Kapitel 34
„Ich werde diese Höhle erst verlassen, wenn jeder einzelne Mensch sie verlassen hat. Die Tage, an denen sie von Silberkrone eingesperrt und versklavt wurden, sind vorbei."
Meine Stimme hallte durch die Kammer.
Der Moment wäre perfekt gewesen, wäre da nicht das Kitzeln in meiner Nase. Ein Nieser schüttelte meinen Körper und entlockte Zelos ein Knurren.
„Elizabeth, sei nicht dumm. Du machst gerade einen Zug, ohne das Spiel zu Ende zu denken!"
„Das ist der Unterschied zwischen uns. Du denkst in Siegen, ich in Menschen. Mir ist egal, was für Züge gespielt werden, solange ich das Richtige tue", erwiderte ich und musste das Zähneklappern unterdrücken.
„Der einzige Grund, wieso du das Richtige tun kannst, ist, weil ich dich aus der Bredouille hole! Du hast mir das Brett überlassen, um deine Partie aufzuräumen."
„Also habe ich es doch zu Ende gedacht. Ich kann dich nicht zwingen mir zu helfen. Du hast die freie Wahl, so wie ich die freie Wahl hatte mit hierher zu kommen."
Zelos knurrte.
Ich schlug ihn mit seinen eigenen Waffen, auch wenn es eher improvisiert als ein durchdachter Plan war. Es hatte wohl selten jemand gewagt, ihn so herauszufordern.
„Du hast zu viel vertrauen in mich", sagte Zelos und warf ein kühles Grinsen auf uns hinab. Beinahe sah ich Stolz in seinen Augen aufleuchten.
„Ich habe bloß viel zu schnell von dir gelernt."
„Das werden wir noch sehen", erwiderte er. „Nur das Richtige zu tun ist töricht, wenn man sich im Territorium eines Feindes befindet. Noch ist Luna Mayra Anführerin und wenn sie auch nur den Hauch einer Ahnung hiervon bekommt, wird sie alles tun, um dich brennen zu sehen."
„Ich werde hier nicht weggehen, bis die Menschen aus diesem Höllenloch befreit sind!"
Meine Stimme flackerte unter dem Druck meines Herzens. Linur verfolgte unser Gespräch mit großen Augen. Das goldene Licht seiner Laterne verlieh dem jungen Gesicht einen goldenen Schein. So sollte niemand leben: verängstigt von der Kälte, dürr wie Lauch und dreckiger als der Kerker in Bergschatten.
Er war kaum älter als Tommy und hatte sein ganzes Leben in diesem Berg verbracht.
„Ich werde sie nicht im Stich lassen", murmelte ich.
Die Menschen schufteten sich zu Tode.
Für schöne Kelche und ein warmes Rudelhaus.
Silberkrone könnte so viel mehr sein.
„Wie du willst", sagte Zelos und richtete sich auf. „Du hast deinen Krieg gewählt und ich hoffe, dass du die Ausdauer besitzt, um ihn durchzuhalten."
„Ich werde nicht aufgeben."
„Und ich hoffe du verstehst, auf was für einen Kampf du dich einlässt", erwiderte er.
Ich runzelte die Stirn.
„Aber ich bin nicht allein, oder?", flüsterte ich. Obwohl wir so weit auseinanderschienen, wie seit dem Kerker nicht mehr, waren wir uns doch nah.
Das Magma in seinen Augen schmolz.
„Glaubst du, ich würde dich einfach in diesem Berg zurücklassen?", fragte er. „Aber wenn ich dich rausgeholt habe, wirst du dich nicht verstecken können."
Ein warmes Prickeln legte sich über meine Gänsehaut.
Zelos würde mir nie wehtun.
Ich glaube er meinte etwas anderes.
Er sah ein letztes Mal auf mich hinab.
„Ich würde ja sagen warte hier, aber du kannst sowieso nirgendwo hin."
Mit diesen Worten verschwand er.
Zurück blieb nur die Kälte der Nacht.
Wie lange würde er brauchen?
„Er hätte wenigstens das Loch wieder zumachen können", grummelte Linur. Sein ganzer Körper zitterte wie Blätter im Sturm. Er hatte seine Laterne auf den Boden abgestellt.
Kerberos knurrte und streckte seinen Körper. Das Knurren verwandelte sich in ein Maulen. Ich ging hinüber zu dem Höllenhund und kraulte einen der Köpfe. Er wollte auch nicht hier unten sein.
Jetzt hieß es warten.
Ein Gähnen entkam meinen Lippen.
Ich hockte mich hin und lehnte meinen Rücken gegen Kerberos, für den ich nicht mehr als ein Fliegengewicht war. Er war angenehm warm.
„Er wird wiederkommen", sagte ich.
„Ich werde es erst glauben, wenn ich die ewige Laterne von oben sehe", erwiderte Linur.
„Komm her."
Ich rückte einen Platz an Kerberos' Seite frei. So wie der Junge zitterte, würde er die Nacht nicht überstehen. Ohne Berührungsängste ließ er sich gegen den Höllenhund fallen, der mit einem der Köpfe murrte, aber sonst ruhig blieb.
Stille umhüllte uns.
Nur das Heulen des Windes peitschte uns entgegen.
„Du warst noch nie dort oben, oder?"
Linur schüttelte den Kopf.
„Es ist wunderschön", sagte ich und ließ meine Gedanken schweifen. „Wenn die Sonne auf die verschneiten Berge fällt und der Schnee glitzert wie tausend Diamanten. Oder die Bäume, die in den Himmel ragen und die Blumen auf den Wiesen..."
„Tausend Diamanten?", fragte Linur. „Davon würde man ja so viel Essen bekommen!"
Meine Miene verfinsterte sich.
„Sie haben euch nur für Edelsteine Essen gegeben?"
Seine großen Augen leuchteten im goldenen Licht der Laterne. Unter dem ganzen Ruß musste sich ein ganz normaler Junge verbergen. Man musste ihn nur wieder ausgraben.
„Wie soll man denn sonst Essen bekommen?
„Naja, die Wölfe gehen Tiere jagen", sagte ich.
„Tiere? So wie der hier?", fragte er und deutete auf Kerberos.
Ich lächelte.
„Der hier ist was ganz Besonderes. Den gibt es nur einmal auf der Welt", erwiderte ich.
„Ha, Papa sagt einen Diamanten gibt es auch nur einmal auf der Welt. Es gibt nie zwei gleiche", antwortete Linur. Er lehnte sich zurück und starrte durch die Öffnung. Die Wolken zogen am Nachthimmel vorbei und für einen Moment blitzte ein Punkt auf uns hinab. „Was ist das? Gibt es etwa auch da oben Diamanten?"
Mein Lächeln bekam eine traurige Note.
„Das sind Sterne. In einer klaren Nacht gibt es unendlich viele am Himmel..."
„Ich will einen haben, einen Stern...", sagte Linur. „Wenn ich da oben bin... dann... dann hole ich mir einen Stern..."
Ein Gähnen streckte seinen Körper. Seine Augen flatterten zu.
„Schlaf gut."
Was Zelos wohl gerade da oben tat?
Gestern noch war ich einer Lawine entkommen. Es fühlte sich an wie eine Ewigkeit, die seitdem vergangen war. Heute saß ich begraben in einem Berg unter der Erde. Was würde bloß morgen geschehen?
Meine Glieder schrien vor Müdigkeit. Vor Aufregung hatte ich die letzten Tage kaum geschlafen. Langsam holte mich die Ermattung ein. Ich wehrte mich, doch der Mantel legte sich über mich und schloss mich ein in Dunkelheit...
--
Wärme umhüllte mich wie in einem Bett.
Ich seufzte zufrieden und kuschelte mich näher an die Wärme. Ich kostete die letzten Sekunden des Schlafes aus, bevor sich der Nebel hob. Arme waren um meinen Rücken geschlungen. Ich runzelte die Stirn.
Arme?
„Meine Elizabeth", raunte eine Stimme an meinem Ohr. Finger strichen durch meine Haare. „Ich bin beeindruckt, wie du mich ausgestochen hast, wirklich. Ich habe mich wohl etwas zu sehr von deiner Schönheit und Unschuld blenden lassen."
Zelos.
Mein Herz machte einen Hüpfer.
Ich wollte mich aufsetzen, doch seine Arme hielten mich fest an seiner Brust. Ich konnte mich nicht bewegen in seiner Umarmung.
„Mach dir keine Sorgen", säuselte er. „Das passiert mir kein zweites Mal."
Dunkle Schmetterlinge entluden sich in meinem Magen und flatterten durch meine Nerven.
„Zelos-"
„Shh..."
Seine Lippen wanderten von meinem Ohr zu meinem Hals. Ich erstarrte in seinen Armen. Sein Herzschlag war laut und kräftig und übertrug sich auf meinen.
Er wollte mich markieren.
Die süße Drohung schwebte zwischen uns, zu verlockend, um sie mit Worten auszuschlagen. Ich schloss die Augen und ballte meine Hände zu Fäusten. Ich drückte sie gegen seine Brust in der Hoffnung etwas Distanz zwischen uns zu bekommen.
In seiner Nähe konnte ich nicht klar denken.
Ich durfte nicht nachgeben.
Linur zählte auf mich.
Denk an Linur.
Seine braunen Augen, seine dürren Arme, sein verdrecktes Gesicht.
Zähne streiften meine Kehle und entlockten mir ein Zittern. Meine Fäuste wurden schwach.
„Irgendwie dachte ich, es ist klar was wir sind", raunte Zelos und spielte mit meinen Haaren. Seine tiefe Stimme brummte über meine Haut bis in mein Herz. Lippen wanderten über meinen Hals.
„Was denn?", fragte ich.
Er lachte gegen meine Kehle und sein heißer Atem ließ mein Herz verrückt spielen.
„Die Zeit der Unschuld ist vorbei, Elizabeth", flüsterte er gegen meinen Hals, wo der das Pochen meiner Aufregung spüren konnte. „So nervös..."
Er leckte über die Schwelle zu meiner Schulter und meine Augen flatterten auf und zu. Ich hielt mich fest an seinen Armen, obwohl er bereits mein ganzes Gewicht trug. Er hinterließ einen brennenden Pfad aus Küssen.
„Was- sind- wir?", fragte ich und musste nach jedem Wort eine kleine Pause machen. Seine Lippen formten ein Lächeln gegen meine Haut.
„Wenn ich es ausspreche, gibt es kein Zurück mehr..."
„Wenn ich zustimme, werden alle Menschen freikommen?", fragte ich.
„So klein und doch so fordernd", sagte Zelos und setzte seine Tortur weiter fort.
„Haben wir eine Abmachung?", fragte ich und versuchte meine Gedanken beisammenzuhalten.
Zelos gefror für einen Moment.
Ich öffnete die Augen.
„Wir haben eine Abmachung, meine Gefährtin."
Mein Herz blieb stehen.
Ein heißer Schmerz bohrte sich in meinen Hals.
--
Und Action!
Ich hoffe darauf habt ihr gewartet und es war doch ein bisschen unerwartet :D
Mal schauen, wie es am Samstag weitergeht!
Danke an @Morphur für den heutigen Witz: Warum essen Maurer von allen Handwerkern am meisten?
Sie verputzen ganze Häuser.
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