89. Ein Funken Wahrheit
Iris spürte, wie das Blut an ihrem Bein hinabrann. Es erreichte gerade ihren Knöchel, als Zander den Mund aufmachte. Sie hörte kaum, was er sagte. Der Anblick des Blutes vernebelte ihre Sinne. Im verzweifelten Versuch, Würde und Selbstbeherrschung zu wahren, biss sie die Zähne fest aufeinander und starrte zum Oberlicht hinauf. Die angenehme Wärme des hereinfallenden Sonnenlichts prickelte auf ihrer Haut.
»...redest du?«, drangen Zanders Worte durch den Dunst in ihren Gedanken. »Du wirst diesen Geist von Ryba schon etwas genauer beschreiben müssen.«
Pike ließ von Iris ab und wanderte betont gemächlich zu Zander hinüber. Sein Gesicht war beinahe ausdruckslos. Nur eine weiße Leinwand, auf die er mit seiner Mimik Stimmungen und Gefühle malte, ganz so wie es ihm gefiel. Genauso gut hätte er eine Maske tragen können. »Ich rede von einem Ungeheuer. Groß wie eine Laterne und schreiend hässlich.«
»Klingt, als würdest du Hauki beschreiben«, erwiderte Zander. Mit Blick auf ihren stummen Beobachter ergänzte er: »Nichts für ungut.«
»Oh, Zander«, seufzte Pike. »Du hast in all den Jahren wirklich gar nichts gelernt.«
Zander lehnte sich wieder etwas zurück, sodass sich die Kette um seinen Hals entspannte. »Du willst Antworten, Pike. Also solltest du die richtigen Fragen stellen.«
»Na schön«, sagte Pike und setzte seinen Weg fort, bis er hinter Zander stand. »Diese Kreatur gleicht den Geschöpfen auf den Lysographien in der Magier-Gilde.« Er stützte sich mit beiden Händen auf der Stuhllehne ab. »Hauki und ich haben sie mit eigenen Augen beobachtet. Nachts über der Stadt. Über dem offenen Meer. Beim Forelli-Anwesen.«
»Über dem offenen Meer?«, hakte Zander nach.
»Die Menschen erzählen sich bereits Geschichten über den Geist von Ryba«, fuhr Pike fort, als hätte er die Frage nicht gehört. »Geschichten, Lieder und Verse. Von einem roten Licht, das in manchen Nächten am Himmel über der Bucht zu sehen ist.«
Iris bemühte sich, seinem Gedankenfaden zu folgen. »Was für ein rotes Licht?«
Pike bedachte sie mit einem tadelnden Blick. »Nun, die Schwingen dieser Kreatur brennen. Jedenfalls manchmal.«
»Aber das ist doch-«, begann Iris.
»Blödsinn«, fiel ihr Zander ins Wort. »Du und Hauki, ihr habt wohl beide zu viel Kaninchenfisch gefrühstückt.«
Iris' Blick wanderte unruhig durch die Kammer. Ihre Gedanken rasten. Soweit sie sich erinnerte, besaß Sheitani keine brennenden Schwingen. Nein, er nicht, schoss es ihr durch den Kopf. Aber sie hatte schon einmal eine Kreatur mit brennenden Schwingen gesehen. Oder warum erfüllten sie Pikes Worte mit einer derart lebhaften Vorstellung, dass sie den Schwefelgestank beinahe auf der Zunge schmecken konnte? Ihr Kopf ruckte herum, weil sie aus dem Augenwinkel eine schnelle Bewegung wahrnahm. Ein leiser Schrei entwich ihr, als sie realisierte, dass Pike sein Messer von oben in Zanders Schulter gerammt hatte.
Zander stöhnte leise, dann presste er die Lippen fest zusammen und wandte den Kopf ab. Ein Beben wanderte durch seinen Körper und mit dieser unwillkürlichen Bewegung schien alles Blut aus seinem Gesicht zu weichen.
»Sieht aus, als hätte ich einen Nerv getroffen«, bemerkte Pike trocken. »Mal im Ernst, Zander, man sieht dir aus fünfzig Metern Entfernung an, dass dir deine Schulter noch immer Probleme bereitet. Da haben die Karpis offensichtlich ganze Arbeit geleistet.« Mit diesen Worten zerrte er die Klinge aus Zanders Fleisch.
Zander krümmte sich, was dazu führte, dass sich die Kette um seinen Hals zuzog. Die Wellen der Agonie, die ihn durchwanderten, schwappten auf Iris über. Der Schmerz kam so plötzlich, dass sie überrascht nach Luft schnappte.
Pike saugte ihren Laut auf wie ein trockener Schwamm. »Dann ist es also wahr«, sagte er und hob das besudelte Messer auf Augenhöhe, als würden ihn Farbe und Konsistenz des daran anhaftenden Blutgemischs interessieren. »Die besondere Empfindlichkeit des alten Blutes.« Er hob fragend die Augenbrauen. »Oder der Segen der Himmelsmotte Tinea, wie man es in Trandafir nennt.« Sein Blick richtete sich direkt auf Iris. »Mehr ein Fluch als ein Segen, nicht wahr?«
»Du bist auch vom alten Blut«, presste Iris heraus. »Das sehe ich dir an.«
Pike ließ das Messer sinken und schmunzelte. »Das ist wahr. In meinen Adern fließt reines Gusarenblut.« Er stützte sich wieder mit beiden Händen auf Zanders Rückenlehne ab. »Allerdings können wir Kinder der Göttin Lacuna uns nicht mit den Kindern der Göttin Eydna messen. Andernfalls müsste ich jedes Mal vor Schmerz zusammenzucken, wenn ich-« Seine Finger drückten gegen Zanders Schulterblatt, was Zander zu einem Ächzen veranlasste und dunkelrotes Blut aus der frischen Wunde austreten ließ. »-das hier tue.«
»Hör auf damit«, zischte Iris, bevor sie von Zanders Qual erfasst wurde. Die verschiedenen Schmerzen mischten sich miteinander und steigerten sich dabei immer mehr. Es rauschte und knisterte in ihren Ohren. Der Schmerz bohrte sich in ihren Kiefer und schoss von dort aus ihr Rückgrat hinab bis zu ihren Becken. Die Umgebung verschwamm vor ihren Augen und ein metallischer Geschmack kroch über ihre Zunge. Sie kämpfte um ihr Bewusstsein wie ein Kleinkind, das sich reflexartig an sein Lieblingsspielzeug klammerte.
Pike wartete geduldig, bis sie beide wieder bei Sinnen waren. »Ich mache das hier wirklich nicht gerne«, erklärte er schließlich. »Aber ich brauche jetzt Antworten.« Er trat zwischen sie und stützte sich mit einer Hand auf Zanders und mit der anderen Hand auf Iris' Rückenlehne. Das blutige Messer kam ihrem Gesicht dabei unangenehm nahe. »Also, was hat es mit dieser Kreatur auf sich? Wo kommt sie her? Und wer kontrolliert sie?« Energisch fuhr er fort: »Ist es Herr Rogner Forelli? Oder hat diese Kreatur mit seinem Verschwinden zu tun?«
Zander hustete. »Du und Hauki, ihr habt also nach dem Geist von Ryba Ausschau gehalten und eine Kreatur mit brennenden Schwingen am Forelli-Anwesen gesehen?«
»So ist es«, antwortete Pike.
»Und über dem Ozean?«
Pike betrachtete Zander von oben herab. »Ja. Ganz genau.«
»Wie konntet-«
»Mit einem Fernrohr«, fiel ihm Pike ungehalten ins Wort.
Zander ließ sich nicht einschüchtern. Zögernd fuhr er sich mit der Zunge über die rauen Lippen. »Und als ihr diese Kreatur gesehen habt, habt ihr da zufällig auch die Seeteufel gesehen?«
»Die Seeteufel?«, wiederholte Pike, ließ die Stuhllehnen los und ging vor Zander in die Hocke. »Das königliche Flaggschiff?« Seine Miene verfinsterte sich. »Willst du mich wütend machen?«
Zander lachte heiser. »Wenn ich dich wütend machen wollte, würde ich dir sagen, dass ich inzwischen verstanden habe, was hier läuft.« Er blickte zum Oberlicht hinauf. »Wir befinden uns in der alten Torfstecher-Siedlung nördlich von Myr Ryba. Die steht schon seit zwei Jahrzehnten leer. Man munkelt, dort hätten sich Landstreicher und Vagabunden niedergelassen. Jeder, der dieser Siedlung zu nahe käme, würde seinen Kopf verlieren. Nicht einmal die Schlammfischer oder die Gendarmen wagen sich hierher.«
»Was willst du damit sagen?«, fragte Pike und stellte sein Messer mit der Spitze auf Zanders Knie.
»Lass es mich dir erklären«, antwortete Zander. »Das Holz hier unten muss irgendwann einmal von Quallenkäfern befallen gewesen sein. Das bedeutet, dieses Gebäude ist alt. Außerdem stinkt es intensiv nach eingekochtem Kohl.« Er spähte zu Hauki, dessen Gesicht mehr denn je einem verstimmten Wels ähnelte. »Wenn ihr zwei Tümmler nicht plant, uns mit diesem Gestank zu Tode zu foltern, was sich als äußerst langwierige Prozedur herausstellen könnte, vermute ich, dass es hier jemanden gibt, der kocht und Hausarbeiten erledigt.« Sein Blick kehrte zu Pike zurück, der ihn weiterhin unverwandt ansah. »Darüber hinaus erwähntest du, dass du es nicht warst, der Iris ausgezogen hat. Also, wer war es dann? Hauki?« Zanders starres Lächeln verschwand. »Ein Korsett lösen? Mit seinen Pranken? Niemals hätte er das ohne Gewalt oder Werkzeug geschafft. Aber Iris' Unterkleid ist vollkommen unversehrt. Und sie hat auch sonst keinen einzigen Kratzer.«
»Du bewegst dich auf dünnem Eis«, informierte ihn Pike.
Zander seufzte. »Ich weiß. Aber ich habe auch äußerst wenig zu verlieren, oder?« Ohne auf eine Antwort zu warten, fuhr er fort: »Eine Frau ist hier, Pike. Ich weiß nicht, zu wem von euch sie gehört, aber sie ist hier. Und möglicherweise sind auch Kinder ganz in der Nähe. Ich meine, die alten Torffelder sind äußerst weitläufig. Du könntest vermutlich deine ganze Großfamilie in dieser Einöde verstecken.«
»Nehmen wir mal an, du hättest Recht«, sagte Pike und verstärkte den Druck der Klinge auf Zanders Kniescheibe. Zander ließ sich keinen Schmerz anmerken, sondern starrte ihm fest in die Augen. »Wie könnte ich euch mit diesem Wissen wieder gehen lassen?«
»Du solltest lieber darüber nachdenken, was Tuna und Salmon mit deiner Frau und deinen Kindern anstellen werden, wenn sie hier ankommen und unsere Leichen finden«, entgegnete Zander. Ein Muskel an seinem Hals zuckte, als sich Pikes Waffe durch den Stoff seiner Hose bohrte. Er wusste, welchen Schaden eine präzise geführte Klinge an dieser Stelle anrichten konnte. Wenn Pike wollte, konnte er ihn hier und jetzt zum Krüppel machen.
Iris konnte nicht länger schweigen. »Ich habe diese Kreatur auch gesehen.«
Ihre Worte brachten Pike zum Innehalten. »Und wo?«, fragte er.
»In einer Vision«, antwortete Iris zögernd, auch wenn das nur die halbe Wahrheit war. Sie hatte die brennende Kreatur nicht nur in Cyans Vision gesehen, sondern auch schon beim Anschlag auf Rogner Forelli und in der Futusfera von Gwydion Dan de Potas.
Pike wirkte nicht gerade erfreut über diese Neuigkeit.
»Es ist keine Einbildung«, sagte Zander. »Diese Kreatur existiert.«
»Ich weiß«, entgegnete Pike und bohrte seine Klinge durch Zanders Haut.
Iris konnte es nicht sehen, aber sie spürte den Schmerz, der durch Zanders Bein rauschte.
Als er den verzerrten Ausdruck auf ihrem Gesicht bemerkte, lächelte Pike zufrieden. »Und ich weiß auch, dass sie die Straßenkinder getötet hat. Die Spuren an den Körpern der Kinder passen zu den Klauen der Kreatur.« Er senkte die Stimme. »Dieses Ungeheuer hat den Kindern bei lebendigem Leib das Herz herausgerissen und sie dann ins Meer geworfen. Wie Pesk.«
Zander biss sich auf die Unterlippe und legte den Kopf schräg. Dabei war für einen kurzen Augenblick ein Teil der Tätowierung zu sehen, die sich über sein Schlüsselbein zog und bis zu seiner Kehle reichte. Iris vermutete, dass sie eine Blume darstellen sollte, eine hellblaue Lapras-Orchidee. Als sie in der vergangenen Nacht miteinander geschlafen hatten, hatte sie ihn dort geküsst, genau auf die zartgliedrige Blüte. Die Erinnerung kam ihr vor wie aus einem anderen Leben. »Habt ihr gesehen, wie diese Kreatur die Kinder getötet hat?«, fragte Zander.
»Nein«, antwortete Hauki, bevor Pike reagieren konnte.
Pike warf seinem Kumpanen einen strafenden Blick zu. »Nein, haben wir nicht.« Er drehte die Messerklinge, was Zanders Hose mit Blut tränkte. »Und wenn du dein Knie weiterhin benutzen können möchtest, rate ich dir, mir zu erzählen, worauf du hinauswillst.«
»Ich will darauf hinaus, dass niemand gesehen hat, wie diese Kinder entführt oder getötet wurden. Aber es gäbe doch bestimmt Zeugen, wenn sich ein brennendes Monster vom Himmel gestürzt und Kinder von den Straßen der Stadt geklaubt hätte wie eine gigantische Seemöwe«, fauchte Zander. »Denk doch mal nach, Pike. So ein Wesen wäre doch viel zu auffällig, um Kinder zu jagen, ihnen die Herzen herauszureißen und sie anschließend weit draußen auf dem Meer zu entsorgen. Das heißt, es war nicht die brennende Kreatur, die das getan hat.«
Iris konnte sich gerade noch davon abhalten Nicht? zu fragen.
»Jemand hat dieses Wesen mit Kinderherzen gefüttert«, fuhr Zander fort.
»Und wer ist dieser jemand?«, erwiderte Pike misstrauisch.
Zander atmete tief ein und ließ die Luft durch seine bebenden Nasenflügel wieder entweichen. »Wenn du wirklich wissen willst, was aus den Kindern geworden ist, dann besorgst du dir die Pläne der Hafenmeisterei und vergleichst die Zeitpunkte, in denen die Kreatur beobachtet worden ist, mit den Zeiten, die die Seeteufel außerhalb der Bucht verbracht hat.« Er beugte sich so weit vor, wie es die Kette um seinen Hals zuließ. »Aber achte darauf, nur die Sichtungen zu berücksichtigen, bei denen eine Kreatur mit brennenden Flügeln gesehen worden ist.«
»Und was soll das für eine Rolle spielen?«
»Es sind zwei«, erkannte Iris, verblüfft über ihre eigene Erkenntnis. »Es sind zwei Kreaturen«, setzte sie nach.
Zander lachte. »Ja, ganz genau. Jetzt ergibt alles einen Sinn. Zwei Kreaturen. Beide auf dieser Seite des Vorhangs. Und beide werden gefüttert. Die eine mit Wild und Speiseabfällen, die andere mit Kinderherzen.« Er wandte sich wieder an Pike, der ihre Unterhaltung mit zerfurchter Stirn verfolgte und nichts zu verstehen schien. »Wenn dir diese Kinder etwas bedeuten, überprüfst du meine Theorie.«
»Ich halte das für ausgemachten Blödsinn«, grollte Pike.
»Dann wirst du uns beide töten müssen«, gab Zander zurück. »Denn in dieser Sache gibt es nur eine Wahrheit – und die findet sich auf der Seeteufel, nicht im Forelli-Anwesen.« Er setzte ein zufriedenes und irgendwie befreit wirkendes Gesicht auf. »Aber Vorsicht. Du könntest bei der Suche nach der Wahrheit auf zwei ziemlich blutdürstige Aciarische Attentäter stoßen. Höchstwahrscheinlich verstecken sie sich auf dem Schiff.«
»Aciarische Attentäter?«, fragte Pike und zog seine Messerklinge aus Zanders Knie.
Zander fluchte ungehalten und lehnte sich in seine Fesseln.
Iris spürte den Schmerz kaum, weil sie zu sehr damit beschäftigt war, einen Sinn in Zanders Worten zu suchen. Sie war sich noch immer nicht sicher, ob sie vollkommen verstand, worauf er hinauswollte, aber es kam ihr tatsächlich logisch vor, dass sie es mit zwei verschiedenen Wesen zu tun hatten: mit Sheitani und mit dem Ungeheuer, das Rogner Forelli attackiert hatte. Vermutlich im Auftrag der Aciarischen Attentäter, die wiederum für Kanto Dan de Nowy arbeiteten.
»Wir haben Aciarier gesehen«, erklärte Pike nachdenklich.
»Wo?«, keuchte Zander mit verzerrter Miene.
Pike rieb sich die Stirn. »Unten am Hafen. Vor zwei Tagen. Sie haben einen Boten aus Myr Paluda in Empfang genommen.«
»Zweifellos ein Bote mit wichtigen Anweisungen ihres Auftraggebers«, presste Zander heraus.
Pike maß ihn mit einem langen Blick, dann verließ er die Kammer ohne ein weiteres Wort zu verlieren. Hauki folgte ihm. Vermutlich wollten sie sich beraten, um über Zanders und Iris' Schicksal zu entscheiden.
»Denkst du wirklich, dass das die Wahrheit ist?«, erkundigte sich Iris, während die Schmerzen durch ihren Körper pochten. Rund um ihren linken Fuß hatte sich eine kleine Blutlache gebildet. Beim Gedanken daran wurde ihr ein wenig blümerant zumute.
»So muss es gewesen sein«, erwiderte Zander. »Oder denkst du, Cyan hätte die Kinder entführt, um Sheitani mit ihren Herzen zu füttern?«
»Nein«, antwortete Iris rasch. Die Vorstellung war absurd.
»Es waren die Aciarier«, sagte Zander ernst. »Sie haben Kinder entführt, die niemand ernsthaft vermissen würde, sind mit ihnen aufs Meer hinausgefahren, wo niemand ihr Treiben bemerken würde, haben ihnen die Herzen herausgeschnitten und sie der Kreatur zum Fraß vorgeworfen. Dann haben sie die Leichen der Kinder im Meer versenkt. So wie sie es mit unseren Boten gemacht haben.«
»Dann hat Kanto Dan de Nowy ebenfalls einen Myrkuren freigelassen«, meinte Iris kopfschüttelnd. »Genau wie Cyan. Und er hat ihn dazu benutzt, ein Attentat auf Herrn Forelli zu verüben.« Ihr kam ein beunruhigender Gedanke. »Aber die Aciarier sind keine Magier«, murmelte sie. »Sie können den Zauber nicht selbst hergestellt haben, sondern müssen ihn von Kanto Dan de Nowy bekommen haben. Du weißt schon, das Pulversäckchen, das ich bei Cyan gefunden habe. Vielleicht wirkt der Zauber wie ein Köder, um den Myrkur anzulocken.« Hinter ihrer Stirn rasten die Gedanken vorbei wie einzelne Wolken, die sich in schneller Folge zu immer neuen Konstellationen formten und dann rasch weiterzogen. »Aber das ist schief gegangen. Cyans Zauber hat den Myrkur abgewehrt.« Ihre Stimme überschlug sich. »Und als Nächstes wollen sie Cyan angreifen. Sie wollen ihn auf die gleiche Weise töten wie seinen Vater.« Ihr fiel wieder ein, was Pike über den Boten aus der Hauptstadt gesagt hatte. »Was, wenn ihnen dieser Bote einen weiteren Zauber gebracht hat? Diesmal einen, der Cyan zum Opfer machen wird?«
Zander wollte mit den Schultern zucken, schien es sich dann aber anders zu überlegen und machte nur eine unbestimmte Bewegung mit den Armen. »Warum braucht es überhaupt einen Zauber? Wieso können sie dem Myrkuren nicht einfach sagen, was er tun soll?«
»Vielleicht ist dieser Myrkur nicht so nett wie Sheitani«, schlug Iris vor.
Zander kam nicht zu einer Antwort, denn in diesem Moment öffnete sich die Tür und Pike und Hauki kehrten zurück.
»Und?«, fragte Iris, doch Pike antwortete nicht. Wortlos kam er zu ihr und löste ihre Fesseln. Dann packte er sie fest am Arm und zog sie mit sich zur Tür. »Was ist denn los?«, fragte Iris und humpelte hinter ihm her. Jeder Schritt sandte eine heiße Welle des Schmerzes durch ihre Adern. »Was habt ihr vor?«
»Verabschiede dich von deinem Freund«, grollte Hauki, der sie aus seinen kleinen Schweinsäuglein unter den wulstigen Brauen durchdringend anstarrte.
»Nein«, keuchte Iris. »Nein!« Sie wandte den Kopf, um sich nach Zander umzusehen, der wie gelähmt wirkte. »Zander!«, entfuhr es ihr und sie sträubte sich wie ein Pferd, das nicht über ein Hindernis gehen wollte. Doch Pike war stärker als sie und versetzte ihr einen brutalen Stoß, der sie über die Türschwelle stolpern ließ.
»Pike!«, vernahm sie Zanders Stimme, dann knallte die Tür hinter ihr zu und trennte sie voneinander.
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