
Kapitel 1.9 ~ Stefanie ~
Ariana versuchte so ruhig wie möglich das Auto in die Einfahrt zu lenken. Doch Stefanie bemerkte ihre zitternden Hände, die sich um das Lenkrad klammerten, wobei die Knöchel weiß hervortraten.
Sobald Ariana den Motor ausstellte und das Abblendlicht erlosch, erhellte nur noch das Blaulicht die Nacht. Alle umliegenden Fenster waren zugezogen, doch die Blondhaarige fühlte sich beobachtet. Sie konnte sich das Getuschel, welches am nächsten Morgen aufbranden würde, der Nachbarn schon vorstellen. In Troy passierte nicht jeden Tag etwas Außergewöhnliches, worüber die Leute reden konnten.
Da Ariana nicht den Anschein machte aus dem Auto zu steigen, legte Stefanie ihre Hand auf die verkrampften Finger ihrer Mutter.
"Es muss nicht unbedingt etwas mit Papa sein, sonst hätte die Klinik angerufen", sagte die Blondhaarige, da sie sich Arianas Gedanken und Sorgen vorstellen konnte.
"Du hast Recht. Wir sollten uns erst einmal anhören, was sie zu sagen haben". Mit diesen Worten schnallte sich Stefanies Mutter ab und stieg aus dem Auto.
Die Polizei erwartete die beiden Frauen schon vor ihrem Haus. Die Uniformierten schienen noch nicht lange da zu sein, weshalb auch das Blaulicht noch an war.
"Könnten Sie das bitte ausschalten?", fragte Stefanies Mutter, sobald sie die Beamten erreichten. Dabei zeigte sie auf das grelle, blaue Licht, welches auf dem Polizeiautodach befestigt war.
"Selbstverständlich", kam der eine ihr zuvorkommend entgegen und er lief zum Auto. Stefanie hatte derweil die beiden Polizisten registriert. Dieses Mal war eine Frau dabei, die noch vor der Tür wartete. Der Polizist, der gerade vom Auto wiederkam, war auch das letzte Mal dabei gewesen. Er war der der die Fragen gestellt hatte.
Sobald der Mann wieder bei Stefanie und Ariana war, schloss Letztere die Tür auf.
"Kommen Sie mit rein. Draußen ist es nicht gerade warm." Von Arianas anfänglicher Panik merkte man nicht mehr viel, außer, dass sie zitternd den Schlüssel ins Schloss steckte, was aber nur ihre Tochter aufzufallen schien.
"Vielen Dank, Mrs.", sagte die Polizistin, während sie nach Stefanie und ihrer Mutter das Haus betrat. Ihre Stimme war sanft und glockenhell, was ihr etwas Sympathisches einspielte.
Dieses Mal fragte weder Stefanie noch Ariana, ob die Polizisten sich setzten wöllten. Da auch die Uniformierten keine Anstalten machten sich irgendwohin zu setzen, blieben alle anwesenden Personen im Flur stehen.
"Wir sind hier, wegen des Falls Kylie Fox", setzte die Polizistin an, während sie sich ihr braunes Pony aus der Stirn strich.
"Und wir würden Sie bitten", dabei schaute sie Ariana prüfend an. "..., dass Sie ihre Aussage wiederholen." Stefanies Mutter schnappte empört nach Luft.
"Soll das heißen, dass etwas mit meiner Aussage nicht stimmt?" Beruhigend legte die Blondhaarige ihre Hand auf Arianas Arm.
"Nein, dass nicht, aber es gibt Neuigkeiten zu diesem Fall", sprang dieses Mal der männliche Polizist für seine Kollegin ein.
"Ich werde sie wiederholen, aber ich glaube nicht, dass sich diese geändert hat", gab Ariana erschöpft zurück. Nach einem anstrengenden Arbeitstag wollte man eigentlich nur noch ins Bett.
Also wiederholte Stefanies Mutter ihre Aussage, wobei sie höflich, aber dennoch voller Überzeugung, ihre Antworten kund gab. Sie erzählte, dass Stefanie die beste Freundin von Kylie war und, dass sie sich selbst gut mit ihren Eltern verstanden hatte. Häufig waren die beiden Familien Essen gewesen oder eines der Kinder war bei jeweils dem anderen eingeladen gewesen. Zuletzt hatte Ariana Kylie einen Tag vor ihrem Verschwinden gesehen, als sie morgens die beiden Mädchen zur Schule geschafft hatte, da diese sonst zu spät gekommen wären.
"Vielen Dank für ihre Mühe." Die Polizistin packte ihrem Block und Stift wieder ein.
"Es gibt aber noch einen anderen Grund, weshalb wir hier sind", sagte wieder der Mann. Stefanie wurde sofort hellhörig. Ihre Hoffnung, dass die Polizei Kylie gefunden hatte, entfachte in ihrem Körper, obwohl sie sich das nicht vorstellen konnte.
"Es gab einen Einbruch am anderen Ende der Straße", setzte die Frau wieder an. Die Blondhaarige fragte sich, warum dies noch nicht zu ihnen durchgedrungen war, außer, der Einbruch fand erst vor kurzem statt.
"Von dort kamen wir auch gerade eben und da der Einbruch bei Mr. und Mrs. Fox geschah, sollten wir gleich noch einmal bei Ihnen vorbeischauen." Stefanie wurde es flau im Magen und in ihrem Hals bildete sich ein Kloß, sodass sie Schwierigkeiten beim Schlucken hatte. Wer sollte bei Kylies Pflegeeltern einbrechen, wenn diese es eh schon schwer genug hatten?
"Bis jetzt gibt es nur wenige Hinweise darauf, wer es gewesen sein könnte." Der Polizist nahm seine Mütze ab und kratzte sich am Kopf. Die Blondhaarige merkte, dass die Beamten wirklich ratlos zu sein schien.
"Wir hatten gehofft, dass Sie vielleicht etwas gesehen hätten, aber Sie waren ja noch unterwegs gewesen und auch anhand Ihrer Reaktion wiesen Sie darauf hin, dass sie von dem Einbruch nichts wussten", erklärte die Polizistin, bereits auf dem Weg zur Tür.
"Wir haben keine weiteren Fragen mehr. Sie werden von uns hören. Auf Wiedersehen", verabschiedete sich auch der Polizist.
"Auf Wiedersehen", antwortete Ariana, da Stefanie kein Wort herausbekam. Erst als das Polizeiauto verschwunden war und die Tür wieder verschlossen war, konnte die Blondhaarige sich vom Fleck bewegen.
"Ich gehe in mein Zimmer. Gute Nacht", flüsterte sie ihrer Mutter heiser zu und sie schlurfte die Treppe hinauf.
"Gute Nacht", rief Ariana ihr hinterher, bevor auch sie, mit schweren Herzen, sich ins Bett begab.
Am nächsten Morgen machten sich Ariana und Stefanie, nach einer nicht ganz erholsamen Nacht, auf den Weg zu Kylies Pflegeeltern. In den frühen Stunden war es noch recht frisch und selbst der Tau auf den Wiesen war noch nicht geschmolzen, weshalb die Blondhaarige ihre Winterjacke noch enger zuschnürte.
Die Straßen waren wie leer gefegt, doch genau das war der Plan der beiden gewesen. Sie wollten nicht gesehen werden, um nicht noch mehr Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen.
Nach dem dritten Klingeln erwachte auch das dunkle Haus der Familie Fox zum Leben. Kylies Pflegemutter erschien in der Tür, nur mit einem Bademantel bekleidet, und sie stieß erleichtert die Luft aus.
"Ihr seid es! Ich dachte, dass die Polizei schon wieder vor der Tür steht. Aber kommt erst einmal rein!", freundlich hielt sie die Haustür auf und Ariana und Stefanie traten eilig in den Flur.
"Ich gehe mir nur noch schnell etwas anziehen", beeilte sich Ms. Fox zu sagen und flink, wie sie war, verschwand sie im Nebenraum. Der Blondhaarigen und ihrer Mutter war dennoch nicht entgangen, dass Kylies Mutter müde und fertig aussah. Sie schien sich wahnsinnige Sorgen zu machen, die Ariana und ihre Tochter gut verstehen konnten. Auch wenn Kylie nicht die leibliche Tochter der beiden war, liebten sie sie wie die eigene.
Stefanies Blick glitt im Treppenhaus umher. Alles war ihr viel zu bekannt. Die Bilder, die überall hingen (wo auch sie selbst und Kylie abgebildet waren), die Treppe, auf der sie runter gerutscht waren und die Dreckflecken die die beiden an den Wänden verursacht hatten.
Kylies Vater erschien am anderen Ende des Flures und er grüßte die beiden lautstark, aber genauso müde, weshalb die Blondhaarige aus ihren Erinnerungen schreckte.
"Ihr seid bestimmt wegen gestern hier", riet Mr. Fox, was nicht gerade schwer war, und er lud die beiden Chains ins Wohnzimmer ein. Hier herrschte noch Chaos von dem Einbrecher oder den Einbrechern. Schränke waren aufgerissen, der Boden war übersäht von Stiften und anderen Dingen, die sonst ordentlich aufgeräumt waren und selbst einige Bilderrahmen waren von der Wand gerissen worden.
"Was wurde alles geklaut?", fragte Ariana mit erschrockener Stimme.
"Dass ist ja gerade das Merkwürdige. Alle kostbaren Sachen sind noch da und bis jetzt haben wir noch nicht entdeckt, dass etwas gestohlen wurde. Außer...", Kylies Pflegevater stockte kurz und kratzte sich verwirrt am Kopf. "... außer in Kylies Zimmer", vollendete Mrs. Fox den Satz ihres Mannes.
"Was wurde dort gestohlen?", fragte Stefanie überrascht, da es ihr komisch vorkam, dass etwas gestohlen wurde, denn Kylie hatte kaum wertvolle Dinge besessen.
"Es wurde nichts gestohlen, sondern etwas gebracht." Kylies Pflegemutter holte einen Anhänger aus ihrer Hosentasche. Stefanie stockte der Atem und sie konnte nur auf das grüne Peace-Symbol schauen. Sie kannte den Anhänger gut genug, um zu wissen, dass Stefanie Kylie diesen geschenkt hatte. Der Blondhaarigen wurde bang ums Herz, als ihr klar wurde, dass der Einbrecher kein gewöhnlicher war, sondern Kylie selbst. Es wäre viel zu unwahrscheinlich, dass ein anderer dieses Symbol besaß, denn die grauen Glitzersteine hatte sie selbst damals drauf geklebt.
"Darf ich in ihr Zimmer gehen?", fragte Stefanie vorsichtig an Mrs. und Mr. Fox gerichtet. Diese nickten zustimmend und die Blondhaarige ging mit schweren Schritten die Treppen hinauf ins Dachgeschoss.
Auch in Kylies Zimmer lag alles herum, was Stefanie bereits gedacht hatte. Als sie in den Kleiderschrank blickte, sah die Blondhaarige, dass einige Kleidungsstücke fehlten. Ihre ehemalige beste Freundin hatte wohl doch etwas mitgenommen. Doch Stefanie suchte etwas ganz anderes. Sie wollte mehr über Kylies Vergangenheit erfahren und deswegen brauchte sie Kylies Geheimversteck. Die Blondhaarige wusste nicht, wo Kylie Ihr Versteck angelegt hatte, weshalb sie anfing zu suchen.
Zuerst suchte sie im Kleiderschrank, doch da war kein loses Brett. Dann ging die Blondhaarige zum Schreibtisch und öffnete jede Tür und jeden Schieber. Als Stefanie schon weiter suchen wollte und dabei den einen Schieber wieder zuschob, knackte es kurz und die eine Hinterwand am unteren Teil des Schreibtisches sprang auf.
Die Blondhaarige schaute erstaunt auf das lockere Holzstück. Das sie nicht darauf gekommen war, dass Kylies Versteck so genial war, machte sie ein wenig sprachlos. Schnell war das Brett herausgenommen und eine Kiste fiel Stefanie entgegen.
Diese wurde von Stefanie geöffnet und ein Foto klebte von den beiden am Innendeckel. Beide Mädchen waren zu diesem Zeitpunkt glücklich gewesen, dass hätte zumindest Stefanie gedacht, bis sie die Wahrheit erfahren hatte. Wie lange Kylie da wohl schon ihre Gefühle vorgespielt hatte?
Ansonsten gab es in der kleinen Box nur noch Dinge die Kylie gerne gesammelt hatte. Da waren viele Schrauben, Muttern, Muscheln und kleine Legosteine vorhanden. Ihre beste Freundin hatte damals sehr gerne gebastelt.
Als Stefanie die Kiste zurück legte, fiel ihr ein Fotoalbum auf, welches im Versteck ruhte. Die Blondhaarige nahm dieses heraus und blies die leichte Staubschicht vom Deckel.
Als sie durch die Seiten blätterte, wurde ihr bewusst, dass es sich nicht um ein gewöhnliches Album handelte, denn in diesem Fotoalbum waren Bilder und andere Aufzeichnungen ihrer leiblichen Eltern und ihr selbst abgebildet. Es waren zwar weniger Bilder von Kylie dabei, aber dennoch ein guter Fund. So konnte Stefanie die Vergangenheit erneut durchleben lassen, auch wenn Kylie dies nicht noch einmal wöllte.
Sie brauchte das Fotoalbum, weshalb die Blondhaarige nach unten schlich, vorbei an ihrer Mutter, die noch bei Kylies Pflegeeltern war. Sobald sie sicher sein konnte, dass sie nicht gesehen wurde, zog sie ihre Jacke an, die sie vorher liegen gelassen hatte, verstaute das Album in ihrer großen Innentasche und ging zurück ins Wohnzimmer.
Auf dem Weg dorthin erblickte sie sich im Spiegel, der an der Garderobe hing. Stefanie bekam einen Schreck, als sie sich sah. Ihre Augenringe stachen deutlich hervor und ansonsten war sie käseweiß im Gesicht, als hätte sie ein Gespenst gesehen.
Sobald Mrs. Fox Stefanie in der Wohnzimmertür erblickte, verstummte sie und auch die anderen beiden Erwachsenen drehten sich verwundert um.
"Stefanie, Liebes, du siehst gar nicht gut aus." Mitleidig schaute Kylies Pflegemutter die Blondhaarige an. Zum ersten Mal konnte Stefanie Kylie nachvollziehen, was sie über ihre Pflegeeltern geschrieben hatte, denn sie wollte nicht den mitleidigen Blick auf sich spüren.
"Ich glaube, dass wir losmachen sollten", schlug Ariana vor. Stefanie war ihrer Mutter sehr dankbar deswegen, denn erstens wollte sie kein Mitleid spüren und zweitens wollte sie endlich Kylies Vergangenheit durchforsten.
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