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XXXVII. Eine Heldin unserer Zeit

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Die Bewohner von Marondais waren ein stolzes Volk.

In der Geschichte ihres Städtchens hatten sie bereits viele Flaggen hissen müssen, hatten ganze Genrationen zu Grabe getragen und mehr als nur einmal ihre Heimat aus der Asche stampfen müssen, bloß um sie bald wieder zerstört vorzufinden.
Eine Sache war jedoch gleich geblieben, auch wenn Häuser, Straßen, ja ganze Stadtbilder Zeit und Gewalt zum Opfer gefallen waren:
Sie hatten jedem Tyrannen getrotzt, der sich ihr Ländchen hatte zu eigen machen wollen.
Heute war eine neue von ihnen gekommen.

Im Endeffekt einigte man sich auf den Bericht der Greisin Georgette, deren Geschichte sich nach der Ankunft der bruktischen Häretikerin ausgebreitet hatte.

Es musste wohl eine mondlose Nacht gewesen sein. Selbst die Sterne hatten es nicht gewagt, diesem Spektakel ihr Antlitz zuzuwenden, als der Zug knarzend hielt und ihre schwarzen Lederstiefel zum ersten Mal das Kopfsteinpflaster entweihten.
Sie kam nicht mit einem Donnergrollen, sondern schlug ein wie ein Blitz.

Alle, die vorher ihre Rolle bekleidet hatten, waren mit vor Stolz geschwellter Brust einmarschiert, am Höhepunkt ihrer Macht und am Zenit ihres ganzen Lebens. Doch wer den Höhepunkt erreicht hatte, musste zwangsläufig fallen.
Das Gift der Hybris hatte ihre Vorgänger schon längst verurteilt.

Die Häretikerin aber war ein Phantom.
Bleich, die Augen umringt von tiefen Schatten und das Klappern ihres Gehstocks der einzige Laut, war sie mehr eine Kranke als eine Eroberin.
Nicht einmal sonderlich groß war sie, aber da war trotzdem etwas anderes an ihr.
Etwas fundamental falsches.
Etwas durch und durch Unmenschliches.

Georgette hatte ihnen allen geschworen, dass das Totenreich höchstselbst sie wieder ausgespien hatte.

Ihr Rückgrat war kerzengerade, wie das einer Soldatin, die sie zu sein beanspruchte.
Ihre Augen waren eine Glut aus Petrol, ganz die der Magierin, die sie war.
Doch ihr dunkler Armeemantel waberte um ihre Knöchel wie Tinte. Der Umhang einer Dämonin, die sie sein musste.

Es gab zwei Dinge, die die Brigadierin zwangsweise sehen musste.
Das erste war die Leiche einer Frau, die man mitten auf dem Forum des Städtchens aufgeknüpft hatte - und die den Raben bereits als Festmahl diente.
Und schlussendlich blieb sie an der bemitleidenswerten Gestalt hängen, die an ihrem Mantel nestelnd neben der Gehängten wartete.

Mit leisen Schritten trat die Häretikerin heran, ihr Gesicht in blasses Licht getaucht.
"Was war ihr Verbrechen?" Palinquas hatte keine Feldwebelstimme. Eigentlich nicht mal eine Soldatenstimme. Sie klang wie eine junge Frau. Wenn auch eine, die zwar die Grammatik, nicht aber die Aussprache des Mitreanischen beherrschte.
"Die Frau, warum hat man sie hingerichtet?"
Leicht nickte die Häretikerin zu dem Galgen.

Lange kam nichts, dann ein leises: "Sie. Sie waren das." Das grüne Gesicht des Mannes wurde aschig weiß. "Sie wurde auf den Befehl eines bruktischen Offiziers hingerichtet."
Im nächsten Moment schüttelte er den Kopf, dann überschlugen sich die Worte förmlich: "Madame Sinclair. Sie ist-" Er schluckte. "War die Bürgermeisterin dieser Stadt. Bevor-Bevor-"

"Was ist passiert? Spucken Sie's aus."

"Am Anfang der Besatzung da- Einige Jugendliche haben bruktische Armeegüter und Unterkünfte beschmiert. Mit vulgären Worten." Der Mann verzog seine Lippen. "Sinclair hat sich geweigert, die jungen Menschen auszuliefern. Folglich hat man ein Exempel an ihr statuiert. Man brauchte einen Schuldigen."

Für einen Moment sagte die Häretikerin nichts, Schweißperlen glänzten auf der Stirn des Mannes, dann: "Sind Sie ihr Nachfolger?"

Er schüttelte zaghaft den Kopf.
"Ihre... Kollegen haben weitere Wahlen ausgesetzt. Unser Stadtrat wurde verhaftet." Leise räusperte er sich. "Ich bin Doktor Asselin. Der Quartiermeister ihrer Einheit- Nun, man hat Teile meines Anwesens für Sie requiriert."

Die Bruktikin nickte nur.
Im nächsten Moment drehte sie sich um und bellte einen Befehl zu einem der umstehenden Soldaten.

Georgette hatte es nicht verstehen können, kein einziges Wort - was sie natürlich nicht davon abgehalten hatte, über diese hässlichen Worte zu schäumen.
Doktor Asselin hatte es aber sehr wohl verstanden.

"Nehmt die Frau herunter. Übergebt sie ihrer Familie. Und wenn sie keine mehr hat, begrabt sie trotzdem. Mit allen Riten, die hier eben üblich sind. Was es auch ist, ich werde die Kosten übernehmen."

Als Zilli ein Mädchen gewesen war, hatte sie immer von den großen Feldherrinnen der Geschichte geträumt.
Sie waren mächtig, wunderschön und gerecht gewesen.
Tief in ihrem Inneren hatte sie aber gewusst, dass sie nie eine hätte sein können.
Die große Generalin Brünnhild hatte unter Abelards Befehl den Zaubererfürsten Hrevisthe mit seinen Magiern im Felde geschlagen und ihre Überreste verbrannt, nicht sie zu ihren Offizieren gemacht.
Jetzt aber, wo sie eine war - eine Heldin in Uniform- wünschte sie sich, nie eine geworden zu sein.
Dafür hatte Marondais gesorgt.

Zuhause sprach man nie von besetzten Gebieten. Genauso wenig taten es die Soldaten an der Front.
Was zählte schon, was hinter einem lag, wenn das vor einem drauf und dran war, einen zu töten?

Wenigstens die prächtige Schreibstube mit den zahlreichen Bücherregalen des Doktors erlaubte ihr die Illusion einer glorreichen Befehlshaberin.
Zumindest für eine Sekunde, denn schon bald heftete sich bitterer Beigeschmack an ihren Gaumen.
Alles hier wirkte auf sie wie Raubgut.
Requiriert, hatte Asselin gesagt.
Gestohlen, hätte wohl eher gepasst.
Trotzdem war all dies das kleinste ihrer Probleme.

Poliertes Parkett knarzte unter ihren Füßen und reflektierte den Glanz des Kronleuchters, als ihre Finger nahezu andächtig über das handwerkliche Meisterwerk strichen, das man hier für sie errichtet hatte.
Bruktisches Holz, zweifelsfrei.

Entfernt erinnerte es an einen Spieltisch, doch es wurde durch die Taktikkarten, Figürchen und Terrainatrappen als Illusion enttarnt.
Es war ein Tisch für das Kriegsspiel. Nur standen hinter den Figuren echte Menschen.

Eine große weiße Schachtel stand auf der Mitte des Tisches.
Sie stank nach Moder.

Ihre Finger fuhren über die schwarzen Lettern, die man in das kühle Holz der Kiste eingebrannt hatte.

Mein größtes Beileid an meine liebe Freundin Cécile

Cécile.
Die mitreanische Cäcilie.
Über dem Namen war das mitreanische Hoheitszeichen in das Holz gebrannt.
Ihre Schultern verkrampften sich sofort.
Sie packte den Deckel, schloss für einen Augenblick die Augen, dann riss sie ihn auf.
Am liebsten wäre sie zurückgewichen.

Zilli starrte auf den abgetrennten Kopf eines Fuchses.
Der süßliche Geruch der Verwesung biss in ihre Nase.
Genauso wie sich der Anblick fetter weißer Maden und getrockneten Blutes in ihre Netzhaut brannte.
Sie schluckte.

Mit zittrigen Fingern griff sie nach der Krone, die man dem toten Tier aufgesetzt hatte.
Sie war nicht aus Gold gefertigt, auch nicht aus Edelsteinen, sondern aus Silberdraht, Glas und getrockneten Blüten.
Eine traditionell bruktische Totenkrone.
Eine Grabbeilage für Jungfern und Kinder.

Sie drehte die Krone um und erblickte eine Gravur an der Innenseite des Kopfbandes.

Cécile Palinquas, geboren in Astoria, gestorben in Marondais. Zerschmettert und verbrannt von unserem Heer.

Scheppernd ließ sie die Krone fallen und schlug die Schachtel zu.
Ihre Finger gruben sich in das Holz der Kiste, bis es knackte.
Dann knarzte die Tür. Schwere Schritte. Ein Schnaufen.
Jemand trat ein.

"Palinquas?" Kerinsks Stimme riss sie aus der Untergangsfantasie. "Auf ein Wort?"

Zilli schluckte schwer.
Was auch immer sich die Schicksalschwestern hierbei gedacht hatten, es war ein grausames Spektakel.
Sie wollen dir nur Angst einjagen, redete sie sich ein. Die Mitreaner wollen dir nur Angst einjagen.
Nun, das schafften sie gerade erstaunlich gut.

Also spöttelte sie: "Sie wissen doch, dass ich mich Ihrem Charme noch nie entziehen konnte."
Und scheinbar auch nicht dem Charme des mitreanischen Oberkommandos.

Doch Kerinsk posaunte nur:
"Ich bin eben Ihre bessere Hälfte!"

"Eine höchst bescheidene bessere Hälfte noch dazu."

"Und?", schnaubte er. "Mit welchem Trick schlagen wir diese mitreanischen Flitzpiepen diesmal in die Flucht? Was ist der Plan für den Angriff?"

Zilli stieß ein schweres Seufzen aus. Unwillkürlich umklammerte sie die Kiste etwas fester.
"Es wird keinen Angriff geben, Kerinsk."

Sie musste sich nichte einmal umdrehen, um sein Entsetzen zu sehen.
"Was?", schnauzte er. "Haben Sie vergessen, in welcher Situation wir sind?"

Ihre Zähne mahlten laut übereinander.
"Nein, habe ich nicht. Und genau deswegen setze ich nichts leichtsinnig aufs Spiel."

"Also tun wir gar nichts? Warten einfach, dass wir überrant werden?"

"Haben Sie sich die Karte einmal angesehen?", knurrte sie zurück. "Wir sind hilflos in der Unterzahl. Jedes Unterfangen wäre Selbstmord. Kuno muss erst einmal -"

"Das ist Kapitulation!"

"Es ist Taktik."

"Wir- Wir verkriechen uns wie Ratten", protestierte Kerinsk.
"Ich bin damals schon fast wegen der Unfähigkeit meiner Vorgesetzten gestorben, ich will es nicht wieder tun!"
Er bleckte die Zähne und deutete auf die Brandnarbe, die ihm ein Magier zugefügt hatte.
"Die anderen zwei bruktischen Brigaden hier. Wenn wir uns vereinigen würden-"

"Die Brigade zu unserer linken Flanke braucht alle ihre Kräfte, um einen mitreanischen Durchbruch ins bruktische Landesinnere zu vereiteln. Die zu unserer rechten?" Sie schnalzte mit der Zunge. "Ein Fluss trennt uns von ihnen, der aus den Gipfeln des Paßrals donnert. Bei der Strömung und Breite ist es fast schon unmöglich, mit Floßen eine gute Truppenversorgung zu gewährleisten. Die Brücken wurden durch den Krieg zerstört."

"Wenigstens tun deren Generäle Ihre verdammte Arbeit!", keifte Kerinsk. "Wissen Sie, wie Sie sich anhören? Wie ein verdammter Feigling-"

Zilli wirbelte herum.
Viel zu schnell hatte sie den Abstand zwischen ihnen überbrückt. Ihre Augen glommen, Kerinsk stolperte einen Schritt zurück - doch im nächsten Moment baumelte nur ein gläserne Anhänger vor seiner Nase.

Nachtschatten schwappte darin.
Gleichzeitig spiegelte sich Erkennen in den Augen des Oberst.

Seine Pupillen weiteten sich, da zischte sie:
"Wissen Sie, was das ist? Ja? Es war das Geschenk des Generalfeldmarschalls. An mich."

Kerinsk wurde noch bleicher.
Erst langsam fand er wieder zu Worten.
"Aber- Aber wieso sollte er?"

"Glauben Sie mir, es kann noch viel schlimmer werden."
Ihr Blick wanderte zurück zum Taktiktisch.
"Man hat uns nicht an einen Ort geschickt, von dem man nur im entferntesten Glauben könnte, wir könnten die Schlacht dort gewinnen. Erst recht nicht mit einem Frontalangriff."

Die Worte waren genug, dass sich Stille auf sie herabsenkte.
Beinahe meinte sie schon, daran ersticken zu müssen.
Stumm sah Zilli das Fläschchen an.

Dann, nahezu leise, setzte Kerinsk an: "Aber Sie werden nicht das Gift nehmen, nicht wahr? Palinquas, ich bitte Sie, flehe Sie an, Sie müssen doch- Müssen doch-"

Für einen winzigen Augenblick schien seine eiserne Maske weggerissen.
Zum ersten Mal sah sie Angst in sein entstelltes Gesicht gestanzt.

Sie ertrug den Anblick nicht.
Zilli wandte Kerinsk den Rücken zu und ließ das Gift unter ihrer Uniform verschwinden.
"Nein", entschied sie. "Ich bin euch allen mehr schuldig als das."
Mal ganz abgesehen davon, dass sie nicht wusste, ob ein normales Gift sie noch töten konnte.

"Die Welt ist Ihnen mehr schuldig als das", hielt der Oberst dagegen.

Oh, sie würde die Schuld dieser Welt begleichen. Das Urteil war schon gefällt.
Und sie würde die Henkerin sein.

"Ich werde das Gift nicht nehmen. Im Gegenteil, ich gedenke, als Siegerin zurückzukehren. Und dann werde ich den hohen Herrschaften erlauben, ihren eigenen Trunk zu schlucken."

Trotz, bemerkte sie, war ein fürchterlich beeindruckender Motivator.

"Keine Schlacht wird von allein gewonnen", warf der Oberst da ein.

"So gerne ich Ihnen auch widerspreche, so sehr haben Sie auch recht."

Ächzend stützte sie ihre Hände auf dem Taktiktisch ab.
Mit spitzen Fingern spielte sie mit einer Figur der mitreanischen Lilie.

"Wissen Sie, vielleicht hätte ich all den hohen Damen und Herren danken sollen, dass Sie mich in die Gosse der Armee geworfen haben", erklärte sie nüchtern. "Sie hätten mir keine bessere Waffe in die Hand legen können. Wo sonst landen denn all die Magier, wenn nicht in der Rattenbrigade?"

Der Oberst verzog die Lippen.
"Magie? Sie setzen auf Magie?"

"Sie werden sich schon dran gewöhnen", lächelte sie schmal zurück. "An Hašeks Magie aber besonders. Er wird eine zweite Stellung hinter unserer jetzigen Ausheben. Wir werden sie ausbauen und ausstatten, während wir unsere jetzige Stellung im Schutz magischen Nebels unbrauchbar machen. Wir pflanzen Minen. Vergiften die Wasservorräte. Füllen die Schützengräben zur Hälfte mit Dreck."

Mit einem Mal schien Erkenntnis Kerinsk zu treffen wie ein Blitz.
"Sie wollen die Mitreaner davon überzeugen, wir wären leichte Beute. Sie wollen sich auf die neuen Stellungen zurückziehen und die Mitreaner zu unbeachteten Angriffen verleiten", wisperte er kreidebleich.

Zilli nickte.
"Wir verkürzen unsere eigene Frontlinie. Die Mitreaner werden vorrücken. Sie werden unserem Sperrfeuer ausgesetzt sein. Und wenn sie unsere alten Stellungen erst einmal eingenommen haben, werden sie dort ungeschützt Gift und Minen ausgesetzt sein."

"Sie wollen sie ausbluten lassen."

Grimmig erwiderte sie:
"Ganz langsam. Bis auf den letzten Tropfen."

Ihre Blicke kreuzten sich. In Kerinsk Augen sah sie, was sie schon wusste.
Es war eine Hinhaltetaktik. Der Feind verlor Soldaten, aber sie würden Boden verlieren.
Kein Sieg, höchstens eine verzögerte Niederlage.
Aber sie schenkte ihr Zeit.

Zeit. Das war alles, was Zilli brauchte.

Kerinsk war genauso schnell aus dem Zimmer gerauscht, wie er hineingeplatzt war.
Somit blieb Zilli völlig allein zurück, allein begleitet von ihren Gedanken.

Nein, nicht ganz, musste sie feststellen, als sie tief in einem Sessel versunken auf eine kleine Büste blickte, die Asselin hier aufgestellt hatte.

Es war eine Plastik aus feinem weißen Marmor. Alt musste sie sein, schätzte die Brigadierin. Schlichte Eleganz, glatt polierte Oberfläche und naturalistischen Züge sprachen sogar für die Epoche der Erleuchtung.
Die Zeit der großen Beschwichtigung.
Die Zeit, wo man sich aufgrund der eigenen Menschlichkeit auf die Schulter klopfte, nur um die alten Verbrechen mit neuen Namen zu begehen.

Und dieses Kunstwerk war dessen Zeugin.
Man konnte nur all den Märtyrern danken, dass niemand Asselin die Büste gestohlen hatte. Aber das lag wohl weniger in der Güte Zillis Vorgänger begründet, sondern darin, dass niemand dieses Paradebeispiel des mitreanischen Patriotismus in seinen Salon entführen wollte.
Denn die Statue bildete niemand geringeren ab als Mitrienne, die Volksheldin, die Märtyrerin, die Siegerin.
Scheinbar aber auch Zillis Leidensgenossin.
Am liebsten wäre sie noch tiefer in ihrem Sessel versunken.

Von unten drang dumpfe Musik empor.
Ein Piano. Zweifelsfrei Kuno.
Und die melodische Stimme, die die Töne zu einem Kunstwerk verknüpfte?
Božena.

Für einen Moment wünschte sie, sie wäre dort. Und dann doch wieder nicht.
Noch nicht.

Erst musste sie eine Lösung finden.
Eine richtige Lösung für die nahende Schlacht.
Es waren noch immer zu viele Unbekannte in dieser Gleichung, als dass sie sie gefahrlos hätte lösen könne.
Sie sah aus dem Fenster.

Schwärze erstreckte sich vor ihr. Aber da, ganz hinten in der Ferne, flackerten hunderte kleine Funken.
Lagerfeuer, entzündete Zigaretten, schwache Zauber.
Die Front.
Kaum mehr als ein Sirren im Hintergrund.

Es war so surreal.
Nun stand sie hier und blickte auf diese Menschen, zu denen sie selbst einmal gehört hatte, als wären sie Ameisen.

Sie wollte nicht so werden wie Kabisius.
Eine Frau, die mit professioneller Gleichgültigkeit die Truppen auf das Schlachtfeld schob, als wären die Soldaten alle nur Schachfiguren und das Schlachtfeld nur ihr Spielbrett.
Aber der Krieg war kein Spiel.
Diese Erkenntnis hatte sich tief in ihr Fleisch gebrannt.

Zillis Blick fiel auf den Taktiktisch, dann glitt er wieder zum Fenster und schließlich zu ihrem neuen Mantel.
Ihre Probleme konnte sie nicht vom Schreibtisch aus beheben.

Marondais schlief nicht.

Egal wie verrammelt die Fenster waren, egal wie stumm die Türme der Kathedrale in den Himmel ragten und wie menschenleer die Gassen, das Leben ging weiter.
Das musste auch Zilli feststellen, als sie durch die nächtlichen Straßen striff und der beißende Wind nichts als sanfte Liebkosungen auf ihrer Haut hinterließ.

Augenpaare blitzten hinter zugezogenen Vorhängen auf.
Ein leises Rascheln zwischen den Kalksteinhäusern.
Das Schreien eines Säuglings.
Und schließlich auch das Grölen betrunkener Soldaten, irgendwo zwischen Absinth und dem nächsten Hurenhaus.

Seufzend lehnte sich Zilli an den Stein eines Häuschens und schloss die Augen.
Sie nahm einen tiefen Atemzug, auch wenn ihre Lungen den Sauerstoff lange nicht mehr brauchten. Die kalte, klare Luft half ihrem vernebelten Kopf.
Sie fühlte sich fast schon wieder lebendig.

Dann hörte sie es.
Eine leise Melodie, kaum mehr als ein Flüstern.
Sie hielt ihne.
Die Töne waren begleitet von dem Singsang einer Stimme.

Es war nicht ansatzweise so wie Kunos und Boženas Spiel. Weniger flott, schrecklich schief und falsch gestimmt und doch... fast reumütig.
Unweigerlich fühlte sie ihre Beine einen Schritt in die Richtung der Musik machen.
Gleich darauf noch einen.

"O Mein Freund, so tapfer und treu,
in nur deinen Händen lag mein Herz,
und doch war der Tod dir nicht scheu,
also bleibt mir nichts als der Schmerz."

Sie kannte das Lied. Jeder in Bruktien kannte es. Wer hatte denn nicht in diesem Krieg bereits Geschwister, Kinder oder Freunde zu Grabe getragen?

Zilli umrundete die Häuserfront und stapfte in die Mündung des ersten Verbindungsgrabens. Kurz darauf flutete das sanfte Flimmern eines Lagerfeuers ihr Sichtfeld, vor dem sich drei Silhouetten scharf abhoben.

Soldaten.
Helme und Tschakos waren abgelegt und sie waren eingewickelt in ihre geflickten Mäntel und Decken, während eine rundliche Frau in ihrer Mitte beherzt in ihre Holzflöte bließ.
Es war eine seltsame Szene.

"Hyazinthe blüh' auf deinem Grab,
Wo aber nicht deine Seele sei begraben
Denn wir werden deinen-"

Ein hässlicher Ton zischte durch die Luft, als eine der Klappen des Instruments versagte. Deftiges Fluchen drang aus dem Mund der Soldatin.
"Scheißteil!"

Doch da, aus einem plötzlichen Bedürfnis heraus, fühlte Zilli schon ihre eigene Stimme den letzten Vers sprechen:
"Denn wir werden deinen Tod auf ewig beklagen."

Hätte man Zilli auf ewig beklagt?
Oder wäre sie einfach nur in einem namenlosen Grab verendet?
Die Antwort wollte sie nicht einmal wissen.
Stattdessen trat die Magierin aus dem Schatten in den warmen Schein.
Überraschte Blicken trafen sie - dann ihre Schulterstücke.

Sofort erbleichte der Soldat neben der Musikantin.
Langsam ließ sie ihre Flöte sinken.
Allein der dritte im Bunde blieb unbeeindruckt.
Als einziger war ihm der Tschako bis tief in die Stirn gerutscht. Er hob kaum den Kopf und Zilli bezweifelte, dass er mehr erkennen dürfte als ihre Stiefelspitzen.
"Ach sieh mal einer an, ein Offizier! ", spuckte er aus. "Hoher Besuch! Seit wann gesellt sich denn der Pfau zu den Ratten?"

Die Musikantin zupfte nachdrücklich an seinem Uniformmantel, aber das bemerkte er nicht.
Also hob Zilli die Brauen und erwiderte:
"Seit heute Nacht."

Ein Raues Lachen drang hinter den prasselnden Flammen hervor.
"Soso! Brauchen Sie einen Stallburschen, oder wieso steigt jemand wie Sie von seinem hohen Ross zu uns herab?"

"Ich habe gehört, hier unten gibt es bessere Unterhaltung."

"Unterhaltung?" Seine Lippen verzogen sich. "Witzig bestimmt, wie wir hier alle nacheinander verrecken. Aber deswegen habt ihr auch die Dämonin hierhergeholt, nicht? Weil sich jemand wie sie köstlich an unserem Leid amüsieren kann."

Unweigerlich strafften sich ihre Schultern.
"Wäre ich ein schlechter Mensch, würde ich Sie für diese Aussage auspeitschen lassen", konstatierte sie kühl. "Aber schätzen Sie sich glücklich, denn ich bin kein Mensch."

Etwas an diesem Satz ließ den anderen zusammenzucken.
Sein Blick schoss zu ihr hoch.
Vielleicht kannte man ihr Gesicht, vielleicht auch nur eine grobe Beschreibung, vielleicht sprachen die Epauletten und die Uniform auch für sich.

"Sie-" brachte der flachsblonde Soldat hervor. "Sie sind sie."

"In Fleisch und Blut, würde ich ja sagen, aber das gestaltet sich momentan ein bisschen schwierig", meinte Zilli bloß, doch sollte ihre Aussage Irritation hervorgerufen haben, so wurde diese sofort von Bitterkeit hinfortgespült.

"Sie wollen wohl wirklich die beste Loge, um das Leid zu begaffen, was?"
Seine Hand schloss sich um eine Flasche, in der eine grünliche Flüssigkeit schimmerte, hob sie zu seinen Lippen und in einem Wimpernschlag hatte sich der Alkohol bereits halbiert.
Absinth, Wahrscheinlich gestreckt mit Zuckerrüben.
Der Trunk verarmter Künstler, deren Werk niemand wollte.
Hatte er sich etwa mit der kaiserlichen Zensur angelegt und war deswegen hier gelandet?

Sie stieß ein Seufzen aus.
"Sie haben jemanden verloren, nicht war? Deswegen das Lied?"

Die Musikantin stieß bloß ein Lachen aus.
"Nicht nur einen. Oh Moiren, noch lange nicht."

Zilli legte ihren Kopf schief.
In Valon hatte sie Lager einfacher Soldaten oft gesehen.
Auch hier blubberte die selbe ungenießbare Suppe im selben verbeulten Kessel, auch hier war der Boden zwischen den Grabenwänden schlammig und auch hier waren die Decken kaum mehr als Stoffetzen.
Aber noch nie hatte sie so ein kleines Lager gesehen.

"Sind Sie die letzten Überleben Ihres Zugs?", hakte sie zögernd nach.

Der flachsblonde Soldat rümpfte die Nase, dann meinte er nur:
"Nicht die letzten Überlebenden unseres Zugs, die letzten Überlebenden unserer Kompanie."

Die Worte waren wie ein Schlag in die Magengrube.
Eine Kompanie.
Das waren regulär meist an die zweihundert Soldaten.

"Man hat mich geschickt, um das zu ändern und ich gedenke, genau das zu tun", sagte sie leise.

"Hat man das über den letzten General nicht auch gesagt?", patzte es sogleich zurück. "Und den davor? Und seht, wo wir hier sind! In einer Knochenmühle!"
Er spuckte.
"Warum sollten wir Ihnen glauben? Warum sollten wir Ihren Befehlen überhaupt folgen? Sie können uns nicht alle wegen Insubordination erschießen."

Sie zuckte mit den Schultern.
"Wenn ich Sie nicht erschieße, werden es die Mitreaner und Dutvari tun. Sie tun es jetzt schon."
Sie faltete ihre Hände auf ihrem Gehstock.
"Aber ihr wollt leben, nicht wahr? Ihr seid Karlisten. Verschmähte Künstler. Viel zu vorlaute Intellektuelle und Magier aus den Elendsvierteln. Ihr wollt nicht in diesem Krieg sterben und für diesen Kaiser erst recht nicht."
Ich wollte es auch nicht. Ich musste es trotzdem.
"Ich hingegen", fuhr sie fort. "Verlange nicht, dass ihr für mich sterbt. Im Gegenteil."

"Das versprechen Sie uns also? Sicherheit? Leben? Würde?"

"Nein", antwortete sie bloß.
"Ich bin keine Lügnerin. Alles, was ich euch bieten kann, ist eine Chance zu leben, aber noch lange keine Garantie."

Auf diese Worte hin zog sie ihren Flachmann heraus und warf ihn zu dem vorlauten Soldaten.
"Cognac", erklärte sie. "Der vernebelt Ihren Verstand vielleicht nicht ganz so wie die Grüne Fee."

Wortlos nahm er den Flachmann, drehte ihn mehrmals in seinen Händen, nur damit aus seinen Lippen platzte:
"Sie sind nicht hier, weil Sie wollen, nicht wahr? Sie will man auch loswerden."

"Geschieht das nicht mit uns allen so?"

Grimmig starrte er ihr entgegen.
"Ich bin Xaver. Das hier ist Fanny und unser stumme Freund hier heißt Lorenz. Wenn wir unter Ihrem Kommando sterben, dann sollten Sie wenigstens unsere Namen kennen."
Der kleinste von ihnen nickte Zilli nur kurz zu.

"Wenn du willst-", setzte Xaver erneut an, Herausforderung funkelte in seinen Augen und der formlosen Ansprache.
"Haben wir am Lagerfeuer noch einen Platz frei."
Wortlos knöpfte Zilli ihren Mantel auf, ließ ihn auf den festgefrorenen Schlamm fallen und setzte sich darauf.

Xaver nahm einen beherzten Schluck aus ihrem Flachmann, nur um das Gesicht zu verziehen und hustend einen Schwall Alkohol auszuspeien.
"Bei den drei, ihr bezahlt einfach mehr für schlechteren Fusel", brachte er keuchend hervor.

Zilli zuckte mit den Schultern und dachte sogleich an Schwolents Heim.
"Reiche Menschen haben einfach keinen Geschmack."

Neben ihr klirrte Metall, als Fanny sich vorbeugte und großzügig eine Schale mit dem undefinierbaren Eintopf füllte. War es überhaupt Eintopf? Es war unmöglich zu bestimmen.

"Ist Ihnen denn nicht kalt?", hakte die Musikantin mit Blick auf den abgelegten Mantel nach, als sie Zilli ungefragt eine Schüssel mit dampfendem Etwas reichte.

Die Magierin hatte gerade den Kopf geschüttelt, da begann der Kleine - Lorenz- wild zu gestikulieren.
Nahezu zeitgleich begann Fanny zu übersetzen: "Er meint, er habe von einem Magier aus Feyrona gehört, der das auch nicht fühlt. einer der-"
Sie runzelte die Stirn. "Sokietatis - Sozieates Auquamarin?"

"Societas Aquae. Ein Wassermagier", korrigierte Zilli, nur um nachzufragen: "Feyrona?"

"Das Magierviertel hier in Marondais", berichtete Xaver. "Es liegt im Norden, ist umgeben von einer Mauer. Aber kein Soldat mit auch nur etwas Hirn im Schädel würde da auch nur einen Fuß reinsetzen. Wer weiß, was da vor sich geht."
Kurz stockte er.
"Nichts für Ungut."

Zilli kannte solche Viertel. Kabachenviertel nannte man sie in Bruktien.
Es gab sie überall, in jeder größeren Stadt, meist abgeschieden und für die, die nicht in Zillis Umständen aufgewachsen waren.
Ihre Eltern hatten ihr streng untersagt, auch nur in die Nähe dieser Viertel zu kommen.
Umso deutlicher wusste sie somit, was man von diesen Orten hielt.
Also schluckte sie ihre Anwtort mit einem Löffel Suppe herunter.
Sie bereute es sofort.

Man hätte ihr genauso gut Schlamm, Schimmel und Asche vorsetzen können.
Hustend versuchte sie die sämige, klebrige Masse aus sich hervorzuwürgen, doch es war bereits zu spät.
Also schnappte sie nur röchelnd: "Bei den Märtyrern, was ist da drin?"

"Die Ratte, die mir das halbe Ohr abgenagt hat", erwiderte Fenny bloß. "Und etwas aufgeweichter Zwieback, und ne Erbswurst."

"Vielleicht ist da auch noch etwas Gemüse drin. Man kann's nie ganz wissen," frotzelte Xaver. "Aber das ist es eben: Das glorreiche Soldatenleben."

Kaum hatte Lorenz das gehört, tippte er sich dreimal gegen die Brust.
Prompt brach Fenny in schallendes Gelächter aus.
"Nein, dass können wir einem General nun wirklich nicht antun!"

"Was?", forderte die Magierin.

Noch immer stand ein breites Grinsen in Fannys Gesicht, als sie antwortete:
"Beischlaf, Heirat, Mord."

Zilli entschlüpfte ein Schmunzeln.
"Das Spiel? Ich lebe in einem Anwesen, nicht unter einem Stein."

"Gut, dann testen wir mal, ob Sie im Gegensatz zu den anderen Bonzen vielleicht doch guten Geschmack haben", erwiderte Xaver salopp und lehnte sich etwas zurück. "Zur Auswahl stehen natürlich seine allergnädigste, illustre und bescheidene Majestät Ernst Guilelmus höchstselbst. Und um den mitreanischen Charme nicht zu vergessen .... Arondax? Nein, zu langweilig." Er legte den Kopf schief, dann rief er: "Diese Dutvari-Prinzessin! Diese Kunwar."

"Und die Fließbandnutte Schwolent!", kicherte Fanny. "Wir wissen doch alle, dass der Konsum ihr heiligstes Gut ist! Sicherlich ist sie dem Konsum von gewissen menschlichen Teilen nicht abgeneigt."
Lorenz fiel grinsend in den Hohn mit ein.

Shrutis Name ließ etwas in Zillis Brust erstarren.
Das Lachen klang hohl in ihren Ohren und ihr Gesicht zuckte verräterisch.

"Doch etwas prüde?", johlte Xaver da und klopfte sich auf die Knie. "Dann lasst mich beginnen!"

"Die Moiren bewahren uns!", stöhnte Fanny, aber das hielt ihren Kumpanen von nichts ab.

"Lasst mich heute Nacht mal zum Patrioten werden", begann er theatralisch. "Denn ich erschieße Kunwar und heirate sofort darauf unseren Kaiser."
Lorenz stieß einen vielsagenden Pfiff aus.

"Immerhin", fuhr Xaver spitzbübisch fort. "Wissen wir ja alle, dass der Kaiser von seiner Frau von allen am wenigsten wissen will. Etwas Ruhe von dem Kerl könnte ich wirklich gebrauchen. Und zuletzt würde nichts gegen einen schnellen Ausflug mit Schwolent sprechen! Immerhin hat Sie da vorne-"
Er deutete auf seine eigene Brust. "- so einen wirklich guten Vorb-"

"Aufhören!", plärrte Fanny da und stieß Xaver in die Seite, während Lorenz nur herausfordernd auf Zilli deutete.

Sie schnaubte leicht, bevor sie stockend verkündete:
"Ich erschieße den Kaiser sofort. Vorausgesetzt, ich bin gnädig genug. Danach-"
Sie blickte zu dem bereits leicht erstaunen Xaver. "Heirate ich Schwolent und werde herrlich reich, um schließlich mit der Prinzessin durchzubrennen."

Das wäre schön. Damit könnte sie zufrieden sein.
Aber das Rascheln von Federn riss sie wieder zurück in die Realität.

Eine Krähe- schlank und nachtschwarz- war auf einem Stein in ihrer Nähe gelandet.
Sofort hallte ein Krächzen durch die Nacht und hungrige Knopfaugen musterte die kleine Gruppe, als würde das Tier ein Festmahl betrachten.

Vielleicht war das auch so.
Wer wusste das schon? Vielleicht würden die drei Soldaten schon morgen kalt und erstarrt im Graben liegen.

Der Gedanke hatte kaum ihren Geist passiert, da zog sie ihre Pistole, ließ sie einmal um ihren Zeigefinger rotieren und drückte ab.
Magie pulsiert durch das Metall und ein heller Streif zerteilte die Luft.
Die Krähe stürzte zu Boden.
Tot.

"Für eure Suppe", erwiderte Cäcilie grimmig.

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