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XVIII. Nachts in Calieux

▪︎ ▪︎ ▪︎


Valentins Welt war weiß geworden.

Weiße Wände, weiße Decken, weiße Laken.
So hell wie die Drachenknochen, aus denen laut all den alten Legenden und Sagen Calieux errichtet worden war.
Genau wie diese Zelle.

Wäre Arondax auch nur ein bisschen weniger gnädig gewesen, wäre es ein fürchterlich trostloser Anblick gewesen.

Die Kammer war nackt und so blendend weiß, dass es in den Augen schmerzte.
Allein an der Frontseite erstreckte sich ein einziger, gigantischer Spiegel, der für jeden hinter der Zelle wohl nichts als ein Fenster war.
Valentin war hier drin nicht nur blind, sondern auch dem wachsamen Blick von ewigen, unsichtbaren Wächtern ausgeliefert.

Es waren die perfekten Voraussetzungen, um in den Wahnsinn getrieben zu werden.
Aber man rettete ihn mit kleinen Farbtupfern und Bequemlichkeiten.
Sei es der rote Diwan, auf dem er kauerte, das blassgoldene Zierkissen in seinem Rücken, Ledereinbände irgendwelcher Bücher, der Teller mit der halb gegessen Tarte aus Zwiebeln, Käse und irgendwelchen Grünzeug oder selbst die zahllosen Papiere, die er vollgekritzelt hatte und die nun überall um ihn verteilt waren.

All das konnte aber nicht über das Zentrum dieses Verließes hinwegtäuschen, das Valentin den Schlaf raubte.
In der Mitte des Raums war ein Abfluss.

Egal wie sehr er sich auch einreden wollte, das Metallgitter wäre bloß mit Rost bedeckt, so wusste er doch genau, dass es eingetrocknetes Blut war.

Er hörte sie.
Die Seelen der Opfer, deren Totenlichter noch immer diesen Raum verstopften und in seinen Ohren kreischten.
Magier.
Hier drin waren bereits seine Leute gefoltert und getötet worden.

Es war alter Schmerz.
Älter als Arondax oder gar Valentin.
Vielleicht sogar aus einer Zeit, wo Könige statt Präsidenten regiert hatten.
Trotzdem war ein Teil von ihm dankbar dafür, dass sich das Adamium wie ein Schutzwall zwischen ihn und die Pein dieser gemarterten Geister schob.

Mit einem heftigen Schlucken riss er seinen Blick von dem Abfluss los und fixierte die Glaswand vor ihm.
Sein eigenes Antlitz starrte zurück.

Noch immer waren seine Wangen von Verbrennungen gerötet, die Augen dunkel umrändert und die Haut aschig, aber wenigstens wirkte er nicht mehr wie frisch aus dem Grab gekrochen.
Leicht zuckten seine Lippen.
Hier war er nun und führte ein Leben im Morgenmantel.
Er schloss seine Augen.

Nicht fern von hier musste die Dugronne durch die hellen Kanäle der Stadt donnern. Eine stete Flut, bereit alles - ganz gleich ob Mensch oder Magier, arm oder reich - einfach hinfortzuspülen.

Tagsüber zeigte sich der Fluss als silbern schimmerndes Band und wenn man seinem Lauf folgte, verschwand man irgendwann in der See der Tausend Tränen.
Dort stand einem dann die ganze Welt offen.
Der Kontinent Bhukanda mit seinen beeindruckenden Ruinen und Urwäldern, die Küsten des Atamanischen Reichs mit dem bröckelnden Gold einer schwindenden Großmacht und die in Schatten und Blut gehüllte rauchende Stadt.
Umschiffte man dann das Topas- Kapp und segelte nach Norden und befuhr die Flussmündungen in die Steppe Morokews kam man nach Khayagdsan. Der Geburtsort seiner Mutter. Jetzt morokewisches Gouvernement.

Hier aber beschränkte sich selbst Saint-Mitres größte Metropole auf dieses kleine Zimmer.
Heute Nacht aber nicht.

Ein Knarzen fuhr durch den Raum.
Sofort flogen Valentins Lider auf, dann sah er die Furchen im Glas, die sich langsam wie eine Tür aufschoben.

Der Magier zuckte zusammen, richtete sich auf und griff instinktiv nach dem Messer auf seinem Teller.
Es war stumpf.
Natürlich war es das.

Ein Soldat trat in den Raum.
Ein Tschako hüllte sein Gesicht in Schatten und Valentin erkannte nichts mehr als den harten Zug seines Mundes.
Noch ehe der Magier die Lippen hatte öffnen können, verkündete der Soldat:
"Sie wurden angefordert. In den Gärten von Syralis."

Valentin blinzelte.
"Jetzt? Vom Präsidenten?"
Er hatte Arondax seit der Zugfahrt von... irgendwo nach Calieux nicht einmal mehr gesehen. Selbst seine Erinnerungen daran waren von Fieber und Schmerzmittel aufgelöst.

"Ja", kam es knapp zurück. Dann:"Nein."

Wirklich sehr informativ.

"Wer möchte mich denn sehen?", hakte er nach und glitt vom Diwan, das Messer noch immer in den ausladenden Ärmeln des seidigen Morgenmantels verborgen.

"Man möchte Sie nicht sehen", korrigierte der Soldat ihn bloß. "Man verlangt, Sie zu sehen. Wenn Exzellenz also nun folgen?"

Exzellenz.
Der hart erkämpfte Titel verkam zum Spott.
Wenigstens hatten man ihn nicht Baron genannt.
In Saint-Mitre mit einem Adelstitel angesprochen zu werden, wäre wohl wirklich der letzte Schritt, bevor die eigenen Überreste in einem Abfluss versickerten.

Mit einem Mal machte der Soldat einen Satz nach vorne.
Schon klammerte sich seine Pranke um Valentins Handgelenk, seine Finger wurden taub und das nutzlose Buttermesser fiel klappernd zu Boden.
Der Soldat hob eine Braue, Valentin schwieg eisern zurück.

"Es wird kalt", informierte man ihn nach einigen zähen, vorwurfsvollen Sekunden und der Mitreaner warf ihm einen dunklen Soldatenmantel über die Schultern, dann zog der Mann Handfesseln hervor.

Valentin erstarrte, doch statt dem Glühen von Adamium schloss sich nur kühles Metall um seine Gelenke.

Umso stärker kribbelte es aber in seinem ganzen Körper, als er dem Soldat erst durch das karge Verließ die Treppen hinauf in die Korridore des Präsidentenpalast folgte.

Auch wenn man die royalen Symbole und Spielereien entfernt hatte, so konnte man an den hohen bemalten Decken und den Alabasterfliesen noch immer den vergangenen Prunk erahnen.
Aber sie blieben nicht lange in den Hallen, sondern traten durch eine Glastür in die Spätwinternacht.
Sofort quollen Eiswölkchen aus ihren Mündern.

Die prächtigen Fassaden der Residenz schlossen den ehemaligen Lustgarten Syralis ein, doch selbst die Natur war nur ein weiterer Bestandteil der Architektur.
Alles war ein reines Abbild der Makellosigkeit.
Die winterwelken Büsche waren noch immer sorgfältig getrimmt und die ersten weißen Knospen waren gleich sorgfältigen Pinselstrichen.
Auch ohne die Brunnen und Statuen wirkte die Schönheit vollkommen künstlich. Geplant, als hätte der Mensch Schicksalsschwestern gespielt und die Natur selbst gebändigt.

Nun, nicht ganz, musste er schmunzelnd feststellen.
Schnecken mit faustgroßen, kristallinen Häusern saugten sich an den wenigen lebenden Blättern fest und ließen nichts als kahle Stellen und leichtes Glimmen zurück.
Schimmerschnecken, wie sie im Volksmund genannt wurden oder im Jargon der Landschaftsarchitekten: Der absolute Albtraum.
Manch einer in Bruktien würde auch sagen, der beste Verbündete gegen Saint-Mitre, den ihr Land jemals gehabt hatte.
Angezogen von seiner magischen Energie trieben sie sich auch Zuhause im Schlosspark herum, aber hier waren sie eine regelrechte Plage mit überraschendem destruktiven Potential.
Der natürliche Fressfeind der mentalen Gesunheit eines jeden mitreanischen Landgutbesitzers.

Man ließ ihm jedoch keine Zeit, dieses Wunder von Natur und Magie zu bestaunen.

Die Finger des Soldaten gruben sich tiefer in seinen Arm und er zog ihn vorwärts. Valentin stolperte, wurde um die nächste Marmorstatue gezerrt und hob seinen Blick.

Sein Magen verkrampfte sich schlagartig.

Kies knirschte laut, als er seine Füße in den Boden stemmte und den Soldaten ächzend zum Straucheln brachte.

"Was-", wollte man ihn anherrschen, doch da drehte sich die schemenhafte Figur schon zu ihnen um.

Nicht Arondax war es, sondern Shruti Kunwar.
Der Hinterhalt am See.
Das Adamium, das ihm die Haut von den Knochen schmolz.

"Saphir, Sie haben es also rechtzeitig geschafft! Wundervoll."
Ihre rot bemalten Lippen leuchteten ihm in einem breiten Lächeln entgegen, aber ihr Ausdruck war gleich einer Bronzemaske.

"Mir war nicht bewusst, dass Sie Calieux der Front vorziehen", erwiderte er bloß. "Oder hat man die wackere Pilotin vom Himmel auf den Boden der Tatsachen geholt?"

Scheinbar hatte er getroffen, denn sie zuckte schmerzvoll zusammen.

Doch prompt senkten sich ihre dunklen Brauen und sie tippte gegen ihren entblößten Hals, an den sich allein ihre ölige Flechtfrisur schmiegte, in der kleine goldene Glöckchen klirrten.

"Das Halsband schmeichelt Ihnen wirklich sehr, Exzellenz", spöttelte sie. "Eine außerordentlich gute Qualität. Zwergisch, nehme ich an?"

Valentins Lippen verzogen sich.
"Das Kunstwerk der Paßral-Minen. Zeugnis der stetigen Liebe der Zwerge zu meinem Volk. Selbst die Schmiede in Arakpur sind dagegen Dilettanten."

Arakpur war die kleinste der drei heiligen dutvarischen Stätten, aber noch immer Sitz des Maharadschas und seiner famosen Kunsthandwerker.
Dutvar selbst war ein kleiner, unbedeutender Fleck Land, den man auf der Karte nur allzu leicht übersehen konnte.
Eingequetscht zwischen Jarasalm und dem Hoheitsgebiet der atamanischen Flotte hätte es normalerweise schon längst seine Souveränität verlieren müssen.
Aber es gab Gründe, weshalb dieser Fetzen Landkarte niemals einverleibt worden war. Auch wenn die Ressourcen dort so verlockend sein mussten.

Kunwar warf ihn nur einen stechenden Blick zu.
"Ciel", fügte sie Richtung des Soldaten an. "Würden Sie bitte den Geheimrat und mich alleine lassen?"

"Aber mir wurde aufgetragen, sicherzustellen, dass er nicht-"

"Ich glaube, ich beherrsche mittlerweile die hiesigen Sitten der Gastfreundschaft ausreichend", zwitscherte sie. "Immerhin darf ich beanspruchen, seine Exzellenz erst zu uns gebracht zu haben."

Ciel zögerte, seine Blicke huschten zwischen Valentin und der präsumptiven Maharani hin und her. Schließlich schlug er die Hacken ineinander, salutierte und zog sich diskret außer Hörweite zurück..

Dann wurde es still und Valentin machte keine Anstalten, näherzukommen.

"Arondax meinte, Sie machen große Fortschritte bei der Heilung des Jahrritts", eröffnete sie erneut, aber er sah, wie sie unruhig an ihrem Seidenschal zupfte.

"Ich habe einen Ansatz. Eine Linderung der Symptome höchstens, nicht der Ursache", meinte er bloß. "Es ist nicht perfekt."
Und das sollte es auch nicht sein.
Wenn Arondax dachte, er könne Valentin einfach so zur Kollaboration oder gar zum Verrat bewegen, dann hatte er auf das falsche Pferd gesetzt - oder den falschen Magier.
Das hieß aber noch lange nicht, dass er trotzdem keine Vorteile aus dem Pakt ziehen konnte.

"Was ist das schon?" Ihr Griff um die Seide wurde fester. "Vertrauen Sie mir. Wenn es zerbricht, dann tut das angeblich Perfekte am meisten weh."

"Aber Sie sehen bereits... erholter aus", fuhr sie fort, bevor sie seufzte. "Es tut mir Leid, was Ihnen widerfahren ist."

Der letzte Rest Magie in ihm meldete sich bei den Worten.
"Sie lügen", stellte er als Schlussfolgerung fest.

Geschlagen zuckte sie mit den Schultern.
"Ich würde es wieder tun."

"Sie empfanden es also als gerechtfertigt? Mord unter weißen Bannern?"

"Verurteilen Sie mich?"

"Ich würde nur gerne wissen, warum. Reines Kalkül oder glaubten Sie wirklich an Kabisius Schuld?" Schmerz zuckte durch seine Brust, als er an ihr hageres Gesicht und ihre scharfen Worte dachte. Sie war ein einfriges Getriebe in einem blutigen Krieg gewesen, eine unverbesserliche Reaktionäre und doch am Ende vielleicht sogar ein Opfer ihres eigenen Systems.

"Ich weiß es nicht", gestand sie, doch ihre Stimme blieb fest. "Aber ist das überhaupt wichtig? Als Kommandeurin der Nishta habe ich meine Leute grausame Tode sterben und gleichermaßen verursachen sehen. Einfache Sepoys bekommen dafür höchsten irgendwelche wertlosen Orden aus Bronze oder Gold, ihre Tode landen in Listen, trotzdem schicken wir sie immer wieder und wieder zu Angriffen. In den Gräben wird schmutzig gekämpft und schmutzig gestorben. Offiziere können es Ihnen also gerne gleichtun."
Seine Magie spürte, dass sie nicht log, sogar sehr nah an der kompletten Wahrheit kratzte. Aber da blieb noch ein Kribbeln zurück. Ein Kribbeln nach mehr.
Sie war auf Arondax angewiesen und man verärgerte seinen Mäzen nicht, indem man dessen Plan nicht unterstützte.

"Für eine Prinzessin klingen Sie überraschend egalitär. Nahezu karlistisch."

"Keine Prinzessin, Exzellenz, eine Maharaj Kumari." Sie schnaubte.
"Wenn ich dem Usurpator aber das Ruder entreiße, dann wird es Reformen geben. Aber bloß keine Sorge, mein Kopf ist zu hübsch, als das ich zulasse, dass die Karlisten ihn aufspießen."

"Das würde ich nicht zu bezweifeln wagen", setzte er an. "Aber Sie sind nicht hier, um über meine Gesundheit zu plaudern."
Bei den drei, er brauchte dringend mehr Schokolade, um diese Gefangenschaft - pardon, mitreanische Gastfreundschaft - ertragen zu können.

Als wären seine Worte in Kälte gegossen, zog sie ihren Seidenschal enger um ihre Schultern.
"Ich wollte mich nach einer Magierin erkundigen. Aus Bruktien."

Das war es also.

Die Aussage entlockte ihm fast ein leises Lachen. "Es gibt tausende Magier in Bruktien. Wie viele Ihrer sechs Millionen Bürger kennen Sie bei Namen?" Aber als er sah, wie etwas in ihren dunklen Augen zu schwimmen begann, konnte er nicht vermeiden, zu fragen:"Wer?"

"Ich weiß nicht, ob Sie Ihren Namen kennen, aber- Sie muss in der Truppe dieser Kabisius gewesen sein. Feuermagie, ein Magnet für Chaos und sieht neuerdings so aus, als hätte sie eine explodierenden Granate umarmt."

Feuermagie, die keine mehr war, Leben, das keines mehr war, ergänzte er innerlich.
"Palinquas."

Allein das Wort reichte aus, damit etwas in ihrem Gesicht aufleuchtete.
"Sie kennen sie?"

"Wieso möchten Sie das wissen?"
Warum überhaupt Palinquas? Wenn das, was in Valon geschehen war, ihre Verantwortung war...
Das machte sie zumindest zu einer mittelschweren Bedrohung.

Shrutis Worte waren nichts als ein raues Kratzen.
"Ich... Ich brenne und begehre. Ich verbrenne an ihr."
Die Aufrichtigkeit ihrer Worte rammte sich wie ein Messer in seine Brust.
Er musste würgen.
So hatte er selbst nur ein einziges Mal für jemanden gefühlt - und das machte es umso schmerzhafter.
"Und jetzt, ich mache mir Sorgen. Das letzte mal, sie - Sie war so anders. Aschfahl, eiskalt. Sie hat nicht einmal mehr geatmet."

"Sie hat den Tod betrogen", setzte er zögernd an. "Sie hat getan, wovon noch keine Chronik zeugt. Wenn jemand die Chance hat, all das zu überstehen und zu Ihnen zurückzukehren, dann sie."

Die Dutvari nickte bloß, dann fingen ihre Hände an zu zittern.

"Nichts ist gut", murmelte Shruti wie zu sich selbst, als wäre er gar nicht da. "Ich kann ihr nicht einmal mehr Briefe schreiben. Keine Depesche, kein gar nichts. Ich wäre gerne da gewesen, als es ihr schlecht ging. Hätte ihre Hand gehalten. Hätte mich entschuldigen können für alles. Für einfach alles."

Valentin kratzte all seine Contenance zusammen und näherte sich ihr, legte ihr vorsichtig einen Arm um die Schultern und zog sie auf eine der weißen Steinbänke, die wie Perlenketten in der Dunkelheit glommen.
Kaum berührte er den Marmor, bemerkte er die Gargouilles auf den Zinnen über ihnen - und ihr starrender Blick, der auf ihnen ruhte.

"Was ist denn passiert?"

"Es ist kaputt, verstehen Sie nicht? Ich habe sie angeschossen, habe sie sterben gesehen. Natürlich nicht absichtlich. Ich wollte es nicht. Natürlich nicht. Bei den Göttern, es war ein Unfall und trotzdem... und trotzdem habe ich danach der Fliegertruppe angeschlossen. Weil ich meine Zilli in all dem Tod und Schreien verwechselt habe. Es ist meine Schuld, alles meine Schuld-" Sie vergrub ihr Gesicht in den Händen. "Und jetzt versinke ich hier in Würdelosigkeit und sie ist irgendwo da draußen und ich kann mich nicht einmal entschuldigen."

"Wir alle machen Fehler", wiederholte er, aber die Worte schmeckten fahl und aschig in seinem Mund.
Manche Fehler waren eben unverzeihbar.
Und er durfte sich keine erlauben.

▪︎ ▪︎ ▪︎

Schon seit seinem ersten Tag am Hof, als Bruktien bloß ein Flickenteppich aus zersplitterten Fürstentümern war, statt Kaisern Könige und Herzöge regierten, hatte man Valentin einen Scharlatan genannt. Verschlagen. Manipulativ.
Ein Figürchen in einem Spiel, das viel zu hoch für ihn war.

Aber als er abgestochen und halb ausgeblutet in einem der Salons des Schloss Caretz lag, fühlte er sich wie keines davon.

Bald ist es vorbei, raunte ihm sein eigener Geist zu, aber die Angst vor dem Tod war nicht stärker als der Schmerz.
Jeder Atemzug rasselte, seine Sinne waren taub und nur noch ein einziges Dröhnen existierte. Jeden Moment drohte sein Sichtfeld zu zerfasern.

Dabei war es so schnell geschehen.

Eigentlich hatte man ihn nur gezwungen, an einen von Ernst Friedrich II. unzähligen Spielabenden teilzunehmen, die nahezu einer Soiree anmuteten und dem Klavierspiel des Königs als Bühne dienten. Abgelenkt von Musik und dem neuen Prunk eines Hofes, den er sich noch vor drei Monaten nicht einmal hätte erträumen können, hatte er nicht das Blitzen des Messers gesehen, bis es schon in seiner Seite versunken war.
Zuerst hatte er den Schmerz nicht einmal gespürt, nur gehört, wie sein eigenes Fleisch unter dem Stahl zerriss.

Mehr aus Reflex hatte Magie den Angreifer wie ein Spielzeug gegen die nächste Wand geschmettert, doch noch als das Rückgrat des Angreifers zerschellte, war Valentin in einer sprudelnden Lache aus Blut zusammengebrochen.
Das nächste, an das er sich erinnern konnte, waren die kühlen Hände eines Physikus.
Des privaten Physikus des Königs, erinnerte er sich schaudernd.

Allein diese kleine Regung ließ ihn vor Schmerz zusammenzucken.

Aber da war etwas anderes. Ein leises Knarzen, die Angeln der Tür ächzten.

Valentins Atem stockte und er hangelte sich durch den Vorhang der Pein zu dem Funken seiner Zauberei, bereit, sich zu verteidigen, aber jeder Wille schwand, als er erkannte, welche Gestalt sich da in sein Sichtfeld schob und nonchalant auf einen der Polstersessel fiel.

"Majestät", wollte er sagen, aber ihm entkam nur ein Keuchen.

Ernst Friedrich hob daraufhin eine vielsagende Braue.

Eigentlich wirkte der König fremd an seinem eigenen Hof. Er umgab sich mit Künstlern, Poeten und den größten Köpfen seiner Zeit, Feingeister, die ihresgleichen suchten und diese in dem jungen König zweifelsfrei auch fanden. Und doch sah man ihn nie ohne Uniform.
Dazu noch Dreispitz und vergoldeten Pallasch - so auch jetzt.
Aber war Politik nicht nur eine andere Form des Krieges?

"Sie sind wahrlich ein Magnet für Ärger, wissen Sie das, Saphir?", merkte er nahezu beiläufig an und langsam, zuerst zögernd, beugte er sich herab und strich dem Zauberer die verschwitzten Strähnen aus der Stirn.

Beinahe hätte sich Saphir in Grund und Boden geschämt.
Von dem Physikus aus dem goldbestickten nachtblauen Halbumhang, Glacéhandschuhen und den Stiefeln mit den nach oben gekrümmten Schuhsohlen geschält, lag er als hilfloses Bündel allein in Strümpfen, Hemd und Kniebundhose da.
Obwohl, bei seinem ersten Treffen mit dem König hatte er in einer Kerkerzelle gelungert, sonderlich souveräner war er da auch nicht aufgetreten.

Sein Blick fiel auf die zerknüllte Kleidung neben ihn.
Es war reinster Kitsch, eine Mischung aus dem, was man vielleicht in Massengräbern oder an den bösen Magierdarstellern in Opern fand.

Wahrscheinlich sollte er dankbar sein. Dankbar, dass er hier offen existieren durfte, dass er das tragen durfte, was seine Leute vielleicht einmal getragen hatten.
Aber er hatte sich selten so entblößt gefühlt.
So durch und durch ausgestellt.
Genauso gut hätte man ihn nackt bei Hofe vorführen können.

"Was wollen-", brachte er noch hervor, dann scheiterte seine Stimme in einem zischenden Laut.

Die rauen Finger glitten von seiner Stirn herab zu Valentins Wange.

"Bevor Sie sich entschieden haben, mir meinen Lieblingsteppich vollzubluten", entgegnete der König und tippte gegen Valentins Nasenspitze. "Waren wir ein sehr angeregtes Gespräch am führen, nicht?"

Sofort rutschte das Herz des Magiers mehrere Etagen herab. Er schluckte, aber Seine Majestät legte nur den Kopf schief, als er fortfuhr:"Einige meiner Fabrikanten sind sehr unzufrieden mit der Leistung, die Ihre Magier in den Manufakturen erbringen. Unkooperativ, schwach, heimtückisch - das sind noch die freundlichsten Vorwürfe."

"Natürlich sind Sie das. Bis vor Kurzem mussten sie sich unter erbärmlichen Umständen verstecken und den Scheiterhaufen fürchten, geben Sie ihnen Zeit, dann-" Doch als er sich leicht vorlehnen wollte, um seiner Stimme Nachdruck zu verleihen, krümmte sich sein Körper vor Schmerz, er schnappte nach Luft und sackte in den Kissen zusammen. Helle Flecken tanzten vor seinen Augen.
Valentin bemerkte kaum einmal, wie der König seinen Handrücken tätschelte.

"Sie brauchen Ruhe. Dringend. Wir sollten die Minister erst später konsultieren."

"Nein", krächzte er. Bloß nicht. Bitte nicht. Diese Minister schafften es ja schon fast, dass Valentin sich selbst verachtete. "Oder haben Sie neuderings in Pluralis Majestatis gewechselt?"

"Finden Sie mich ohne etwa nicht hoheitlich genug? Sagen Sie mir, Saphir, vermissen Sie Ihre Zelle so sehr, dass Sie nun schon Majestätbeleidigung proben?" Valentin wollte nach Luft schnappen, aber der Monarch warf ein:"Das war ein Versuch von Humor. So etwas kennen Sie doch, oder?"

Gerne hätte er darauf etwas erwidert. Aber er konnte nicht. Jeder Atemzug schien die Glut in seiner Brust anzufachen und jede Silbe trieb die Flammen in die Höhe.

"Trotzdem schafft Magie mehr als diese primitiven Maschinen und Hände von Menschen, die genauso ungebildet und schlecht genährt sind wie die Zauberer. Das Potential, in ein paar Monaten die anderen Fürstentümer mit Fortschritt zu übertrumpfen..." Er schaffte es nicht, den Satz zu beenden.

Mit einem mürrischen Nicken segnete der Souverän die Worte ab.
"Wir brauchen dringend Arbeitskräfte", gestand er ein, seine Zähne knirschten hörbar.
Teutin hatte viele Landsleute eingbüßt. Seuche, herannahender Krieg, eine Hungersnot, die Ernst Friedrich II. nur durch den Import fremdländischer Feldfrüchte hatte eindämmen können. Seine Regentschaft versprach, ihm nicht nur Steine, sondern Schluchten vor die Füße zu werfen.

"Also nutz doch einfach uns", schaffte er es noch zu wispern, bevor ihm wieder die Stimme versagte.

"Bevor Sie für irgendetwas genutzt werden, erholen Sie sich erst einmal", warf der König ein, bevor er einen Schlussstrich zog: "Ich nehme diese Informationen dankend an. Aber erwartet nicht, dass ich für Sie meine ganze Regierung übergehe. Ich bin erster Diener des Staates, nicht göttinnengewollter Gewaltherrscher."

Für einen Moment öffnete er seine Lippen, wollte protestieren, da riss ihm der Uniformierte das Wort ab:"Ende hier, Saphir. Da gibt es aber noch etwas anderes."
Wortlos schnippte er. Auf Kommando schob sich eine Dienstbotin in den Salon. Begleitet von einem Silbertablett, das sie knicksend vor ihnen abstellte.

Aus seinen schwammigen Augen erkannte er einen Becher mit undefinierbarer weißer Flüssigkeit und daneben eine Schale mit... Konfekt? Fast schon zupfte ein Lächeln an seinen Mundwinkeln, da nahm der Souverän eine Praline und schob sie Valentin über die Lippen.

Genauso gut hätte sie auf seiner Zunge zu Asche zerfallen können. Er schmeckte nichts, spürte nur die zähe Masse in seinem Mund und das Klingeln in seinen Ohren.
Aber das war egal.
Einfach der Gedanke, in einem weichen Polster zu lungern und - sogar auf Geheiß Seiner Majestät - Luxusartikel wie Konfekt zu naschen, war ein Sieg gegen all jene, die ihn für Jahre wie ein Tier gejagt hatten.

"Haben Sie schon die offizielle Version über den Anschlag gehört?", eröffnete sein Gegenüber und riss ihn aus den Gedanken. "Der Anschlag wäre nicht auf Sie gerichtet, sondern ginge von meinen Feinden aus. Es war ein Anschlag auf den König, den Sie abgefangen haben."

"Warum nicht die Wahrheit?"

"Ein wenig Aufopferungsbereitschaft wird Ihrem... suboptimalen Ruf nicht gerade schaden. Und ich will meinem Hof nicht dem Vorwurf der Heuchelei aussetzen, einerseits jetzt einen Magier zu hofieren, nur um ihn über die Ecke springen zu lassen. Dann kann ich auch mit gutem Gewissen nach einem Blutmagier für Ihre Wunden schicken lassen." Er verzog die Lippen. "Also nachdem ich das Schloss verlassen habe. Ich möchte nicht mit so einem-"

Valentin nickte bloß, denn er fand keine passende Erwiderung. Eher hätte er dankbar sein sollen, aber Pein und Müdigkeit nähten seine Lippen zu.

"Dann können Sie auch etwas gegen den Schmerz nehmen", übernahm der König wieder das Sprechen, und drückte ihm den Kelch in die Hand.

Der zähflüssige Inhalt legte Valentins Stirn in Falten.
"Das ist kein Laudanum", merkte er an. Und es war kein anderes der Schmerzmittel, die ihm der Physikus vorhin verabreicht hatte. "Was ist es dann?"

"Ein Schlafmittel."

Valentins Nackenhaare stellten sich schlagartig auf. Nein, er konnte seinen Körper nicht so schutzlos, so hilflos und den Geist weit fort so liegenlassen. Nicht nachdem- nicht nachdem das Messer seinen Bauch aufgeschlitzt hatte.

"Nein," japste er, Panik klirrte in seiner Stimme. "Bitte - Bitte ich will nicht allein sein." Und vor Schmerz löste sich etwas in seinem Inneren und es entwich ihm:"Bleiben Sie bei mir. Bitte."

Der König blinzelte ihn an. Mehrmals.
Doch statt Rüge, Häme oder Bitterkeit erweichte sein Gesicht für einen Wimpernschlag.

Das Sofa knarzte, als Ernst Friedrich auf Valentins wechselte und mit einer unerwarten Zärtlichkeit den Kopf des Magiers auf seinen Schoß bettete.
Noch in der selben Bewegung führte er den Becher näher an Valentins Lippen.

"Natürlich, ich bleibe bei Ihnen. Sie sind bei mir sicher. Aber jetzt brauchen Sie einfach nur Ruhe."

Das Kapitel trug übrigens den Platzhaltertitel "Gay Panic"... und ich hab Shruti zwei mal Sappho zitieren lassen. Warum? Nur die Moiren wissen.

Und da die Schnecken der unangefochtene Star des Kapitels waren. Danke an linkulinku, dass du mir die karlistischen Schnecken of doom entwickelt hast (und dass ich mir jetzt viel zu viel Gedanken um Kabisius Leben nach Dienstschluss machen musste)
Was ist schlimmer, dass ich so crazy Konzepte einfach einbaue, oder dass die so gut passen?
Wie immer: Nur die Moiren wissen.

Und passend aus der selben Feder das wundervolle Kunstwerk zu Valentins und Gullis Beziehung :'D

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