Prolog
Laura
Mein Fuss traf auf die Wasserpfütze und spritzte das Wasser in alle Richtungen davon, während die anderen sie umgingen.
"Mist", stiess ich aus, als das kalte Nass in meinen Schuh eindrang. Ich hüpfte auf dem anderen Bein zur nächsten Strassenlaterne, an der ich mich abstützte und schüttelte meinen Fuss, in der Hoffnung, dass er so entweder schneller trocknen würde oder dass wenigstens das unangenehme Gefühl aufhörte. Ich schauderte kurz und verzog mein Gesicht. Nasse Socken fühlen sich schrecklich an.
"Oh, hast du die Pfütze nicht gesehen?", fragte Michael und sah zu mir.
Ich liess von der Laterne ab und lief schnell zu Michael, David und Sophie herüber, die angehalten hatten, um auf mich zu warten. Als ich bei ihnen ankam, gingen wir weiter. Wir verliessen das Licht der Laterne, bei der ich mich abgestützt hatte und hielten auf die nächste Lichtquelle zu, während wir dem Weg folgten, der sich zwischen den Häusern hindurchschlängelte.
"Nein, ich habe sie nicht gesehen. Sonst wäre ich wohl kaum hineingetreten", antwortete ich.
"Sorry", murmelte er und sah mit schlechtem Gewissen zu Boden.
"Wieso entschuldigst du dich? Es ist nicht deine Schuld. Ich habe die Pfütze nicht gesehen", sagte ich, während wir weiterliefen.
"Entschuldigung... äh, Sorry... nein, ich meine... Sorry... ähm, was auch immer", stolperte Michael über seine Worte und sah weiterhin zu Boden.
"Wie fandet ihr den Film?", fragte ich, um von der Situation abzulenken.
"Er war grossartig", schwärmte Sophie. "Habt ihr die Schwertkämpfe gesehen? Die waren grossartig und auch so realistisch. Natürlich war das ganze choreographiert, aber so gut will ich auch einmal sein."
"Nicht nur du, ich auch", erwiderte ich und grinste sie an. "Wir sollten diesen Film bei den nächsten Fechtstunden definitiv weiterempfehlen."
"Aber sowas von", bestätigte Sophie.
"Die Special Effects haben mich sehr überrascht", fand Michael. "Ich habe nicht erwartet, dass sie so gut aussehen."
"Stimmt, das hat mich auch überrascht", sagte David, der neben Michael lief. "War ziemlich atemberaubend. Und der Soundtrack war auch hervorragend"
"Oh, auf den habe ich jetzt gar nicht wirklich geachtet", antwortete Michael und sah schräg nach oben, als er versuchte, sich an die Filmmusik zu erinnern.
"Ich auch nicht. Ich habe eher darauf geachtet, was man sehen kann", gab ich zu und sah entschuldigend zu David. Er ist grosser Fan von Filmmusik und redet sehr gerne darüber, aber der Rest von uns achtet häufig nicht wirklich darauf, weshalb wir leider nicht sehr viel zu diesem Thema beitragen können.
"Ich habe mich dieses Mal ein bisschen darauf geachtet", sagte Sophie. "Er war definitiv nicht schlecht."
Wir liefen um eine Ecke und kamen nun in eine dunkle Gasse, in der die meisten Lampen allem Anschein nach kaputt waren. Michael schauderte und zögerte kurz, lief dann aber weiter. In der Dunkelheit war ihm immer etwas mulmig. Den anderen und mir auch, aber nicht im gleichen Ausmass.
"Ich muss mir dringend angewöhnen, immer eine Taschenlampe dabeizuhaben", murmelte er, wobei ich mir nicht sicher war, ob er es nur zu sich selbst sagte oder nicht. Wir beschleunigten unsere Schritte, um zur nächsten Gasse zu gelangen, bei der es hoffentlich wieder etwas heller wäre.
Als wir zur einzigen Lampe kamen, die die Gasse wenigsten ein bisschen erhellte, traten uns plötzlichen zwei Jungen in den Weg und wir blieben stehen. Sie schienen 13 zu sein, also etwa zwei Jahre älter als wir. Beide hatten sehr schadenfreudige Gesichter und traten näher an uns heran, weshalb wir einige Schritte rückwärts gingen.
"Sieh an, sieh an. Wen haben wir denn da?", fragte einer der beiden in einer sehr überheblichen Stimme und kicherte dann. Plötzlich kreischte Sophie und wir fuhren herum. Sie war rückwärts in einen dritten Typen hineingelaufen, der sich plötzlich hinter uns befand. Sie wich vor ihm zurück, aber er packte ihr Handgelenk und hielt sie fest.
"Au, lass los, du tust mir weh!", rief sie und schlug mit ihrer freien Hand auf seinen Arm, aber der Junge drehte lediglich ihr Handgelenk nach oben und zwang sie mit einem schmerzhaften Ausruf in die Knie, als er dann nach unten presste.
"Lass sie los, jetzt!", verlangte ich mit wütender Stimme, aber er reagierte nicht.
"Aber, aber, so redest du doch nicht mit meinem Freund", sagte einer der beiden anderen und trat näher an mich heran. Ich machte unfreiwillig einen Schritt zurück und er grinste erneut. Die ganze Sache schien ihnen eine Menge Spass zu machen.
"Lasst uns in Ruhe!", schaltete sich nun David ein, der seine Arme verschränkt hatte und überraschend ruhig aussah.
"Genau, geht einfach weg", fügte Michael hinzu, der diesen Satz allerdings nur mit einem hohem Quietschen herausbekam und im Gegensatz zu David sehr nervös aussah und leicht zitterte.
Der dritte Junge sah zu ihnen.
"Wir wollen euch aber nicht in Ruhe lassen. Wir wollen Spass haben und euren Tag ruinieren", sagte er und ging zu ihnen. David trat vor Michael, um ihn zu decken, aber dieser machte einen Schritt zur Seite. Er hatte zwar Angst, aber er wollte seinen Freund in dieser Situation nicht zur alleinigen Zielscheibe machen. Und zu zweit hätten sie immer noch bessere Chancen, als alleine. Was das auch immer in dieser Situation helfen würde. Der Junge sah, wie ängstlich Michael war und lachte. "Was für ein Weichei", meinte er und die anderen beiden Jungen, die zu ihm rübersahen, lachten ebenfalls, während Michael seinen Kopf einzog und sein Gesicht abwandte.
"Lasst ihn in Ruhe!", rief ich und sah mich in der Gasse um. Vielleicht gab es irgendein Objekt, mit dem ich mich bewaffnen könnte.
"Jetzt lässt du dich schon von einem mickrigen Mädchen verteidigen", sagte der dritte Typ und warf seine Hände theatralisch in die Höhe. "Was ist nur aus dieser Welt geworden? Wie wär's, wenn mein Kumpel deine 'ach so tapfere' Verteidigung zusammenschlägt?"
"Lasst meine Schwester in Ruhe!", fuhr Michael ihn nun überraschend wütend an und sprang auf ihn zu, gefolgt von David, dem es nun ebenfalls zu viel wurde. Der Typ reagierte schnell und trat Michael in den Magen und schlug danach David gegen den Brustkorb, woraufhin beide zu Boden stürzten.
"Michael", rief ich erschrocken aus und versuchte, zu ihm zu rennen. Aber derjenige, der sich vor mir befand, versperrte mir den Weg und stiess mich nach hinten, wobei ich zuerst gegen die Wand taumelte und dann einen Fehltritt machte und auf den Boden fiel. Ich keuchte auf. Ich hatte mir die Hände beim Fall aufgeschürft. Der erste Junge, der Sophie immer noch festhielt, verpasste ihr währenddessen eine Ohrfeige, obwohl sie gar nichts gemacht hatte und sie schrie auf.
"Oh, ihr zwei seid Geschwister", sagte derjenige, der mich gestossen hatte und liess seine Fingerknöchel knacken. "Dann wird das sogar noch lustiger."
Ich stand auf und sah ihn trotzig an. Dann spuckte ich ihm ins Gesicht. Er fuhr angewidert zurück und wischte sich die Spucke mit dem Ärmel weg.
"Igitt", stiess er aus und sah mich rasend vor Wut an. "Du verfluchte Göre!", zischte er und kam mit schnellen Schritten auf mich zu, während er mit der Faust ausholte. Ich hob meine Hände vor mein Gesicht und schloss meine Augen.
Ein schriller Pfiff ertönte und eine junge Stimme rief: "Hey!"
Ich öffnete meine Augen und sah, dass der Typ, die Faust hoch in der Luft, innegehalten hatte und seinen Kopf verwirrt in die Richtung drehte, aus der die Stimme kam. Als ich ebenfalls gerade dorthin sehen wollte, knallte ihm plötzlich ein Metallrohr mit voller Wucht ins Gesicht und er stürzte mit ziemlichem Schwung zu Boden. Bevor seine beiden Kollegen etwas tun konnten, erhielt derjenige, der Sophie festhielt, einen Tritt in den Magen, woraufhin er sich krümmte und sie endlich losliess. Bevor er sich wieder aufrichten konnte, schwang das Metallrohr von unten gegen sein Gesicht und traf es mit einem sehr schmerzhaften Geräusch. Er taumelte nach hinten und fiel ebenfalls zu Boden. Der dritte versuchte, in Kampfstellung zu gehen, aber der Angreifer schlug das Rohr gegen sein Knie und er schrie auf. Unmittelbar darauf folgte ein Schlag gegen den Brustkorb und danach packte der Angreifer den Typen mit seiner freien Hand an den Haaren und riss den Kopf nach unten, während er mit seinem Knie entgegenschoss. Beim Aufprall schrie der Typ erneut auf und fiel ebenfalls zu Boden, wobei er sich die Nase hielt. Die ganze Sache hatte vielleicht nur fünf Sekunden gedauert.
Michael, David, Sophie und ich starrten den Neuankömmling mit grossen Augen an. Er schien gleich alt zu sein, wie wir, also ungefähr 11, und hatte trotzdem gerade diese älteren Jungen umgehauen, als wäre es nichts. Er hatte sich zwischen uns und ihnen hingestellt, weshalb ich sein Gesicht kaum erkennen konnte. Er hatte schwarze, gelockte Haare und war ein bisschen grösser als wir. In seiner rechten Hand hielt er das Metallrohr und klatschte es mehrmals auf die offene Handfläche seiner linken Hand, während er die drei Jungen ansah, die sich gerade wieder aufrappelten.
"Verpisst euch!", sagte er in einem Tonfall, bei dem ich sofort Reissaus genommen hätte, wäre es an mich gerichtet gewesen, und liess das Rohr zweimal kreisen.
"Das kannst du vergessen! Du bist sowas von erledigt!", knurrte derjenige, der gerade auf mich hatte losgehen wollen und sie hoben ihre Fäuste. Der schwarzhaarige Junge schien nicht besonders beeindruckt zu sein, denn er neigte seinen Kopf zur Seite und sah sie ziemlich abschätzig an.
"Hier, das wirst du brauchen", sagte er und warf dem Typen, der geredet hatte, das Metallrohr zu, der es in seiner Überraschung beinahe fallen liess. Ich hielt die Luft an. Hatte dieser Trottel wirklich gerade seine Waffe freiwillig einem Gegner zugeworfen? Ich trat einige Schritte zurück. Vermutlich sollten wir am besten wegrennen.
Die drei Typen sahen verwundert zum Metallrohr, dass einer von ihnen nun in seiner rechten Hand hielt, dann zum schwarzhaarigen Jungen, der ihnen gegenüberstand. Dann prusteten sie los.
"Das hättest du nicht tun sollen. Jetzt bist du am Arsch", sagte derjenige mit dem Rohr und ging auf ihn los, seine Kumpel folgten ihm gleich darauf. Der Junge sprang auf die Typen zu und duckte sich unter dem ersten Schlag mit dem Rohr durch. Von uns aus gesehen, links und vorderhalb des Typen, packte er dessen Arm mit seiner rechten Hand, machte eine halbe Drehung in dessen Richtung, sodass er nun ebenfalls zu uns gewandt war, schlug ihm mit dem linken Ellbogen in den Bauch und stellte ihm gleichzeitig mit seinem linken Fuss das Bein. Da er ihn zusätzlich noch am rechten Arm festhielt und in unsere Richtung zog, erhielt der Typ zu viel Momentum und fiel erneut zu Boden, dieses Mal allerdings mit dem Gesicht voran. Das Rohr fiel klappernd aus seiner Hand und rollte weg.
Ohne auch nur kurz anzuhalten machte der Junge als nächstes eine zweite halbe Drehung, womit diese Bewegung nun zu einer ganzen Drehung wurde und schlug dem zweiten Typen, der hinter und neben dem anderen gewesen war, in den Bauch. Er krümmte sich und taumelte zurück. Der Junge verpasste ihm noch drei weitere Schläge in den Bauch, packte ihn dann an den Schultern und schob ihn wuchtvoll zurück. Auch dieser Typ ging keuchend zu Boden.
Wir vier standen währenddessen perplex da und sahen dem Kampf ungläubig zu. Dieser Junge machte die drei älteren Schläger nicht nur platt, er machte es ausserdem in einer unglaublichen Geschwindigkeit. Diese beiden Typen hatte er in einer einzigen fliessenden Bewegung und innerhalb einiger Sekunden zu Boden gezwungen, ohne dass sie etwas hätten dagegen unternehmen können.
Der schwarzhaarige Junge blieb stehen und sah herausfordernd zum dritten Typen, der überrascht und wohl auch etwas schockiert zu seiner rechten Seite sah, wo seine beiden Kollegen plötzlich auf dem Boden lagen und durch den jungen Angreifer ersetzt worden waren. Der Typ, es war derjenige, der vorhin eine blutige Nase erhalten hatte, drehte sich dann komplett zum Jungen hin und ging auf ihn los.
Er schwang seine Faust, doch der Junge wich dieser aus. Beim nächsten Schlag trat er lediglich einen Schritt zur Seite, bei dem darauf sprang er nach hinten und als ein Fusstritt folgte, packte er das Bein in der Luft und drückte es nach oben, woraufhin der Typ nach hinten stürzte. Er rappelte sich schnell wieder auf und ging erneut auf den Jungen los, aber dieser bewegte sich diesmal nicht von der Stelle und verpasste ihm stattdessen einen einzigen Schlag in den Brustkorb, woraufhin er erneut zu Boden fiel und schmerzhaft aufkeuchte. Er fasste sich an den getroffenen Bereich und krümmte sich zusammen.
Der erste Typ stand mittlerweile wieder auf und sah hasserfüllt zum Jungen, der sich zu ihm umdrehte.
"Genug herumgespielt", sagte er und zog plötzlich ein Messer aus seiner Hosentasche. Wir vier traten auf der Stelle ein wenig zurück, um ein wenig Distanz zu ihm zu erhalten. Der Junge sah zum Messer, schien aber irgendwie nicht sehr beunruhigt zu sein. Stattdessen steckte er seine Hände in seine Hosentaschen und sah den Typen mit einem ernsten Gesichtsausdruck an.
"Das willst du nicht tun, glaub mir. Verschwinde! Du und deine Kumpel haben bereits genug Prügel erhalten", sagte er und deutete mit einem Kopfnicken zu den beiden anderen Typen am Boden. Der Typ hörte nicht auf ihn und sprang auf ihn zu. Der Junge wich zurück, als der Typ mit dem Messer zum ersten Mal schwang und duckte sich beim zweiten Angriff. Dann schlug er ihm gegen den Brustkorb und der Typ taumelte zurück. Er folgte dem gleich mit einem Tritt in den Magen und als der Typ sich krümmte, verpasste er ihm einen Kinnhaken und dieser fiel zum dritten Mal auf den Boden. Sein Messer fiel aus seiner Hand und schlitterte ein wenig über den Boden.
Der Typ griff nach seinem Messer und rappelte sich auf. Er sah zum Jungen und knirschte mit den Zähnen. Dann fiel sein Blick zur Seite. Auf mich. Bevor ich reagieren konnte, hechtete er auf mich zu und packte meinen Arm. Er zog mich zu sich hin und ich schrie erschrocken auf, während er ein schelmisches Grinsen aufgesetzt hatte, als ob er gerade einen Jackpot geknackt hätte. Als der Junge erkannte, was passierte, schnellte er in einer enormen Geschwindigkeit nach Vorne und als der Typ sich wieder in seine Richtung drehte, war er direkt vor uns und schlug ihm mit der Handkante gegen den Hals. Der Typ röchelte und liess mich los, bevor ich selbst hatte versuchen können, mich zu befreien, und taumelte nach hinten. Der Junge stiess ihn weiter von mir weg und schlug ihm mit der Faust mitten ins Gesicht, gefolgt von zwei Schlägen in den Bauch und als der Typ sich krümmte, drehte er sich mit seinem Rücken zu ihm, als wolle er ihn Huckepack nehmen, nur dass er ihn an seinem Arm packte und über seine Schulter warf, womit der Typ nun vor ihm auf dem Boden landete.
Der Junge drehte den Typen auf den Bauch, packte seinen rechten Arm, in dessen Hand sich noch das Messer befand und fixierte ihn hinter dem Rücken, in einer Position, die vermutlich ziemlich schmerzhaft sein musste. Mit seiner rechten Hand umfasste der Junge die rechte Hand des Typen, in der immer noch das Messer war, während er mit seiner linken die linke Hand des Typen auf den Boden presste. Sein linkes Knie presste er auf den Rücken des Typen und er zwang die Messerklinge in dessen rechten Hand nach unten, womit sie nun gegen seinen Rücken gerichtet war. Dann stellte er seinen rechten Fuss locker darauf. Der Typ unter ihm begann, sich zu winden und versuchte, sich zu befreien.
"Keine Bewegung oder ich drück nach unten!", sagte der Junge mit einer drohenden Stimme und presste seinen Fuss leicht nach unten, um seinen Punkt zu untermauern. Der Typ drehte seinen Kopf, so gut es ging und sah, dass der Junge seine Hand mit seiner eigenen daran hinderte, dass Messer loszulassen und ausserdem noch seinen Fuss darauf hatte. Würde der Junge seinen Fuss nach unten drücken, würde der Typ sich praktisch selbst mit seinem eigenen Messer in den Rücken stechen.
Als er dies realisierte, begann er zu wimmern und heulte auf.
"Bitte... nicht. Bitte tu es nicht", flehte er, während der Junge mit einem grimmigen Gesichtsausdruck auf ihn herabstarrte und nicht reagierte. "Bitte, hör auf. Lass mich gehen", versuchte der Typ es weiterhin und der Junge schnaubte verächtlich.
"Na klar. Wenn sie euch sagen, dass ihr aufhören sollt, dann lacht ihr sie aus und macht einfach weiter, aber sobald ihr in der Patsche steckt, fleht ihr wie Jammerlappen und bettelt, dass ich euch in Ruhe lasse", sagte er in einer Stimme, die mir Schauer über den Rücken jagte. Er schien sehr darüber aufgebracht zu sein, dass der Typ auf mich losgegangen war. "Gib mir einen guten Grund, wieso ich dich einfach gehen lassen soll, nachdem du ein junges Mädchen zuerst schlagen und dann mit einem Messer bedrohen wolltest?" Der Typ antwortete nicht und wimmerte stattdessen weiter.
Der Junge seufzte, als keine Antwort kam und verschob seine rechte Hand, wobei er nun das Handgelenk des Typen festklammerte und nicht mehr dessen Faust fixierte.
"Lass dein Messer los!", befahl er und der Typ tat, wie ihm gesagt wurde. Das Messer fiel harmlos auf seinen Rücken. Der Junge nahm den rechten Arm des Typen von dessen Rücken herunter und presste das Handgelenk nun auf den Boden. "Sobald du aufgestanden bist, kannst du das Messer nehmen und dann verpisst du dich mit deinen Kollegen!", wies er den Jungen an. Dann trat er mit voller Wucht mit seinem rechten Fuss auf die Hand des Typen und dieser keuchte schmerzerfüllt auf, während ich ein Knacken zu hören glaubte und zusammenzuckte. Der Junge stand auf und trat einige Schritte zurück, während er die drei Typen im Auge behielt. Die beiden anderen Typen waren mittlerweile langsam wieder aufgestanden, aber hielten Distanz zu ihm und sahen zu ihrem Kumpel, der ebenfalls langsam auf seine Füsse kam, während er seine Hand hielt und weiterhin vor Schmerzen keuchte. Etwas zögerlich hob er das Messer mit seiner anderen Hand vom Boden auf. Dann machten sie auf dem Absatz kehrt und rannten in die Dunkelheit.
Der Junge sah ihnen für einige Sekunden nach, bevor er sich umdrehte und zu uns sah.
"Geht es euch allen gut?", fragte er und liess seinen Blick von einer Person zur nächsten schweifen. Ich war von seinem Auftritt immer noch so überrascht, dass ich nur nicken konnte. Michael starrte währenddessen abwesend ins Leere und hob dann eine Hand vor sein Gesicht, als wolle er sich verstecken und begann zu zittern, während er sich ausserdem abwandte. Ich bemerkte, dass die Situation zu viel für ihn wurde und ging rasch zu ihm hin. Ich umarmte ihn und er erstarrte, da es für ihn unerwartet kam. Dann atmete er langsam aus und erwiderte die Umarmung, sah aber immer noch von den anderen weg.
"Shhhh, alles gut. Sie sind weg und uns ist nichts passiert", sagte ich leise und zog mit meinem Finger Kreise auf seinem Rücken. Der Junge war zu Sophie rübergegangen und wechselte einige Worte mit ihr, woraufhin er zu David ging und kurz mit ihm redete. Michael hatte sich währenddessen wieder ein wenig beruhigt. Dann kam der Junge zu uns herüber. Er sah zuerst zu Michael, dann zu mir. Ich erwiderte den Blickkontakt und konnte ihn nun zum ersten Mal etwas genauer betrachten. Was mir als erstes auffiel, waren seine Augen. Sie waren grau, aber schienen beinahe zu leuchten und sahen deshalb etwas silbrig aus.
"Bei euch alles in Ordnung?", fragte er und ich nickte.
"Uns geht es gut. Es ist ihm einfach gerade zu viel geworden", sagte ich. Der Junge nickte und sah zurück zu Michael, der sich nun aus meiner Umarmung löste und dann zu ihm zurücksah.
"Wow", sagte er etwas zögerlich. "Du hast ihnen ganz schön eine verpasst."
"Ja, das habe ich", meinte der Junge und verzog dann sein Gesicht und ächzte ein wenig. Er hob sein rechtes Bein und rieb es, als ob es schmerzen würde.
"Oh, haben sie dich erwischt?", fragte ich besorgt. Ich hatte nicht gesehen, dass einer von ihnen einen Treffer gelandet hatte, aber vielleicht täuschte ich mich. Doch er schüttelte den Kopf und stellte sein Bein wieder auf den Boden und wiederholte die Prozedur mit seinem linken Bein.
"Nein, das ist wegen etwas anderes", sagte er und lief an uns vorbei in die Richtung, aus der wir gekommen waren und aus der auch er aufgetaucht war. Mir fiel auf, dass er nun hinkte. Ich war mir sicher gewesen, dass er dies vorhin noch nicht getan hatte. Etwas lehnte dort in der Dunkelheit gegen die Wand, aber ich konnte nicht erkennen, was es war. Er nahm es und kam zu uns zurück, weshalb ich nun erkannte, dass es sich um eine Krücke handelte, an der er sich abstützte. Wir vier starrten ihn ungläubig an.
"Moment, du brauchst eine Krücke und hast diese Typen trotzdem gerade zusammengeschlagen, als wäre es nichts?", stiess Michael die Gedanken aus, die jeder von uns vermutlich dachte. Der Junge winkte ab.
"Nein, die ist nur temporär. Ich bin... ähm... ausgerutscht. Ich brauche sie im Moment noch ein wenig, aber nicht mehr lange und ich kann für kurze Zeit bereits darauf verzichten, wie gerade eben."
"Und jetzt tun dir die Beine deswegen weh", merkte David an.
"Lieber habe ich schmerzende Beine, als zugelassen zu haben, dass diese Nieten euch etwas angetan haben", erwiderte der Junge und zuckte mit den Schultern.
"Ich bin froh, dass du uns geholfen hast, auch wenn ich hoffe, dass dir die Beine nicht zu sehr wehtun", bedankte sich Sophie.
"Ich kann solche Typen nicht ausstehen, da machen mir einige schmerzende Beine nichts aus", sagte der Junge.
"Ich hab mich noch gar nicht vorgestellt. Ich bin Richard", sagte der Junge und hielt mir seine Hand hin. Ich wollte sie schon nehmen, als ich einige rote Flecken darauf bemerkte.
"Ähm, du hast da...", sagte ich zögerlich und zeigte auf seine Hand. Er hob seine Hand und betrachtete sie
"Oh", sagte er und wischte sich das Blut an seinem T-Shirt ab, woraufhin er seine Hand wieder hinhielt. Ich war mir nicht ganz sicher, ob alles weg war, aber ich nahm seine Hand trotzdem und schüttelte sie.
"Ich bin Laura", stellte ich mich vor.
"Hi, ich bin David", sagte dieser und trat zu Richard, um ebenfalls seine Hand zu schütteln. Sophie folgte ihm und stellte sich ebenfalls vor.
"Hallo, mein Name ist Michael", sagte Michael zuletzt und hob lediglich seine Hand und winkte leicht, während er ein wenig Distanz zu Richard hielt. Bei neuen Leuten war ihm häufig ein wenig unwohl.
"Wart ihr auf dem Nachhauseweg?", fragte Richard.
"Ja, das waren wir", antwortete ich und sah auf meine Uhr. "Wir sollten gehen. Wir waren schon vorher ein bisschen spät dran", fügte ich hinzu, als ich die Uhrzeit sah.
"Gut. Ich begleite euch auf dem Hinweg", sagte Richard und setzte sich in Bewegung. Wir folgten ihm und ich schloss schnell zu ihm auf.
"Das ist wirklich nett, aber das musst du nicht für uns tun", sagte ich zu ihm. Er sah zu mir herüber.
"Ich weiss, aber ich will nur sichergehen, dass ihr gut nach Hause kommt und den anderen nicht wieder über den Weg läuft", meinte er.
"Es ist spät. Musst du nicht selbst nach Hause?", fragte Michael, der nun neben mir war. Obwohl wir nicht langsamer liefen, als vorher, hielt Richard problemlos mit und wäre allein vielleicht sogar schneller gewesen.
"Ich bin ein Freigeist", erklärte Richard. "Ich bin sehr häufig bis spät in die Nacht unterwegs. Für mich ist das kein Problem. Ausserdem bin ich sowieso, jedenfalls für den Moment, in dieselbe Richtung unterwegs."
"Na, in dem Fall", sagte David, der direkt hinter uns ging.
"Wie hast du es genau angestellt, gegen diese Typen zu gewinnen?", fragte Michael. "Von uns hätte das keiner geschafft."
"Ich habe ein bisschen Erfahrung mit solchen Auseinandersetzungen", beantwortete Richard die Frage. "Und diese drei Deppen waren kaum eine Herausforderung. Es war nichts besonderes."
"Nichts besonderes?", entgegnete Michael. "Das war sicherlich nicht 'Nichts besonderes'. Und nur 'ein bisschen Erfahrung'? Du kennst dich damit aus, sonst hättest du es nicht so gut hingekriegt."
"Naja, im Vergleich zu anderen Erlebnissen war dies für mich keine grosse Sache", meinte Richard zu Michael, der sich überraschend schnell für den Neuankömmling aufzuwärmen schien. "Und ich kannte-..." er unterbrach sich kurz. "... kenne einige Personen, die viel mehr Erfahrung haben als ich, was Kämpfe angeht. Den Handkantenschlag an den Hals, den ich dem letzten Typen verpasst habe, als er Laura gepackt hatte, habe ich ein wenig versaut. Hätte ich ihn da richtig getroffen, hätte er für eine Weile nicht mehr aufstehen können."
"Spannend", sagte Michael. "Hättest du ihn wirklich mit dem Messer gestochen, falls er sich weiter gewehrt hätte?" Richard schüttelte den Kopf.
"Nein, ich hätte es nicht getan. Jedenfalls in dieser Situation. Ich hatte sie unter Kontrolle und er war keine Bedrohung mehr. Es ging mir nur darum, ihn einzuschüchtern, damit er sich nachher verzieht. Wäre eine tatsächliche Gefahr für eine andere Person vorhanden gewesen, dann vielleicht schon."
"Wieso bist du nachher auf seine Hand getreten?", fragte nun David und Richard sah zu ihm nach hinten.
"Aktionen haben ihre Konsequenzen und er verdiente einen Denkzettel für seine", antwortete er. "Ausserdem würde er so wahrscheinlicher verschwinden."
"Wie ist das genau mit deinen Beinen passiert?", wollte Michael wissen.
"Wie schon gesagt, ausgerutscht", sagte er und schwieg. Mir fiel auf, dass er diese Frage etwas knapper beantwortete, als die anderen. Vermutlich war es ein unangenehmes Thema.
"Man ruiniert sich doch nicht gleich beide Beine, wenn man einmal ausrutscht", wunderte sich Michael. Ich wollte ihm gerade sagen, dass er aufhören sollte, Richard darüber zu fragen, als Sophie mir zuvorkam.
"Müssen wir wirklich darüber reden? Ich habe heute genug Zeug gesehen und erlebt, für das ich noch zu jung bin und sowas brauche ich jetzt wirklich nicht mehr zu hören", sagte sie in einem klagenden Tonfall und wir sahen zu ihr nach hinten.
"Oh, ja, sorry", antwortete Michael und rieb sich nervös am Nacken.
Einige Zeit später waren wir sowohl an Sophies, als auch an Davids Zuhause vorbeigelaufen, wo wir uns von ihnen verabschiedet hatten. Danach waren wir zu dritt weitergelaufen und waren schliesslich bei unserem Wohnblock angekommen.
"Gut, hier wohnen wir", sagte ich und sah zu Richard. "Danke, dass du uns bis hierher begleitet hast. Tut uns Leid, falls deine Beine deswegen Probleme machen und dass du gegen diese Typen kämpfen musstest." Er sah mich kurz an, dann kicherte er leise.
"Wieso soll das euch leidtun? Ich hatte schon lange keinen solchen Spass mehr." Dann wurde er kurz still und schien in die Ferne zu blicken. "Ich habe seit längerem keine besonders gute Zeit. Ich bin froh, dass ich meine Frustration deswegen ein bisschen loswerden konnte. Es hat mich gefreut, euch kennenzulernen und einigen fiesen Typen den Hintern zu versohlen war ein willkommener Bonus."
"Versteh das nicht falsch, aber du hast eine interessante Denkweise", bemerkte Michael.
"Ja, das hab ich", bestätigte Richard.
"Es war auch toll, dich kennenzulernen", sagte ich. "Vielleicht sehen wir uns wieder?" Richard zuckte mit den Schultern.
"Ich weiss nicht. Ich bin noch nicht lange hier und ich weiss nicht, ob ich bleiben werde. Diese Art von Leben spricht mich nicht sehr an. Wir werden sehen."
"Ja, wir werden sehen", antwortete ich und gab ihm die Hand. "Auf Wiedersehen Richard."
"Auf Wiedersehen Richard", sagte auch Michael und gab ihm diesmal die Hand.
"Auf Wiedersehen, ihr beiden", sagte Richard und trat einige Schritte zurück. Er machte mit Zeige- und Mittelfinger seiner rechten Hand eine Art Salut und lief dann in die Nacht. Wir sahen ihm noch kurz hinterher, bis er in der Dunkelheit verschwand. Dann öffneten wir die Tür zum Wohnblock und gingen hinein.
25.12.21
Yes, I did it. Ich habe den Prolog der neuen Version geschrieben. Gefällt er euch? Waren die Szenen (insbesondere die Kampfszenen) gut geschrieben und verständlich?
Das Cover stammt von Montysa
Sie hat es für meine alte Version gemacht, aber ich verwende es nun hier. Noch einmal Danke dafür, dass du damals das Cover gemacht hast, es war eine sehr nette Überraschung.
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