Kapitel 3
"Wenn das nicht Ridgeback ist."
Dorothea erstarrte.
Leigh wirbelte herum.
Das Mädchen, welches sich an Dorotheas Sessellehne abgestützt hatte, sah die Fledermaus mit einem undeutbaren Lächeln an. Ihre kirschrote, leicht gewellte Haarpracht fiel federleicht über ihre Schulter. Dorothea drehte sich langsam um und blickte das Mädchen schockiert und überrascht gleichzeitig an.
„Natürlich ist es nicht zu übersehen, dass du eine Ridgeback bist. Blonde Haare, groteske Kleidung, wer sollst du sonst sein? Dorothea, richtig?" Die Fledermaus nickte langsam und musterte die Rothaarige misstrauisch. Woher kennt sie Dorothea, fragte sich Leigh und beobachtete das Szenario. Das Mädchen verzog ihre blassrosa glänzenden Lippen zu einem triumphierenden Grinsen und starrte Dorothea weiter an, ohne sie mit ihrem grauen Blick aus den Augen zu lassen.
„Du bist Lynne, habe ich recht? Lynne Kaestner. Ich weiß wer du bist", sagte Dorothea mit monotoner Stimme und starrte zurück. Wer ist sie? Lynne nickte. „Gut informiert. Scheint in der Familie zu liegen." Der spöttische Unterton in der Stimme des rothaarigen Mädchens war nicht zu überhören. Sie machte auf dem Absatz kehrt und verschwand in den hinteren Reihen der Klasse.
„Hey Dorothea. Wer ist das?", zischte Leigh zu ihrer Zimmerkollegin. Dorothea schüttelte nur den Kopf und vertiefte sich in den Bildschirm ihres Smartphones.
Wieso ist sie jetzt plötzlich abgehauen? Und Dorothea ist gesprächig wie immer. Leigh packte ihr Federmäppchen aus und öffnete es.
Ich muss heute einen guten Eindruck machen, nahm sie sich vor. Sie sah sich um. Ihre Mitschüler nahmen langsam die Plätze ein. Eine Gruppe Mädchen betrat laut schnatternd das Klassenzimmer. Leigh fühlte sich unwohl, und ihr schauderte. Dann bemerkte sie, dass ihre Füllfeder fehlte, und sie sie gestern nach dem Schreiben des Aufsatzes über sich selbst wohl auf den Tisch liegen lassen hatte. Leigh besaß auch keinen Kugelschreiber, oder sonstiges, also beschloss sie, jemanden zu fragen, falls sie einen brauchte.
Leighs Gedanken wanderten zu ihren zwei jüngeren Geschwistern, Sebastian and Seraphina. Vorsichtig griff sie an ihre Lederhalskette mit einem Stein als Anhänger. Die zwei hatten es ihr zu ihrem zehnten Geburtstag gebastelt, und sie hütete es noch immer wie einen Schatz. Leigh schloss die Augen und stellte sich vor, wie es sein würde, zu Hause zu sein. Was würde sie in diesem Moment wohl tun? An ihrem Schreibtisch sitzen und ein Gedicht schreiben, oder einen Spaziergang machen? Sie versuchte den Gedanken zu verdrängen und schüttelte den Kopf. Wenn sie jetzt anfing über ihr Zuhause nachzudenken, würde sie Heimweh bekommen, ein Gefühl, welches sie jetzt in keinster Weise gebrauchen könnte. Ihre Gedanken wurden unterbrochen, als die Lehrerin durch die Tür des Klassenzimmers trat. Das Erste, worauf Leighs Blick fiel, war das knallrote, enganliegende, knielange Kleid, das sie trug, perfekt mit ihrem dunkelbraunen Haar zusammenpasste, welches jedoch etwas unangemessen für eine Professorin war. „Guten Morgen", begrüßte sie die Schüler höflich, „Setzt euch bitte."
Die ganze Klasse ließ sich wieder auf ihren Sessel fallen, als jemand an die Tür klopfte. Die Köpfe drehten sich in diese Richtung, ein blonder, dünner Junge kam zur Tür herein, keuchend und das Haar zerzaust. Die Professorin ließ einen tiefen Seufzer hören, Leigh konnte sich vorstellen, was sie jetzt dachte. „Würden Sie mir bitte erklären, warum Sie zu spät sind?", sagte die Lehrerin spitz. Der Junge sah ziemlich verzweifelt aus, verzog das Gesicht verlegen. „Hab mich verlaufen", keuchte er und stützte die Hände in den Knien ab. Die halbe Klasse brach in Lachen aus, worauf sein Blick noch verzweifelter wurde. „Nun...", murmelte die Lehrerin und warf einen Blick auf das Kärtchen, dass er sich angesteckt hatte, „Dann sind Sie wenigstens so nett und nehmen jetzt Platz, Herr Rikkabona." Der Junge nickte und ließ sich gleich in die erste Reihe fallen. „Wenn wir schon dabei sind", fuhr sie fort. „Würdet ihr bitte alle eure Anstecker benützen? Ich kenne Sie leider nicht beim Namen, deswegen."
Leigh holte ihren Anstecker aus ihrer Federschachtel heraus und bemerkte, wie Dorothea neben ihr zu fluchen begann. „Keine Panik", flüsterte ihr Leigh zu und gab Dorothea ihren Anstecker. „Den hast du mir mitgenommen?" Leigh nickte. Ihr war klar, dass sie ihn noch brauchen würden, hatte aber keine Lust gehabt, Dorothea davon zu überzeugen. Leigh fühlte sich irgendwie ein bisschen verantwortlich für das Mädchen. Dorothea schenkte ihr ein Lächeln. „Ich heiße ist Ilena Riedl", sagte die Lehrerin und schrieb den Namen an die Tafel. „Ich werde euch dieses Schuljahr als eure Klassenlehrerin und in den Fächern Deutsch und Kunst begleiten. Würdet ihr bitte etwas zum Mitschreiben herausnehmen?" Die Klasse wurde von Kramgeräuschen erfüllt, und Leigh sah sich panisch um. Ich brauche einen Stift! „Hat jemand von euch einen zweiten Kugelschreiber für mich?", fragte sie ihre Nachbarinnen, doch beide verneinten. Also drehte sie sich zu dem Mädchen hinter sich, die ihre lilablauen Haare um den Finger wickelte. Sie sah sie, als Leigh fragte, höflich an und gab ihr einen. Leigh atmete erleichtert aus. Professor Riedl hatte bereits Vorschläge für den ersten Deutschtest an die Tafel geschrieben, und die Schüler diskutierten fleißig mit ihren Sitznachbarn.
Tests bestimmen, bevor der Unterricht überhaupt begonnen hat!
Als die Termine feststanden und in Leighs Kalender notiert waren, begann Professor Riedl Informationszettel für das Internat und die Schule auszuteilen. Leigh hatte sich für dieses Jahr fest vorgenommen, organisiert zu bleiben und ordentlich zu arbeiten. Sie hatte sich extra bunte Klebepunkte für ihren Kalender zugelegt, um abgehakte To-Do's mit einem zu versehen, kleine Haftnotizen in allen Farben und verschiedene Sticker umso übersichtlicher zu werden. Vorsichtig strich sie über das sündteure Leder ihres roten Kalenders, welches sie an ihre Mutter erinnerte, die Leder über alles liebte. Zuhause hatten sie eine große Ledercouch, Ledersessel, Leder überall. Ihre Mutter besaß nur Lederhandtaschen und rannte Großteils in engen Lederhosen herum, die ihr eigentlich nicht standen, aber Leighs Dad liebte es, wenn ihre Mutter derartig angezogen herumlief, da sie in den Hosen laut ihm sexy Beine hatte. Nicht an Zuhause denken, Leigh!
Die Schüler um Leigh begannen in ihren Schultaschen zu kramen, und holten ihre Aufsätze hervor. Professor Riedl las sich den Ersten bereits durch. Etwas perplex holte Leigh die Blätter ebenfalls heraus und stand auf um ihn abzugeben. Sie wollte unbedingt einen guten Eindruck machen, strich sich ihr Haar zurecht und lächelte charmant, als sie Professor Riedl den Aufsatz auf das Lehrerpult legte. „Schleimer, hm?", murmelte Alemee, sodass nur Leigh es hören konnte. Diese gab ihn einen Klaps auf den Hinterkopf und lachte leise.
Ein Aufschrei ließ Leigh aufmerksam werden, und sie drehte sich um. Ramona war mit dem Jungen, der vorhin zu spät gekommen war zusammengekracht, und rieb sich den Kopf. „Oh man kannst du nicht aufpassen?", keuchte sie und funkelte ihn an. „Entschuldige bitte, aber du bist eben in mich reingerannt, tut mir leid, dass ich hier stehe!" Er fuhr sich durch seine unordentlichen, blonden Haare und starrte sie ungläubig an. „Ramona schafft es auch, Krach mit jedem zu bekommen", bemerkte Alemee trocken und gleichzeitig amüsiert. Leigh stimmte ihr innerlich zu. „Oh Mann. Der Strohhalm kann froh sein, dass er nicht abgebrochen ist, so fett wie die ist", raunte jemand hinter ihnen, worauf Leigh herumwirbelte. Hatte sich Leigh eben verhört? Das galt doch bestimmt Ramona. Wut kroch ihr bis in die Haarspitzen hoch. Aber nicht wegen ihm, viel mehr, weil die Stimme Ramona beleidigt hatte, was Leigh zum rasen brachte. Hinter ihr stand eine Fünfergruppe Schüler, doch sie konnte nicht ausmachen, wer diesen Kommentar abgegeben hatte. Sie warf ihnen einen vernichtenden Blick zu, den sie jedoch nicht bemerkten, dann sah sie zu Professor Riedl, welche noch immer Aufsätze entgegennahm, und ebenfalls nichts mitbekommen hatte. Wütend biss Leigh sich auf die Zunge und wandte Ramona ihre Aufmerksamkeit wieder zu. „Tut mir leid, Orientierungsloser", zischte Ramona genervt, aber Leigh wusste, dass sie es nicht böse meinte. „Ich habe einen Namen. Kannst mich gern Kiiro nennen", murmelte der Junge mit zusammengebissenen Zähnen. „Namen sind überbewertet", behauptete Ramona, und lies den Aufsatz auf das Lehrerpult fallen. „Oh wow, in welche Zitrone hast du denn gebissen?", fragte Alemee, als sie Leighs Gesichtsausdruck sah, immer noch wütend wegen dem Mädchens, welches über Ramona hergezogen hatte. „Nichts", sagte sie nur, denn sie wollte nicht das Ramona es erfuhr. Und Kiiro, der ganz nett aussah, würde es vielleicht auch nicht gefallen, wenn er davon mitbekam. Also hielt Leigh einfach den Mund und ging zu ihrem Platz zurück. Das konnte sie gut.
Als Frau Riedl die Klasse verließ, seufzte Leigh auf und drehte sich um, um dem Mädchen den Kugelschreiber zurück zu geben. Doch sie saß nicht an ihrem Platz. Leigh bemerkte aus den Augenwinkeln, wie sie gerade zur Tür hinaushuschte. Ohne auf die anderen zu achten, sprang sie auf und folgte ihr. Der Gang vor ihrer Klasse war gigantisch. Säulen aus massivem Stein streckten sich an den Wänden hoch, die bemalte Decke spiegelte sich in dem glänzenden Marmorboden. Leigh folgte dem Mädchen durch den langen Gang, und bog ab und stieg eine Wendeltreppe hinunter, dessen Geländer golden glänzte und mit aufwendigen Mustern versehen war. Am Ende der Treppe stand sie, ihre lila-blauen Haare hingen dem Mädchen bis zu dem Po. Sie holte sich an einem riesigen Kaffeeautomaten ein Getränk, wobei sie Leigh nicht bemerken zu schien, obwohl sie sich ihr gerade annäherte. „Hey", begrüßte Leigh das Mädchen, worauf sie zusammenzuckte und herumwirbelte, wie ein aufgeschrecktes Tier. „Oh sorry", setzte Leigh an „Ich wollte dich wirklich nicht erschrecken. Danke für den Stift."
Das Mädchen lächelte ein wenig und entspannte sich, als sie Leigh erkannte. „Vielen Dank", sagte sie und nahm den Kugelschreiber entgegen. „Ich heiße Therese Ruth, aber nenn mich bitte nur Ruth, da ich meinen ersten Namen absolut nicht ausstehen kann." Sie lachte kurz etwas auf und sah Leigh an. „Schön dich kennen zu lernen. Ich heiße Leigh Lysandra, aber nenn mich bitte nur Leigh, da ich meinen Zweitnamen absolut nicht ausstehen kann." Die beiden brachen unmittelbar in Gelächter aus. „Na ja", ergänzte Leigh, „das war gelogen. Mein Zweitname ist nicht so schlimm, aber nenn mich bitte trotzdem Leigh." Ruth nickte und entnahm das Kristallglas, welches mit Kaffee gefüllt war, aus dem Entnahmefach des Automaten. „Ich bin gespannt wie der hier schmeckt", sagte Ruth und hielt den Kaffee hoch, der in dem edlen Glas hellbraun schimmerte. Leigh zuckte mit den Schultern. „Wo ich schon hier bin, kann ich mir auch etwas kaufen", meinte Leigh. Ja warum nicht. Sie fragte sich, ob sie noch etwas Geld eingesteckt hatte und holte einen Fünf-Euro-Schein aus ihrer rechten Hosentasche.
Die Auswahl auf dem Kaffeeautomaten war riesig. Neben den rund zwanzig Sorten Kaffee gab es Kakao, Tee, Milch, sogar Mineralwasser und Säfte. Sich für eine von den unzähligen Teesorten zu entscheiden war schwierig, aber schließlich wählte Leigh einen asiatischen Grüntee. Sie sah fasziniert zu wie ein weiteres Glas in das Ausgabefach fuhr und sich langsam mit der grünen Flüssigkeit füllte. „Wieso hast du keinen Kaffee genommen", bemerkte Ruth etwas verwirrt und nippte an ihrem Getränk. Leighs Mundwinkel zuckten. „Weil ich Tee ebenfalls mag, und heute schon Kaffee hatte", erklärte sie dem blauhaarigen Mädchen und bewunderte die schimmernde Flüssigkeit, die durch das aufwendig geschliffene Glas grüne Lichtflecken auf ihre Hand warf. Der Tee schmeckte, wie zu erwarten, köstlich und hinterließ einen angenehmen Nachgeschmack auf ihrer Zunge. Ruth zuckte mit den Schultern. „Man kann Kaffee nicht genug trinken." Ruth sah auf ihre silberne Armbanduhr und zuckte kurz zusammen. „Wir müssen uns beeilen, wenn wir rechtzeitig zur Klasse kommen wollen. Wir haben jetzt Finanzen, und laut sicheren Quellen, ist unser Lehrer in diesem Fach nicht sehr nett zu Schülern, die zu spät kommen."
Etwas außer Atem saß Leigh wieder im Unterricht. „Wo hast du gesteckt?", zischte Dorothea ihr zu. Wow, sie sagt etwas. Leigh zeigte auf ihren Tee, der jetzt friedlich und zu Hälfte leer auf ihren Tisch stand. In diesem Moment betrat der Lehrer das Klassenzimmer und ein aufgeregtes Raunen ging durch die Reihen. Alemee hielt die Luft an und ein paar Mädchen hinter ihr tuschelten erregt. Der Mann, der das Klassenzimmer betrat war groß, hatte haselnussbraune Haare und mit seinen eisblauen Augen musterte er die Schülerinnen aufmerksam. Natürlich entging ihm nicht, dass einige Mädchen um Leigh herum fast ohnmächtig wurden und er setzte ein charmantes Grinsen auf. Wahrscheinlich war es in jeder Klasse dasselbe, und für ihn waren die sabbernden Mädchen schon Routine geworden. Alemee für ihren Teil, fiel halb von ihrem Stuhl. Leigh musste feststellen, dass der Lehrer tatsächlich gut aussah. Er war um die fünfundzwanzig bis dreißig Jahre alt, seine schlanke Figur steckte in sündteuren Markenklamotten und er schaltete lässig die elektrische Tafel ein. Sie fragte sich, ob er von Beruf her Schauspieler war, bevor ihr einfiel, dass er gerade als Lehrer vor ihr stand, und sie verfluchte ihre eigene Dummheit.
Der Lehrer schrieb seinen Namen „Tobias Mandeville" in einer leuchtend roten Farbe mit dem Touchstift an die Tafel, drehte sich um und begrüßte die Schüler. „Einen wunderschönen guten Morgen meine Damen und Herren!" Leigh glaubte bei dem Wort „Herren" etwas Demotivation in seiner Stimme mitschwingen zu hören. „Mein Name ist Mandeville, und ich darf euch zu meinem", er räusperte sich „-überaus tollen Finanzenunterricht begrüßen." Leigh hoffte, dass er das „toll" sarkastisch meinte. Er fuhr sich durch die Haare und warf einem Mädchen in der zweiten Reihe einen charmanten Blick zu, der sie fast bewusstlos werden ließ. Leigh wusste nicht, ob ihr der Lehrer sympathisch war. „Ich schlage vor, wir machen eine Kennenlernrunde", meinte Professor Mandeville und grinste in die Runde. Alemee geiferte, als ob sie es kaum erwarten konnte, sich als Erste vorzustellen. Oh Gott. Mit welchen hormongesteuerten Mädchen bin ich hier in der Klasse gelandet?, fragte sich Leigh seufzend.
Am Ende der Stunde seufzte Leigh auf. Finanzen war das Wohl langweiligste Fach der Welt und Professor Mandeville hatte ihnen sofort viel zu viele Hausaufgaben aufgedrückt. Die Jungs mussten doppelt so viel wie die Mädchen machen, da sie angeblich ein besseres Denkvermögen hätten, und die Hausübung an ihre Leistung angepasst werden musste. Leigh sah das als klares Zeichen der Bevorzugung beziehungsweise Benachteiligung. „Wir haben jetzt eine zwanzigminütige Pause", bemerkte Dorothea, als sie auf den digitalen Stundenplan sah, der auf einem Bildschirm in der Klasse hing. Gut so. Nach dieser Stunde wird das echt benötigt.
Leigh lehnte sich zurück und entspannte sich. Das Glas, in dem sich vorher der Tee befand, war schon längst leer.
Von Ruth hatte sie erfahren, dass man die Gläser in einen Behälter in der Klasse stellt, und das Reinigungspersonal sie dann abholen würde, also stand Leigh auf und ging zu der roten Plastikbox, auf der in dicker Serifenschrift „Automatengläser" stand und stellte ihres hinein.
***
Keuchend stand Kiiro vor der Tür des Klassenzimmers. Nie im Leben hätte er sich gedacht, dass er am ersten Schultag gleich zu spät kommen würde. Ja, er war der ultimative Zuspätkommer, aber eigentlich hatte er sich vorgenommen, einmal in seinem Leben pünktlich zu sein. Wäre er nachdem Frühstück nur nicht eingeschlafen. Er war in das Jungeninternat hoch, hatte sich nur ganz kurz auf das Sofa gelegt und schon ...
Hätte dieser Trottel von Zimmerkollege ihn aufgeweckt, wäre er jetzt pünktlich. Shane, oder wie er hieß. Vorsichtig klopfte Kiiro an der Tür, steckte sich noch schnell sein Namenskärtchen an und trat ein. Er wollte gar nicht wissen, wie geschafft er aussah.
Die Köpfe drehten sich in diese Richtung als er niedergeschlagen eintrat. Gott steh mir bei. Die Lehrerin sieht streng aus, scheiße. „Würdest du mir bitte erklären, warum du zu spät bist?", sagte die Lehrerin spitz. Kiiro verzog das Gesicht verlegen. „Hab mich verlaufen", keuchte er und stützte die Hände in den Knien ab. Die halbe Klasse brach in Lachen aus, sogar Shane, dieser Idiot, in der dritten Reihe. Shane warf Kiiro ein Grinsen zu. „Nun...", murmelte die Lehrerin und warf einen Blick auf das Kärtchen, dass er sich angesteckt hatte, „dann sind sie wenigstens so nett und nehmen sie jetzt Platz, Herr Rikkabona." Er nickte, und ließ sich in die erste Reihe fallen. Es fühlte sich komisch an, gesiezt zu werden, vor allem von einem Lehrer. Neben Shane war zwar noch ein Platz frei, jedoch war Kiiro nicht scharf darauf, sich neben ihn zu setzen. „Wenn wir schon dabei sind", fuhr sie fort. „Würdet ihr bitte alle eure Anstecker benützen? Ich kenne Sie leider nicht beim Namen, deswegen." Die Mädchen in der ersten Reihe hatten scheinbar einige Schwierigkeiten, Kiiro beobachtete sie interessiert dabei. Das Mädchen, welches neben ihm saß, war zwar dick, hatte aber ein hübsches Gesicht. Das nächste Mädchen bestach mit einem mysteriösen Dutt und einem Haarband, neben ihr saß eine Psychopathin, komplett in schwarz gekleidet. Kiiro schüttelte den Kopf, um diese Gedanken zu vertreiben. Urteile niemals über eine Person aufgrund ihres Aussehens, sagte er zu sich selbst. Am letzten Tisch befand sich noch eine Afrikanerin, die aufgrund ihres ganzen Schmucks wie ein dekorierter Christbaum glitzerte und ein Junge, der Kiiro nicht interessierte. Er seufzte laut auf und lehnte sich zurück, als plötzlich ein Papierkügelchen in seinem Schoß landete. Er faltete es auf. Ich fühle mich verraten, stand darauf. Das konnte eigentlich nur von Shane kommen. Hieß das Schaf, aus dieser Kinderserie nicht auch Shane? Damit könnte Kiiro den Idioten aufziehen. Nein, das Schaf heißt Shaun. Shaun das Schaf. Jap, erster Schultag, es wird langsam Zeit mein Gehirn einzuschalten.
„Herr Collins, wären sie bitte zu freundlich nicht mit Papier herumzuschießen, wenn ihnen danach ist?"
Instant Karma, dachte Kiiro triumphierend und grinste ein wenig.
Als Professor Riedl verlangte, die Aufsätze abzugeben, kramte Kiiro in seiner Tasche und zog ein zerknittertes Blatt Papier heraus. Der Aufsatz war minimalistisch, zwei Wörter mehr als die vorgegebene Wortzahl und seine Schrift ließ zu wünschen übrig. Doch Kiiro konnte nur so schreiben und er war auch froh, dass er keine geschwungene Mädchenschrift hatte. Er stand auf und stellte sich in die Schlange, die sich von dem Lehrertisch aufgereiht hatte. Plötzlich rannte ein Mädchen direkt ihn hinein, so dass er für einen kurzen Moment keine Luft mehr bekam und sich an die Rippen griff.
„Oh man kannst du nicht aufpassen?", keuchte sie und funkelte ihn an. „Entschuldige bitte, aber du bist eben in mich reingerannt, tut mir leid, dass ich hier stehe!" Er fuhr sich durch seine Haare und starrte sie ungläubig an. Was bildete sie sich ein? Dann erkannte er, dass es das Mädchen war, welches neben ihm saß. „Ramona schafft es auch, Krach mit jedem zu bekommen", bemerkte die Afrikanerin trocken und gleichzeitig amüsiert.
„Tut mir leid, Orientierungsloser", zischte seine Sitznachbarin genervt. „Ich habe einen Namen. Kannst mich gern Kiiro nennen", murmelte Kiiro mit zusammengebissenen Zähnen. „Namen sind überbewertet", antwortete sie und drehte sich um, wobei ihre Haare schwungvoll in Kiiros Gesicht landeten.
Na vielen Dank auch.
Bạn đang đọc truyện trên: Truyen247.Pro