Kapitel 42
„Sie können ruhig einen Tunnel graben. Wir werden ihn einfach wieder sprengen", antwortete Linurs Vater. „Aber dafür müssen wir zurück in den Berg."
Er deutete auf das schwarze Loch im Boden, das schon genug Leben verschlungen hatte.
„Dann werde ich Euch begleiten", sagte Zelos und mein Herz setzte einen Schlag aus.
Wie bitte?
Stille hüllte den Raum ein.
Der Kartentisch stand verlassen da. Der Mantel lag vergessen an der Tür und ich lehnte meine Stirn gegen die eiskalte Glasscheibe. Unter mir erstreckte sich der Abhang in der Dunkelheit der Nacht bis nach Flussklaue. Die schneebedeckten Bäume bekleideten das Tal.
Irgendwo dort unten war Silberblut im Begriff, einen Tunnel in den Berg zu graben. Ich starrte auf meine Stiefel. Und irgendwo dort unten war Zelos mit Linurs Vater und bereitete die Falle vor.
Zelos.
Er war einfach in das Loch hinabgestiegen und hatte mich zurückgelassen mit der Angst, dass er nie wieder hervorkommen würde.
„Mach dir keine Sorgen, Betty. Du kennst ihn doch", sagte Davin.
Ich drehte mich weg von dem Glas und hin zu dem Wächter, der nicht von meiner Seite gewichen war. Kerberos saß vor mir und stupste mich mit einem der Köpfe an.
„Ich werde erst schlafen können, wenn er wieder an der Oberfläche ist", antwortete ich und blickte wieder aus dem Fenster. Gedankenverloren rieb ich über meinen Hals und die Markierung.
Den ganzen Abend lang hatte ich mich mit den Menschen beschäftigen können; dass jeder ein Zimmer im Rudelhaus bekam und getrocknetes Fleisch zum Essen. Doch nun schliefen die meisten.
Doch ich konnte nicht.
„Du weißt genau, dass er nicht wollen würde, dass du nicht schläfst", sagte Davin. „Und erst recht hätte er nicht gewollt, dass du euer Zimmer abgegeben hast."
„Wenigstens kann Linur so in einem Bett schlafen. Ich brauche es diese Nacht nicht", erwiderte ich. Die Sterne am Himmel funkelten auf die Landschaft hinab, die totenstill dort draußen lag.
Davin seufzte.
„Wie du meinst, Betty. Aber es könnte noch Stunden dauern, bis sie zurückkommen. Niemand weiß genau, wie weit Silberblut mit dem Tunnel ist. Du solltest wirklich etwas Schlaf holen, solange du noch kannst."
Ich drehte mich wieder zu ihm um.
„Verzeihung?"
Davin blickte zum Kartentisch.
„Na, wenn die Krieger erstmal hier unten gefangen sind und alle Ausgänge versiegelt sind, dann werden wir nach Flussklaue ziehen. Das ist unsere einzige Chance auf einen Sieg ohne große Verluste", sagte er.
Kerberos schnaufte und zwei der Köpfe jaulten nach Aufmerksamkeit. Ich kniete mich hin und streichelte den Höllenhund, der wie eine Katze schnurrte.
„Erstmal muss Zelos wieder an die Oberfläche kommen", sagte ich. Sie wollten den Tunnel hinter den Kriegern sprengen. Wie wollten sie dies anstellen, ohne erwischt zu werden.
„Hab mehr Vertrauen in ihn. Wenn er eines weiß, dann wie man sich selbst aus der Patsche zieht, Betty."
Ich nickte.
Zelos war ein Überlebenskünstler und dennoch war es mir lieber, wenn er diese Fähigkeit nicht brauchte.
„Ich gehe uns mal lieber etwas zu Essen holen, wenn du schon nicht schlafen willst, alles klar?", fragte Davin.
Ich nickte und konzentrierte mich auf das glänzende Fell von Kerberos. Der Hund schlängelte seine Köpfe umher und schloss immer wieder die gelben Augenpaare. Mein Magen konnte nichts essen, nicht so lange Zelos wieder hier war.
Die Tür fiel hinter Davin ins Schloss und Stille hüllte mich erneut ein. Meine Augen brannten vor Müdigkeit, doch die Sorge um meinen Gefährten hielt mich wach. Ich sollte dort unten sein mit ihm, doch Davin hatte mich auf seinen Befehl hin zurückgehalten.
Ich fuhr über meine Wange.
Er hatte mir nur einen flüchtigen Kuss geschenkt, bevor er in die Dunkelheit der Mine verschwunden war. Meine Brust zog sich zusammen. Wenn Zelos zurückkam, könnte er sich auf etwas gefasst machen-
Kerberos hob einen Kopf.
Ein Donnerschlag grollte direkt unter meinen Füßen, als würde der ganze Berg explodieren. Die Glasscheiben erzitterten, genauso wie mein Herz.
Erdrückende Stille folgte.
Als wäre der Knall nie passiert.
Ein flaues Gefühl brannte sich in meinen Magen. Die Markierung an meinem Hals zog sich zusammen so wie all meine Rippen um das Herz.
Die Falle war ausgelöst worden.
Und Zelos war noch nicht zurück.
Ich sprang auf die Beine.
„Zelos?!"
Ich donnerte die Tür auf und flog die Stufen hinunter. Kerberos folgte mir auf Schritt und Tritt. Die Stimmen um mich herum waren nur Watte in meinen Ohren. Schatten machten mir Platz, als sie mich kommen sahen.
Die Tore standen weit offen.
Eisige Luft schlug mir entgegen, doch ich kämpfte mich hindurch. Einige Gestalten hatten sich bereits vor dem Loch versammelt und starrten hinunter.
„Zelos?!", rief ich und die Blicke waren mir egal.
Ich starrte in den Eingang zur Mine, der finster vor mir lag. Die letzten Stufen einer selbst gebauten Leiter lugten hervor. Kurze Wolken entkamen meinen Lippen und ich musste das Zittern unterdrücken.
Ich starrte zu Alpha Lenkin.
„Sind sie wieder da?", fragte ich und verschränkte die Arme vor meinem Körper.
Er schüttelte den Kopf.
Das flaue Gefühl in meinem Magen wuchs und infizierte meine Beine. Das Geflüsterfeuer um uns herum rückte in den Hintergrund.
„Was ist eben passiert?", fragte ich.
„Eine Sprengung", antwortete Alpha Lenkin. „Die Krieger sind nun hier unten eingeschlossen. Wenn Zelos und der alte Mann nicht bald hochkommen..."
Er senkte seinen Blick erneut zu dem Loch mit der Leiter.
Er wollte den Eingang verschließen.
Nein.
„Ihr könnt sie da unten nicht einsperren! Sie retten gerade das Rudel!", rief ich.
„Und es wäre alles umsonst, wenn Silberblut hier wieder rauskommt, oder nicht?", fragte Lenkin und seine sonst so weichen Augen verhärteten sich.
Ein Kloß wuchs in meinem Hals.
„Bitte, wir müssen noch warten", flüsterte ich. Meine Stimme brach in der Mitte.
„Wir warten so lange, bis die ersten Krieger an der Leiter stehen. Dann werden wir sie hochziehen und das Loch schließen", sagte Lenkin.
Ich versuchte das Gefühlschaos hinunterzuschlucken, doch ein Teil blieb mir in der Kehle stecken. Ich kniete mich neben das Loch, doch egal wie tief ich hineinstarrte, es starrte nur die Finsternis zurück und lachte mich aus.
Der Wind heulte in den Bergen.
Plötzlich erhellte sich die Dunkelheit.
Ein Knall brachte den Boden unter meinen Knien zum Zittern. Die Erde bröckelte und Hitze schoss mir entgegen wie ein Geysir. Eine Wucht zog mich nach hinten, durch den Schnee. Zwei von Kerberos' Kiefern hatten sich in meinem Kleid verbissen zogen mich weg von der Todesfalle. Er stand über mir und ließ mich einige Meter entfernt wieder los.
Das Eis um die Öffnung war geschmolzen und mischte sich mit der Erde zu Schlamm.
„Zelos?", fragte ich mit zittriger Stimme und die Wolke, die meinem Mund entkam, verstarb direkt vor meinen Augen. Vorsichtig krabbelte ich wieder hin. Das Knurren von Kerberos war mir egal.
„Zelos?", rief ich hinunter und meine Stimme hallte in der Tiefe wider zu mir zurück. Tränen füllten meine Sicht.
Zwei rote Punkte erleuchteten die Dunkelheit.
Zwei rubinfarbene Augen.
Dazu gesellten sich mondscheinsilberne Haare und Lippen, die in ein typisches Grinsen verzogen waren.
„Zelos!"
Mein Herz donnerte gegen den Brustkorb vor Freude und ich atmete durch. Er war am Leben. Ich wischte die Tränen aus meinen Augen. Ihm ging es gut. Sein Gesicht war geziert von etwas Ruß, genauso wie das Hemd, das er trug. Er kletterte die Leiter hinauf und mit jeder Stufe kam er zurück ins Licht.
„Was für eine schöne Begrüßung", sagte er, als er die letzte Stufe erklomm und sich zurück auf die Erdoberfläche zog. Erst jetzt sah ich den alten Mann auf seinem Rücken, der sich an Zelos wie eine Klette festgesetzt hatte.
Sobald er den Boden sah, ließ er los und landete auf seinen stockdünnen Beinen.
Ohne zu Zögern schlang ich meine Arme um Zelos und drückte ihn mit all meinen Kräften. Die ganze Spannung, die sich über die letzten Stunden angesammelt hatte, entlud sich und ein Schluchzer brach zwischen meinen Lippen hervor und versickerte in seinem Hemd.
Zelos legte seine starken Arme um mich und strich sanft über meinen Kopf.
„Shh, ich bin doch hier", raunte er in mein Ohr und schob eine Strähne zur Seite.
„Du hättest sterben können", sagte ich und schnappte nach Luft. Sein Geruch erfüllte mich und gab mir ein Gefühl der Gelassenheit.
„Wie gut, dass man mich nicht so einfach töten kann", erwiderte Zelos und löste sich ein Stück von mir. „So einfach wirst du mich nicht los."
Meine Mundwinkel hoben sich gegen meinen Willen.
Wie konnte für ihn alles lustig sein?
„Lycan Zelos, wie schön, dass ihr wieder hier seid", sagte Alpha Lenkin und senkte seinen Kopf mit den Locken. Ich musste mir ein verächtliches Schnauben verkneifen.
Er hätte ihn da unten sterben lassen.
Zusammen mit Lyzas Vater.
„Wir werden nicht mehr lange hier verweilen", antwortete Zelos und drückte mich an seine Seite. „Die Krieger sind dort unten eingesperrt. Jetzt ist unsere Chance."
Er wandte seinen Blick zu mir.
Die rubinfarbenen Augen musterten all meine Züge, bevor er seine Lippen öffnete.
„Wir werden weiter nach Flussklaue ziehen."
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Jo, es geht weiter. Langsam kommen wir näher und ich freu mich schon drauf!
Ich hoffe ihr auch. Das nächste Kapitel kommt schon am Montag :)
Bis dahin: Was sagt ein Polizist mit sächsischem Dialekt?
Ägyptisch oder ich schieße.
No Sachsen-Hate
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