Kapitel 67
Ich wollte nicht, dass wir so auseinandergehen... Auf Wiedersehen, Elizabeth...
Ich weinte meine Seele aus dem Leib.
Meine Knie drückten sich in den Teppich. Zelos war verschwunden und hinterließ mich mit der Kälte des Zimmers und einer blutroten Sonne, die über der eisigen Stadt aufzog. Sie vertrieb die schützende Nacht und brachte die Dächer zum Funkeln wie Glasscherben.
Irgendwo dort unten war Tommy.
Versteckt in einem der Häuser, bewacht von einer irren Wölfin und vermisst von niemandem außer mir. Jeder andere dachte, dass Davin ihn auf ein Abenteuer mitgenommen hatte. So etwas hatte der Wächter wohl nicht vermutet. Ob Davin noch am Leben war?
Ich kannte ihn genau so lange wie...
Ich wollte nicht, dass wir so auseinandergehen... Auf Wiedersehen, Elizabeth...
Zelos' Stimme und der steinerne Blick brannten sich mit jeder Minute in mein Herz hinein. Er war verbunden mit mir auf eine Weise, dass es wehtat.
Ich hatte ihn verletzt mit meinen Worten. Wie sollte ich ihn dann mit einem Dolch verletzten? Meinem Magen wurde schummrig bei dem Gedanken von seinem Blut an meinen Händen und auf meinen Kleidern. Seine Augen, die sich schlossen...
Tot.
Ich schüttelte mich bei dem Schauer, der über meinen Rücken jagte.
Was sollte ich tun?
Das Silbermesser lag versteckt unter Tommys Bett. Wenn es jemand fand-
Ein Winseln riss mich ein Stück aus meiner Verzweiflung. Kerberos tappte auf mich zu mit gesenkten Köpfen und angelegten Ohren. Dennoch überragte er mich um ein gutes Stück. Er stupste mich an und leckte mit einer Schnauze über meine Hand. Die andere beschnupperte mich.
Ich vergrub meinen Kopf in seinem nachtschwarzen Fell als könnte ich mich hier vor der Realität verstecken. Kerberos war warm und weich und schenkte mir einen kleinen Moment der Ruhe. Ich atmete durch.
Ich konnte nicht hierbleiben und nichts tun.
Wenn ich nichts tat, würde Tommy sterben.
In ein paar Stunden war die Hinrichtung des Teufels höchstpersönlich. Er hatte Leo und Mayra angestachelt. Er hielt die letzten Fäden in der Hand, die heute zerschnitten werden sollten.
Talon.
Er wollte, dass ich Zelos das antat, was Delta Ivan mir antun wollte. Nur viel schlimmer. Wir waren Gefährten. Talon wollte meine Reaktion sehen, nein, in erster Linie wollte er nicht sterben. Um jeden Preis wollte er hierbleiben, sich an das Leben klammern, selbst wenn es den Untergang seines eigenen Rudels bedeutete.
Ich hob meinen Kopf von Kerberos.
Er wollte den zerbrechlichen Frieden scheitern sehen, zerklirren an seinem Palast. Und ich war nur eine Spielfigur von vielen, eine, die er kontrollieren konnte. Er wollte, dass ich ein Spektakel veranstaltete an seiner Hinrichtung, durch das er den Tag überleben konnte.
Dass der Lycan keine Gefahr mehr für ihn darstellte.
Auf Verhandlungen würde er nicht eingehen. Er hatte nichts mehr zu verlieren und das einzige Vertrauen, was er hatte, konnte er nur zurück in sich selbst stecken.
Er war das Monster, nicht Zelos.
Der Riesenhund blickte mich mit drei Augenpaaren an.
„Danke", flüsterte ich und wischte mir die Tränen weg.
Ich war so wach wie seit Ewigkeiten nicht mehr.
Hätte ich doch nur eine Gedankenverbindung wie die Wölfe. Dann könnte ich Zelos genau sagen, was los war. Er wusste immer, was zu tun war. Er würde nie so in Panik verfallen und dumme Entscheidungen treffen. Bei ihm war alles überlegt und geplant.
Nur ich war nicht geplant.
Nur ich war seine Schwäche.
Nur ich konnte ihn verraten.
Nur ich konnte ihn töten.
Ich kniff die Augen zusammen, als könnte das die grausamen Bilder verdrängen, die sich mein Kopf ausmalte. Lieber würde ich hunderte Tage den eisigen Blick ertragen als nur einmal die Überraschung des Verrates.
Und dann?
Alles würde zerbröckeln unter dem Mord.
Ich wäre eine Mörderin.
Ich schob meine Hände vor den Mund, um das Schluchzen zurückzuhalten.
Eine Mörderin.
Eine Mörderin ihres Gefährten.
„Elizabeth?"
Die dumpfe Stimme schwebte unter der Tür hindurch.
War es schon so weit?
Panik blubberte in mir auf und ließ mein Herz zu neuen Höhen klettern.
Ich wischte mit dem Ärmel über mein Gesicht in dem Versuch, präsentabel auszusehen. Dana wartete geduldig, als ich aufstand und mit Kerberos treu an meiner Seite zur Tür schlich.
Ich schob sie einen Spalt auf und die Spannung fiel aus den Zügen der Werwölfin.
„Wie siehst du denn aus?", fragte sie. „Was ist passiert?"
Sie sah wunderschön aus, mit geschwungenen Wimpern und großen Augen. Ihre glänzend braunen Haare hatten wieder ein Stückchen Länge gewonnen und auf ihren Schultern trug sie ein Tierfell, edel genug für eine Königin, die sie heute werden würde.
Sie war bereit, ganz im Gegensatz zu mir.
In ihren Händen hielt sie zwei Kartons, die den Rest des Gewandes verbargen.
„Verzeihung", sagte ich und fuhr nochmal unter meinen Augen entlang, die knallrot sein mussten. „Komm rein."
Kaum war die Tür hinter uns geschlossen, ließ Dana die Kartons auf das Bett fallen und sah mich an.
„Was ist passiert? Wieso weinst du?", fragte sie und kam auf mich zu.
Weil gleich entweder mein kleiner Bruder oder mein Gefährte sterben wird.
Ich kniff die Augen zusammen, um den Damm wieder aufzubauen, den die Tränen durchbrochen hatten.
Ich wollte nicht, dass wir so auseinandergehen... Auf Wiedersehen...
„Elizabeth", sagte Dana und legte mir eine Hand auf die Schulter. Ich öffnete die Lider und blinzelte den verschwommenen Schein weg. Sie runzelte die Stirn und roch in der Luft herum. „Was ist das für ein Geruch?"
„Nicht so wichtig", krächzte ich mit verweinter Stimme. Ich atmete tief durch. „Zelos und ich haben uns gestritten."
Dana sah nur halb überzeugt aus.
„Was ist in dem Karton?", fragte ich, um sie abzulenken.
„Oh, ich habe dir ein Kleid mitgebracht. Du und Zelos werdet an der Seite des neuen Rates sitzen. Von da aus könnt ihr alles sehen", sagte sie und hob den Deckel an.
Perlweißer Stoff strahlte mir entgegen. Dana hob es heraus. Der leichte Rock fiel in Richtung Boden und ein V-Ausschnitt fügte sich zu einer engen Taille zusammen. Der dünne Stoff plusterte sich leicht an den Ärmeln, doch war an den Handgelenken wieder dünn.
Der perfekte Platz, um einen Dolch zu verstecken.
Eine Gänsehaut packte meine Schultern.
„Es ist wunderschön", flüsterte ich.
„Dann los, wir haben nicht mehr so viel Zeit", sagte Dana und lotste mich ins Badezimmer. „Zelos wird schon zur Besinnung kommen. Ich habe ihn nach dem Treffen mit den Alphas nur aus dem Palast stürmen sehen. Er muss wohl seinen Wolf etwas abreagieren vor der Hinrichtung..."
„Er ist nicht hier im Schloss?", fragte ich und erstarrte.
Mein Spiegelbild sah aus wie eine rothaarige Leiche.
Ich war blass wie der Schnee, bis auf die Augen.
„Nein, aber er wird pünktlich zurücksein... Glaube ich jedenfalls. Und wir sollten auch nicht zu spät kommen. Auf geht's."
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Jeder Augenblick verlor sich in der rennenden Zeit. Weder mein Herz noch die Uhr ließen mir eine Verschnaufpause, beides schlug weiter im Sekundentakt, nervös, ängstlich und unaufhaltsam.
„Siehst du? Haben wir doch gut hingekriegt", sagte Dana.
Sie hatte recht. Das Kleid saß perfekt. Doch die Realität erstickte jeden Anflug von Freude.
„Mond an Elizabeth", sagte Dana und wedelte mit der Hand vor meinem Gesicht herum. „Ich werde jetzt sehen, wie weit Ephilia ist. Ich fürchte ihr muss ich noch ein bisschen Feuer machen. Du kannst schonmal in den großen Saal gehen. Roan wird dir deinen Platz zeigen. Astor, Eros und die anderen Alphas warten auch schon. Zelos müsste dann auch kommen."
„In Ordnung", sagte ich, etwas abwesend. „Danke, Dana. Für alles."
Sie versuchte sich an einem vorsichtigen Lächeln.
„Nicht dafür. Wir sehen uns gleich unten."
Sie nickte mir zu, bevor sie aus der Tür verschwand und Kerberos und mich in der Stille zurückließ. Draußen hinter den Fenstern hatte sich der Himmel zugezogen und die grauen Wolken versperrten der Sonne ihren Weg. Der graue Mantel warf seinen Schatten auf die Stadt unter sich.
Wie eine mechanische Uhr tat ich ein Schritt nach dem anderen. Der Riesenhund begleitete mich durch den Korridor, in dem es wuselte. Ich folgte dem roten Teppich, bis ich vor dem Zimmer stand, in dem mein Bruder diese Nacht noch geschlafen hatte.
Die Tür knarrte auf und es lag verlassen vor mir. Kerberos sah mich fragend an, doch ich schob einen Finger vor meine Lippen.
„Shh..."
Der Hund senkte die Köpfe, wodurch mich die gelben Augen von unten her anblickten. Vorsichtig hob ich den luftigen Rock des Kleides und ging vor dem Bett auf die Knie. Ich tastete auf dem Teppich herum.
Mein Bauch zog sich zusammen bei dem kühlen Metall unter meinen Fingern. Ich schloss die Augen.
Am liebsten würde ich es Talon direkt ins Herz rammen.
Ich schüttelte den Kopf.
Stattdessen war es für Zelos gedacht.
Ich zog die Klinge hervor.
Ich wollte nicht, dass wir so auseinandergehen... Auf Wiedersehen, Elizabeth...
Zelos' Stimme verspottete mich in meinen Gedanken.
Als hätte er sich von mir verabschiedet...
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Na, wer ist hier alles ein Frühaufsteher :D
Ich glaube ich muss nicht sagen, dass jemand sterben wird, aber die Frage ist: wer?
Danke für all eure Kommentare, die Sterne und Follows, ich freue mich über jeden einzelnen! Es sind nur noch 3 Kapitel und der Epilog...
Ich wünsche @YDNKWIAalles Gute zum Geburtstag, ich hoffe du hältst es noch bis Dienstag aus :D
Bis dahin: Wie heißt die Auszeichnung für besonders brave Hunde?
No-Bell Preis.
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