Kapitel 4
Als ich am nächsten Morgen erwachte, war ich für einen Moment orientierungslos. Dann erinnerte ich mich wieder, wo ich war. Schlagartig schoss ich aus dem Bett. Tat ich ja auch automatisch hier. Schnell baute ich es ab, steckte es ein und wollte mich zum Gehen wenden. Doch in der Tür des Schuppens stand jemand.
Ein ganz normales Mädchen, wie mir schien. Dunkelbraune Haare, waldgrüne Augen und eine etwas hellere Haut. Ihre Kldeidung konnte ich nicht erkennen, da sie eine hellgrüne Lederrüstung übergestreift hatte.
"Guten Morgen", sagte sie freundlich, als wäre es vollkommen normal, dass sie in ihrem Schuppen jemand Fremdes vorfand.
"Mein Name ist Tiffany. Und wer bist du?"
Kein Was hast du in meinem Schuppen verloren?!?, kein Verschwinde!!, kein Finger weg von meinem Zeug!.
Mein Name ist Tiffany. Und wer bist du?
Ich könnte mich nicht rühren, geschweige denn einen Ton herausbringen. Tiffany schien das nicht zu stören. "Willst du nicht erstmal in Haus kommen? Es gibt gerade Frühstück, falls du Hunger hast."
Sie machte noch nicht einmal eine Bemerkung über mein Aussehen. Dabei sah ich aus wie eine schwarze Katze auf zwei Beinen. Ab und zu veränderte sie sich ein bisschen, sodass ich ein Grinsen im Gesicht hatte. Dieses Detail war das einzige, das ich noch ändern konnte. Den Rest...
"Es gibt auch Pflanzen, falls du Hunger hast. Allerdings siehst du eher so aus, als würdest du Steak bevorzugen."
Da war sie ja, die Bemerkung über mein Aussehen. Allerdings irgendwie...nett.
"Ich esse alles", erwiderte ich trotzig und versuchte so, meine Unsicherheit zu verbergen. Tiffany blickte mich wissend an. "Umso besser. Komm", meinte sie, "Essen sollte man nicht warten lassen...Zumindest, wenn es nach Flo geht." Flo? "Wer ist Flo?", fragte ich neugierig. "Siehst du gleich", meinte Tiffany und zog eine Eisenhacke hervor. "Hast du vor, ein Feld anzulegen?" Tiffany lief in Richtung Hauptgebäude. "Was, mit der hier? Nee! Ich fühle mich nur immer mehr denn je wie ein Farmer, wenn ich die mit mir rumschleppe." "Achso", meinte ich leicht irritiert.
Während wir also zum Hauptgebäude schritten, konnte ich mir den Hof und die Umgebung genauer ansehen.
Er lag ziemlich offen, in der Ferne konnte ich einige Berge erkennen, außerdem floss ein Fluss in der Nähe vorbei.
Das saftige grün der Ebene war nur von roten und gelben Blumentupfen durchbrochen und überall von dichtem hohen Gras bewachsen. Naja...Nicht überall. Um genau zu sein: Nur in dem Teil der Ebene, der nicht mit riesigen Feldern bedeckt war. Ich sah Weizen, Karotten, Kartoffeln, Rote Beete, Melonen, Kürbisse und Kakaobohnen. Am Fluss entlang war überall Zuckerrohr angebaut worden, und Tiffany erzählte, in der Wüste würden sie Kakteen anbauen.
Jedes Feld - jedes - war von einem Zaun umgeben, nur das Zuckerrohr war ungeschützt. Die Kakteen wohl auch nicht, wie mir Tiffany erzählte. "Die Tiere oder Monster können nur die Feldfrüchte zertrampeln. Deshalb müssen wir die umzäunen, nicht aber den Zuckerrohr oder die Kakteen. Die Kakteen spießen ihre Angreifer manchmal sogar auf!" Tiffany kicherte. "Manchmal finde ich dort Knochen oder verrottetes Fleisch. Die Monster sind wohl dümmer, als sie aussehen." "Mhm", machte ich bestätigend und sah mich weiter um.
Die Farm selber war aus Ziegelsteinen gemacht und bestand aus mehreren Gebäuden. Dem Hauptgebäude, das riesig war und offenbar als Wohnraum diente, den Ställen, einer Scheune und...äh...
einem winzigen Schuppen. Das Hauptgebäude hatte große, teils farbige Fenster, die beim genaueren Hinsehen Bilder ergaben: Eine Werkbank, ein Buch und eine Karte mit Kompass. Das Dach war aus hellem Holz, und der Eingang war mit allerlei Dingen verziert, Blumen, Blättern und anderen Elementen. Links und rechts daneben waren die Ställe. Sie waren, im Gegensatz zum Hauptgebäude, komplett aus Holz. Insgesamt gab es sechs einzelne Ställe. "Der da ist für die Kühe und Pilzkühe, der für die Schweine, der für die Schafe, der für die Hühner, der für die Pferde...Und der letzte...Den benutzen wir nicht." "Warum?" Tiffany schwieg.
Na gut. Doch das Wort Pferde hatte mich an etwas erinnert. "Wo ist Destiny?" Tiffany sah mich fragend an. "Dein Pferd? Das steht bei den anderen." Ich atmete auf. "Okay." Ich stoppte. "Und Indigo?" "Wer oder was ist Indigo?", fragte mich Tiffany. "Indigo ist..." Ich stoppte. Kannte ich sie schon gut genug, um ihr von Indigo zu erzählen? Wer weiss, was sie mit ihr anstellen könnte..."...nicht wichtig", beendete ich schlaff. Tiffany ging nicht weiter darauf ein. "Schau, wir sind da." Sie öffnete eine der beiden Türen des Eingangsportals. "Kommst du?"
Das Innere des Hauptgebäudes war noch beeindruckender als das äußere. Ausgeschilderte Räume, Holz an den Rändern der Wände, die bunte Wollblöcke umschlossen und überall natürliche Elemente. "Hier lang", meinte Tiffany und führte mich mal nah links, mal nach rechts. "Sicher, dass wir richtig laufen?", fragte ich sie, als wir zum fünfzehnten mal abbogen. "Äh...Ja...Klar", sagte sie einfach. In dem Moment hörten wir von rechts eine erlösende Stimme. "Da seid ihr ja endlich!" Sofort blickte ich in die entsprechende Richtung.
Neben uns stand ein hellhäutiger Junge mit blondbraunem, verstrubbelt wirkendem Haar. Seine Augen waren dunkelbraun und ein kleines Lächeln lag auf seinem Gesicht. Er war in eine grüne Robe gefüllt, die fast bis zum Boden reichte und irgendwie nicht zu seinem Erscheinungsbild passte. Helle Schuhe blitzten darunter hervor, und diese bewegten sich gerade auf mich zu...Mit dem restlichen Spieler natürlich.
"Bist du Flo?", fragte ich ihn interessiert.
Er nickte kurz. "Jepp. Königlicher Ritter Florian, kurz Flo, steht Ihnen zu Diensten!" "Ritter?", fragte ich ihn. "Nein, Leseratte vom Dienst. Tiffgirl nennt mich aber lieber Gelehrter." Ein Grinsen schlich sich auf mein Gesicht. "Ich find Leseratte besser." Flo, die Leseratte vom Dienst, seufzte theatralisch. "Wenigstens einer!"
"Ähem", meldete sich da Tiffany alias Tiffgirl von hinten. "Ich hab ja Hunger. Du nicht?" "Aber klar doch! Kommt, es ist bereits angerichtet."
Flo führte uns in einem hellen Raum, der Esszimmer und Küche zugleich zu sein schien. Rechts standen Öfen über Öfen und zwei Werkbänke sowie ein Batalllion an Truhen. Links hingen Bilder an der Wand und es waren einige Treppenstufen um einen Tisch gestellt, auf die man sich hocken konnte.
Dummerweise konnte man in dieser Welt nämlich nur gehen, sprinten und schleichen, wobei man sich bei letzterem einfach etwas kleiner machte. So konnte man sich auf Stufen hocken, was etwas bequemer war.
Auf dem Tisch stand ein Kuchen, und Flo verteilte Brot, Steak und Ofenkartoffeln an alle. Ich aß zuerst das Steak, um den größten Hunger zu stillen, umd verstaute sorgfältig das Brot. Dann probierte ich eine Ofenkartoffel. Da ich unglaublich untalentiert im Anbauen war, genoß ich diese kulinarische Seltenheit im Stillen unglaublich. Tiffany schien das zu bemerken. "Nimm dir so viele wie du willst. Wir haben genug davon." Das ließ ich mir nicht zweimal sagen und nahm mir noch ein paar Ofenkartoffeln aus einer Truhe. "Find fie fut!"
Tiffany und Flo waren längst fertig. Apropos Flo..."Wo ist die Leseratte hin?" Tiffany meinte nur: "Wahrscheinlich in der Bibliothek am Lesen. Oder er schreibt ein Buch." Schreiben? "Er schreibt Bücher?" Tiffany nickte. "Meistens Ratgeber oder Sachbücher, aber ab und zu auch mal eine Kurzgeschichte."
"Cool!", meinte ich. "Woran arbeitet er gerade?" Tiffany erklärte nur: "Keine Ahnung. Da musst du ihn schon selber fragen." "Gut, wo ist die Bibliothek?" Tiffany sah mich überrascht an. "Äh...Jetzt schon? Die Bibliothek ist...äh...Ach, die findest du schon." Hmm. "Okay." Schon wetzte ich um die nächste Ecke.
In diesem Moment drängte sich eine Frage in meine Gedanken.
Wo ist Indigo?
*^00^**^00^*Indigo*^00^**^00^*
Kurz nachdem meine Freundin, die schwarze Katze, ihre Augen geschlossen hatte, schlich ich mich aus dem Stall. Ich hatte eine Mission.
Zuerst musste ich einen Weg finden, in das Hauptgebäude zu gelangen. Ich war an der Eingangstür angekommen, als ich einen Spieler näherkommen hörte. Schnell ging ich hinter etwas Laub in Deckung. Bei dem Aussehen des Spielers lief es mir kalt den Rücken herunter.
Zuerst dachte ich an einen Raben. Allerdings hatte dieser hier ein unnatürlich leuchtendes Gefieder. Seine Füße waren krallenartig und glühten, als hätte man sie in Lava getaucht. Doch am schlimmsten waren seine glühenden, gelben Augen. Wie das Feuer selbst leuchteten sie, allerdings viel kälter. Härter. Undurchdringlicher.
Ich kannte ihn. Doch ich hatte gehofft, sein Gesicht nie wieder sehen zu müssen.
Zuerst wollte ich fliehen, doch dann entschied ich mich, zu beobachten.
Der seltsame Rabe öffnete die Haustür, ganz so, als würde er hier wohnen. Moment...Wohnte er hier? Wenn dem so war, würde ich meine Freundin wecken müssen. Doch zuerst wollte ich weiter beobachten.
Der Rabe schritt durch Flure und Gänge, und schon bald hatte ich die Orientierung verloren. Der Rabe nicht. Immer und immer weiter schritt er durch die Gänge, mal nach links, mal nach rechts, minutenlang. Endlich hatte er sein Ziel erreicht. Wir schienen uns in einer Art Esszimmer zu befinden. Der Rabe entfernte ein Bild, das an der Wand hing, und die dahinter liegenden Holzblöcke. Nun sah man die äußere Wand aus Ziegelsteinen. Doch anstatt diese auch noch zu zerstören, platzierte er dort TNT-Blöcke, wo vorher das Holz gewesen war. Dann hing er das Bild wieder an die Wand und wiederholte den Prozess mit dem anderen Bildern. Das alles geschah innerhalb einer Minute und fast lautlos. Ich war statt vor Angst, doch der Rabe hatte offenbar nicht vor, das TNT zum Explodieren zu bringen. Stattdessen drehte er sich ruckartig um.
Blitzschnell zischte ich unter einen Tisch. Hatte er mich gesehen? Ich wusste es nicht. Der Rabe machte sich unterdessen wieder auf den Weg nach draußen, und ich folgte ihm. Wieder schritten wir minutenlang durch die Gänge. Wenigstens wusste ich jetzt, dass der Rabe hier nicht wohnen konnte, sonst hätte er wohl kaum TNT platziert. Als wir endlich draußen waren, wurde es viel leichter, Verstecke zu finden. Im hohen Gras, hinter Zäunen und...Bäumen? Tatsächlich waren wir bereits fast bei einem Wald. Und es war längst Tag, was mir ein Blick zum Himmel bestätigte. Noch war die Farm in Sichtweite, aber bald...In diesem Moment verlor ich den Raben aus den Augen. Unsicher machte ich ein paar Schritte in jede Richtung, doch er war weg. Dann würde ich wohl umdrehen müssen. Genau das tat ich, ging einen Schritt und ---
Flatsch! Ich war in einer Grube gelandet. Die war doch gerade noch nicht da gewesen! Ich blickte nach oben - und sah geradewegs in das Gesicht des Raben. "So trifft man sich wieder", begann er und lachte boshaft. Ich sprang hoch und wollte ihm das Gesicht zerkratzen, doch die Grube war zu hoch. Unsanft kam ich auf dem Boden auf. "War nicht leicht, dich herzulocken. Ich musste mich auf deine Neugier verlassen. Die Grube hatte ich schon im Voraus gegraben, du musstest nur noch hineinfallen." Ich begutachtete die Wände, suchte einen Ausweg. "Also dann: Auf Wiedersehen und lebe wohl. Oder wohl eher: Sterbe wohl!" Dann lachte er wieder dreckig und verschloss das einzige Loch mit einem Block Dreck.
In diesem Moment wurde ich unglaublich wütend. Wütend auf diesem einen Spieler, der mir soviel genommen hatte. Wütend auf mich selbst. Wütend auf alles TNT dieser Welt. Wütend auf die Welt selbst!
Meine Pfoten pochten, mein Kopf brummte, meine Schnurrhaare zitterten und meine Augen glühten wie flüssiges Gold, sich einen Weg freibrennend und gefährlich.
Die Welt begann sich zu verändern. Ich wurde größer. Gefährlicher.
Hochexplosiv.
Dann fühlte ich nichts mehr.
Alles ging unter in einem gigantischen
BOOM!
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