wie dieser, den Träger schön warm zu halten, das wusste Jaeho aus Erfahrung. Die Sonne passte zu dem Fürsten von Minzka.
Er verstand auch, was Jaeran ihm sagen wollte. Auch wenn er sehr fürsorglich mit jüngeren umging, hatte Jaeran doch nicht immer Verständnis für Jaetrus Handeln und er wollte Jaeho dazu auffordern, dass er dem kleinen Kontrollfreak nicht immer alles gleich verzieh und das selbe galt auch für die Dinge die Jaenun ihm angetan hatte, aber auch für das Leid, an dem Jaeran verantwortlich gemacht werden musste.
Doch Jaeho brachte es nicht übers Herz jemandem lange böse zu sein, besonders nicht Jaeran. Natürlich hatte er vor zwei Jahren, in der Nacht in der er sein Auge verloren hatte, darauf gehofft, dass Jaeran kommen und ihm helfen würde. Und selbstverständlich hatte er ihm Nachrichten und Spuren hinterlassen, denen der Ältere nur folgen hätte brauchen, um ihn in den Katakomben von Vijen zu finden. Er hatte lange darauf gehofft, dass Jaeran kommen würde, um ihn heraus zu holen und ihn vor Jaetrus Assassinen zu beschützen, schließlich war er der Held der Jae. Doch er wusste, dass Jaeran die Botschaften zwar erhalten, doch ignoriert hatte und es war für ihn auch völlig klar gewesen, warum der Ältere so gehandelt hatte. Er wollte ihm dafür nicht böse sein.
>Jaetru ist nur im Moment ein wenig angefressen.< murmelte er und starrte weiter in das Feuer, auch wenn seine Wangen von der Hitze schon ganz rot waren >Das kommt von der Anspannung, da reagiert er immer etwas gröber auf andere. Aber irgendwann wird auch er lernen, dass die Welt sich niemals an seine perfekten Pläne halten kann. Man wird immer wieder enttäuscht.<
Er wusste, dass Jaerans Blick auf ihn gerichtet war und er hasste, dass er so bitter wirkte. Sie hatten sich jetzt über drei Jahre nicht mehr gesehen, da sollten sie doch über etwas anderes reden können als Jaetru. Er ärgerte sich ein wenig darüber, dass er immer die Stimmung vermieste.
Er wollte nicht mehr über die Vergangenheit nachdenken, genau sowenig wie Jaeran. Deshalb wunderte es ihn sehr, dass der Ältere überhaupt nach Vjeja zurück gekommen war. Doch er traute sich nicht zu fragen.
Jaeran würde nur eine pseudophilosophische Antwort geben, die Jaeho nicht ganz verstehen würde, doch wohl akzeptieren müsste. So etwas wie >Nach vier Jahren der Trauer über Jaelamee, muss man jetzt wieder Freude in die Festung tragen. Deshalb bin ich hier.< oder >Ein altes kiwandrisches Sprichwort besagt: Verbundenheit mit den Toten wird durch Freude gelebt. Ich musste früher oder später zurück kommen.<
Solche Aussagen waren durchaus von Jaeran zu erwarten. Und auch wenn sie wenig befriedigend waren, freute es Jaeho doch, das der Ältere schließlich wieder die Kraft gefunden hatte, um einen Fuß in das Reich der Jae und vor allem nach Vjeja zu setzen, egal welche Erklärung es dafür gab.
Jaeran spürte ebenfalls, dass das Thema zu wechseln war. Auch wenn üblicherweise ein wahrer Gewittersturm seine Gedanken durcheinander wirbeln ließ, war er doch sehr empfindlich für Jaehos subtile Stimmungsschwankungen. Also versuchte er es wohl als erstes mit etwas positivem, einem Kompliment, so wie es immer seine Art war >Vielen Dank, dass du auf Jaenun aufgepasst hast. Ich war nicht da um ihn zu beschützen, doch in deinen Händen war er sicher.<
Jaeho lachte >Nun ohne dich hätte ich heute vor den anderen Fürsten alt ausgesehen! Du bist der bessere Beschützer und ich übergebe Jaenun liebend gerne wieder in deine Hände!<
>Ach,< Jaeran wirkte unbekümmert >wenn ich mich recht erinner, war unsere Bilanz immer sehr ausgeglichen. Einmal hast du einen unserer Wettstreite gewonnen, einmal ich. Wir sind ziemlich gleich stark, meinst du nicht auch?<
Jaeho zuckte mit den Schultern >Die letzten Male hast du immer gewonnen und jetzt werde ich deinen Vorsprung nicht mehr aufholen können.< er ließ den Blick auf seine tauben Beine fallen.
>Kommt drauf an, was für einen Wettkampf wir veranstalten.< erklärte Jaeran unvermittelt und strahlte. Auch Jaeho musste daraufhin leicht lächeln, doch das Lächeln erstarb, als Jaeran plötzlich näher rückte >Wir können morgen in der Früh für dich ein Bad aufsetzen lassen, was meinst du? In Jarden habe ich diese neue Massage-Technik gelernt, die die Durchblutung fördern soll! Gemeinsam mit den prickelnden Badesalzen aus Camo und der Hilfe von den zehn guten Silberlicht Geistern, können wir den Heilungsprozess deiner Beine vielleicht anfeuern.<
Fast augenblicklich wollte Jaeho das Angebot ablehnen, der Gedanke wieder einmal bei einem von Jaerans esoterischen Bade-Experimenten mitzumachen, schockierte ihn und dieses mal würde er nicht einmal weglaufen können.
Baden war in seinem Zustand eine unangenehme Sache. Er versuchte es zu vermeiden und holte sich die Hilfe, die er nun dabei brauchte, ausschließlich bei seiner Schwester. Alles andere war ihm zu peinlich, besonders wenn es um Jaeran ging.
>Ich denke nicht, dass das funktioniert.< gestand er und kratze sich verlegen am Hinterkopf >Aber danke für das Angebot.<
Noch unangenehmer als der Gedanke nackt in einer Badewanne vor Jaeran zu sitzen, war der besorgte Gesichtsausdruck, den der Ältere plötzlich an den Tag legte. Jaeho wusste, dass Jaeran genaue Kenntnis darüber hatte, dass er nicht gerne verletzlich vor dem Älteren wirkte, dennoch konnte sich der Fürst von Minzka anscheinend nicht zurück halten und musste das Mitgefühl, dass er empfand deutlich zeigen. Der Jüngere sah sich also dazu gezwungen, seinen Freund wegen seines Zustandes zu beruhigen >Ich werde nie wieder gehen können.< verlautbarte er, doch war schnell dabei hinzuzufügen >Ich bin aber nicht traurig darüber, auch wenn die meisten hier das Gegenteil davon annehmen. Es war ehrlich gesagt eine Erleichterung, als ich Jaenun die Krone übergeben konnte. Ich kann jetzt nicht mehr laufen, also ist jede Verantwortung von mir abgefallen. Ich fühle mich freier und erleichtert dadurch.<
Jaeho war ein Mitglied der Weißen Klingen. Als solches war es ihm untersagt sich zu ergeben, auch seinen Aufgaben gegenüber nicht. Endlich hatte ihn jedoch ein äußerer Impuls eingeholt, der diesen Zwang durchbrochen hatte und vor allem diesem irren Teufelskreis der Vash-Nachfolge, war er dadurch für immer entkommen. Den Vash zu besiegen, vielleicht sogar zu töten, um selbst den Titel zu erlangen, hatte er schon immer für einen sehr problematischen Prozess gehalten.
Jaesore hatte einmal zu ihm gesagt 'Wenn Mitsprache in den Belangen dieses Landes bedeutet, jemand anderen böses anzutun, um die Macht zu erlangen, dann ist die Konsequenz, dass wir uns dadurch rücksichtslose Herrscher züchten.' und er musste dieser Meinung mit ganzem Herzen zustimmen. Es erinnerte ihn an ein Gedicht seines Vaters, der sagte 'Die Tugenden belehren uns nicht, die Sünden sind nun was uns lenkt. Wir sind die Letzten einer Welt, die nie an einen Ausweg denkt.' Beide Männer konnten mit schönen Worten und langen Sätzen wahres ausdrücken. Er jedoch war kein Mann von vielen Worten und so war seine Meinung auch formuliert. Dieses System stinkt.
Nun konnte er sich jedoch zurück lehnen, niemand verlangte nun mehr etwas von ihm, also war auch er jetzt in der Lage dazu, weniger von sich selbst zu verlangen.
Er konnte Jaerans Blick genau lesen, dieser machte sich weiter Sorgen, vor allem schien ihn zu beunruhigen, dass es zu solch einem Unfall hatte kommen müssen, um für Jaeho endlich ein Gefühl von Ruhe zu erzeugen. Doch der Jüngere konnte diese Interpretation seines eigenen Schicksals noch nicht teilen. Dafür war er noch nicht weit genug in seiner Entwicklung. Im Moment wollte er nur, dass die Anderen seinen Zustand mit Gleichgültigkeit hinnahmen, so wie er das die meiste Zeit tat, denn das würde sein Leben erleichtern.
Aber dies war selbstverständlich von seinen, ihn liebenden, Freunden zu viel verlangt. >Hier.< Jaeran kramte in dem Beutel, der an seinem Gürtel hing und holte eine kleine jadegrüne Muschelschale daraus, die er Jaeho auf die offene Handfläche legte >Nimm zumindest das an.<
Im Inneren der Muschelschale befand sich eine dicke Perlmuttschicht, die im Licht des Feuers schillerte.
>Die verschiedenen Farben korrespondieren mit den Farben deiner Aura. Man sagt, das diese Muschel dadurch all deine negativen Gefühle von dir nehmen kann. Und sie schützt auch vor neuen negativen Gefühlen! Bitte trag sie von jetzt an über deinem Herzen!<
Jaeho war kein großer Freund von esoterischen, oder religiösen Bräuchen, doch es schien Jaerans Sorgen zu lindern, wenn er eine schützende Muschel über dem Herzen trug, also würde er diese Bitte wohl nicht abschlagen können. Grundsätzlich war ihm auch egal, wenn man ihn mit solch einem Talisman sehen würde. Ihm war im Moment vieles gleichgültig.
Jaeran strahlte >Ich hab noch etwas für dich!< auch dieses Geschenk, zog Jaeran lächelnd aus seinem Beutel und ließ es in Jaehos Schoß fallen >Pistazien aus Nemuraq!< er klang triumphierend, doch Jaeho teilte seine Begeisterung nicht sofort. Er öffnete das kleine Stoffsäckchen und fand darin eine handvoll kleiner eiförmiger Dinger. Er wusste nicht womit er es hier zu tun hatte.
>Die Schale ist essbar und den Kern spuckst du aus!< instruierte Jaeran, doch runzelte dann plötzlich die Stirn >Oder war es anders herum?< er kratzte sich am Kinn und nahm eine Pistazie aus dem Säckchen >Vielleicht versuchst du die Schale zu essen und ich den Kern und so können wir herausfinden, wie das funktionieren sollte.<
>Wie wäre es, wenn du beides ausprobierst und mich damit in Ruhe lässt?< fragte Jaeho etwas kratzbürstiger als er es vorgehabt hatte. Jaeran lachte >Ich verstehe schon, du Feigsack! Aber wenn ich es mir so ansehe, dann schaut es schon mehr danach aus, als würde man die Schale wegschmeißen!< er löste eine Pistazie aus ihrer Schale aus und warf sich den Kern in den Mund. Kauend streckte er seinen Daumen in die Luft >Jab! Das ist es.<
Jaeho musste lächeln und nahm sich auch eine Pistazie. Nach dem ersten Probieren erkannte er schnell, warum Jaeran diese seltsamen Nüsse als Geschenk angesehen hatte. Sie schmeckten gut und salzig.
>Das liegt an dem Meerwasser, das sie auf die Schalen sprühen.< erklärte der Ältere und nahm sich zufrieden wirkend noch eine. Den Rest ließ er für Jaeho übrig, schließlich hatte er sie extra für ihn aus Nemuraq mitgebracht. Sie knackten und aßen die Pistazien daraufhin stumm. Genauso wie er selbst, war auch Jaeran kein Mann von vielen Worten, auch wenn er gerne das Gegenteil behauptete.
Doch sie mussten auch nicht viel sagen, um einander zu verstehen. Jaeran hatte sich zu ihm gesetzt, das war alles was Jaeho brauchte um die Nachricht des Älteren klar und deutlich zu hören.
Ich mag dich.
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