XXIV. Des Teufels General
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Keuchend fuhr Zilli aus dem Schlaf.
Ihre Glieder zitterteten, ihr Schädel dröhnte, doch da war nicht das Knallen von Pistolen, auch nicht das Prasseln von Flammen.
Stattdessen lag sie auf dem Boden und statt Rauch strömte ihr der schale Gestank von Alkohol in die Nase.
Sie brauchte mehrere zähe Sekunden, bis sich das grelle Licht der Lampen zu einem Bild zusammensetzte.
Rote Vorhänge, ein Sessel und Seidenkissen.
Es war ihre Suite. Ein vertrautes Bild, doch Zilli runzelte ihre Stirn. Etwas stimmte nicht.
Ein aufgeschlagenes Buch über Hoch-Tyreusche Grammatik lag auf dem Teppich. Ihre Uniformjacke war zerknittert über die Sessellehne geworfen. Direkt darunter einer ihrer Stiefel verkrustet mit Schlamm, während sie selbst nur in Hemd, Hose und einem Schuh auf dem Boden kauerte. Selbst die dunklen Locken fielen ihr wirr ins Gesicht.
Allein eines stach blütenweiß aus dem Chaos:
Versiegeltes Briefpapier, ordentlich auf einem Beistelltisch drapiert, direkt neben einer Vase mit schnittfrischen Chrysanthemen.
Sie schauderte.
Damals, am Anfang des Krieges, als jeder Verlust noch eine Tragödie war, hatte sie diese Blume immer in die Totenkrone der Verstorbenen geflochten.
Jetzt machte man sich nicht einmal mehr die Mühe, die Gefallenen anständig zu begraben.
Sie richtete sich auf, schwankte sofort und dunkle Flecken tanzten vor ihren Augen. Gerade noch so krallten sich ihre Finger in den Beistelltisch, bevor die Knie unter ihr wegbrechen konnten.
Ihre Beinwunde brannte.
Mit zittrigen Fingern hob sie den Brief und hätte am liebsten einen zischenden Atemzug ausgestoßen.
Das Wappen auf dem goldenen Wachs war jedem Kind vertraut.
Der mit Eichenlaub gekrönte Löwe, der Zepter und Schwert in den Klauen hielt - das Wahrzeichen der kaiserlichen Familie von Cotha-Lauenbach.
Ohne zu zögern zerriss sie Umschlag und Siegel.
Der Duft von Parfum stieg sogleich von dem Papier auf, als ihre Augen die freigelegten Lettern verschlangen.
An die Cäcilie Palinquas
...Wenn auch mit größtem Vorbehalt und Güte, teilen wir Ihnen mit... die Partizipation am Hofzeremoniell am Abende der Tagundnachtgleiche am 23. Tage des Lenzmond... gestattet
Sie erstarrte.
Der 22. im Lenzmond, das war an dem Tag gewesen, als Schwolents Diener... als er sie in diesen Gang der Schande geführt hatte.
Nachts war sie wieder hinausgetreten.
Jetzt färbte aber das trübe Licht des Spätnachmittags den diesigen Himmel.
Also musste... Also musste gestern...
Sie hätte nicht gedacht, dass man wirklich...Dass man so schnell...
Ein derbes Fluchen sprang über ihre Lippen, das jeden Hierophanten erblassen ließ, dann stolperte sie schon los.
Die Zeit verrann zwischen ihren Fingern.
Was hatte sie sich nur mit diesem dämlichen Epigramm an den vermaleideiten Kaiser gedacht? Nicht viel, scheinbar.
Wankend hangelte sie sich zur Badtür, stieß sie auf, bis sie sich auf dem perfekten Keramikwaschbecken abstützte.
Was ihr da im Spiegel entgegensah wirkte, als wäre eine aschfahle Kreatur aus der Totenwelt gekrochen.
Automatisch verzogen sich ihre weißen, blutleeren Lippen.
So falsch war die Beschreibung ja gar nicht.
Ihre Finger bebten, als sie die Goldhähne aufdrehte und sich kaltes Wasser ins Gesicht spritzte.
Wäre Nichtstun und bloßes Ertragen besser gewesen?
Sie hatte das Richtige getan. Vielleicht nicht das Klügste, Ehrenhafteste oder Anständigste, aber sie würde nicht aufhören.
Vor allem würde sie nicht aufgeben.
Der Wasserfluss stoppte und mit tropfenden Kinn blickte sie hoch in ihre eigenen Augen.
"Mein Name ist Zilli Palinquas", murmelte sie leise. "Der Tod verneigt sich vor mir. Ich starb, doch hier stehe ich. Ich wurde getötet, doch noch liebe ich."
Kurz schloss sie die Augen, dann trat sie ans Werk.
Sie wusch sich das Fett aus den Haaren und bürstete die Knoten heraus, steckte sie mit goldenen Spangen zurück, ja, sie schmierte sich sogar etwas rote Farbe auf die Lippen, um die gewohnte Lebendigkeit in sie zu bringen und träufelte Duftwasser auf ihre Handgelenke.
Lange verharrte der Blick auf diesen kalten Händen, die sie so oft und sorgfältig hinter Handschuhen versteckt hatte.
Allein eine letzte Hürde blieb.
Doch ohne Hašek war diese unüberwindbarer als eine Frontaloffensive der Mitreaner.
Nämlich ihre Galauniform.
Nach einem langen Gefecht mit reichlichen Verlusten auf Seiten ihrer Nerven bezwang sie schließlich die Heldenschnüre über dem militärischen Plastron und die mit nach oben gekrümmten Spitzen versehenen, viel zu engen Stiefel, die sie als Magierin auswiesen.
So stand sie also da und wartete, bis man die Türen öffnete und kam, um sie zu holen.
Ein Bauernopfer im Spiel der Mächtigen.
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Man hatte sie alleine gelassen, als prächtig livrierte Diener sie in die Höhle des Löwen führten.
Aber als Zilli hier in der Antichambre des Thronsaals stand, musste sie feststellen, dass ihre Umgebung ernüchternd, nahezu regelrecht enttäuschend war.
Gerade nach dem ermüdenden Prunkexzess bei Schwolent wirkten Marmorboden und die hohen Stuckdecken fast schon bürgerlich. Selbst die Hauptakteure, riesige Gemälde von noch gewaltigeren Schlachten gegen die Mitreaner, waren nicht nur zynisch im Anbetracht dessen, dass die momentane Lage durchaus ermöglichte, dass Saint-Mitre sie in Grund und Boden stampfte, sondern auch, weil sie hinter all den stolzen Feldherren nur die Offiziere aus Valon sah.
Nichts als nörgelnde, adelige Aufschneider.
Also stand sie da, den Körper straff um die Nervosität zu verbergen und doch immer wieder an ihren Handschuhen zupfend.
Ihr Herz würde rasen, schlüge es noch.
Dabei heftete sich Zillis Blick immer wieder auf ein ganz bestimmtes Gemälde.
Es war das einzige, was ihr gerade Halt gab.
Die gewaltige Darstellung war eigentlich nur Zitat eines anderen, älteren Werks.
Das Original zeigte König Abelard, hoch auf seinem weißen Ross, das Fell geziert mit einem goldenen Sattel und besprenkelt mit frischem Blut.
Der Blick des Betrachters galt aber weder Monarch noch edlem Tier, sonderm dem abgeschlagenem Kopf, den der König so stolz in das Abendrot reckte.
Das Haupt des Urverräters an Bruktien und dem Menschengeschlecht, des dunkelsten aller Magier, dem Auslöser der Großen Ausmerzung.
Der Mann, dessen Namen man in jedem Geschichtsbuch, ja in jeder Annale geschwärzt hatte. Aber Zilli hatte ihn in dem Grimoire ihres Vaters gefunden, fest verschlossen in einem Geheimfach seines Schreibtischs. Ein Überlebender einer verstorbenen Zeit, den man von Generation zu Generation im Stillen weitergereicht hatte.
Sein Name war Hrevisthe gewesen, doch alles, was von ihm blieb, war ein geköpfter Körper in der Robe eines Geistermagiers vor den Hufen des Pferdes.
Doch hier wurde nur der andere Teil der Geschichte gezeigt:
Der berühmteste Nachfahre Abelards, der Kaiser Ernst Friedrich I., in wallendem blauen Seidenumhang und prächtiger Uniform, wie er, vor den Augen seines Hofstaats auf einer Erhöhung stehend, einem ganz besonderen Geheimrat die Hand auf das Haupt legte.
Alles, während Saphir zu seinen Füßen kniete, den Blick auf den Boden gerichtet, und statt Blut eine golden schimmernde Amtskette seinen schmalen Hals zierte.
Unter dem Bild prangte eine goldene Plakette.
Die große Beschwichtigung.
Oh, wie sie dieses Gemälde immer gehasst hatte.
Aber ihr blieb keine Zeit für Gefühlsduselei.
Leise öffnete sich eine Seitentür und ein Kammerdiener in seegrünem Livree trat ein.
Sie hatte gerade die Lippen zu einem Gruß geöffnet, da blähten sich mit einem Mal die Nasenflügel des kleinen knubbeligen Mann und im nächsten Moment wusste sie schon nicht mehr, wie mit ihr geschah.
"Ich kann es nicht glauben! Ich träume! Ich muss träumen! Wie konnte man mir nur so etwas schicken, diese Amateure, diese Schänder des Geschmacks", echauffierte er sich und hatte innerhalb eines Wimpernschlags die Distanz zwischen ihnen überbrückt.
"So etwas schickt man zu unserem Kaiser! Zu unserem Kaiser!"
"Entschuldigung?", presste sie hervor, da hatte er schon ihre Uniform gepackt und zerrte verzweifelt ihren Kragen zurecht.
"Entschuldigung?", schrillte es zurück. "Eine Entschuldigung für dieses Auftreten wäre deutlich angebrachter."
Wild schüttelte er den Kopf. "Sie können doch unmöglich so vor Seine Majestät treten. Diese Gesichtsfarbe! Die Haare! Die Uniform! Sein armes emfpindliches Gemüt! Woher kommen Sie denn? Vom Schlachtfeld?"
Sie rümpfte die Nase. "Tatsächlich ja."
Der Lakai wurde bleich um die Nase.
"Auch das noch", murmelte er. "Einen Rüpel von der Front hat man mir hergeschickt. Moiren, was sie vor dem Kaiser fabrizieren, mein armer Lebenslauf..."
Rüpel von der Front? Unwillkürlich knirschte sie mit den Zähnen.
Die feinen Damen und Herren spielten hinter diesen Türen Krieg, aber die Soldaten waren Rüpel?
Doch da fiepte wieder der Diener: "Wissen Sie sich denn wenigstens zu benehmen?"
Sie nickte.
"Eine tiefe Reverenz. Nur sprechen, wenn es der Monarch will. Ernst Guilelmus ist Seine Majestät, der Rest der Familie lediglich Hoheiten."
Die Augenbrauen des Dieners senkten sich, noch bevor sie geendet hatte.
Das vernichtende Urteil sauste wie ein Henkersbeil auf sie herab.
"Falsch. Das wird von gewöhnlichen Offizieren erwartet. Sie- " Sein spitzer Finger stach in ihre Schulter."- und ihresgleichen, knien. Ununterbrochen. Und sehen Sie Seiner Majestät bloß nicht in die Augen."
"Ich weiß, mein Anblick ist betörend, aber selbst die Augen?", spöttelte sie bloß.
"Majestätsbeleidigung! Etwas mehr Respekt, junge Dame!"
Gerade wollte Zilli scharf erwidern, da tönte es durch die verschlossene Tür:
"Die Majorin Cäcilie Pallas Palinquas, Repräsentantin des Regiments Kaiserin Efgenia."
Sie zuckte automatisch zusammen.
Ein letztes Mal traf sie der Blick des Dienstboten, der jeden Moment in ein verzweifeltes Gebet ausbrechen wollte, dann stieß man die Tür auf und gleißendes Licht flutete das Vorzimmer.
Mehrfach musste sie blinzeln, bis die Umrisse dieses Epizentrum der Macht ihre nichtswürdigen Augen befleckten.
Sie wurde konfrontiert mit einer geifernden Meute aus Höflingen bewaffnet mit Fächern, Perlenketten und hohen Krägen- und ihr einziger Pfad hindurch war ein blauer Teppich, der sich durch die Menge fraß. Er hatte nur ein Ziel, hoch oben auf einer Treppe, gebadet im Schein der gewaltigen Lüster:
Der Thron, dessen goldene Lehne sich in einen brüllenden Löwen wandelte. Angriffslustig blitzten seine Augen aus Saphir.
Darauf saß der Mann, der ihr Schicksal und das von Millionen lenkte.
Ein Bein über das andere geschlagen, das Kinn auf der Handfläche abgestützt und umgeben von Generälen, Admirälen und der grauen Eminenz des Staats.
Und unter ihnen ruhte ein ganz bestimmter Admiral. Einer mit schwarzer Uniform und goldener Halbmaske.
Nahezu mechanisch setzten sich ihre Füße in Bewegung.
Dabei fühlte sich alles an wie ein Spießrutenlauf.
Blicke hefteten sich auf sie wie die Geier, gewisperte Worte verließen Lippen wie Gift und fanden Ohren wie Dolche.
Und diese Blicke. Oh diese Blicke.
Sie verschlangen ihre bunte Uniform, die Stiefelspitzen, die goldgestickte Magiersigille auf ihren Ärmeln.
Für sie war Zilli eine Kuriosität. Eine Exotin regelrecht. Es musste all diesen Hofschranzen vorkommen wie ein Spiel.
Wird die Magierin gefressen oder nicht?
Urteil oder Gnadenfrist?
Dann sah sie ihn zwischen den Diplomaten und Stabsoffizieren.
Kerinsk.
Irgendwie leicht zerrupft, aber mit deutlich besserem Bartgeschmack, denn das auffälligste war, dass er sich vollkommen rasiert hatte.
Und als sich ihre Blicke kreuzten, nickte er ihr mit grimmiger Zuversicht zu.
Beinahe hätte sie dieser Anblick eines freien, vor allem schweigenden Kerinsk stolpern lassen.
Aber sie konnte nicht. Durfte nicht.
Also kämpfte sie sich mit jedem Schritt weiter nach vorne, schluckte die Überraschung seiner Anwesenheit herunter.
Als sie endlich die Stufen erreicht hatte, sank sie demütig auf die Knie. Sie gaben weich wie Gelee unter ihr nach.
"Eure Majestät", brachte sie rau hervor und starrte auf die polierten Stiefelspitzen des Herrschers vor sich. "Es ist meine größte Ehre und Freude, das Privileg Ihre Aufmerksamkeit zu genießen."
Dann - Nichts. Kein Wort. Nur das Rascheln von Stoff und Pallaschen.
Doch als sie beinahe vor Erwartung zerrissen wurde, da - endlich- gab der Kaiser einen Laut von sich und .... gähnte lauthals?
"Die hat Lukasch mir also geschickt?", nörgelte er zu dem Offizier zu seiner Rechten, natürlich im klingenden Hoch-Tyreu. "Was ein Wirbel!"
"Der Generalfeldmarschall verspricht sich viel hiervon", warf sein Gesprächspartner ein und erntete prompt ein Schnauben von Ernst Guilelmus.
"Immer dieser Lukasch! Wenn ich die Feldwebelfresse nur nicht mehr sehen müsste!"
Zillis Hände krampften sich in den Stoff ihrer Hose und sie kämpfte gegen den immer stärker werdenden Drang, hilfesuchend aufzublicken.
"Wenn Sie die Angelegenheit wegen Ihrem kleinen Schnupfen schneller zu Ende bringen wollen, ich kann die Juffer auch-"
"Also bitte!", empörte sich Ernst Guilelmus. "Ich bin der einzige im Staate, der sich solchen Dingen widmen sollte! Oder wollen Sie mir die Befugnisse meines Titels absprechen?"
Jetzt war ihr Moment. Ihre große Entscheidung.
Aber er verkam zur Farce und sie zum Gespött.
Stattdessen konnte Zilli regelrecht fühlen, wie der Offizier rot anlief, aber der Kaiser hatte sich schon sein neuestes Opfer gesucht. Und seine Häme Schnitt schärfer als ein Degen: "Haben Sie bereits die Geheimrätin des Äußeren gesehen? Mittlerweile ist sie so patriotisch, dass ihr Aussehen sogar den Frontleichen gleicht."
Sie ertrug es nicht mehr.
Entweder erhob sie die Stimme oder alles war vergebens.
Triumph oder Tod.
So unterbrach sie den Kaiser höchstselbst.
"Cum Proxyre, meys regys ac imperatorys."
Die alte Sprache fühlte sich klumpig in ihrem Mund an. Fremd, aber sie zwang sich durch die nächsten Sätze:"Sed venibatyro vocatyri, non causa negletyri."
Mit Verlaub, mein König und Kaiser, aber ich kam, um zu sprechen, nicht, um ignoriert zu werden.
Unwillkürlich sah sie die Stiefelspitzen zusammenzucken und der Kaiser raunte zu seinem Adjutanten:"Seid wann spricht der Pöbel Hoch Tyreu?"
Wieder war es Zilli, die der Antwort zuvorkam.
"Gar nicht, Majestät."
Ohne auch nur aufzublicken hörte sie das Mahlen der Zähne. Genauso wie das Raunen, das durch die Menge fuhr.
Aber der Kaiser brachte die Spannung mit einem Schnalzen zum Höhepunkt. Etwas in seiner Stimme war lauernd, sogar herausfordernd, als er in der Sprache des Hofes fortfuhr:
"Erst wagen Sie es, die Autorität Ihrer Offiziere zu untergraben, erlauben sich die Dreistigkeit, dafür von mir belohnt werden zu wollen und nun fordern Sie die drei Schicksalsschwestern mit einem solchen Verhalten heraus? Die Krone bestimmt hier und die Krone ist mein durch Blutrecht, vergessen Sie das ja nicht."
Zilli verzog die Lippen. Als Feuermagierin hatte sie immer mit den Flammen getanzt und gespielt. Aber erst nach dem Verlust dieser Magie würde sie wohl feststellen, dass man sich daran verbrennen konnte.
"Ich habe meine Pflicht getan", protestierte sie also mit gesteigerter Vehemenz. "Die Krone ist ihr Blutrecht, doch ich habe bereits für diese Krone geblutet. Es ist eher Dreistigkeit meiner vorgesetzten Offiziere gewesen, Ihre Soldaten für Ihren eigenen Machtwillen zu missachten."
"Ich sehe schon", brummte er. "Was sind Sie dann? Eine Kriegsheldin? Eine Märtyrerin?"
"Eine Soldatin. Ihre treueste Dienerin. Mehr nicht."
Für einige Sekunden senkte sich bleierne Stille auf sie herab, dann brach der Kaiser in schallendes Gelächter aus.
Ihr wurde schwarz vor Augen. Am liebsten wäre sie aus den Stiefeln gekippt.
"Ah, eine Magierin, meine treueste Dienerin. Oh welch Zeiten, welch Sitten! Was kommt demnächst? Die Rattenbrigade als Ehrenlegion?", stieß Seine Majestät aus und sie bemerkte, wie er eine Träne aus seinen Augenwinkeln wischte.
"Ich muss gestehen, Sie amüsieren mich köstlich - mehr als dieser träge Feldotto Lukasch."
Schwungvoll landeten die Stiefel auf dem Boden und mit einem federnden Sprung hatte sich der Kaiser von seinem Thron in eine stehende Position gebracht.
Wie ein Raubkatze umschlich er Zilli einmal, dann noch einmal, und sie wagte nicht, den Blick von dem Teppich unter sich zu lösen.
"Sie besitzen eine gewisse Kreativität, Eigeninitiative, sogar Entschlossenheit. Wären Sie in besseren Umständen geboren, vielleicht hätten Sie mich von dieser Plage eines Generalstabs erlösen können, Palinquas. Aber so... Nahezu enttäuschend."
Übelkeit schoss in ihr hoch und ihr Sichtfeld drohte zu verschwimmen, da schoss die Hand des Monarchen vor wie eine Viper.
Aber statt sie zu ohrfeigen, riss er ihr die Epaulette von der rechten Schulter.
Es klirrte.
Gold traf auf den eiskalten Marmor und mit geweiteten Augen sah sie, wie ihre Offiziersinsignie über die feinen weißen Äderchen aus ihrer Reichweite rollte.
Aus den Augenwinkel sah sie den zweiten Griff, hätte Guilelmus Hand wahrscheinlich problemlos abschlagen können, aber sie schaffte es nicht.
Wie in Trance kniete sie da, als auch die zweite Epaulette auf den Boden knallte.
Das ist mein Ende, pochte es durch ihren
Schädel. Mein Ende.
Aber was er bei dem Prinzen in der Schreibstube gesagt hatte...? Das konnte, durfte nicht ihr Ende sein.
Und wie als Bestätigung pulsierte jedes folgende Wort des Kaisers durch ihren Kopf.
"Aber ich bin gnädig und schätze Talent. Besonders Ihr... Einsatz für die armen verloren Soldatenseelen in Valon war löblich, Brigadegeneral Palinquas."
Schlagartig zuckte ihr Kopf hoch - und das Petrol ihrer Augen bohrte sich perplex in den Blick des Kaisers.
Sofort zuckte der zusammen, stolperte zurück und wäre fast zurück in seinen Thron geplumpst, aber sein Flügeladjutant fing ihm im letzten Moment auf.
Aber Zilli senkte ihren Blick nicht. Statt geheuchelte Reue zu zeigen, presste sie nur hervor: "Wie bitte?"
Das konnte nicht sein. Unmöglich. Das Kommando über ein Battalion ja. Vielleicht sogar ein Regiment, aber eine Brigade?
"Meine Liebe, wollen Sie Ihrer Art denn nicht alle Ehre machen?" Da war er wieder, dieser schleichende Spott. Das Zittern war fast aus seiner Stimme verbannt.
"Natürlich. Es wäre das größte aller Privilegien, auf Geheiß Seiner Majestät zu dienen", würgte sie hervor.
"Nichts Anderes will ich hören! Mögen die drei Moiren Sie selig haben! Vollbringen Sie in Marondais bei der Rattenbrigade das Wunder von Valon!"
Sie hätte sich freuen sollen. Hätte sich wahrscheinlich auch freuen können, wäre da nicht dieser letzte Satz gewesen.
Marondais, wo die Schicksalfäden endeten.
Wo vom letzten Brigadegeneral nichts mehr als Fetzen zurückgeblieben war.
Und dieses schmale Grinsen auf dem Gesicht des Admirals, so gestochen scharf gegenüber der schwammigen Hybris des Kaisers, sagte alles über die Falle aus, die in diesem Moment über ihr zuschnappte.
Dann geschah alles so schnell. Beinahe fühlte es sich an, als würde Zilli die Prozession durch Milchglas beobachten.
Ein Kranz aus vergoldeten Eichenblättern war seit jeher ein Zeichen der bruktischen Generalität gewesen. Ein Brauch älter als der Staat oder die Große Ausmerzug.
Normalerweise las man darüber, wie Könige und Kaiser ihren obersten Offizieren diesen ehrenvoll auf das Haupt setzten, aber man erlebte es nicht.
Vor allem erlebte es ein Magier nicht.
Hatte es noch nie getan - bis jetzt.
Und diese Ausnahme war sie.
Beschwert von dieser regelrechten Krone erhob sie sich, verneigte sich steif, während ihr der Flügeladjutant zuraunte:"Sie wissen doch, dass Generale die Uniform aus eigener Tasche schneidern lassen müssen?"
Natürlich. Wie könnte es auch anders sein, als dass Geld die letzte Hürde sein würde?
Aber sie nickte nur, murmelte höfische Floskeln, dann verjagte er Monarch sie mit einer wedelnden Hangeste.
Als wäre sie eine Fliege. Ungeziefer.
Steif machte sie auf dem Absatz kehrt, schritt durch den Spalier der lautlosen Menge, als hätte die ganze Welt den Atem angehalten.
Die Rattenbrigade. Natürlich landete sie dort. Welch Zynismus. Welch bittere Ironie.
Dort wurden sie alle aussortiert - Verarmte Magier aus den Kabachenvierteln, Diebe, Karlisten, ja selbst oppositionelle Künstler. Kurz: Der ganze Schmutz dieser Gesellschaft.
Sie wusste, was ihre Mutter zu ihnen immer gesagt hatte:
Sie kommen, um zu sterben. Gut so. Man braucht Sie ohnehin nicht mehr.
Als sie ihren letzten Blick zurück in den Saal warf, wanderte ihr Blick höher. Über den Thron, auf die Galerie.
Da, erhoben über allen, stand Schwolent in rot und gold.
Sie lächelte zu Zilli herab und prostete ihr mit einem Champagnerglas zu.
Schaudernd wandte sie sich ab und beschleunigte ihre Schritte.
Das war es also.
Die Brigadierin Palinquas.
Die Tote unter den Lebenden.
Kaum hatte sie der Saal zurück in das Vorzimmer gespuckt, drang das Trippeln und Schnaufen von Kerinsk an ihre Ohren.
"Das ist die schönste Selbstmordaufforderung, die der Kaiser je ausgesprochen hat", spuckte er regelrecht aus. "Und raten Sie einmal, welcher Oberst aus dem Kerker geholt wurde, um Ihr Los zu teilen. Das ist die größte Frechheit seit... seit..."
"Seit Magiergedenken?", fügte Zilli trocken an, erntete aber nur sein Schnauben.
"Sehr witzig, Fräulein Oberbonze! Man will Sie tot sehen, wissen Sie das nicht?"
Natürlich wusste sie das.
Kerinsk wusste es.
Der Hofstaat wusste es.
Vor allem der Admiral wusste es.
Marondais - und erst die Rattenbrigade- war nicht nur eine Herausforderung, sondern ein verlorener Posten.
Unwillkürlich dachte sie an den Kapitän des Luftschiffs in Valon und den Revolver in seiner Hand.
Tod im Kampf war für einen General unwahrscheinlich, Gefangenschaft schon eher.
Aber ein bruktischer General geriet nicht in Gefangenschaft. Es war gegen die Ehre.
Ein General starb den Freitod.
Und wenn sie ihr eigenes Leben mit Haft retten wollen würde, die einzige Magierin, die je Generalin geworden war... Nach dem Saphir-Kabisius-Debakel würde sie damit Ausschreitungen nahezu herausfordern.
Man wollte sie zu einer Märtyerin machen.
Aber Zilli war keine Spielfigur mehr.
Diesen Gefallen würde sie Kaiser und Generalstab nicht tun.
Mein Name ist Zilli Palinquas, wiederholte sie grimmig in ihrem Kopf.
Die Welt wird zittern und flehen und meinen Namen wie ein Gebet sprechen.
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