Kapitel 10
"Ein Kuss."
Jegliche Fassung, die ich bis hier hin aufrechterhalten hatte, fiel aus meinem Gesicht. Schmetterlinge flatterten in meinem Bauch herum und raubten mir die Konzentration. Hatte ich mich gerade verhört?
„Wie bitte?"
Er lachte und die Melodie schwebte durch den Raum, sodass ich beinahe vergaß, wo wir uns befanden.
„Einen Kuss. Das ist der Preis. Bist du ihn bereit zu zahlen?", fragte Zelos. Er lehnte sich ein Stückchen näher, sodass ich schwarze Sprenkel in seinen leuchtenden Augen sehen konnte. Er achtete genau darauf, dass er nicht das Silber der Zelle berührte.
„Du spielst mir", flüsterte ich. Ich wandte den Blick ab, doch Finger berührten meine Wange. Sie waren eisig, wie der Winter, doch drehten meinen Blick zurück in den Schein der Flammen, zu ihm. Seine Hand war riesig und wäre sie nicht so kalt, hätte ich meine Augen schließen können. Doch ich musste stark bleiben.
„Das Leben ist ein Spiel", antwortete Zelos mit seinem typischen Grinsen auf den Lippen. „Und ich habe mich vor langer Zeit dazu entschieden zu gewinnen."
„Läuft wohl nicht besonders gut im Moment", erwiderte ich. Er schmiss den Kopf zurück und ein trockenes Lachen entkam seiner Kehle. Dann fixierte er seinen Blick zurück auf mich, doch die Einschüchterung funktionierte nicht.
„Mache ich dir keine Angst mehr?", fragte er. Als Demonstration legten sich seine eiskalten Finger über meine ganze Wange wie eine lange Winternacht. Ein Prickeln lief meinen Hals hinunter. Bei jeder kleinen Bewegung regten sich die Muskeln unter seiner Haut. Er war stark, keine Frage.
Und trotzdem...
„Gibt es einen Grund für mich, dass ich Angst haben sollte?"
Mein Verstand schrie mich an. Es gab hunderte Gründe Angst vor ihm zu haben. Der größte war die Pranke auf meiner Wange, die sich aufwärmte und eine Decke gegen die Kälte des Kerkers bot. In einem Augenblick konnte er mich töten, wenn er wollte.
„Ich hoffe das war eine rhetorische Frage", sagte Zelos. Seine Finger strichen sanft über meine Haut und hinterließen einen Pfad aus Funken. Für den Hauch eines Momentes schloss er die Augen.
„Ich weiß, dass du ein Monster bist, aber du bist schlauer als du zugeben willst. Du wirst mir nichts tun, jedenfalls nicht, solange ich dir noch einen Gefallen schulde", antwortete ich. „Und außerdem genießt du meine Aufmerksamkeit viel zu sehr."
„So klein und doch so frech. Wenn ich es nicht besser wüsste, würde ich sagen du versuchst mich zu verführen", sagte Zelos und lehnte sich so weit es ging durch die Öffnung. Seine Hand wanderte von meiner Wange hinunter zu meinem entblößten Hals und ruhte an meinem Nacken. „Ich kann deine Angst hören in deiner Brust. Ich kann sie spüren unter meinen Fingern. Ich kann sie sehen in deinen roten Wangen und deinen leuchtenden Augen."
Seine Lippen hatten die Farbe von einem blassen Morgengrauen im Winter, seine Augen die von Blut. Schatten legten sich um sie, als er wieder zu Lächeln begann.
„Was, habe ich dir etwa die Sprache verschlagen? Ich höre nur mutige Worte, aber würdest du auch Taten sprechen lassen? Würdest du deine Neugier bezahlen mit einem Kuss?", fragte er.
Mein Herz wirbelte auf und ab.
Sollte ich?
Alles in mir lief durcheinander. Die Gedanken rasten vorbei, ohne, dass ich einen zu packen bekam. Unmerklich tat ich einen Schritt näher an die Silberzelle, sodass ich seine geschwungenen Wimpern erkennen konnte. Seine Augen glühten mit jedem Stück, das ich näherkam.
Er wartete.
Ich kam so nah, dass mich ein Geruch von Holz einhüllte. Keiner von uns schloss die Augen. Ich verharrte so kurz vor ihm. Es war ein Spiel. Er hatte es selbst gesagt. Und ich hatte noch nie zuvor gespielt. Zelos hingegen war ein Meister darin.
„Du bist wunderschön", flüsterte ich. „Wie kann etwas so Schönes so gefährlich sein?"
„Mach dir keine Sorge", raunte er. „Ich bin nur ein Monster, wenn ich es sein muss... Sieh dich an. Deine Haut ist zart und deine Knochen zerbrechlich und doch stellst du dich dem Monster. Du bist stärker als du denkst, Elizabeth. Vergiss das nicht."
Wärme spülte durch meinen Magen.
„Wie machst du das?", frage ich. „Wie schaffst du es, dass mein Herz dir vertrauen will, auch wenn mein Verstand mich anschreit wegzulaufen."
„Habe ich dir je einen Grund gegeben mir zu misstrauen?", fragte Zelos und seine Finger strichen kleine Kreise über meinen Nacken.
„Ganz im Gegenteil. Du willst, dass ich dir vertraue, um jeden Preis", antwortete ich, verloren in seinen Augen. „Wieso?"
„Stellst du allen Leuten so viele Fragen oder nur denen, die du verführen willst?", fragte Zelos und zog die Hand von meinem Nacken weg. Sein typisches Lächeln war zurückgekehrt. Entgeistert starrte ich ihn an.
„Ich will dich nicht ver..."
Er lachte, als meine Worte stockten. Hitze brodelte unter meinen Wangen. Ich konnte es nicht mal aussprechen.
Verführen.
„Das muss dir doch nicht unangenehm sein. Ich weiß, wie gut ich aussehe", sagte Zelos lachend.
„Pah, also wenn hier jemand verführt, dann wohl du. Wer von uns wollte einen Kuss", erwiderte ich, wandte mich ab zurück zu meiner Arbeit.
„Wenn man Jahre lang nur Wächter und Krieger gesehen hat, bist du eine angenehme Abwechslung", antwortete Zelos und ich fuhr zu ihm herum.
„Eine Abwechslung?", fragte ich und zog eine Augenbraue hoch.
„Das kam jetzt vielleicht etwas falsch an, was ich meine-"
Ich marschierte auf seine Zelle zu und bevor er auch nur ein weiteres Wort herausbringen konnte, knallte ich die Öffnung zu. Stille umschlang mich, doch das Pochen meines Herzens dröhnte in meinen Ohren und durch meinen ganzen Körper.
Noch nie hatte ich mich so am Leben gefühlt wie jetzt.
Beinahe hätte ich ihn geküsst.
Er war gefährlich.
Für ihn konnte es alles nur ein Spiel sein. Vielleicht wollte er mich weichkochen, sodass ich ihm zur Flucht verhalf. Die Beulen in der Zelle waren ein Zeichen des Monsters, das er vor mir zu verbergen versuchte. Ich konnte ihm nicht vertrauen. Ich durfte nicht...
Zelos war unsterblich.
Er würde mich nicht benutzen, um seine eigenen Zwecke voranzubringen. Das würde ich nicht zulassen. Ich wandte mich von der Einzelzelle ab und marschierte zum hinteren Abschnitt des Kerkers. Säuriger Schweißgeruch umhüllte mich. Anstatt einzeln in die Zellen zu gehen, nahm ich einen Apfel aus der Kiste.
Ein Wurm hatte ihn schon zu seinem zu Hause gemacht.
Ich öffnete eine der Silberluken zu den Gefangenen, die sich am Boden der Tür befand. Brot und Apfel schob ich durch, bevor ich die Klappe wieder schloss. Ich setzte meine Arbeit fort, bis ich zur letzten Tür kam.
„Bitte...", röchelte eine Stimme, als hätte sie einen kratzigen Ast im Hals. „Helft mir, ich werde- ich werde sterben..."
Mein Herz zog sich zusammen, als sein Flehen zu mir durchdrang.
„Es tut mir leid", raunte ich. „Ich kann nicht."
„Du bist ein Mensch, oder?", fragte der Wolf und hinter der Tür raschelten Ketten. „Es tut mir leid, was sie euch antun in Silberblut."
Ich schwieg für einen Moment.
„Es tut mir auch leid, was sie euch hier antun", flüsterte ich. Der Gefangene krächzte, als wollte er lachen. Ich blickte mich um, nahm einen weiteren Apfel aus der Kiste und schob alles durch die Öffnung.
„Das ist der Krieg. Wer nicht stark genug ist, wird sterben... Du erinnerst mich an meine Tochter. Auch wenn sie noch zu jung ist, um zu verstehen, wo ihr Vater hin ist... Ich werde sie vermissen."
„Ihr werdet nicht sterben", sagte ich und ballte meine Hände zu Fäusten. Mir war egal, ob es die Wahrheit war oder nicht.
„Ich bin alt, gezwungen an die Front. Mein einziger Weg hieraus ist ein Sieg von Silberblut. Und das würde Euren Tod bedeuten, Elizabeth."
„Woher kennt Ihr meinen Namen?", fragte ich. Ein röchelndes Lachen folgte.
„Falls es euch hilft, nenne ich Euch meinen. Ich heiße-"
Metall schepperte gegen die Steinwand und riss mich aus meinen Gefühlen. Beta Leo stolzierte hinein und bevor seine Schlangenaugen auf meine zusammengekauerte Form fallen konnten, schloss ich die Klappe.
„Was tust du da, Göre? Hilfst du etwa den Gefangenen?", zischte er. Er stürmte auf mich zu, packte meine Locken und zwang mich auf die Beine. Jedes einzelne Haar schoss einen Schmerz durch meine Kopfhaut. Er zog mich weg von den Einzelzellen. Ich winselte, als er mich ruckartig nach vorne schleuderte. Wie ein Hammer schlugen meine Knie mit den blauen Flecken gegen den Steinboden.
Meine Sicht verschwamm.
Ein Donnern brummte durch den Kerker und ließ Beta Leos Bewegungen erstarren. Mein Blick huschte zur Silberzelle. Eine riesige Beule prangte in der Tür und mein Herz setzte einen Schlag aus.
Zelos...
„Sieh an, wer sich zu Wort meldet", sagte Beta Leo und ein triumphierendes Grinsen entpuppte sein Wolfsgebiss. „Bald brauchen wir wohl eine neue Schicht Silber. Du leistest wirklich ganze Arbeit, aber nicht genug. Sag mir, tut das Silber sehr weh?"
Beta Leo lachte und wie ein Echo stimmten seine Gefolgswölfe am Rand ein. Sie wandten sich von Zelos ab und marschierten zum hinteren Korridor. Völlig vergessen lag ich auf den eiskalten Steinen.
Als ihr Gelächter verstummte, drehte ich mich zur Silberzelle.
„Danke", flüsterte ich.
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Soo, ein weiteres Kapitel! Unglaublich, dass wir schon wieder bei 10 angekommen sind.
Das nächste Kapitel kommt am Sonntag!
Bis dahin: Was trinken Chefs?
Leitungswasser.
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