Kapitel 16
Zelos ließ Leo in den Schnee fallen.
Sofort rappelte er sich auf, sodass sie sich gegenüberstanden. Der Lycan war größer, doch in dem Beta brodelte die Wut, die seinen Verstand trog. Die Krieger um uns herum waren erstarrt, so wie ich. Nur, dass es bei mir zur Hälfte an der Eiseskälte lag, in der wir standen.
„Du hast die Wahl: Entschuldige dich, kämpfe oder werde verbannt."
Zelos' Stimme war ruhig. Ganz im Gegensatz zu mir. Mein Herz donnerte auf uns ab. Ich drehte mich zu Tommy um, der hinter mir stand und das Geschehen mit offenem Mund beobachtete.
„Du gehst wieder ein", raunte ich und bei seinen flehenden Augen zog ich meine Augenbrauen zusammen. „Sofort."
Etwas widerwillig machte er sich auf den Weg zurück nach drinnen. Das Letzte, was ich brauchen konnte war, dass Tommy einen Kampf bis auf Leben und Tod mitbekam... Beta Leo blickte in die Gesichter der Krieger. Kleine Nebelwolken entkamen meinem Mund.
„Ihr seid Feiglinge. Er will euch doch nur benutzen für sein eigentliches Ziel", sagte er.
„Und welches eigentliche Ziel habe ich?", fragte Zelos und zog eine Augenbraue hoch.
„Du willst Alpha Udyrs Platz einnehmen, sonst nichts! Du bist ein machthungriges Monster so wie er!"
Zelos lachte.
„Du hast es nicht verstanden. Alpha Udyr wird nicht aufgeben, bis er alle unter seine Herrschaft gebracht hat, egal mit welchen Mitteln. Doch die Welt lässt sich nicht in einem Rudel vereinen. Unser Ziel sollte es sein, den Frieden wieder herzustellen, damit niemand hier Angst vor einem Angriff haben muss. Das ist mein eigentliches Ziel."
Beta Leo schwieg für einige Sekunden, als hätte es ihm die Sprache verschlagen.
„Nur leeres Geschwätz", sagte er schließlich.
„Ich denke du brauchst noch ein wenig Bedenkzeit für deine Wahl. Bringt ihn in den Kerker", sagte Zelos und sofort traten zwei Wölfe hervor.
„Das könnt ihr nicht machen! Ich bin euer Beta!", brüllte Leo, doch es hatte keinen Zweck. Die Wachen zogen ihn über den Schneeboden und hin zu einem Ort, den ich nur allzu gut kannte.
Die Menge löste sich auf und Zelos kam auf mich zu. Ich konnte beinahe die Wärme spüren, die von seinem breiten Oberkörper abstrahlte. Mein Körper zitterte. Ich musste das Schweigen brechen.
„Geht es Davin gut?", fragte ich, als ich an den Wächter dachte, den die Angreifer im Kerker massakriert hatten.
„Den Umständen entsprechend. Die Narbe des Kerkers wird für immer bleiben. Aber er lebt, falls das deine Frage war. Jetzt zu uns..."
Er nahm meine Hand und ein heißes Prickeln lief meinen Arm hinauf.
Meine Augen weiteten sich, als ich in seine starrte.
„Zelos, was ist hier los?", fragte ich mit bebender Stimme. Der Wind wehte durch seine silberweißen Haare. Ich war nicht naiv. Er drückte meine Hand fester und mein Puls beschleunigte sich. Sein Geruch von Kiefer umgab mich und ich atmete ein.
Nein.
Das konnte nicht sein.
Ich versuchte meine Hand aus seinem Griff zu lösen, doch Zelos zog mich zu ihm und schlang einen Arm um meinen Rücken. Unser Größenunterschied machte es einfach. Er suchte mein Gesicht ab, doch ich drehte meinen Blick zur Seite in den Schnee und schloss die Augen.
„Ich kann deine Angst riechen, und deine Aufregung", sagte Zelos und sein Blick brannte sich in meine Wange. „Du weißt, was das hier bedeutet..."
Ungewollte Tränen liefen meine Wangen hinunter. Sofort ließ Zelos mich los, als hätte er sich verbrannt. Überrascht sah ich auf. Die Wärme verschwand mit ihm und machte Platz für die Winterluft. Ich schüttelte mich bei der Kälte.
„Du solltest reingehen", sagte er, seine Stimme verändert. Ich hatte ihn verletzt. Er drehte sich um und folgte den Wächtern. Seine Statur verschwand in der Ferne, wohl selbst auf dem Weg zum Kerker. Die Gedanken überschlugen sich in meinem Kopf. Er hatte es nicht ausgesprochen, doch gedacht hatte er dasselbe wie ich.
Und ich hatte ihn abgewiesen.
Sollte ich hinterhergehen?
Bevor es sich mein Kopf anders überlegen konnte, bewegten sich meine Beine in Richtung Kerker und Zelos hinterher. Der Schnee knautschte unter meinen Stiefeln. An einigen Stellen hatte sich das Blut des Kampfes hineingesogen und verfärbte ihn rot.
Die Leichen waren bereits von den Straßen geräumt. Ich versuchte mich auf mein Ziel zu fokussieren. Immerhin wärmte mich das Gehen ein bisschen auf. Meine Wangen und Nase mussten bereits knallrot sein von der Winterkälte.
Ich blieb stehen.
Das Fuchshaus lag vor mir. Die Tür war geöffnet. Zelos hatte nach der Nachricht gefragt, die ich geschickt hatte. Vielleicht hatte er auch die Wölfin verhört und wusste, dass ich nicht die ganze Wahrheit gesagt hatte.
Ich schob die Tür ein Stückchen weiter auf.
„Hallo?", fragte ich, doch es war dunkel. Der Geruch von Metall schlich sich in meine Nase und ich trat weiter hinein. Das Holz knarrte unter meinen Füßen. Mein Magen rutschte nach unten. Jemand lag auf dem Boden.
Braune Augen starrten mich an.
Leblos.
Blut lag versprüht auf der Haut der alten Frau. Ein Wolf hatte ihr die Kehle rausgerissen. In mir verdrehte sich alles bei dem Geruch, der dazukam. Hinter ihr lagen unzählige Füchse.
Alle tot.
Ihr rostrotes Fell unterschied sich kaum von dem Rot. Ich nahm die Hand vor meinen Mund und lief nach draußen. Säure krabbelte meine Speiseröhre nach oben. Ich hockte mich hin und lehnte gegen das kupferne Haus, das mit Blut befleckt war. Ich atmete die eiskalte Luft ein und versuchte meinen Magen zu beruhigen.
Sie hatten die alte Wölfin getötet und alle Füchse mit ihr. Niemand würde mehr eine Nachricht über Rudelgrenzen hinweg schreiben können. Ich war gerade so dem Sturm aus Kriegern entkommen. Hätte ich noch länger gebraucht, läge ich wohl neben ihr.
Ein dunkles Gefühl beschlich mich.
Meine Nachricht hatte Ephilia nicht erreicht. Der Fuchs konnte nicht überlebt haben. Silberblut hatte alles dafür getan, um uns abzukapseln und damit waren sie erfolgreich.
Wir waren hier gefangen.
Zelos hatte recht. Solange Alpha Udyr Silberblut zusammenhielt, würde es keinen Frieden geben. Doch was geschah, wenn er Alpha Udyr besiegt hatte?
Ich hievte mich an der Hauswand hoch.
Die Übelkeit verging mit jedem Schritt, den ich mich von dem Grauen entfernte. Ich musste zum Kerker. Alle Fußspuren führten dorthin und mischten sich mit den Abdrücken von Pfoten. Meine Zähne begannen zu Klappern, als der kalte Wind durch das Kleid zog. Ich schüttelte mich.
Die silberne Tür kam in Sicht, zusammen mit zwei durchtrainierten Wölfen, die mich schon von Weitem gesehen hatten. Der Frost schien ihnen nichts anzuhaben. Dennoch trugen sie die ledernen Handschuhe, die jeder Wächter brauchte. Ich schluckte die Aufregung hinunter und kam vor ihnen zum Stehen.
„Ich muss mit Zelos sprechen. Er ist hier unten, oder?", fragte ich und blickte zwischen ihnen hin und her. Ihre Augen wurden trüb und ich stemmte die Arme in meine Hüften. Egal wo ich hinkam, jeder fragte Zelos nach Erlaubnis mich durchzulassen.
Er wusste immer, wo ich war.
Er wusste immer genau, was er tat, auch wenn er es nicht direkt aussprach. Er versteckte seine Pläne hinter einem verschmitzten Lächeln, damit niemand etwas vermutete. Doch nicht mit mir. Er hatte oft genug versucht mich aus der Fassung zu bringen, damit ich unvorsichtig wurde.
Und im Kerker hatte er dies einige Male geschafft.
Doch das war vorbei.
Die Wächter nickten und einer von ihnen holte den Schlüssel aus dem Mantel, drehte ihn im Schloss und zog die knarrende Tür auf.
„Danke", sagte ich und trat an ihnen vorbei in den erleuchteten Abstieg. Von unten kam mir Stöhnen entgegen. Es war genauso kühl wie draußen, nur sehr viel schlechtere Luft. Ich stützte meine Hand gegen die Kellerwände und stieg die Treppen hinunter.
Mit jedem Schritt wurde der Geräuschpegel lauter, wie ein Brummen aus Schmerzesklängen. Mein Gesicht verlor die Fassung. Die Zellen waren bis zum Rand gefüllt mit verletzten Kriegern. Einige lagen auf dem Steinboden, andere saßen am Rand, um nicht so viel Platz wegzunehmen.
Viele hatten die Augen geschlossen und schliefen, andere verzogen ihre Mienen von den Schmerzen, den ihre Wunden bewirkten. Ich tat einige Schritte in die Gänge des Kerkers.
Wie viele Krieger wurden bei dem Angriff gefangen genommen?
Doch sie waren nicht allein in den Zellen. Wölfinnen knieten neben den Verletzten und kümmerten sich um ihre Wunden. Was war hier los? Die Gefangenen wurden versorgt mit Verbänden und Wasser. Wie aus Reflex zuckte mein Blick zu der Silberzelle, die nun offen und zerbeult in der Ecke stand.
„Die ist nur noch ein Relikt."
Ich schreckte herum zu Zelos, der sein typisches Grinsen aufgesetzt hatte. Seine Hände waren bedeckt von schwarzen Lederhandschuhen.
Was zum Teufel hatte er vor?
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Soo, was hat er bloß vor?
Wir werden es wohl irgendwann erfahren, vielleicht schon am Freitag!
Und was ist das Gegenteil der Helikopter-Mutter?
Der U-Boot-Vater. Der taucht nie wieder auf...
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