Kapitel 7
„Natürlich im Kerker, wo denn sonst. Besen und Putzlappen sind schon da unten. Sei morgen bei Sonnenaufgang pünktlich vor der Tür. Es gibt viel zu schrubben, hast du ja selbst gesehen."
Ich sollte... den Kerker saubermachen?
Das war meine Strafe?
Ich musste so schnell es ging nach Hause!
„Danke, Davin. Für alles was du für mich getan hast. Ich stehe für immer in deiner Schuld", sagte ich. Ein herzliches Lächeln warf Falten um seine Augen.
„Nicht dafür."
Ich verbeugte mich und bahnte mir einen Weg nach draußen. Die eisige Luft war eine willkommene Abwechslung auf meinen heißgebrannten Wangen.
Was war bloß mit meinem Leben geschehen?
Erst der Angriff, dann der Kerker und jetzt das Urteil. Lia würde mir nie glauben. Ich war die Vernünftige, die nie in Schwierigkeiten kam... Sie durfte hiervon nie erfahren.
Daran hätte sie zu viel Spaß.
Mein Herz zog sich zusammen.
Sie musste schon längst im Norden angekommen sein. Ob sie schon geschrieben hatte? Ich atmete tief ein und sprintete über den großen Platz. Die Häuser zogen an mir vorbei, als ich mich auf den Weg zum Laden machte.
Ich bog in die schmale Straße.
Die Scherben waren von der Straße gekehrt und das Fenster war mit Holzbrettern zugenagelt worden.
„Tommy, Mama, Papa!"
Ich brach durch die Tür und ein warmes Feuer empfing mich. Es roch nach zu Hause. Tommy saß auf dem Boden und bohrte in den Holzrillen herum, doch bei meiner Stimme sah er auf. Seine Augenbrauen schossen zu den braunen Haaren und der Mund war aufgerissen.
„Lizzy!", rief er und sprang auf. Seine Wucht riss mich fast von den Beinen und ich schlang meine Arme um ihn.
„Ich bin wieder da", krächzte ich und ein erleichtertes Lachen erstickte in meinem Mantel.
„Ja!", rief er, „und du stinkst!"
Ich packte seine Schultern und der Spaß aus seinen Augen verflog. Sein Kinn zitterte, als er versuchte die Tränen vor dem Fallen zu halten. Meine eigene Sicht verschwamm und ich drückte ihn ein zweites Mal an sich. Tränen der Erleichterung kullerten von meinen Wangen. Tommy grunzte bei dem Geruch meines Mantels. Ein zittriges Lachen entkam meinem Mund und ich schmeckte Salz auf der Zunge.
„Hier sieht es ja nicht so schlimm aus", sagte ich. Die meisten Regale waren leer. Einige Kürbisse waren noch ganz. Das einzige Anzeichen des Vorfalls war das Fenster und die Bodendielen, die rot verfärbt waren vom Wein."
„Nachdem sie dich weggebracht haben, habe ich Mama und Papa befreit. Und dann kamen ganz viele Nachbarn und sie haben uns geholfen alles sauber zu machen. Wir werden im Winter nicht verhungern... Es- es tut mir so leid. Ich habe geschworen nie wieder etwas Böses zu machen", murmelte Tommy und seine Tränen waren ein Stich in meinem Magen.
Ich strich seine Haare aus dem Gesicht und er zog den Schnodder hoch, der aus seiner Nase hervorgekrochen war. Ich lächelte.
„Ich hab dich lieb", sagte ich.
„Ich dich auch. Darfst du jetzt hierbleiben?"
„Ja."
Wenigstens für heute Nacht.
Morgen würde ich das Monster im Verlies wiedersehen...
„Liest du mir heute Abend etwas vor?", fragte Tommy und ich wuschelte durch seine Haare.
„Natürlich."
„Du musst dir keine Sorgen machen. Sie haben den Keller ganz gelassen und alle Vorräte und Körbe sind noch da", sagte er und ein warmes Lächeln zeigte seine Milchzähne. Er nahm meine Hand und zog mich die Treppenstufen hinunter. Mit jedem Schritt gewann die Kälte und erinnerte mich an einen ganz anderen Ort.
„Siehst du?", sagte Tommy. Er hatte recht. Kisten randvoll mit Äpfeln von dieser Ernte, Weinregale gefüllt mit Flaschen, Mehlsäcke, Eierkartons...
Damit war der Winter sicher.
Solange, bis Silberblut angriff...
Und der Angriff würde kommen. Alpha Udyr wollte noch vor dem Jubiläum des Großen Umschwung alles südlich von Eiskralle einnehmen. Wir waren die letzten, die ihm zu diesem Erfolg fehlten und das Jahr war bald vorbei.
„Was haben sie mit dir gemacht?", fragte Tommy und drückte meine Hand fester. „Ich hätte selbst gehen sollen. Ich wollte nie, dass so etwas passiert..."
„Das ist jetzt vorbei. Ich werde aber nicht mehr so oft da sein... Du hörst auf Mama und Papa, während ich weg bin, oder?"
Tommy nickte energisch.
„Ich werde jetzt immer hören, versprochen!"
Ich lächelte.
„Hoffen wir einfach, dass uns Beta Leo in Zukunft in Frieden lässt..."
„Beta Leo ist ein Doofkopf", erwiderte Tommy und zog die Augenbrauen zusammen. „Er hat alles kaputt gemacht und dann hat er noch hämisch gelächelt."
„Versprich mir einfach, dass du so etwas nie vor anderen außer mir sagst", erwiderte ich. Er zog die Schultern hoch und lächelte entschuldigend. „Oh nein, wem hast du es erzählt?"
„Nur Onkel Theo, versprochen, und er hat gelacht! Er findet auch, dass Beta Leo ein Doofkopf ist. Und er hat nach dir gefragt", sagte Tommy.
Ich packte mir an die Stirn.
„Das habe ich ja komplett vergessen!", rief ich. Ob Theo sich Sorgen gemacht hatte? Ich schlang einen Schal um meinen Hals. Ich schnappte mir einen der Körbe und füllte ihn mit Brot, Äpfeln und Wein. Alles andere konnte ich morgen besorgen. Hoffentlich war Theo nicht schon verhungert...
„Ich bin gleich wieder da!", rief ich, rannte nach oben und knallte die Tür zu.
Die kalte Herbstluft begrüßte mich auf den Straßen. Ich durchquerte die Stadt bis zu den Häusern, die Theo für Eiskralle gebaut hatte. Verlassen standen sie am Waldesrand.
Dagegen strahlte Theos Haus aus allen Fenstern wie eine Laterne. Ich klopfte gegen das Holz, das unter meiner Kraft nachgab. Die Tür knarrte auf und Wärme empfing mich auf der anderen Seite.
„Theo?"
Die Dielen knarzten, als ich mich in das Haus des Bauherrn traute. Eine tropische Luft empfing mich, als wäre seit Ewigkeiten nicht gelüftet worden. Ich presste den Korb mit Essen näher an mich und bog in das Wohnzimmer. Pläne lagen verstreut im Raum, als hätte ihm Beta Leo auch einen Besuch abgestattet. Essensteller mit Resten, Brotkrümel, Graphitstücke...
Und mittendrin saß er.
„Theo, ich bin es! Es tut mir sehr leid, dass ich dich so lange allein gelassen habe. Es kam etwas daz-", begann ich und sein Kopf zuckte zu mir. Seine Augen leuchteten auf vor Freude und der Plan unter seinen Händen war völlig vergessen.
„Elizabeth meine Liebe, komm rein! Willst du Tee? Kekse? Ephilia hat im Keller einen Schatz an Essen gehortet! Ich fühle mich wie ein König!", rief er, wischte sich die Essensreste vom Hemd und strich sich die pfeffergrauen Haare aus dem Gesicht.
„Ich hatte schon Angst, dass du verhungerst bist", murmelte ich und sah mich um. „Aber vorher würdest du in diesem Müll wohl eher ersticken. Was ist mit den neuen Möbeln, die du in Auftrag gegeben hast?"
„Müll? Das sind wichtige Pläne! Und was die Möbel angeht: Ich brauche keine. Ich habe mir ein neues Bett zimmern lassen und der Rest war nur Platzverschwendung."
Ich bahnte mir den Weg durch das Chaos und stellte den Korb ab. Er hatte wohl nichts von Beta Leo und dem Kerker mitbekommen. Dabei konnte es auch bleiben. Ich hatte Ephilia versprochen mich um ihn zu kümmern und genau das würde ich tun... auf meine Weise.
„So geht das hier nicht! Du musst aufräumen", erwiderte ich und begann die leeren Teller und Schüsseln aufzusammeln.
„Vorsicht, nicht auf die Pläne treten!", rief Theo und schob alles aus meinem Weg, als ich zur Küche stolperte. Leere Gläser, dreckiges Geschirr und Abfall stapelte sich bis unter die Schränke. Sogar auf dem Boden warteten die Teller darauf gespült zu werden. Die Reste klebten schon fest daran.
Wie lange war ich im Kerker gewesen?
„Du", sagte ich und drehte mich zu Theo um, „holst jetzt einen Lappen und spülst dieses Chaos weg." Ich öffnete den Ofen und zu meinem erstaunen begegnete mir noch mehr Porzellan und eine halb gegessene Lasagne darunter. „Theo, sofort!"
„Ist ja gut, ist ja gut", sagte er und nahm sich den Schwamm. Ich schüttelte den Kopf und ging zurück ins Wohnzimmer. Ein leeres Weinglas stand auf dem Schreibtisch. Unter mir knautschte das Pergament, trotz meiner Versuche allem auszuweichen.
Das Tintenfass lag umgekippt darauf und tränkte Briefe und leere Schriftrollen in königsblaue Farbe. Ich runzelte die Stirn und versuchte wenigstens die ungeöffnete Post zu retten. Kein Wunder, dass Theo sie nicht geöffnet hatte.
Alles Rechnungen.
Von den Handwerkern, dem Bett, Materialien, einen neuen Teppich...
Ephilia?
Ich las die Worte auf der Schriftrolle dreimal, nur um sicherzugehen, dass mich meine Augen nicht betrogen. Zwei Briefe von ihr.
„Theo?"
Keine Antwort.
„Theo, was ist das hier?", fragte ich und nahm die zwei Briefe mit. Tinte sog sich in meine Haut und ich tupfte die Schriftrollen vorsichtig ab. Theo stand an der Spüle und murmelte vor sich hin. „Theo, wieso hast du Lias Briefe nicht geöffnet?"
Er zuckte herum.
„Was für Briefe? Zeig her!"
Er schnappte mir einen aus der Hand und las die Worte, die in Lias Handschrift darauf gekrizelt waren. Der andere war an mich adressiert:
Liebe Lizzy,
du glaubst nicht, was gerade eben passiert ist. Nur wenn ich daran denke, klopft mein Herz schon schneller in der Brust. Setz dich besser hin: Ich bin die Gefährtin von Alpha Eros...
Kannst du das glauben?
Jetzt stecke ich hier im Norden fest, ohne auch nur eine Person, die ich kenne. Ich wünschte du wärst hier... Ich hoffe dir und Tommy geht es gut. Ich habe Angst um euch. Sollte Silberblut auch nur mit der Wimper zucken, sagst du mir sofort Bescheid. Ich werde euch nicht im Stich lassen, versprochen...
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Wer kann das nur glauben? Wir sehen uns auf jeden Fall am Montag in alter Frische :)
Da gehts nämlich wieder runter ins Gefängnis!
Bis dahin: Was sagt ein Bauer nach der Getreideernte?
Ähre genommen.
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