1.1
2278 n. Chr.
Die Welt, wie sie früher einmal war, existiert nicht mehr.
Die alten Geschichtenerzähler sprachen von gewaltigen Blutfeuern, die bis in den Götterhimmel hinaufreichten und alles vernichteten, was es damals Gutes gab, sprachen von Verzweiflung, Flucht, Mord und Tod über alle Kontinente und Ozeane hinweg, ... als sie hier landeten, auf unserer Welt.
Die Fremden.
Sie waren Monster von den Sternen, hieß es, noch größer, oder besser gesagt länger, als Menschen, aber mit sechs schlangenähnlichen Gliedmaßen am ebenfalls schlangengleichen Körper, mit dem sie sich blitzschnell vorwärtswinden und sogar gewaltige Sprünge machen konnten.
Sie waren schnell und stark und nur ein Biss von ihnen hatte die Macht, uns Menschen in annähernd ihresgleichen zu verwandeln, denn ihr Gift enthielt ein mutagenes Virus, das unsere Zellen angriff und veränderte, bis alles Menschliche darin ausgemerzt war und der Körper wie auch der Geist mutiert und in das instinktgesteuerte Fremdenkollektiv übernommen worden waren.
Die Geschichtenerzähler meinten ja, dass man früher noch versucht hatte, sie irgendwie auszurotten, die betroffenen Gebiete zu isolieren, sie dann mit gewaltigen Bomben zu zerstören, doch die Bakterien, welche die Fremden mitbrachten, breiteten sich bald auch schon über die Luft aus und infizierten viele Menschen außerhalb der damaligen Sperrzonen.
Doch nicht alle konnten auf diese Weise infiziert werden und sie organisierten, allmählich dazulernend, ihren Widerstand.
Und so lebten wir Menschen dann hunderte Jahre in einem nicht mehr enden wollenden Krieg gegen die Fremden oder auch gegeneinander ... um gesicherte Territorien, sauberes Wasser, genügend Nahrung ... und nicht zuletzt um uns Frauen.
Ja, Frauen!
Erwachsene, gebärfähige Frauen, die in gewissen Gebieten von den Mächtigen geschützt und behütet aufwachsen durften, und in anderen wiederum nicht, denn Mädchen galten in der neuen Zeit nicht mehr länger als Garanten auf den Fortbestand der Menschheit, nein, sie waren vielmehr Handelsware, Tauschgut wie auch Opfergaben für den neuen fanatischen Fremdenkult in den Tallanden, den sich die Dörfler ausdachten, um die Bestien von den Wällen und der Ernte fernzuhalten. Denn was die Fremden noch viel mehr als Nahrung suchten, waren Frauen, um ihnen dann bei noch lebendigem Leibe ihre Schlupfe einzusetzen und sie gefangen zu halten, bis diese parasitären Wesen sich irgendwann aus ihnen herausgefressen hatten, um auf diese grausame Weise geboren zu werden. Hunderte von ihnen auf einmal ...
Doch das geschah nur in den Tallanden. Und nicht auf den von einem steinernen und mächtigen Wall wie auch von gut ausgestatteten Kriegern geschützten Buckeln, wie wir das letzte Reservat der sicher lebenden Menschen nannten.
Doch nicht alle durften dort leben. Es war nicht genug Platz und sie hatten auch nicht genügend Ressourcen, um dort abgeschottet von allem zu bleiben und zu leben, denn die Berge waren nun mal nicht fruchtbar genug, um dort alle zu ernähren.
Nur deshalb bestand noch der Schutzvertrag zwischen den Buckeln und Tallanden. Die Bauern im Talland wurden von den Kriegern der Buckellande beschützt und diese bekamen dafür einen Teil der Ernte ab und oft genug auch noch eine junge Frau aus dem Ort, wenn die Archner-Krieger, wie sie inzwischen genannt wurden, sich dazu entschieden, eine solche mitzunehmen.
Ich selbst war eine solche Talländerin.
Geboren, ganz im Geheimen, in einer Höhle, verbarg meine Mutter Java mich lange Zeit vor aller Augen, nur damit ich nicht, so wie unzählige andere vor mir, schon ganz jung an andere Walldörfer verkauft oder gar selektiert werden konnte.
Selektiert ...
Was für ein einfaches Wort für eine grausame Sache, welche die Männer den hiesigen Mädchen antaten, nur damit andere sicher und friedlich leben, aussähen und ernten konnten.
Zumindest gingen unsere Ältesten davon aus, dass das Opfern von Frauen und jungen Mädchen dabei half, die Fremden von den Walldörfern oder Ernten fernzuhalten.
Darum wurden auch knapp fünfzig Prozent aller weiblichen Kinder noch lange vor ihrem Eintritt ins Erwachsenenalter vor die Mauern der Orte gebracht, kaum, dass sie bluteten.
Man hörte so einiges darüber, vor allem ihre gequälten Schreie, wenn sie dann von den Fremden geholt wurden.
Doch wer nicht selektiert werden wollte, musste sich dann im Alter von siebzehn oder höchstens achtzehn Jahren einen starken Wächter zum Gefährten wählen ... unter denen, die auch heiratswillig waren, und wenn es denn überhaupt noch einen solchen gab, der nicht gleich darauf auf der Jagd nach Fleisch, im Handel mit anderen Walldörfern oder in der Schlacht um die Ernten getötet wurde.
Starben diese Wächter im Kampf, dann wurden auch deren Witwen, die noch kinderlos waren, wieder selektiert.
Einfach der Gerechtigkeit wegen.
Natürlich gab es immer wieder Widerstand dagegen, doch auch die Archner-Krieger, die von den Buckeln herabkamen, bessere Waffen, bessere Rüstungen und viel mehr Kampferfahrung hatten als die Wächter im Talland, setzten diese Selektionen von Frauen ebenfalls gnadenlos durch. Besonders dann, wenn sie ihren Anteil der Ernten holten, nahmen auch sie Mädchen und Frauen aus den Wallorten, die Witwen, Waisen, krank oder schutzlos waren, mit sich hinaus vor die Wälle, um sie dann irgendwo anzubinden oder laufen zu lassen - für einen ungehinderten, sicheren Abzug bis hin zum nächsten Walldorf oder zurück zum Buckel.
Tja ... und trotz, dass ich es doch so genau wusste, wie die Archner, Walldorfbewohner und auch die Fremden im Talland so tickten, dass ich zu absoluter Aufmerksamkeit, Vorsicht und einem streng geheim gehaltenen und vor den nahen Talländern eher verborgenen Leben erzogen worden war, hatte ein einziger Moment der Unaufmerksamkeit für mich gereicht, um gefunden und aufgegriffen zu werden ... und zwar von den Archnern des ersten Buckels.
Doch ich hatte einfach noch nicht mit diesen Kriegern im Talland gerechnet, als ich am Morgen ganz früh die Höhle verließ, um mich nach einer Woche im Schlamm und Matsch des Waldes, durch den ich auf der Suche nach nützlichen Dingen gekrochen war, einmal hastig zu waschen und etwas zu trinken. Sie waren schon unten am Bach gewesen und ich Idiotin hatte sie nicht bemerkt ... oder besser gesagt, den Archner, der sich auch gerade im Bach säuberte, ... aber bei meiner Ankunft gerade untergetaucht gewesen war, als ich mich am Ufer niederkniete, um als erstes etwas zu trinken.
Plötzlich aber stand der Krieger einfach vor mir, sah ich seine bloßen, kräftige Beine direkt vor meinen Augen, ... das Wasser, das an ihnen abperlte, ... und von seinem nassen Haar hinab ins Wasser tropfte.
Ich sah hoch, ... er war wirklich vollkommen nackt ... und stand da, starrte mich an, als sei ich eine Erscheinung der großen Mutter, aber ich sah ganz sicher nicht weniger erschrocken aus.
„Na, wo kommst du denn her, Kleine? Hast du dich etwa verlaufen oder wurdest du selektiert?", fragte er mich schließlich verblüfft.
Oh. Ich versuchte natürlich sofort, vor ihm zu flüchten, doch er erwischte mich am Arm, zerrte mich einfach zu sich ins Wasser und warf mich dann einfach hochhebend über seine Schulter, derweil ich wie wild strampelte, keuchte und ihn kratzte. Doch davon völlig ungerührt durchwatete er wieder den Bach und pfiff dann, auf der anderen Seite angekommen, nach den anderen Archnern, welche mich ebenso überrascht wie er gerade entgegennahmen, festhielten und dann sogleich den Uferhang hinauf und in ihr Lager zerrten, derweil der nackte Archner sich nun kopfschüttelnd anziehen ging.
Alles strampeln, treten, zappeln und losreißen versuchen hatte nun keinen Zweck mehr. Ich war gefangen worden und wusste es.
Und auch die anderen Krieger wussten es und lachten über die „kleine Range", die einfach so hier draußen im Wald herumspazierte, derweil sie mich weiter zu dritt festhielten.
Na, ganz toll!
Denn im Grunde gab es nun ja keinerlei Ausrede oder Entschuldigung mehr für mich. Meine Mutter hätte mich nun sicher angebrüllt oder sogar hart an den Haaren gerissen, weil ich so idiotisch gewesen war.
Jede noch so kleine Unaufmerksamkeit war hier draußen tödlich, das wusste ich doch genau. Und trotzdem hatte ich gerade nur noch das fließende Wasser im Blick gehabt, war noch vom Schlaf benommen, weil ich tagaktiv ging, statt, wie die Dörfler und Archner, immer nur nachts auf die Fremden zu lauschen.
Gewiss ... Das Plätschern des Wassers hatte wohl die Geräusche der Archner, wie auch ihrer Pferde, auf der anderen Bachseite übertönt, doch das half mir nun auch nichts mehr, da dieser riesenhafte Kerl nun angezogen zurückkehrte und mich erneut und diesmal sogar ziemlich eindringlich musterte.
„So ... nun haben wir uns vielleicht ein wenig beruhigt, was? Dann sprich ... Wie heißt du? Was machst du hier ganz allein draußen im Wald, Mädchen?", fragte er mich nun deutlich strenger, doch ich starrte ihn nur weiter mit großen Augen an, denn ja, dieser riesenhafte, kräftig gebaute und mit einer dicken Narbe quer über das halbe Gesicht entstellte Archner, der nun wieder seinen Harnisch und unzählige Waffen am Leib trug, jagte mir Angst ein, panische Angst sogar ...
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