1.3
Keiner antwortete ihm, nur der Dorfälteste, den ich von Javas Beschreibungen her kannte und der Einauge-Lars hieß, trat schließlich verlegen vor.
„Sie gehört nicht zu diesem Ort, Herr, wie der Vorsteher schon sagte ... Vielleicht wurde sie wirklich wegen ihrer Dummheit oder einer Krankheit in einem anderen Ort, Freinheim oder Grabenhügel, selektiert und ist bis hierher gelaufen. Schließlich habt ihr sie noch draußen vor dem Wall gefunden, oder?", fragte er eingeschüchtert durch den harten Blick des Archners.
„Ja, ... das habe ich", meinte der nur gedehnt und ergriff mich dann gleich wieder am Arm.
„Doch ist es seltsam, dass ein selektiertes Mädchen dort draußen und gerade in dieser Zeit nicht auch von den Fremden gefunden und verschleppt wurde", murmelte er irritiert und schob eine Hand unter mein Kinn, hob mein Gesicht erneut an und dann nach rechts und wieder nach links.
Ja, er blickte mir sogar in die Ohren rein ... was zum ...?!
Dann schnipste er auch noch, doch ich bewegte mich nicht.
„Vielleicht ist sie tatsächlich taubstumm, Laar. Oder auch geistig krank und die Fremden wollen sie deshalb nicht haben. Vielleicht war das auch der Grund dafür, dass sie am Bach ..."
„Genug!", zischte der, der mich festhielt, aufbrausend und sah den Sprecher böse an.
„Wenn die Fremden das Kind nicht haben oder einfach so töten wollten, nützt eine weitere Selektion hier vor Ort wohl auch nichts", meinte einer der älteren Archner mit grauen Haaren leise zu ihm.
Dieser Laar nickte nur finster, schon wieder fühlte ich, wie sich sein Griff um meinen Arm verstärkte.
„Wenn sie selbst nicht wählt, nicht selektiert werden kann und von den Fremden nicht gewollt ist ...", begann er nachdenklich und beäugte mich wieder von oben bis unten „... dann nehme ich sie."
„Archner!", zischte eine Männerstimme aus den Reihen der Dörfler bissig.
„Das ist nicht fair. Ihr nehmt Euch die noch zu junge Stumme, nur weil sie nicht wählen kann, und uns bleibt nichts, schon wieder nicht. Wie soll unser Ort überleben, wenn wir keine Frauen mehr haben? Dieses Jahr wurden alle selektiert, einfach alle!", kreischte einer der jüngeren Wächter erbost.
Der Archner hob nur überrascht die Brauen.
„So denkst du, dieses Mädchen hier, das die Fremden ganz offensichtlich nicht haben wollten, ist gesund genug, schon gebärfähig und von Nutzen für den Ort?", fragte er und ließ mich so plötzlich los, dass ich stolperte und beinahe hinfiel.
„So will ich sehen, für was sich das Kind entscheidet. – So sie denn noch eines ist. Doch wenn Ihr sie für begehrenswert haltet und uns Archner für unfair ... So stellt Euch um sie herum auf, wer immer sie haben will. Auf wen sie zugeht oder an wem sie zunächst stehend vorbeigehen will, der soll es sein", gebot der finstere Anführer der Archner den Dorfleuten entschieden.
„Ja, das ist fair ...", stürmten gleich drei von den Dorf-Wächtern vor und stellten sich in einigem Abstand zueinander auf. Alle so, dass ich sie sehen konnte, und der Archner, Laar, stellte sich irgendwo hinter mich.
Mein Herz klopfte inzwischen bis fast zum Zerspringen.
Was immer ich nun auch tun würde, es war falsch. Ging ich zu den Archnern, würden die mich benutzen und dann im Wald entsorgen. Genauso wie die Dorf-Wächter, ... die ihre Frauen auch untereinander weiterreichten. Und waren diese krank, wurden sie bei der Ernte angebunden und tief in die Haut geschnitten, um zu bluten, als Ablenkung für die Fremden.
Beides nichts, was ich wollte. Beides nicht.
Große Erdenmutter ...
„Komm her, ... na komm schon, kommschonkommschon!", versuchte mich ein grinsender Graubart zu locken und hielt mir dabei ein Stück Trockenfleisch entgegen.
So, als wäre ich ein Tier, dachte ich erschauernd vor Ekel und sah schwer atmend nach rechts, wo nun ebenfalls einer der Archner-Krieger lockte, rief und pfiff und komische Grimmassen schnitt.
„Hierher, ... Süße, ... Kleine, ... komm zum Korre, komm her, hierher, sage ich!", befahl er mir immer härter und befehlend sprechend.
Süße Worte, strenge Worte, Essen, Trinken. Zwischen den Menschen dort hinten sah ich dann kurz das Gesicht meiner Mutter auftauchen, bleich und entsetzt, sofort blickte ich wieder fort und drehte mich ein wenig auf der Stelle um.
Die Archner grinsten mich daraufhin auffordernd an, auch sie machten nun lockende Gesten. Ich zitterte aber nun am ganzen Leib und blieb schlicht stehen.
Was sollte ich nun tun?
Und dieser Hauptmann Laar stand nun einfach regungslos da. Sein vernarbtes Gesicht zuckte kurz, als sich unsere Blicke erneut trafen.
Er war wirklich noch nicht so alt, dachte ich kurz. Aber das würde mir nun auch nichts mehr helfen. Wer auch immer hier etwas von mir wollte, ... die würden es sich nun einfach nehmen. Jeder dieser Widerlinge und nur Laar lockte mich nicht. Wohl der grausamste unter den Archnern, ganz sicher. Sonst würde er doch nicht noch so jung eine derart hohe Position erreicht haben, oder?
Aber zu ihm hingehen wollte ich beileibe auch nicht.
Ich drehte mich also nur wieder weiter, ... drehte mich langsam um mich selbst, dann starrte ich zum Himmel hinauf, während um mich herum die Männer nun näher rückten.
„He, ... he, sie guckt ja noch nicht mal mehr zu uns hin, ... ist die denn wirklich dumm, oder so?"
Ich gab einen schwachen, wie erstickenden Laut von mir und hob eine Hand an meinen Hals. Sank auf die Knie, einfach weil der Kloß in meinem Hals immer dicker wurde und ich auch ganz eindeutig nicht mehr mitansehen wollte, was sie nun unter sich ausmachten, ... die Wächter und Krieger.
„Sie kriegt keine Luft! Die Stumme ist krank! Ist schwach ... Fremden-Bakterien ...", brüllte jemand und auf einmal waren alle um mich herum verschwunden.
Alle außer dem Archner, der schon wieder neben mir stand.
Ich fühlte die Tränen, die aus meinen brennenden Augen herausliefen.
Etwas piekste mich kurz in den Arm ...
„Was ist, Laar?", fragte ein anderer, der blonde Hüne, ihn grimmig, der nun in einigem Abstand wartete, die Hand am Schwertgriff.
„Keine Bakterien im Blut, die nicht da hingehören. Sie ist nicht infiziert, doch vielleicht hat sie Asthma oder eine andere Kehlkopf- oder Lungenkrankheit, ... weshalb sie auch nicht spricht", murmelte der Archner finster und griff in meine Haare, damit ich ihn wieder ansehen musste.
„Oder du hast einfach nur zu große Angst", entschied er, nachdem er meine aufsteigenden und überlaufenden Tränen gesehen und mit den Fingerspitzen, die rau und schwielig waren, nachgezeichnet hatte.
Ich gab einen weiteren erstickten Laut von mir, was ihn wieder finster gucken ließ.
„Ja, weine du nur. Hast dir selbst vermutlich keinen Gefallen getan, Kleine, aber mir schon", murmelte er an meinem Ohr. Dann schob er etwas Schweres, Eisernes über meinen Oberarm. Es klickte metallisch und ich wollte wegzucken, doch er hielt mich noch immer zu sehr an sich gedrückt.
Aber was auch immer er da gerade an meinem Arm befestigt hatte, es passte sich dem Umfang meines Armes rasch an und hielt daran fest, ließ sich nun auch nicht mehr abschütteln oder abstreifen, obwohl ich es natürlich sofort versuchte.
„Hör auf. Du wirst die Schelle nun nicht mehr los", erklärte der Krieger mir kühl. „Doch das ist nun immerhin auch mein Schutz für dich." Er sah mich so hart an, dass mir der Angstschweiß von der Stirn hinunterperlte.
„Mein Schutz mit meinem Zeichen darauf ... Laar steht da, denn du gehörst nun mir, Mädchen, merk dir das", tippte er auf die Schelle und sah mich seltsam an.
„Warum gibst du ihr deine Abzeichen-Schelle?", fragte der blonde Krieger ihn indes verwirrt.
„Wird sie gefragt, zu wem sie gehört, was meinst du, wird der Fragende zu hören bekommen?", grollte der Archner ihn lediglich finster an.
Der blonde Krieger grinste daraufhin breit. Dann berührte er plötzlich mit seiner flachen Hand meine Stirn, noch ehe ich wegzucken konnte.
Doch sowieso kam ich nicht weit, denn hinter mir befand sich nun schon wieder Laar, der mich an beiden Armen umklammert festhielt. Ich stieß mit dem Kopf nach hinten, gegen seinen Brustpanzer, als ich ausweichen wollte, und gab dabei ein weiteres Geräusch von mir, ein tiefes Atmen.
„Sie grüßt dich, Oliver", grollte Laar nun ziemlich zynisch klingend.
Der Blonde lächelte kurz ironisch.
„Und ich grüße dich, Gefährtin meines ersten Waffenbruders, - Archner-Frau ...", murmelte er abschließend, stockte und blickte dann wieder skeptisch zu Laar auf. „Wie nennt sie sich?"
Laar gluckste leise auf.
„Ich werde sie noch benennen, Oliver, keine Sorge. Vielleicht kann sie ihren Namen später auch aufschreiben, doch wenn nicht, erhält sie von mir einen solchen", entschied er und der blonde Archner nickte nur erneut, verneigte sich leicht und ging weg. Ein anderer trat heran und legte mir ebenfalls seine flache Hand auf die Stirn. Das war wohl ein Ritual ... Hu?
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